Die Reise des Rob Jeremy Cole

© Heyne

Vor wenigen Tagen – genauer gesagt am 22. November 2021 – starb der US-amerikanischer Autor Noah Gordon im respektablen Alter von 95 Jahren. Bekannt geworden war er vor allem durch sein historisches Epos „Der Medicus“ – ein Buch, das sich mir bei der ersten Lektüre im Jugendalter noch aufgrund der eher ausschweifenden, detaillierten Erzählweise etwas in den Weg gestellt bzw. dessen Faszination sich mir nicht wirklich erschlossen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch eher Ken Folletts und Rebecca Gablés Stil gewöhnt. Zwei Kollegen/innen, welche zwar ähnlich komplex ihre Welt aufbauen, aber in ihren Büchern dann doch auch immer auf ein relativ zügiges Vorankommen des Lesers Wert legen.

Gut fünf Jahre später wagte ich dann einen zweiten Anlauf und erinnerte mich an die Worte von Doris Lessing, welche mal in einem (nebenbei bemerkt äußerst lesenswerten) Interview mit dem Diogenes-Verlag behauptet hatte:

Man muss ein Buch zur richtigen Zeit lesen. (…) denn es ist der Schlüssel zum Vergnügen an der Literatur.

Insofern musste der erste Versuch zur falschen Zeit geschehen sein, da ich nun die Lektüre nicht nur auf ganzer Länge genießen konnte, sondern seitdem auch Gordons großes literarisches Verdienst er- und anerkennen kann, das er sich mit diesem Buch zweifelsfrei erschrieben hat. (Die Tatsache, dass mir viele Einzelheiten in den Jahren dazwischen entfallen sind, kam dem Lesespaß natürlich zusätzlich entgegen) Die Geschichte des Buches sei schnell angerissen:

London im Jahre 1021. Der neun Jahre alte Rob Jeremy Cole muss die ganze Härte des Lebens erfahren, als seine Mutter bei der Geburt des jüngsten Bruders stirbt und ihr kurze Zeit später der Vater nach einer schweren Krankheit folgt. Nachdem die Londoner Zimmermannszunft seine Geschwister in verschiedenen anderen Familien untergebracht hat, bleibt nur Rob alleine zurück. Ihm droht schon das Leben eines Unfreien in den gefährlichen Eisenminen, als ihn eines Tages ein Bader unter seine Fittiche nimmt. Gemeinsam ziehen sie quer durch England und Wales, wobei der junge Rob nicht nur die Kunst des Jonglierens trainiert, sondern gleichzeitig auch einfache Griffe in der Medizin und bei der Versorgung der Kranken erlernt. Zu seiner großen Freude macht ihn der Bader dann schließlich sogar zu seinem Lehrling. Es folgen glückliche und vor allem profitable Jahre, da sich Robs Gabe, den Tod bei kranken Menschen zu spüren, als äußerst nützlich erweist. Als der Bader dann jedoch eines Tages ebenfalls eines plötzlichen Todes stirbt, steht Rob am Scheideweg. Sein Wissensdurst bezüglich der Heilung ist noch nicht annähernd gestillt und so beschließt er, sich auf den Weg nach Persien zu machen, um sich in Isfahan als Arzt ausbilden zu lassen.

Rob reist quer durch Zentraleuropa bis nach Konstantinopel, wobei er nicht nur unterschiedlichsten Kulturen und Menschen begegnet, sondern auch innerhalb der Zweckgemeinschaft einer Karawane seine große Liebe findet. Von den mitreisenden Juden erlernt er zudem vorsorglich das Wichtigste ihrer Religion, da ihn das Erreichen der Grenzen des Abendlands nämlich vor ein neues Problem stellt: Christen ist das Studium im Heiligen Land auf Todesstrafe verboten. Fortan gibt sich Rob als Jude aus. Unter dem Namen Jesse ben Benjamin durchquert er die heutige Türkei, um nach vielen Monaten endlich Isfahan zu erreichen und dort festzustellen, dass die Zeit des Lernens erst jetzt wirklich beginnt …

Vorneweg: Wer Tolkiens „Der Herr der Ringe“ bereits nach wenigen Seiten gelangweilt abgebrochen hat, der wird höchstwahrscheinlich auch an Gordons „Medicus“ (zumindest anfangs) kaum Gefallen finden, denn wie beim großen Fantasywerk, so nimmt auch hier das Umherreisen reichlich viel Platz innerhalb der Handlung ein. Und wie Tolkien, so nutzt auch Gordon diesen Platz, um seine Protagonisten näher auszuarbeiten und im weiteren Verlauf die Unterschiede der verschiedenen Kulturen, Religionen und Landschaften ausführlicher zu skizzieren. Das wird bei Freunden geradliniger Bücher vielleicht für nur wenig Begeisterung sorgen. Fakt ist aber: Noah Gordon gelingt damit die Wiederbelebung der schillernden Welt des Mittelalters, welche der Leser Seite um Seite mit einem ähnlich kindlichen Staunen betrachtet wie der junge Rob Jeremy Cole. Bader und Gaukler, marodierende Ritter, reisende Kaufleute, pilgernde Christen, Pest, Hungersnöte und blinder religiöser Fanatismus. Der Autor hat in „Der Medicus“ eine einfach stimmige Mischung auf Papier gebracht, welche zwar nur auf wenigen überlieferten Fakten beruht (Gordon gibt dazu im Nachwort eine aufschlussreiche Erklärung ab) und sich einige Ungenauigkeiten herausnimmt (z.B. Steinburgen gab es in der Zeit vor William, dem Eroberer noch nicht; es existierte kein Gildensystem; England war unter dänischer Herrschaft – entsprechend passt der Name Cole nicht), dafür jedoch die persönliche Geschichte von Jeremy Cole schlichtweg passend in die damalige Zeit einbettet.

Und dieser ist ohne Frage das Zugpferd der gesamten Geschichte. An seinem Schicksal nimmt man, nicht zuletzt wegen seiner nahbaren, menschlichen Art, ziemlich früh Anteil. Man betrauert familiäre Verluste und berufliche Rückschläge, fiebert beim Werdegang des Waisenjungen mit. Stets in der Hoffnung, er möge eines Tages sein Ziel erreichen und als ausgebildeter Medicus nach England zurückkehren. Bis dahin ist es für Cole und den Leser ein weiter, aber lohnenswerter Weg, an dessen Rand man immer wieder Neues entdecken kann. Für Zartbesaitete könnte dieser Weg allerdings mitunter beschwerlich sein, schildert doch Gordon medizinische Eingriffe und Operationen nicht selten bis in kleinste, blutige Detail (Die blumige Ausdrucksweise dürfte für die ganz konservativen unter den Iny-Lorentz-Lesern vielleicht nur schwer zu verkraften sein).

Auch die lange Feindschaft zwischen den Christen und den Juden wird intensiv beleuchtet, wobei hier Gordon (selbst Jude) ein großes Lob für die äußerst moralfreie Betrachtung dieser Thematik auszusprechen ist. Dass die differenzierte Darstellung der kulturellen Gegensätze trotzdem bis zum heutigen Tag noch aktuell ist, ist weniger Gordon, als vielmehr der gesamten Menschheit anzulasten, auf welche folgender Ausspruch wohl immer noch am besten passt: „Aus der Geschichte lernen wir, dass wir nichts aus der Geschichte lernen.

Nach mehr als 700 Seiten schließt das Buch dann mit einem unerwarteten und unkonventionellem Ende, das allerdings gerade auch deswegen so befriedigend ist und dazu nochmals den Eindruck verstärkt, mit Gordons „Medicus“ ein ganz besonderes Buch gelesen zu haben.

Der Medicus“ ist ein farbenprächtiges und lebendiges Historien-Epos, das Unterhaltung und Tiefgang sehr bemerkenswert in Einklang bringt und dabei sogar die eigene Wissbegierde weckt. Ein Klassiker des Genres, der auch nach fast einem Vierteljahrhundert immer noch seinen Platz in den Regalen der Buchhandlungen sicher hat und durch zwei weitere Bände zu einer Trilogie komplettiert wurde.

Wertung: 91 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: Noah Gordon
  • Titel: Der Medicus
  • Originaltitel: The Physician
  • Übersetzer: Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
  • Verlag: Heyne
  • Erschienen: 04.2011
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 864
  • ISBN: 978-3453471092

Krieg der Lügen

© Kampa

Es gibt sie immer noch – diejenigen, welche als Grenzschützer die vermeintlichen Übergänge zwischen den Genres überwachen, peinlich genau darauf achten, dass sich das sogenannte Triviale nicht mit der Hochliteratur vermischt, bloß keine Brücken zwischen Niveau und Unterhaltung geschlagen werden.

Sie merken nicht, dass sie die Entwicklungen der letzten Jahre, ja Jahrzehnte vollkommen verschlafen haben, wir nicht mehr länger in diesen Kategorien urteilen und Maß nehmen können, da sich das einstmals Ausschließende inzwischen längst vereinigt hat – vorangetrieben von Autoren, die diese willkürlich gesetzten roten Linien einfach nicht als solche wahrgenommen oder mittels der künstlerischen Freiheit überwunden haben. Und während es einige Schriftsteller gab, wie zum Beispiel Graham Greene, wo dies bereits zu früheren Zeiten akzeptiert worden ist, muss sich der ein oder andere heute weiterhin zu diesem Eiertanz zwischen klassischer Belletristik und Spannungsroman auffordern lassen. Zu ihnen gehört auch William Boyd, dessen Roman „Ruhelos“ man vor einigen Jahren in den Buchhandlungen in verschiedenen Abteilungen finden, leider aber sich in keiner davon augenscheinlich einen dauerhaften Platz erobern konnte.

Das ist weiterhin bedauernswert, zumal gerade „Ruhelos“ bei der damaligen Veröffentlichung hierzulande größere Aufmerksamkeit bekommen hat, welche einen Durchbruch in Deutschland erhoffen ließ. Boyd aber bleibt bis heute, unverständlicherweise, ein Geheimtipp. Und während das Lebenswerk des kürzlichen verstorbenen John Le Carré allenthalben gefeiert und nochmal ins Scheinwerferlicht gerückt wird, muss daher wohl die kriminelle Gasse für den schottischen Autor, der aktuell wieder beim tollen Kampa-Verlag neu aufgelegt wird, Schützenhilfe leisten. Mit Freuden wohlgemerkt, denn Boyd ist hier ein Spionageroman klassischer Schule gelungen, der sowohl sprachlich als auch in seinem Aufbau zu überzeugen weiß und dem Leser nebenbei noch eine Geschichte kredenzt, die gleich mehrere Ebenen aufweist – und sich mitunter äußerst beklemmend liest.

