Wollen Sie mal in ihrem belesenen Freundeskreis bewundernde Blicke ernten? Dann erzählen Sie einfach, dass sie gerade ein Buch über Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich von Kleist, August Wilhelm Schlegel, Ludwig Tieck und Madame de Staël lesen – ein anerkennendes Nicken wird Ihnen bestimmt sicher sein.
Und es muss ja keiner wissen, dass es sich dabei um den neuesten Roman aus der Feder von Robert Löhr handelt. Wobei – eigentlich sollten Sie es ruhig schon erwähnen, ist doch auch die Fortsetzung von „Das Erlkönig-Manöver“ einmal mehr eine äußerst kurzweilige und empfehlenswerte Lektüre, welche einen wichtigen Abschnitt der deutschen Literaturgeschichte mal auf eine ganz andere Art und Weise näher beleuchtet. Ein Hauch Abenteuerroman, eine Prise Schelmenspiel, eine Fingerspitze Roadmovie – fertig ist „Das Hamlet-Komplott“.
Musste im Vorgänger noch der rechtmäßige französische König aus den Klauen Napoleons gerettet werden, so sitzt diesmal Heinrich von Kleist in eben dieser Bredouille, weshalb sich die oben genannten historischen Lichtgestalten auf den Weg machen, um diesen zu befreien. Eine Unternehmung, welche sich bald als überflüssig erweist, ist doch Kleist seinen Häschern bereits entkommen, um mit einem wertvollen Gut – der Krone des heiligen römischen Reiches deutscher Nationen – die Flucht zur Memel anzutreten. Dort soll sie den zermürbten preußischen Truppen neuen Mut einflößen und die Waagschale des Krieges zu ihren Gunsten kippen. Allesamt Verfechter der deutschen Sache oder zumindest verschworene Feinde Napoleons, schließt sich der Rest der Gruppe Kleist kurzerhand an. Verkleidet als Wanderschauspieler beginnt für sie eine turbulente Reise durch den französischtreuen Süden Deutschlands. Stets verfolgt von Napoleons Schergen, die ihrerseits alles versuchen, die Reichskrone in ihre Finger zu bekommen …
Robert Löhrs Werke findet man gewöhnlich in Buchhandlungen in der Sparte für historische Romane. Inhaltlich und zeitlich ist das sicherlich richtig eingeordnet. Wirft man jedoch einen näheren Blick auf seiner Bücher, mutet es schon seltsam an, dass ein Mann dieses Talents sich das Regalbrett mit Sarah Lark und Iny Lorentz teilen muss. Vielleicht ist das ein Grund, warum Löhr ein größerer Bekanntheitsgrad bisher versagt geblieben ist. Qualitativ spielt er jedenfalls schon jetzt in einer anderen Liga, was er auch mit „Das Hamlet-Komplott“ einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis stellt. Sein zweiter Roman um Goethe, Kleist und Co. tritt dabei ein ziemlich schweres Erbe an. „Das Erlkönig-Manöver“ wurde nicht nur im Feuilleton hoch gelobt, sondern gehört auch zu meinen absoluten Lieblingsbüchern. Diesen hohen Level erneut zu erreichen, ist aber Löhr, dessen Fortsetzung nun mal am Vorgänger gemessen werden muss, nicht gelungen. Ob Wortwitz, Tempo, Spannungsbogen oder dramatische Elemente – „Das Hamlet-Komplott“ muss sich in all diesen Punkten dem Vorgänger geschlagen geben. Lesenswert ist es jedoch trotzdem. Und zwar deswegen:
Robert Löhr ist eine schriftstellerische Leichtigkeit zu Eigen, die man in den Kreisen deutscher Autoren leider viel zu oft vergeblich sucht. Seine Werke sind, trotz ihres Anspruchs, der haargenauen Recherche und dem tiefen Respekt für die literaturgeschichtlichen Vorbilder, durchgehend unterhaltsam. Löhr kickt die Klassik in die Moderne, pustet den Staub von der Romantik, ohne dabei Gefahr zu laufen, zur billigen Groteske zu verkommen. Die Idee, die großen Persönlichkeiten der deutschen Literatur als fehlerbehaftete Menschen zu zeigen ist ebenso einfach wie genial. Auch weil die vielen Zitate und Anspielungen, welche in „Das Hamlet-Komplott“ nicht ganz so sehr funktionieren wollen wie im Erstling, die Neugier auf diese Epoche wecken und viele vielleicht dadurch sogar erstmals Lust bekommen, einen näheren Blick auf die „öden, alten Klassiker“ zu werfen. Und selbst wenn nicht: Auch Goethes zweiter Auftritt als Napoleons Gegenspieler ist einfach ein großer, oftmals herrlich absurder Spaß. Langatmige Passagen sind die Ausnahme. Hinter jeder Ecke wartet eine neue Überraschung auf den Leser, den Löhr immer wieder trefflich aufs Glatteis führt. Seinem Ideenreichtum und das Können, diese Ideen mit der Historie zu verbinden, gebührt abermals höchstes Lob.