Ihren Anfang nimmt sie im England des Jahres 1976, genauer gesagt im beschaulichen Oxford. Die Bevölkerung der Universitätsstadt leidet unter einem ungewöhnlich heißen Sommer. Unter ihnen auch die allein erziehende Sprachlehrerin Ruth Gilmartin mit ihrem Sohn Jochen, welche sich nicht nur aufgrund der Hitze zunehmend Sorgen um die Gesundheit ihrer alten Mutter Sally macht. Diese sitzt nach einem Hausunfall mittlerweile im Rollstuhl und sucht in letzter Zeit vermehrt und äußerst nervös den angrenzenden Waldrand mit dem Fernglas ab. Ihr Haus verlässt sie selbst kaum noch, Telefonanrufe nimmt sie nur nach einen vorher vereinbarten Klingelzeichen ab. Was Ruth anfangs für den Beginn von Altersdemenz hält, hat jedoch viel tiefer gehende Gründe. Und eines Tages kommt seitens Sally zu einer überraschenden Eröffnung: In Wirklichkeit heißt sie nicht Sally sondern Eva Delektorskaja und war früher für viele Jahre als Spionin für den britischen Geheimdienst tätig. Und genau deswegen, bangt sie nun um ihr Leben …

Was klingt wie mit ziemlich heißer Nadel gestrickt und anfangs noch vielleicht den oder anderen Zweifel aufgrund der Ausgangskonstellation beim Leser erweckt, entfaltet zwischen denn Buchdeckeln aber tatsächlich nach wenigen Seiten (wie so oft bei Boyd) eine schon fast unheimliche Sogwirkung, verlieren wir uns in den zeitgeschichtlichen Ereignissen, die vom Autor in zwei Handlungsstränge aufgeteilt werden, deren Auswirkungen wiederum bis in das Heute spürbar sind. Der Hauptstrang führt uns zurück in das Jahr 1939, genauer nach Paris, wo die russische Emigrantin Eva nach dem Tod ihres Bruders durch die Nazis, von dem mysteriösen Lucas Romer für den britischen Geheimdienst angeworben wird. Es folgt eine intensive Ausbildung in Schottland mit anschließenden Einsätzen in Belgien, England und vor allem in den USA. Das Ziel der geheimen Unterabteilung des British Secret Service: Falschmeldungen zu lancieren, welche die Vereinigten Staaten von Amerika zum Eintritt in den Krieg bewegen sollen. Und dafür ist den Engländern, die ab 1940 die letzte Bastion gegen Hitlers Armeen bilden und sich in einer verzweifelten Lage befinden, beinahe jedes zur Verfügung stehende Mittel recht.

Selbst wer sich grundsätzlich eher wenig für die militärhistorischen Konstellationen vor Pearl Harbour interessiert, wird sich dank Boyds zielsicherer, feinfühliger Schreibe, dem sich zuspitzenden Plot und der facettenreichen Figur Eva und ihren Erlebnissen nur schwerlich entziehen können. Der Autor profitiert dabei von seiner Besetzung, denn in einem Milieu der Geheimdienste, wo man mit erfundenen Geschichten, Falschmeldungen und bewusst konstruierten Fährten die Weltgeschichte in die jeweils gewünschte Richtung lenken will, fällt eine Lüge mehr oder weniger nicht auf, verschwimmen die sonst deutlicher getrennten zwischen Fiktion und historischer Realität. Es ist ein heikles Spiel, welches Boyd hier schildert und das vor allem von Taktik geprägt ist, weswegen sich „Ruhelos“, im Kontrast zum Titel, immer wieder Zeit nimmt, um ausführlich zu erzählen, was in Zeiten geradlinig durchkomponierter und mit Action vollgestopfter Thriller schnell auf Ungeduld stoßen dürfte. Gerade an die Geduld möchte ich aber appellieren, sind doch diese behäbigeren Passagen nur das Luftholen, nur der minutiös geplante Aufbau für eine ganze Reihe von Eröffnungen, die mehr als nur eine Überraschung in sich birgen.

Das einzige Manko: Bis dahin müssen wir auch immer wieder in die 70er Jahre zurückwechseln, wo sich die Ich-Erzählerin Ruth nicht nur mit wachsender Faszination durch die schriftlichen Dossiers ihrer Mutter arbeitet, sondern über Umwege auch noch in den Dunstkreis der Baader-Meinhof-Gruppe gerät. Wie und warum, das sei hier nicht näher geschildert, verkommt doch dieser nicht weiter ausgearbeitete Handlungsstrang zu einem Sturm im Wasserglas, nachdem man sich umso mehr auf Evas Erzählungen aus ihrem „ruhelosen“ Leben freut. Gerade das geschilderte Doppel- und Dreifachspiel der Agenten, die gezielten Seitenhiebe auf die Macht der Medien und der psychologische Unterbau samt der finalen Auflösung, sorgen dafür, dass man nicht nur hochklassig und kurzweilig unterhalten wird, sondern am Ende auch der festen Überzeugung ist, einen völlig neuen und anderen Einblick in das Leben dieser Epoche erhalten zu haben.

So ist „Ruhelos“ schließlich eine auf- und anregende Lektüre, die trotz einiger, unübersehbarer Schwächen den wehrlosen Leser in seinen Bann zu Ziehen vermag und nebenbei noch eine Lanze für das zuweilen abschätzig betrachte Genre des Spionage-Thrillers bricht. Ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen feindlichen Agenten kann sehr wohl spannend, literarisch und tiefgründig zugleich sein. Dieses Buch beweist es.

Wertung: 92 von 100 Treffern

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  • Autor: William Boyd
  • Titel: Ruhelos
  • Originaltitel: Restless
  • Übersetzer: Chris Hirte
  • Verlag: Kampa
  • Erschienen: 03.2019
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 384 Seiten
  • ISBN: 978-3311100058

Das Vermächtnis von Queensberry House

© Goldmann

USA, kurz vor der Jahrtausendwende. Ian Rankin befindet sich gerade auf einer Lesereise für sein aktuelles Buch „Die Seelen der Toten“, als er in dem Bordmagazin einer Airline auf einen Bericht über Edinburgh stößt. Seine erste Vermutung, in diesem nicht viel Neues erfahren zu können, wird recht schnell widerlegt, denn während er sich in die Lektüre um die Sehenswürdigkeit Queensberry House vertieft, wird er auf eine ihn bis dato unbekannte, mysteriöse Geschichte aufmerksam.

Direkt am unteren Ende der Holyrood Road gelegen, liegt es nicht weit weg von der Residenz der Königin und gegenüber von dem Grundstück, auf dem zu diesem Zeitpunkt gerade das neue Verlagshaus der Zeitung Scotsman gebaut wird. Direkt neben dem Queensberry House soll zudem bald der Sitz des neuen schottischen Parlaments entstehen. Die früher vornehmste Wohngegend in Edinburgh war in den vergangenen Jahren nach und nach verfallen – nur das besagte Haus, in dem einst der Duke of Queensberry residierte, ist übriggeblieben. Er war mitverantwortlich für den Treaty of Union, den Einigungsvertrag, der aus Schottland und England das „Vereinigte Königreich“ machte.

So weit, so bekannt, doch was Rankin zudem erfährt, soll den Grundstein für den nächsten Rebus-Roman legen: Ein Mitglied der herzoglichen Familie hatte eines Nachts einen der Diener getötet, gekocht und verspeist. Den Bürgern Edinburghs erschien dies damals wie ein schlechtes Vorzeichen für die „Hochzeit“ mit England. Der Herzog wurde sogar durch die Straßen der Stadt gejagt. Im Hinblick auf das entstehende Parlament, mit welchem sich die Schotten nach drei Jahrhunderten Londoner Regierung nun ein gewisses Maß an Selbstverwaltung erkämpft hatten, schien dies Rankin eine spannende Ausgangsposition für einen Krimi zu sein, der an der Schwelle zum nächsten Millennium spielt und doch gleichzeitig mit den Nachwehen der britischen Geschichte zu kämpfen hat. Heraus kam „Der kalte Hauch der Nacht“ (engl. „Set in Darkness“).

Edinburgh, Ende der 90er Jahre. Detective Inspector John Rebus steht einmal mehr auf dem beruflichen Abstellgleis. Nach seinen letzten Querschüssen ist selbst beim geduldigen Detective Chief Superintendent Thomas „Farmer“ Watson die Geduldsgrenze überschritten, der den Quälgeist von der Mordkommission in das Polizei-Parlaments-Verbindungskomitee versetzt, welches mit der Koordination der bevorstehenden Autonomie Schottlands betraut wurde und unter der Leitung des jungen Karrieristen Derek Linford steht. So gehört auch Rebus dem Team an, welches die Baustelle des künftigen Parlamentsgebäudes besichtigen soll. Eine lästige und äußerst langatmige Angelegenheit, die jedoch in einer überraschenden Entdeckung endet. Im Queensberry House, das lange Jahre ein Krankenhaus beherbergt hat, wird während der Inspektion eine mumifizierte Leiche hinter einem Wandpanel entdeckt, wo sich einst der Kamin des Hauses befand. Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass diese dort wohl bereits seit zwanzig Jahren liegt. Aufgrund des Fundortes wird dieser Vorfall weitestgehend vertraulich behandelt und ein junges Ermittler-Duo – die Inspektoren Grant Hood und Ellen Wylie – mit der Untersuchung beauftragt.

Doch schon bald mehren sich die schlechten Vorzeichen rund um das neue Parlament. Nur kurze Zeit später wird Roddy Grieve, Kandidat der Scottish Labour Party in eben jenem neuen Parlament, auf derselben Baustelle brutal ermordet aufgefunden. Nun schlagen die Wellen in der Öffentlichkeit hoch und Inspektor Derek Linford sieht seine Chance gekommen, im Rampenlicht der Presse zu glänzen, wobei ihm ausgerechnet John Rebus helfen soll. Der denkt erst gar nicht daran und stellt stattdessen seine eigenen Nachforschungen an, die ihn sehr schnell in den Kreis von Grieves Familie führen. Währenddessen hat Siobhan Clarke ihrerseits einen vertrackten Fall zu lösen. Ein Obdachloser hat sich von der North Bridge gestürzt. An sich nichts Ungewöhnliches in dieser Stadt mit vielen Selbstmorden, doch der Tote gibt allerlei Rätsel auf. So finden sich auf dessen 400.000 Pfund. Eingezahlt im Jahr 1979 und seitdem weitestgehend unberührt geblieben. Siobhans Interesse ist geweckt und schon bald kreuzen sich ihre Ermittlungen mit denen von John Rebus. Gibt es gar einen Zusammenhang zwischen ihren beiden Fällen? Rebus, der nicht nur Linfords Geduld zunehmend auf die Probe stellt, braucht Ergebnisse und zapft schließlich seine Kontakte in der Edinburgher Unterwelt an, wo eine böse Überraschung auf ihn wartet:

Morris Gerald „Big Ger“ Cafferty, einst Kopf der Unterwelt von Edinburgh und von Rebus nach langem Ringen hinter Gittern gebracht, ist wieder auf freiem Fuß. Vorzeitig aus der Haft entlassen, weil er angeblich an einer unheilbaren Krankheit leidet, sinnt er nun auf Rache … oder hat er gar ganz andere Pläne?