So ist es letztlich zu verkraften, dass „Das Hamlet-Komplott“ das Niveau des Vorgängers nicht halten kann, diese schon traumwandlerische Leichtigkeit nicht erneut erreicht. Denn – und das müssen auch die Helden in diesem Roman erkennen – nicht immer klappt alles so, wie man sich das erhofft hat. Und selbst die ganz Großen straucheln irgendwann mal.
„Das Hamlet-Komplott“ ist ein kurzweiliges, anekdotenreiches Mantel-und-Degen-Abenteuer, an dem nicht nur Shakespeare-Liebhaber ihre Freude haben dürften. Erfrischend anders und nicht selten beeindruckend intelligent. Und damit ein Farbtupfer im Meer der spröden historischen Unterhaltungsliteratur, dem man seine Fehler gern verzeiht. Eine am Ende in Aussicht gestellte weitere Fortsetzung werde ich jedenfalls gerne wieder lesen.
Wertung: 85 von 100 Treffern
- Autor: Robert Löhr
- Titel: Das Hamlet-Komplott
- Originaltitel: –
- Übersetzer: –
- Verlag: Piper
- Erschienen: 08.2011
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 368 Seiten
- ISBN: 978-3492272087
Lieber Stefan,
Du hast die herausragende schriftstellerische Qualität von Robert Löhr sehr treffend dargestellt.
Ich habe bisher nur das „Hamlet-Komplott“ gelesen und zwar schon vor einigen Jahren, aber es ist mir mit seinem zugleich leichtfüßigen und niveauvollen literarischen Stil noch lebhaft in Erinnerung. Mir gefällt es sehr, wenn gegenwärtige Autoren sich sprachchamöleonesk einer anderen Epoche anverwandeln, historischen Schriftstellern und historischen Charakteren sowie „altmodischen“ Sprachgewohnheiten die Ehre geben und mit der eigenen Phantasie und Geschichtengestaltungskraft kombinieren.
Nun bin ich dank Deiner Rezension voller Lesevorfreude auf das „Erlkönig-Manöver“, das ich kürzlich zufällig aus dem öffentlichen Bücherschrank, den ich ehrenamtlich pflege, gefischt habe.
Es grüßt und dankt
mit verbindlicher Empfehlung ;-)
Ulrike von Leselebenszeichen
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Erstmal vielen Dank für Deine Worte. – Du darfst Dich sehr auf das „Erlkönig-Manöver“ freuen, das mir nochmal um einiges besser gefallen hat und zu meinen Lieblingsbüchern gehört. Beiden ist aber zu Eigen, dass sie herrlich wortgewandt die Klassiker in die Moderne transportieren, nur um ich gleichen Atemzug Lust auf eben jene Größen der deutschen Literaturgeschichte zu machen. Habe mir schon oft gedacht, dass man damit im Deutschunterricht den ein oder anderen Schüler mehr auf den Geschmack bringen könnte. Und überhaupt, viele deutschsprachige Autoren haben es inzwischen verlernt, bei all der stilistischen Eleganz auch einfach mal zu unterhalten. ;-)
Ganz viel Spaß beim Lesen wünsche ich Dir und sende liebe Grüße zurück
Stefan
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Danke! Ich fand „Erlkönig-Manöver“ so gut. Aber manchmal verliert man Titel und viel schlimmer, die Autoren aus den Augen. Der Titel ist jetzt auf der „will ich“ Liste. ( Will? „Die Ziege wollte auch immer nen langen Steert haben.“ Aber ja, will☺)
Liebe Grüße
Nina
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Da wünsche ich Dir viel Vergnügen beim Lesen. Und falls du Lust hast, kannst du mir ja dann mal verraten, wie es Dir gefallen hat. :-)
Liebe Grüße zurück
Stefan
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Mache ich!
Schönen ersten Advent
Nina
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Dir auch! :-)
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Ein mir gänzlich unbekannter Autor, lieber Stefan. Aber du hast mich neugierig gemacht. Und zwar so sehr, dass ich mir „Das Erlkönig-Manöver“ direkt bestellt habe. Bei Gefallen (und davon gehe ich gerade ziemlich stark aus), kann ich „Das Hamlet-Komplott“ direkt nachschieben. Großartig! Herzlichen Dank für die Empfehlung und ein schönes Wochenende! Nicole
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Aber gerne doch! :-) Und ich bin wirklich sehr gespannt, ob Dir „Das Erlkönig-Manöver“ auch so gut gefällt, wie mir. Viel Spaß und Dir auch ein schönes Wochenende!
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