An „Der kalte Hauch der Nacht“ werden sich, nicht nur bei Fans der Reihe, sicherlich die Geister scheiden, denn Ian Rankin, der bis dato ohnehin nie für eine temporeiche Art des Erzählens bekannt war, lässt sich im vorliegenden Roman immens viel Zeit beim Aufbau seiner Handlung und der Ausarbeitung seiner Charaktere. Zu viel Zeit, wird sicher mancher konstatieren und damit nicht ganz unrecht haben, zumindest wenn man dieses Buch mit seinen Vorgängern vergleicht. Doch wer genau hinschaut, der kann hier auch einen gewissen Entwicklungsschritt, eine Evolution in der Herangehensweise von Rankin erkennen. So ist John Rebus diesmal nicht mehr allein das tragende Element des Plots, sondern teilt sich die Bühne mit Siobhan Clarke und Derek Linford, deren eigene Nachforschungen über längere Zeit ohne den bärbeißigen Schnüffler auskommen müssen. Das mag dem ein oder anderen missfallen, machte aber zum damaligen Zeitpunkt durchaus Sinn, da Rankins Hauptprotagonist inzwischen stramm auf die Mitte 50 zuging und damit das Rentenalter näher rückte (Wie wir inzwischen wissen, wurde diese Altersobergrenze später nochmal erhöht und hat Rebus, den Rankin ja in realer Zeit altern lässt, nochmal ein bisschen mehr Zeit im Dienst verschafft).

Dennoch sind die Kollegen bei der Polizei alles andere als Lückenfüller. Insbesondere Siobhan Clarke hat sich über die vergangenen Bücher hinweg zu einer äußerst interessanten Figur entwickelt, die laut Rankins Worten ihm nicht nur wesentlich ähnlicher ist als der anarchisch veranlagte Maverick Rebus, sondern auch weit offener für Veränderungen bzw. Neuerungen ist. John Rebus tut sich dagegen mit den Umwälzungen schwer. Das neue schottische Parlament beäugt er mit großer Skepsis, wie überhaupt sämtliche Autonomiebestrebungen der Schotten. Wie erfahren, dass er sich schon bei den ersten politischen Bewegungen in diese Richtung Ende der 70er bei der Wahl enthalten hat. Diese fast schon manische Angst vor einem Wandel des Gegenwärtigen erntet sogar den Spott durch „Big Ger“ Cafferty, der dem „Strohmann“ vorwirft, in der Vergangenheit zu leben. Für den Autor selbst ist diese charakterliche Eigenschaft aber ein vortrefflicher Wetzstein, an dem er seine Hauptfigur immer wieder schärfen kann, wenn sich dieser alle naselang mit den Größen aus Politik, Wirtschaft, Justiz und sogar der Unterwelt anlegt. Bestes Beispiel ist in diesem Fall ein Telefonat mit dem früheren Unterweltboss Edinburghs Bryce Callan, der inzwischen im sonnigen Spanien seinen Lebensabend verbringt und in allerbester Rebus‘ Manier bis hin zur Mordlust getrieben wird.

Doch so interessant das politische Geplänkel der Partei oder die skandalösen Familiengeheimnisse der Familie Grieve am Ende sind – den größten Reiz bezieht auch „Der kalte Hauch der Nacht“ wieder durch das Katz-und-Maus-Spiel zwischen John Rebus und seiner ewigen Nemesis Cafferty. Der überraschende Auftritt des Letzteren ist nur ein Gänsehautmoment von vielen in diesem Roman, der wieder mal Zeugnis davon gibt, welchen Gefallen der Autor Ian Rankin inzwischen an dem diabolischen Gegenspieler gefunden hat. Und natürlich gibt es auch noch einen weiteren Protagonisten, der erneut auf ganzer Linie zu überzeugen weiß: Die Stadt Edinburgh. Wer schon einmal die Canongate entlangspaziert ist, wird bestätigen können, wie lebendig Rankin dieses Viertel zum Leben erweckt, wenngleich sich natürlich seit dem Baubeginn des Parlaments bis heute auch einiges verändert hat. Und auch Rosslyn Chapel, die auch Dan Brown ein paare Jahre später für seinen Thriller „Sakrileg“ verwurstet hat, spielt eine kleine, wenn auch am Ende eher unwichtige Nebenrolle.

Authentizität ist inzwischen zu einem Markenzeichen von Rankins Romanen geworden, der selbst auf kleinste Details acht gibt und John Rebus neben seinem Stammlokal der Oxford Bar (hier treten einige reale Stammgäste auf) nun u.a. auch im ebenfalls realen Swany’s ein und ausgehen lässt. Hierzu gibt es übrigens eine äußerst witzige Hintergrundgeschichte: Rankin war nach zehnjähriger Abwesenheit nach Edinburgh zurückgekehrt, wo ihn ein Buchhändler schließlich ins Swany’s einführte. Beim ersten Besuch setzte er sich dabei mit ein paar von dessen Kumpels zusammen, darunter auch einem Gentleman namens Joe Rebus. Wie sich herausstellte, waren er und seine Angehörigen die einzigen Rebusse in ganz Schottland. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, wohnte dieser Joe sogar noch im Rankin Drive. Ein äußerst komischer, ja, beinahe schon unheimlicher Zufall, den Rankin natürlich im Buch verarbeiten musste.

Nein, letztlich sind solche Zutaten natürlich nicht wesentlich für den Spaß an einer Lektüre. In Kombination mit der aber einmal mehr äußerst komplexen, intelligenten und interessanterweise auch wieder in Schottland erschreckend aktuellen Thematik der Handlung, sorgen sie aber dafür, dass man als Leser peu à peu – und ohne große Gegenwehr – in dieses Gewirr aus Korruption, Missbrauch und Gewalt hineingezogen wird, zumal Rankin spätestens im letzten Drittel des Romans den Spannungsbogen mit viel Raffinesse in luftige Höhen katapultiert. Mehr noch: Das düstere und Gänsehaut erzeugende Finale gehört zu den absoluten Highlights der ganzen Serie und legt äußerst intensiv Zeugnis vom Können dieses Ausnahmeautors ab, der uns zwar in „Der kalte Hauch der Nacht“ ein gewisses Maß an Geduld und Aufmerksamkeit abverlangt, dafür aber auch nachhaltig zu beeindrucken weiß.

Wertung: 92 von 100 Treffern

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  • Autor: Ian Rankin
  • Titel: Der kalte Hauch der Nacht
  • Originaltitel: Set in Darkness
  • Übersetzer: Christian Quatmann
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 10.2002
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 544 Seiten
  • ISBN: 978-3442453870

Die Geister der Vergangenheit

© Goldmann

Der schottische Autor Ian Rankin und die Stadt Edinburgh, sie sind inzwischen untrennbar in unserer Wahrnehmung miteinander verbunden, gibt es doch kaum eine andere britische Krimi-Reihe, welche ihrem Schauplatz derart viel Platz innerhalb der Handlung einräumt. Ja, man könnte fast behaupten, diesen zum eigentlichen Hauptprotagonisten auserkoren hat, der selbst nochmal um einige Facetten reicher ist als der schon so detailliert gezeichnete Serienheld Detective Inspector John Rebus. Seine Ermittlungen, sie leben in großem Maße von dieser speziellen Atmosphäre und von Rankins grandiosen Gespür für den Puls der Stadt.

Umso mehr verwundert es rückblickend, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, vom Auftakt „Verborgene Muster“ einmal abgesehen, „Die Seelen der Toten“ erst der zweite Rebus-Roman war, der vollständig in Edinburgh konzipiert und geschrieben wurde. So entstanden alle übrigen Bände während seines vierjährigen Aufenthalts in London sowie in den sechs Jahren danach, in denen der Autor mit seiner Familie in Frankreich lebte. Seine Rückkehr war, wie er selbst gesteht, mit einigen Ängsten verbunden. Insbesondere die Befürchtung, sein fiktional entworfenes Bild könnte dem tatsächlichen Zustand der Stadt nicht entsprechen, trieb ihm bei der Ausarbeitung des vorliegenden Buches um. Was wenn Vorstellung und Wirklichkeit nicht miteinander in Einklang zu bringen wären? Wenn das Edinburgh seiner Erinnerung dem Ist-Zustand nicht entspräche?

Nach der Lektüre von „Die Seelen der Toten“ wird wohl ein jeder bestätigen können, dass diese Befürchtungen gänzlich unbegründet waren. Ganz im Gegenteil: Der Roman atmet Milieu und Lokalkolorit aus jeder Pore, was für mich persönlich das Lesevergnügen noch einmal gesteigert hat, durfte ich doch Edinburgh in den vergangenen Jahren bereits dreimal einen Besuch abstatten – und mich deshalb von der Detailtreue und Bodenständigkeit in Rankins Skizzierungen diesmal selbst überzeugen. Natürlich mit Abstrichen, ist doch der zehnte Rebus-Fall bereits vor dem Millennium erschienen und damit zu einem Zeitpunkt, in dem gerade das Gebiet zwischen Holyrood Road und Canongate noch ein komplett anderes Erscheinungsbild hatte. Das Scottish Parlament Buildung befand sich damals noch im Bau und die heruntergekommene Hochhaussiedlung Dumbiedykes, von Rankin hier (wahrscheinlich aus Rücksichtnahme) Greenfield genannt, ist mittlerweile ein beliebter Wohnort für Studenten bzw. wird zunehmend auch für die Vermietung an Touristen genutzt. Ende der 90er jedoch war dieses Gebiet am Fuße des Arthur’s Seat ein sozialer Brennpunkt. Und genau an dieser Stelle nimmt „Die Seelen der Toten“ seinen Anfang.

DI John Rebus wird von den Geistern der Vergangenheit geplagt. Der Tod seines Freundes Jack Morton (nachzulesen in „Die Sünden der Väter“) hält ihn des Nachts wach und tagsüber leidet er unter seiner Hilflosigkeit im Umgang mit seiner Tochter, die seit einem Autounfall gelähmt im Rollstuhl sitzt und hart daran arbeitet, wieder in ihr altes Leben zurückzufinden. Ein Leben, das Rebus selbst immer mehr entgleitet und er langsam beginnt in Frage zu stellen. Immer öfter kreisen Selbstmordgedanken in seinem Kopf, bis ihn ironischerweise der Suizid eines Polizei-Kollegen aus der Lethargie herausreißt.

Jim Margolies hatte sich offensichtlich des Nachts von den Salisbury Crags gestürzt – ein Motiv dafür ist weit und breit nicht in Sicht. Nur Rebus hat eine Vermutung und glaubt mit der Rückkehr des verurteilten Kinderschänders Darren Rough nach Edinburgh den Grund zu kennen. Rough, der in einem großen Prozess um langjährige Kindesmisshandlung in einem Heim aussagen soll, war einst von Margolies vor seiner Verurteilung hart angegangen worden. Rebus, die feine Grenze zwischen Gerechtigkeit und Rache für den verstorbenen Margolies übertretend, spielt die Anwesenheit Roughs im Viertel Greenfield der Presse zu. In dem stadtbekannten sozialen Brennpunkt kommt es daraufhin zu wütenden Protesten. Bürgerwehren werden gebildet und die angeheizte Atmosphäre droht in eine gewalttätige Hexenjagd umzuschlagen. Rebus versucht seinen Fehler zu korrigieren, muss aber auch an anderer Front kämpfen.

Seine ehemalige Schulfreundin Janice und ihr Mann bitten ihn um Hilfe bei der Suche nach ihrem Sohn. Der 19jährige ist nach einem Trip nach Edinburgh spurlos verschwunden. Seine Begleitung, eine geheimnisvolle blonde Schönheit, scheint der einzige Anhaltspunkt. Rebus‘ Nachforschungen führen ihn nicht nur ins Rotlichtviertel und das Nachtleben der Stadt, sondern auch zurück in die ehemalige Minenarbeiterstadt Cardenden in Fife, wo er einst aufwuchs. Seine Reise in die eigene Vergangenheit öffnet alte Wunden und auf ihr lastet zudem ein Schatten. Der Mörder Cary Oakes, in Edinburgh aufgewachsen, wurde in den Vereinigten Staaten aus dem Gefängnis entlassen. Unter der Bedingung das Land zu verlassen. Oakes kehrt nun nach Schottland zurück. Chief Superintendent „Farmer“ Watson und Rebus sehen das Unheil kommen und beschließen ihn durchgehend zu beschatten, um ihm den Aufenthalt so unangenehm wie möglich zu machen. Doch sie haben Oakes unterschätzt. Während er den Journalisten Jim Stevens mit angeblich exklusiven Informationen für eine Artikelreihe in der Zeitung füttert, nutzt er gleichzeitig jede freie Minute, um sein gefährliches Spiel mit der Polizei zu treiben. In seinem Visier vor allem: John Rebus. Als ihm nahestehende Menschen in Oakes‘ Visier geraten, ist einmal mehr dessen verbissene Kämpfernatur gefordert …

Vorab: Es wurden und werden ja immer wieder mal Vergleiche zwischen Ian Rankin und Henning Mankell gezogen, gerade in den ersten Jahren des Schotten auf dem deutschen Buchmarkt mit der vorgeblichen Ähnlichkeit geworben. Für mich war und ist das stets eine Gegenüberstellung, welche gewaltig hinkt und wenig gerechtfertigt ist. Wenn jedoch ein Buch der Reihe unbedingt mit dem schwedischen Autor in Verbindung gebracht werden muss, eignet sich wohl das vorliegende dazu am Besten, denn in keinem der zuvor neun Bände wird John Rebus seelisch so an seine Grenzen gebracht, hat er mit so viel Düsternis um ihn herum zu kämpfen. Ein Kampf, den er trotz der Beziehung zu seiner Freundin Patience zunehmend allein austrägt – mit einen Glas Whisky als einzigem Begleiter. Rankin beschreibt diese dunklen Stunden der Einsamkeit, welche Rebus im Sessel seiner spärlich möblierten Wohnung in der Arden Street verbringt, mit einer bitterschwarzen Schärfe, die wehtut. Selbst sein Beruf, jahrelange Triebfeder, scheint angesichts der Schicksale von Jack Morton oder Jim Margolies keinerlei Reiz mehr auszuüben. Stattdessen erinnert ihn der frei umher spazierende Pädophile Darren Rough nur an die Vergeblichkeit seines Tuns. An den Irrglauben, dass Gesetz und Gerechtigkeit jemals ein und dasselbe waren.

Wie Margolies, so steht auch Rebus im übertragenen Sinne am Rande einer Klippe. Nicht bereit zu springen, aber bereit alles dafür zu tun, damit ihn jemand hinunterstößt. Was in diesem Falle dazu führt, dass er Rough der Öffentlichkeit zum Fraß vorwirft, ungeachtet der absehbaren Konsequenzen. Doch die beruflichen Erfolge der Vergangenheit sorgen ironischerweise dafür, dass er weiterhin Rückendeckung erhält. Chief Superintendent „Farmer“ Watson hält allen Unkenrufen zum Trotz an John Rebus fest, erkennt aber auch den Konflikt in dem er sich befindet und versteht, was es braucht, um ihn aus dem finsteren Tal seiner Gedanken herauszuholen. Eine Herausforderung. Und als diese stellt sich Cary Oakes tatsächlich heraus, der Rebus nicht nur an seine Grenzen bringt, sondern letztlich auch aus der Lethargie reißt. Bis es dazu kommt, braucht es aber viele Seiten, denn wie schon im Vorgänger, so jongliert Ian Rankin auch hier gleich mit mehreren Handlungssträngen, welche sich nur nach und nach miteinander vernetzen und überschneiden, was „Die Seelen der Toten“ zu alles andere als einem Page Turner macht.

Und genau das ist auch gut so, denn der Roman lebt von der Zeit, die er sich für Figuren und Hintergründe nimmt. Von all den Verflechtungen und Leichen im Keller, über die Rebus nicht durch irgendwelche Zufälle stolpert, sondern die letztendlich dann tatsächlich Resultate echter polizeilicher Ermittlungen sind. Eine simpel klingende Aufgabe, an der sich aber viele Schreiberlinge heutiger „Krimis“ und „Thriller“ in schöner Regelmäßigkeit gehörig verheben. Oder sich ihrer erst gar nicht annehmen. Ob wir uns im tristen Greenfield, in einem nebligen Hochmoor oder in den vom Fortschritt irgendwie vergessenen Siedlungen Cardendens befinden – als Leser erfährt und erlebt man das alles durch Rebus‘ Sinne, was wiederum dessen Erlebnisse umso eindringlicher macht. Gerade der Aufenthalt im Herz von Fife bleibt in Erinnerung und wühlt auf, was insofern wenig verwunderlich ist, da dies auch für Rankin den Weg zurück nach Hause darstellt. „Die Seelen der Toten“ ist wohl dessen persönlichste Auseinandersetzung mit der eigenen Heimat. So schreibt er im von Random House zur Verfügung gestellten Vorwort:

Wenn Rebus‘ Schulflamme Janice sich mit ihm in Erinnerungen ergeht, dann sind es meine Erinnerungen und Anekdoten. Wir erfahren auch mehr über Rebus‘ Kindheit. Unter anderem, dass er in einem Fertighaus auf die Welt kam (wie ich), seine Familie aber bald in ein älteres Reihenhaus in einer Sackgasse umzog (wie meine). Wir erfahren, dass er, wie ich, einen Pub namens Goth (kurz für Gothenburg) frequentierte und dass sein Vater einen Seidenschal aus dem Zweiten Weltkrieg mitgebracht hatte (wie meiner). Diese autobiographischen Elemente spiegeln sich auch in den Namen wider, die ich Rebus‘ Schulfreunden gegeben habe: Brian und Janice Mee. Sie sind Mee/me, also „ich“, oder zumindest ein Teil von mir, wie viele andere meiner Geschöpfe. Am unmittelbarsten natürlich Rebus.

Ian Rankin hat viel Herz in dieses Buch gesteckt. Und das spürt man, merkt man, in jeder Zeile. Es liegt ein gewichtiger Ernst, eine schottische Ehrlichkeit in seinen Worten, welche uns schlicht vergessen lässt, dass es sich hierbei um einen Kriminalroman handelt. Rankin hat das enge Korsett dieser Genrebezeichnung aufgeschnürt und endgültig hinter sich gelassen, verwendet es inzwischen lediglich als Vehikel, um über eben die Themen zu schreiben, zu denen gerade ein ermittelnder Polizeibeamter den besten Zugang hat. Wer also vor der Lektüre der festen Ansicht ist, dass es über Pädophilie keine zwei Meinungen geben kann, wird diese im Anschluss wahrscheinlich nicht ändern, in seiner Standfestigkeit aber sicher erschüttert, da es diesem begnadeten Autor einmal mehr gelingt, das Schwarz-Weiß-Denken aufzuweichen und genau in die Grauzonen hineinzublicken, derer man sich auch aus Bequemlichkeit nur zu gern entzieht. Was ist Recht, was ist Unrecht? Wo beginnt es? Wo platzieren wir Schuld? Können wir ohne Gedanken an die Konsequenzen im Sinne unseres Gewissens handeln? Rankin hat sich der Herausforderung gestellt, gerade den stets eine klare Linie verfolgenden Rebus zumindest in einigen Dingen zum Umdenken zu bewegen und der Figur dadurch einige neue Facetten abgewonnen.

Ob es das Duell mit Cary Oakes am Ende überhaupt gebraucht hätte, kann sicherlich diskutiert werden. So sehr ich diejenigen verstehe, die sich über diesen Subplot mokieren, muss ich persönlich sagen, dass ich diesen roten Faden hervorragend innerhalb der Handlung platziert fand. Ja, er war meines Erachtens sogar nötig, um eben die Wandlung anzustoßen, die Rebus hier durchmacht bzw. durchmachen muss, um die mysteriösen Vorgänge rund um Margolies und Rough aufklären zu können. Was er dann am Ende zutage fördert, habe ich so überhaupt nicht vorhergesehen. Ob dies nun ein Beweis für Rankins hervorragendes Plotbuilding oder für meine eigene Naivität ist, mag jeder dann selbst für sich entscheiden.

Was bleibt nun am Ende? Kein Buch, das Hochspannung zum Hauptmerkmal deklarieren kann, aber uns eine äußerst komplexe, tiefgehende, erschütternde und aufrüttelnde Geschichte kredenzt, welche erneut vom großen Variantenreichtum ihres Autors kündet und ums um kommende Bände nicht Bange werden lässt. Rankin hat noch einige Pfeiler im Köcher. Wenn er sie weiterhin so sicher ins Ziel bringt wie hier, haben wir Leser mehr als Grund zur Vorfreude.

Wertung: 92 von 100 Treffern

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  • Autor: Ian Rankin
  • Titel: Die Seelen der Toten
  • Originaltitel: Dead Souls
  • Übersetzer: Giovanni Bandini, Ditte Bandini
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 04.2006
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 576 Seiten
  • ISBN: 978-3442446100

Dirty Harry from Glasgow

© Heyne Hardcore

Einen langen, nicht immer ganz geradlinigen Weg hat der „Tartan Noir“ seit Alexander McArthurs „No Mean City“ (vielen Dank für den Tipp, lieber Jochen König) und William McIlvanneys referentieller „Laidlaw“-Reihe genommen. Anfangs noch allenfalls ein die beschriebenen Großstädte betreffendes, regionales Literatur-Phänomen, hat sich dieses Sub-Genre des Spannungsromans inzwischen auch international etabliert – mehr noch, die Schar der Autoren, welche den schottischen Noir beleben, wächst beständig, was wiederum dazu führt, dass wir auch hierzulande inzwischen aus einer ganzen Reihe von Namen wählen können.

Neben alteingesessenen Schriftstellern wie Ian Rankin, Louise Welsh, Denise Mina, Val McDermid oder Stuart MacBride haben es ganz besonders Neueinsteiger aber nicht immer leicht, was sich auch im Falle von Alan Parks bemerkbar macht, der einen Großteil seines Lebens als Creative Director bei London Records und später bei Warner Music tätig und dort unter anderem für so bekannte Acts wie New Order, All Saints, The Streets oder Gnarls Barkley zuständig war. Nach über dreißig Jahren im Musikbusiness wählt er jetzt einen neuen Berufsweg und legt in einem vergleichsweise fortgeschrittenen Alter seinen Debütroman „Blutiger Januar“ vor – und hat dabei so die ein oder anderen Schwierigkeiten.

Obwohl selbst in Paisley aufgewachsen und später in London wohnhaft, empfindet Parks Glasgow, wo er auch Philosophie studierte, als seine eigentliche Heimatstadt. Und er ist bei seiner Rückkehr in die Metropole im Norden Großbritanniens nicht nur durchaus beeindruckt über deren gewandeltes Äußeres, sondern auch über die strukturellen Veränderungen, welche die Stadt seit den frühen 70ern durchlaufen hat. So beeindruckt, dass er sich intensiver mit der Geschichte Glasgows im 20. Jahrhundert zu beschäftigen beginnt und darüber die Idee entwickelt, im Gewand eines Kriminalromans genau diese historische Entwicklung abzubilden.

Ein interessantes Ansinnen, diese Zeitreise, welche zudem eine Epoche beleuchtet, in der gerade diese Stadt wirtschaftlich vollkommen am Boden lag und die Kriminalität einen historischen Höchststand erreichte. Also eigentlich beste Voraussetzungen und literarisch fruchtbarer Boden für einen harten, toughen Cop, der sich dieses verbrecherischen Gesindels annimmt und nach bester, alter Noir-Schule mit sturem Dickkopf jegliche Hindernisse durchbricht. Und genau hier offenbaren sich die bereits erwähnten Probleme, denn nicht nur das Anti-Held Harry McCoy jegliche Stereotype fast eins zu eins verkörpert – Parks beherzigt die Maxime „Show, don’t tell“ einfach zu selten, was insbesondere den Einstieg in die Lektüre nicht immer ganz einfach macht.

Diese nimmt ihren Anfang am Neujahrstag 1973 in eben besagten Glasgow. Eine vom Kohleruß und hässlichen Betonblockbauten gezeichnete Stadt, in welcher die Abwanderung ganzer Industriezweige zu einer immer höher steigenden Arbeitslosigkeit geführt und diese allgegenwärtige Depression wiederum viele in die Schattenwelt der Gesetzlosigkeit getrieben hat. Korruption, Drogenkonsum und -handel, Prostitution – die Wege der Armut oder einfach nur der bedrückenden Realität zu entfliehen sind mannigfaltig und die hiesigen Gesetzeshüter sind nicht selten an dem ein oder anderem illegalen Geschäftszweig selbst beteiligt. Kein einfaches Pflaster also, um Recht und Ordnung zum Sieg zu verhelfen. Schon gar nicht für Detective Harry McCoy, erst dreißig Jahre alt und doch Hoffnungsträger im hiesigen Polizeirevier, hat er doch bereits einige schwierige Fälle lösen können. Was viele jedoch nicht wissen: McCoy hat eine äußerst harte Jugend hinter sich, darunter mehrere Jahre in einem Kinderheim, wo er sich fortwährender Gewalt ausgesetzt sah und ausgerechnet in Stevie Cooper seinen einzigen Freund und Beschützer fand. Der ist inzwischen zum inoffiziellen König der Unterwelt aufgestiegen, welche er mit soziopathisch-brutaler, immer schlimmer ausufernder Gewalt kontrolliert. Und wann immer es seiner Sache dienlich ist, fordert er von McCoy einen Gefallen ein.

Gefangen zwischen seinem Diensteid und der Loyalität zu Cooper flüchtet sich McCoy ebenso regelmäßig in Alkohol und Drogen, wie er die lokalen Bordelle besucht. Eine Abwärtsspirale, die scheinbar kein Ende kennt und an der auch die Gegenwart seines neuen Partners „Wattie“ Watson wenig ändert, der ihm zur Seite gestellt wurde, um einen besonders mysteriösen Mordfall zu lösen: Der wegen Mordes verurteilte Häftling Nairn hatte McCoy um einen Besuch im Gefängnis gebeten und ihm dort verraten, dass eine junge Frau namens Lorna am nächsten Tag getötet werden soll. Obwohl er diese Warnung durchaus ernst nimmt, kann der Detective dieses angekündigte Verbrechen nicht verhindern. Ein achtzehnjähriger erschießt Lorna vor seinen Augen auf offener Straße, um anschließend sich selbst zu richten. Das Motiv, unbekannt. Während man seitens der Polizei den Fall schnell abschließen und zu den Akten legen will, treibt McCoy die Nachforschungen unerbittlich voran, stöbert im Dreck und entdeckt bald eine Spur, welche ihn direkt in die Kreise der besseren Gesellschaft führt …

Alan Parks‘ Auftakt zur inzwischen drei Bände umfassenden Reihe (der vierte erscheint dieses Jahr) zu beurteilen, ist wahrlich keine einfache Aufgabe, gibt es doch hier sowohl viel Licht, als auch viel Schatten. Beginnen wir einfach mal mit den negativen Aspekten dieses Romans, welche zwar alle für sich genommen durchaus im Rahmen eines typischen Erstlingswerks bleiben, in ihrer Häufigkeit aber besonders zur Mitte hin immer wieder störend ins Auge fallen, zumal – und das wäre einer der Kritikpunkte – Parks bei der Ausarbeitung der Handlung, also dem Plotting an sich, noch eine gewisse Sicherheit vermissen lässt. Nicht nur, dass die Geschichte selbst so bereits mehrfach erzählt worden ist (u.a. zu Ian Rankins Werk „Ehrensache“ sind einige äußerst deutliche Parallelen zu erkennen), sie leidet auch zu oft unter den mäandernden Nebenschauplätzen und verliert, auf Kosten des Spannungsbogens, den eigentlichen roten Faden aus den Augen. So führt die Spur auf dem Weg zu der betuchten Familie Dunlop nicht nur in schöner Regelmäßigkeit in diverse Sackgassen – das eigentliche Verbrechen zu Beginn gerät dabei zudem viel zu schnell in den Hintergrund, fast so, als ob Parks das Ende bereits lange vorher zu Papier gebracht hätte und nur einen Aufhänger gesucht hat, um mit Harry McCoy dort hinzu gelangen.

Womit wir beim nächsten Kritikpunkt angelangt wären, den Figuren – allen voran Hauptprotagonist Harry McCoy. Dass es sich bei ihm, entsprechend den Gesetzen des Genres, ganz und gar nicht um einen ausgewiesenen Sympathieträger handelt, wiegt weniger schwer, als dessen inkonsequente Zeichnung – fragt man sich doch, woher dessen guter Ruf, insbesondere bei seinem Vorgesetzten Murray, rührt. Natürlich hat ihm die Unterstützung Coopers in der Vergangenheit zu dem ein oder anderen Erfolg in den Reihen der Unterwelt verholfen. Dies wiederum erklärt aber nicht, wie es jemand, dem es so augenscheinlich an jeglichem Rüstzeug zu einem guten Ermittler mangelt, überhaupt so lange in dem Beruf bestehen konnte.

Drogen- und Alkoholabhängig ist er den Großteil des Tages vor allem mit sich selbst beschäftigt, kann den Anblick von Leichen, geschweige denn deren Obduktion nicht ertragen und sich auch körperlich im Zweikampf nicht durchsetzen. Hinzu kommen die Traumata aus der Zeit im Kinderheim, welche ihn zusätzlich in der Ausübung seiner Pflicht behindern. Zusammengenommen ergeben sie das Bild eines ziemlichen Schwächlings, der es zwar, unter anderem in Anwesenheit der Dunlops, an einer großen Klappe nicht fehlen lässt, im entscheidenden Moment aber in den seltensten Fällen irgendeine Form von Rückgrat zeigt. Möglich, dass wir hier erst den Beginn einer Entwicklung sehen, die Parks in den kommenden Bänden weiterverfolgen wird – es ändert aber nichts daran, dass man besonders zu Anfang nur schwer Zugang zu McCoy findet. (Joseph Knox hat dies z.B, mit Aidan Waits, der auffällig viele Gemeinsamkeiten mit dem Glasgower Cop hat, weit besser hinbekommen)

Grund für diese Dysfunktionalität McCoys ist dabei vor allem dessen Überzeichnung. Eine etwas lästige Unart von Alan Parks, welche sich nicht nur in den ausufernden Gewaltdarstellungen widerspiegelt, sondern auch alle anderen Charaktere betrifft, wodurch vor allem die gestelzten Dialoge manchmal am Rande der Lächerlichkeit vorbeischrammen bzw. ungewollt komisch daherkommen (Der tollen Übersetzerin Conny Lösch ist hier explizit kein Vorwurf zu machen). Stevie Cooper ist tatsächlich der einzige, der von dieser exaggerierenden Feder profitiert und als vollkommenen von der Kette gelassener Psychopath durchaus zu überzeugen und für nachhaltig wirkende Momente zu sorgen weiß. Überhaupt macht es den Anschein, dass sich Parks in den düsteren Abgründen der Stadt weitaus sicherer bewegt, als im Umfeld der Polizeibehörde, womit wir nun auch zur größten, ja herausragenden Stärke des Romans kommen: Dem Glasgow der frühen 70er Jahre.

Eine Zeit auch der äußerlichen Veränderungen für Glasgow, in der die alten Gebäude der so genannten Gorbals durch Hochhausbebauungen ersetzt wurden, welche durch ihre vorspringenden Balkone von den Bewohnern äußerst zynisch als „Die hängenden Gärten“ bezeichnet wurden. Als Vorbild dienten hier die auf Stelzen stehenden Bauten aus Marseille, allerdings erwies sich der Beton als dem Wetter in Glasgow nicht gewachsen. Inmitten der Wirtschaftskrise konnte die Glasgower Stadtverwaltung die Kosten für eine Instandhaltung nicht aufbringen, was einen relativ schnellen Verfall der Gebäude zur Folge hatte. Aus den „hängenden Gärten“ wurde „Alcatraz“ – Heimat für viele tausend Migranten aus Asien und, wenn dann irgendwann verlassen und leerstehend, auch für die ebenso große Zahl an Obdachlosen. Dieses schmutzige, dunkle und unter dem Winterschnee erstarrte Glasgow erweckt Alan Parks wirklich vortrefflich und stimmungsvoll zum Leben. Mitunter so plastisch, das man sich selbst dabei ertappt, wie man sich tiefer in den Lesesessel drückt, weil einen die Kälte – sowohl die witterungsbedingte als auch die gesellschaftliche – so zwischen den Seiten in ihren Fängen hat. In der Kombination mit den typischen Merkmalen der 70er und einem feinen Gespür für die Musik dieser Zeit (David Bowie hat einen kurzen Cameo-Auftritt), besetzt Glasgow die für mich (noch) vakante Stelle der Hauptfigur – und rettet damit letztendlich den Roman.

Blutiger Januar“ ist am Ende vor allem eins – ein typisches Debütwerk, das enorm viel Potenzial andeutet, aber noch nicht immer zielgerichtet nutzt, mit gleich mehreren offenen Fragen (z.B. welches Spiel spielt Murray?) und dank des so atmosphärischen Settings aber durchaus Lust auf eine Fortsetzung macht – in der Hoffnung, dass Parks sich in dieser ein bisschen weniger auf die Gewaltexzesse selbst, als vielmehr auf deren Ursachen konzentriert.

Wertung: 81 von 100 Treffern

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  • Autor: Alan Parks
  • Titel: Blutiger Januar
  • Originaltitel: Bloody January
  • Übersetzer: Conny Lösch
  • Verlag: Heyne Hardcore
  • Erschienen: 09/2018
  • Einband: Broschiertes Taschenbuch
  • Seiten: 400 Seiten
  • ISBN: 978-3453271883

Die ewige Wiederkehr des Gleichen

© Goldmann

Nach sechs Jahren in Frankreich zog Ian Rankin im Herbst 1996 mit seiner Familie zurück nach Edinburgh – und damit zurück in das Land, welches er zehn Jahre zuvor, damals frisch von der Uni abgegangen und gerade erst verheiratet, verlassen hatte. Inzwischen war er zweifacher Familienvater und, dank dem Erfolg seines letzten Romans „Das Souvenir des Mörders“ (engl. „Black and Blue“), endgültig auch ein finanziell erfolgreicher Krimischriftsteller, der die Phase des Ausprobierens hinter sich gelassen und seinem Platz im Genre für sich gefunden hatte.

Gewichtige moralische Themen im Gewand des Spannungsromans, den Zustand der Welt und die menschliche Natur, Schuld und Sühne – sie waren zu Rankins Steckenpferd geworden, wodurch der Autor unbewusst Anteil an einer Entwicklung nahm, welche die zuvor von vielen Akademikern und Feuilletonisten belächelte literarische Form des Krimis in zunehmend ernstere Gefilde rückte, in denen die reine Aufklärung eines Verbrechens längst nicht mehr im Mittelpunkt stand. Auch Rankins jüngstes Projekt sollte diese Entwicklung fortführen und vorantreiben. Die Keimzelle dafür war ein Tagesausflug nach Oradour gewesen – ein Dorf, das im wahrsten Sinne des Wortes „tot“ war.

Niemand weiß genau, wie viele Menschen dort an jenem Tag starben, als im Juni 1944 die 3. Kompanie des SS-Panzerregiments „Der Führer“ einmarschierte und die Einwohner zusammentrieb. Nicht viel weniger als tausend, nimmt man allgemein an, dessen Leichen verbrannt oder in Brunnen geworfen wurden. Männer, Frauen, Kinder – kaum jemand entkam dem Massaker. Bis heute ist das Dorf unverändert geblieben, zeugen ausgebrannte Autos, verrostete Straßenbahnen, ausgebombte Häuser und Einschusslöcher in den Wänden von den Gräueltaten der Nazis. In dem kleinen Museum von Oradour sind heute unscheinbare Exponate wie Haarbürsten oder Brillen zu sehen … Erinnerungen an die Toten. Doch was nicht nur die Franzosen bis heute am meisten bewegt und mitnimmt, ist die Tatsache, dass der Verantwortliche – der General, der das Massaker angeordnet hatte – zwar von den Alliierten gefangen genommen, später aber nach Deutschland zurückgeschickt worden war, wo er den Rest seines Lebens in Frieden und Wohlstand verbringen durfte. Wo war da die Gerechtigkeit? Und welche Gründe gab es für seine Freilassung? Geheime Informationen? Diplomatische Gründe?

Rankin stieß bei seinen Recherchen auf ein Netzwerk, das als „Rattenlinie“ bezeichnet wurde – und hatte urplötzlich die Idee für einen neuen Krimi. „Die ewige Wiederkehr des Gleichen“, erkenntlich in den grausamen Bildern aus dem damaligen Konflikt im ehemaligen Jugoslawien. Und die Frage: Was würde Rebus tun, wenn er im Fall eines angeblichen Nazi-Kriegsverbrechers ermitteln müsste? Sie lieferte die Grundlage für „Die Sünden der Väter“ (engl. „The Hanging Garden“), dessen Inhalt hier kurz angerissen sei:

Chief Super „Farmer“ Watson hat die Nase voll von seinem umtriebigen Untergebenen Detective Inspector John Rebus, dessen vorheriger Alleingang (siehe „Das Souvenir des Mörders“) zwar zur Auflösung eines Drogenrings beigetragen, aber auch gleichzeitig für viel Ärger gesorgt hat. Kurzerhand beauftragt er ihn mit der wenig aussichtsreichen Ermittlung gegen den alten Professor Joseph Lintz, welcher im Verdacht steht, als Angehöriger der Waffen-SS maßgeblich an einem Massaker in Frankreich beteiligt gewesen zu sein, was dieser rigoros bestreitet. Rebus muss schnell feststellen, dass sein Gegenüber ihm rhetorisch mindestens ebenbürtig ist und keinerlei Anstalten macht, auch nur ein wenig Licht auf seine Vergangenheit werfen zu lassen. Schuldig oder nicht schuldig? In dieser Frage kommt Rebus scheinbar einfach nicht voran. Als Ablenkung aus dieser Sackgasse sucht er stattdessen die Kreise des Scottish Crime Squad auf, einer Sondereinheit, der inzwischen auch seine Ex-Kollegin Detective Constable Siobhan Clarke angehört, und die mitten in einer verdeckten Operation steckt. Ihr Ziel: Tommy Telford, der neue Stern am Verbrecherhimmel, welcher sich anschickt den bisherigen Alleinherrscher der Edinburgher Unterwelt, den inhaftierten Gangsterboss Morris Gerald „Big Ger“ Cafferty, vom Thron zu stoßen.

Während Rebus, Siobhan und ihr Kollege Ormiston dessen Nachtklub observieren, kommt es zu einem Zwischenfall. Ein Mann, augenscheinlich aus Telfords Truppe, wird schwer blutend auf den Bürgersteig geworfen. Das Auto entkommt den Verfolgern der Polizei und der Verletzte – inzwischen ins Krankenhaus gebracht – schweigt sich aus. Rebus wittert dennoch die Chance, die Zähne in Telfords Organisation zu schlagen und will sich schon voller Elan in die Arbeit stürzen, als sein Blick in eins der Nebenzimmer fällt, wo Ärzte gerade um das Leben seiner schwer verletzten Tochter Samantha kämpfen, die kurz zuvor angefahren wurde.

Doch war das wirklich ein Unfall? Oder geschah es im Auftrag von Telford, der glaubt, dass Rebus und Cafferty unter einer Decke stecken? Um eine Antwort und Gerechtigkeit zu bekommen, muss er einen Pakt mit dem Teufel schließen. Aber ist es letztlich wirklich Gerechtigkeit, die er sucht oder ist es Rache? Als der Bandenkrieg seinen Höhepunkt erreicht, befindet sich Rebus mitten im Auge des Sturms …

Ich muss gestehen, dass ich mich nach der Lektüre des Klappentexts gefragt habe, ob sich Ian Rankin da diesmal nicht etwas zu viel vorgenommen hat. Nazi-Kriegsverbrecher, angefahrene Tochter, eine Prostituierte auf der Flucht, ein Bandenkrieg. Komplexe und ambitionierte Handlungsstränge sind zwar ein Markenzeichen dieses Autors, aber irgendwann kann sich ja selbst der beste Schriftsteller mal in seinem fein gestrickten Plot verheddern, sich an der schieren Größe verheben. Nun, natürlich hätte ich es inzwischen besser wissen müssen: Woran andere scheitern, das meistert Ian Rankin auch hier wieder mit Bravour, denn obwohl er seinen Protagonisten John Rebus mehr als zuvor vor Herausforderungen stellt und mit Schicksalsschlägen konfrontiert, kommt an keiner Stelle das Gefühl auf, dass die Geschichte den Kontakt zum Boden verliert. Im Gegenteil: Die verschiedenen Handlungsstränge in „Die Sünden der Väter“ dienen nicht allein dem Spannungsaufbau, sondern unterstreichen gleichzeitig auch die Komplexität des Problems, mit dem sich John Rebus konfrontiert sieht – die eigene Machtlosigkeit. Aber auch mit der Machtlosigkeit des Justizapparats, dem die Gegner immer wieder einen Schritt voraus sind und denen mit legalen Mitteln augenscheinlich nicht beizukommen ist, weshalb Rebus an dieser Stelle erstmals eine für ihn bis dahin sakrosante Grenze übertritt.

Getrieben vom Wunsch, den Verantwortlichen von Samanthas Zustand zu fassen – und auch angestachelt von seinem schlechten Gewissen, ihr nie ein richtiger Vater gewesen zu sein bzw. seine Familie zu oft enttäuscht zu haben – geht Rebus ausgerechnet ein Bündnis mit dem Mann ein, der seit jeher sein Todfeind ist: „Big Ger“ Cafferty. Ihre jahrelange Beziehung läutet hier ein ganz neues Kapitel ein, das Ian Rankin gleichzeitig als Aufhänger dient, um den Wandel der verbrecherischen Syndikate in Edinburgh und Großbritannien allgemein zu skizzieren. Rankin, der nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass das Dr.Jekyll-und-Mr.Hyde-Element ihrer Feindschaft, die charakterliche Ähnlichkeit der beiden bewusst gewollt ist, deutet in „Die Sünden der Väter“ eine weitere Gemeinsamkeit an.

Sowohl Rebus und auch Cafferty drohen aufs Abstellgleis geschoben und von den modernen Entwicklungen, dem so genannten Fortschritt überholt zu werden. Der eine gilt im Gefüge der Polizei immer mehr als Dinosaurier, als Ermittler der alten, nicht mehr zeitgemäßen Schule. Der andere als zu weich und mit zu vielen Skrupeln behaftet, um die Unterwelt seiner Stadt zu kontrollieren. Es bleibt jedoch bei der Andeutung (spätere Fälle der Reihe werden dies viel expliziter ausführen), da Rebus und Cafferty, gemäß dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“, ihre vergangenen Differenzen kurzfristig begraben und an einem Strang ziehen. So scheint es zumindest, stellt man sich als Leser doch auch die Frage: Was ist wenn Cafferty hinter allem steckt?

Rebus‘ Einsatz ist in jedem Fall so hoch wie nie. Oder um es im Pokerlatein zu sagen. Er geht „All in“. Er weiß, dass er ein Spiel spielt, dass er nicht gewinnen kann, setzt alles auf eine Karte, jedoch nicht ohne sich dabei noch ein kleines Hintertürchen offenzuhalten, mit dem er im günstigsten Fall vielleicht gleich alle Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. Und von denen wimmelt es in „Die Sünden der Väter“ nur so. Neben Telfords aufstrebenden Imperium zeigen auch andere Syndikate hier ihr hässliches Antlitz. So mischt unter anderem die Yakuza, das japanische Pendant der Mafia, in der Aufteilung von Edinburghs Unterwelt mächtig mit, will das durch Caffertys Verhaftung entstandene Machtvakuum nutzen, um neues Terrain zu besetzen und ihre illegalen Aktivitäten auszuweiten. Im Angesicht dieser Übermacht, konfrontiert mit gleich mehreren Feinden und Gegnern, greift Rebus auf die Hilfe eines engen Freundes zurück, was letztlich fatale und dramatische Folgen hat. Nebenbei bemerkt: Für mich gehört diese Szene zu einem der bisherigen Highlights der Reihe.

Wer sich jetzt fragt, wie die Thematik Lintz dort hineinpasst, dem sei nur soviel gesagt: Querbeziehungen zwischen den einzelnen Strängen legen nach und nach die Zusammenhänge offen, wobei es sich Rankin vorbehält, die Fäden auf unterschiedliche Art und Weise enden zu lassen. Wie er das tut – nun das ist von unnachahmlicher, aber auch eindringlicher und bedrückender Qualität. Nur wenige Schriftsteller dieses Genres haben ihr eigenes „Krimi-Universum“, die Biographien ihrer Figuren und deren Schauplatz (der inzwischen schon weit mehr ist als nur das) so im Griff, schaffen es auf einem derart hohen Niveau aktuelle Geschehnisse mit der Fiktion zu verknüpfen, um daraus ein realistisches, nachvollziehbares Lese-Erlebnis zu schmieden.

Die Sünden der Väter“ ist zwar von weniger epischer Tiefe als sein Vorgänger, dafür aber unheimlich temporeich und von einer Ernsthaftigkeit durchdrungen, welche nicht nur der Figur John Rebus neue Facetten abringt – großartig, wie Rankin hier nochmal auf dessen Vergangenheit beim Militär in Belfast eingeht – sondern auch eben jene „ewige Wiederkehr des Gleichen“ fast schon melancholisch unterstreicht. Am Ende bleibt nämlich die Erkenntnis: Ein Mensch mag aus seinen Fehlern lernen, die Menschheit vermag es nicht.

Wertung: 91 von 100 Treffern

einschuss2
  • Autor: Ian Rankin
  • Titel: Die Sünden der Väter
  • Originaltitel: The Hanging Garden
  • Übersetzer: Giovanni Bandini, Ditte Bandini
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 01.2006
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 480 Seiten
  • ISBN: 978-3442454297

Schwarzes Gold und schwarze Seelen

© Goldmann

Ende Dezember 1996. Nach sechs Jahren in Frankreich kehrte Ian Rankin mit seiner Familie wieder nach Edinburgh zurück und zog in ein angemietetes Haus, dessen Besitzer den größten Teil des Jahres in London lebten, es allerdings über Weihnachten selbst brauchten. Um das Fest der Liebe nicht unter freiem Himmel verbringen zu müssen, kamen die Rankins über die Feiertage bei der Verwandtschaft in Belfast und Lincolnshire, später bei Freunden in der Nähe von York unter. Und genau hier las der Autor in der „Times“ die Vorankündigung einer Buchbesprechung, welche in etwa wie folgt lautete: „Der beste Krimi des Jahres 1997 ist bereits erschienen – nächste Woche verraten wir, wie er heißt!“

Rankins damals neuestes Buch, „Das Souvenir des Mörders“ (engl. „Black and Blue“), sollte Ende Januar ausgeliefert werden. Intensives Daumendrücken begann, welches letztlich belohnt wurde: Der achte Roman um Inspector John Rebus wurde tatsächlich von der „Times“ gekürt und im folgenden November gar als bester Krimi des Jahres 1997 mit dem „Gold Dagger Award“ ausgezeichnet. Darauf folgte die Nominierung für den Edgar Allan Poe-Award, welcher jedoch am Ende an James Lee Burke ging. Doch ein Stein war ins Rollen gebracht, Rankins Name schlagartig auch über die Grenzen Großbritanniens bekannt geworden, was im Nachhinein die Frage aufwirft, was zum Teufel an „Black and Blue“ so anders war als an den früheren Büchern des schottischen Autors? Ein Blick auf den Umfang des Buches und in die Kurzbeschreibung der Handlung lassen da bereits einige Rückschlüsse zu:

Für Detective Inspector John Rebus kommt es wieder mal dicke. Nach seinen letzten Alleingängen, bei denen er auch einigen hohen Herren auf die Zehen getreten hat, ist der schroffe Einzelgänger vom „heimatlichen“ Revier St. Leonard’s nach Craigmillar versetzt worden, welches die hier tätigen Beamten nur „Fort Apache“ nennen. Ein Abstellgleis für unbequeme Cops wie Rebus, der zwischen all den Problemfällen entweder weitestgehend gemieden oder mit Häme überschüttet wird. Und als ob das noch nicht genug wäre, steht die Presse tagein tagaus vor seinem Haus, um ihn mit einem alten Fall aus dem Jahr 1977 zu konfrontieren. Damals, Rebus war noch Constable unter seinem Vorgesetzten Detective Inspector Lawson Geddes, war er an der Festnahme von Leonard Spaven beteiligt, der später, als Mörder verurteilt, im Gefängnis eine Schriftstellerkarriere hingelegt und eines Tages schließlich Suizid begangen hat. Bis zu seinem Tod beteuerte er seine Unschuld. Und mehr noch: Er klagte Geddes und Rebus an, ihn in eine Falle gelockt zu haben. Nachdem nun auch Geddes per Selbstmord aus dem Leben geschieden ist, soll nun Letzterer vor der Kamera Stellung nehmen. Ist der Tod seines ehemaligen Vorgesetzten ein Schuldeingeständnis? Hatte Geddes, besessen von der Vorstellung Spaven zu überführen, Beweise gefälscht?

Rebus, der in der Vergangenheit bereits Zweifel hatte, verweigert jegliche Aussage und setzt insgeheim seinen Kollegen Detective Sergeant Brian Holmes auf den alten Fall an, um diesen aufzurollen und endlich Klarheit zu gewinnen. Er selbst hat alle Hände mit einem aktuellen Mord zu tun.

Ein Erdölarbeiter ist gefesselt aus einem hoch gelegenen Fenster gestürzt und die Spuren am Tatort lassen die Mittäterschaft von Andrew „Tony El“ Kane vermuten. Ein sadistischer, unberechenbarer Schläger, der bisher für Joseph „Uncle Joe“ Toal, die Nummer eins der Gangsterbosse in Glasgow, gearbeitet hat. Will dieser jetzt seine „Geschäfte“ nach Edinburgh ausweiten? Rebus beißt in den sauren Apfel und nimmt Kontakt zum Gangster „Big Ger“ Cafferty auf – sein alter, endlich hinter Schloss und Riegel sitzender Erzfeind, der ihm tatsächlich zu einem Treffen mit „Uncle Joe“ verhilft. Der streitet jedoch jede Kenntnis von dem Mord an dem Erdölarbeiter ab. Mehr noch: Tony El soll angeblich inzwischen selbstständig und in Aberdeen arbeiten. Für Rebus die Gelegenheit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Seinem herrischen Vorgesetzten Ancram gen Norden zu entfliehen und nebenbei seine eigene kleine Privatermittlung voranzutreiben, denn wie früher bei Geddes, so ist auch für ihn ein ungelöster Fall zu seiner persönlichen Muße geworden:

Seit einiger Zeit treibt ein Bibel zitierender Serienmörder namens „Johnny Bible“ sein Unwesen in Schottland. Sein Tatmuster: Frauen auflauern, sie vergewaltigen und anschließend erdrosseln. Eines der Opfer war John Rebus bekannt. Doch was noch merkwürdiger ist: Bereits Ende der 1960er Jahre hat es schon einmal einen Mehrfachkiller gegeben, der drei Opfer in Glasgow auf identische Art und Weise umbrachte. Die Presse nannte ihn damals „Bible John“. Ist dieser nun nach all den Jahren wieder aktiv geworden? Oder hat er einen Nachfolger gefunden? Und wenn ja und der echte „Bible John“ noch lebt – wie wird er auf diesen Nachahmer reagieren? Für den Lowländer Rebus werden die Nachforschungen in den Highlands des Nordostens zu einem Wettrennen gegen die Zeit …

Edinburgh. Glasgow. Aberdeen. Die Shetland-Inseln. Eine Bohrinsel hunderte von Meilen draußen in der rauen Nordsee – mit „Das Souvenir des Mörders“ setzt Ian Rankin den bereits in „Ein eisiger Tod“ begonnenen Trend fort und erweitert den Aktionsradius seines Detectives um ein vielfaches. Und nicht nur hinsichtlich der Schauplätze stößt Rankin mit seiner Rebus-Saga in neue Dimensionen vor. Auch die Art und Weise wie der Schriftsteller die verschiedenen Handlungsstränge miteinander verknüpft und entwickelt, das Blickfeld seines Ermittlers erweitert, macht deutlich, dass die Lehrzeit endgültig abgeschlossen und der Ton für künftige Romane gefunden ist. Beschränkten sich die ersten Bände noch im klassischen Muster auf einen einzigen zentralen Kriminalfall, den es zu lösen galt, sind die Grenzen zwischen Gut und Böse in „Das Souvenir des Mörders“ nun aufgelöst oder verschwommen. Den einen Mörder, ihn gibt es so nicht mehr. Stattdessen hat sich die Welt, hat sich das Verbrechen globalisiert, ist weit weniger greifbarer geworden. Da arbeitet die Politik Hand in Hand mit den Großkonzernen, schmieren gut organisierte Banden einen korrupten Justizapparat, lässt sich die Presse vor den Karren ihrer freigiebigen Gönner aus der High Society spannen. Und mittendrin John Rebus, der hier nochmal an Statur gewinnt, weil sein Ruf, seine berufliche Zukunft und letztlich sogar sein Leben vom Autor aufs Spiel gesetzt werden.

Ein Kniff, mit dem Ian Rankin der Serie nicht nur neues Leben einhaucht und den negativen Begleiterscheinungen der Routine entgegenwirkt, sondern auch gleichzeitig den epischen Charakter seiner Romane unterstreicht, welche sich, ganz im Stil des großen Vorbilds James Ellroy, nunmehr eher wie eine schottische Chronik denn wie klassische Krimis lesen. Natürlich ist mit dieser Ausrichtung auch eine gewisse Gefahr verbunden, da vielleicht eben gerade Liebhaber des typischen britischen Spannungsromans den zentralen roten Faden vermissen, über die vielen Querverbindungen stolpern oder die flachere Kurve des Spannungsbogens bemängeln. In meinen Augen übertreffen die Vorteile dieser Entscheidung aber bei weitem die Nachteile – auch weil uns Ian Rankin trotz anderer Herangehensweise die elementaren Zutaten nicht vorenthält und seine Handlung mit vielen überraschenden Wendungen spickt, ohne sich dabei künstlicher Effekte bedienen zu müssen.

Im Gegenteil: Reales Tagesgeschehen und fiktive Geschichte werden in genau der richtigen Dosierung vermischt und sorgen im Verbund mit der ökonomischen Schreibweise für den gewohnt authentischen Grundanstrich. Wo andere Krimi-Schriftsteller in jedem ihrer Bücher neue Kaninchen aus dem Hut zaubern müssen, da legt Ian Rankin Wert auf Konstanz. Figuren wie Jack Morton, Brian Holmes, Gill Templer oder Siobhan Clarke sind mehr als nur Füllmaterial – ihre Biographien werden sorgsam gepflegt und ebenso sorgfältig erweitert, wodurch aus einer schlichten Besetzung vertraute Personen werden, an deren Schicksal man ebenso Anteil nehmen kann, wie an dem des Hauptprotagonisten.

Wenngleich eine solche Verwendung des Stammpersonals im Krimi-Kreisen nicht gänzlich unüblich ist (siehe z.B. Michael Connelly), so ist ein anderer Trick Rankins jedoch umso gewagter: Mit Bible John gibt erstmals eine real-existierende Figur, und dann auch noch ein bis heute nicht gefasster Serienmörder, ihr Stelldichein in der Serie, deren Beschreibung sich, von der fiktiven Identität mal abgesehen, eins zu eins mit dem echten Vorbild deckt. Dieses hat tatsächlich zwischen Februar 1968 und Oktober 1969 drei Frauen getötet, um danach von der Bildfläche zu verschwinden. All diese Elemente heben „Das Souvenir des Mörders“ zwar von seinen Vorgängern ab, begründen aber meiner Meinung nach letztlich nicht den Erfolg dieses Kriminalromans, dem ohne eine letzte fehlende Zutat wohl möglich weniger Aufmerksamkeit zuteil geworden wäre. Und diese Zutat lautet „Wut“.

Rankins Sohn Kit war im Juli 1994 auf die Welt gekommen und in den kommenden Monaten darauf schwer krank geworden. Längere Autofahrten zur Kinderklinik nach Bordeaux wurden zur Regel, der Autor aufgrund der schleppenden Genesung seines Sohns zunehmend ungeduldiger. Hinzu kam sein schlechtes Französisch, mit dem er sich bei den Ärzten schlecht verständlich machen konnte, weshalb er oft mit mehr als Fragen als Antworten von diesen Fahrten zurückkam. Rankin zog sich auf den Dachboden des alten Bauernhauses zurück, der außer einem Computer, ein paar Stadtplänen und Fotos von Edinburgh komplett leer war – und plötzlich hatte er wieder die Kontrolle, wenn auch nur über ein fiktives Universum. Hier konnte er Gott spielen. Hier beherrschte er die Sprache. Und er benutzte Rebus als Sandsack, ließ physische und psychische Schläge auf ihn einhämmern. In Folge dessen wurde „Das Souvenir des Mörders“ sein bis hierhin dunkelster und härtester Roman. Der achte Auftritt von John Rebus – er war Ian Rankins persönliches Ventil.

Rankins Gefühle finden ihren Widerhall in John Rebus‘ Welt, der angezählt Treffer kassiert, einen K.O. wegsteckt, um sich dann doch wieder wie ein lästiger Terrier in die Arbeit zu stürzen und dort Resultate erzielt, wo andere längst aufgegeben hätten. Es ist diese Menschlichkeit, diese Mischung aus innerer Verletzlichkeit und schottischem Starrsinn, welche die üblichen Barrikaden zwischen Leser und Geschichte überwindet und das Gelesene so nachhaltig auf uns wirken lässt.

Das Souvenir des Mörders“ ist Ian Rankins bis hierhin bester und in allen Belangen größter Roman – ein schulmeisterliches Beispiel, wie eine schlüssige und packende Krimi-Lektüre auszusehen hat. Fernab jeglicher „Highlander“-Romantik. Schroff. Kantig. Zynisch. Menschlich. Tragisch. Traurig. Schon vorher, aber jetzt endgültig: Rankin ist eine Klasse für sich!

Wertung: 93 von 100 Treffern

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  • Autor: Ian Rankin
  • Titel: Das Souvenir des Mörders
  • Originaltitel: Black and Blue
  • Übersetzer: Giovanni Bandini, Ditte Bandini
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 05.2005
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 608 Seiten
  • ISBN: 978-3442446049

When you need a little coke and sympathy …

© Goldmann

Obwohl das Buch „Ein eisiger Tod“ heißt und im tiefsten Edinburgher Winter spielt, ist es in Ian Rankins Haus in Südfrankreich entstanden, größtenteils bei sengender Sommerhitze. Überhaupt ist der deutsche Titel mal wieder irreführend, hat er doch keinerlei Bezug zum eigentlichen Inhalt zwischen den Buchdeckeln. Ganz anders als der englische Buchname „Let it bleed“, ein Wortspiel, das genauso „lass es bluten“ wie „lass die Luft aus der Heizung raus“ bedeuten kann. Und so ist auch das Einzige, was Rebus in diesem Buch zur „Ader lassen muss“, ein Heizkörper. Keine Spur von einer vereisten Leiche.

Über reine Mordermittlungen ist Ian Rankin mittlerweile ohnehin erhaben. Stattdessen schafft er es erneut, Rebus‘ Nachforschungen auf eine komplexere Ebene zu heben und mit den zeitgeschichtlichen Ereignissen in Schottland zu verknüpfen. So jagt der hartnäckige schottische Bulle diesmal auch keinen soziopathischen Serienmörder, sondern das politische und wirtschaftliche Establishment, industrielle Großkonzerne und ambitionierte Volksvertreter, welche für das „große Ganze“ die Gesetze bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit biegen und notfalls auch brechen. Sie sind es gewohnt, dass alles nach ihrer Pfeife tanzt. Nur einer widersetzt sich diesem Rhythmus – Detective Inspector John Rebus.

Dessen neuer Fall beginnt für einen Krimi von Ian Rankin äußerst rasant mit einer nächtlichen Verfolgungsjagd durch Edinburgh. Detective Inspector John Rebus und sein Vorgesetzter Frank „Fart“ Lauderdale haben sich an die Stoßstange eines flüchtenden Wagens geheftet, dessen zwei Insassen möglicherweise die Tochter des Lord Provost Kennedy, einen der einflussreichsten und mächtigsten Männer der Stadt, entführt und Lösegeld gefordert haben. Bevor sie beide jedoch stellen können, kommt es auf der vom Schneesturm umtosten Forth Road Bridge zu einem spektakulären Unfall, in dessen Folge Lauderdale sein Bewusstsein verliert. Rebus, der sich gerade so aus dem Autowrack schälen kann, gelingt es zwar die beiden Flüchtigen zu stellen, kann aber nicht mehr beruhigend auf sie einwirken. Als er ihnen näher kommt, stürzen sich die beiden jungen Männer in den Freitod.

Auch wenn er nach außen hin derselbe bärbeißige Ermittler wie immer ist, setzt Rebus der schreckliche Vorfall sehr zu. Er fühlt sich für den Tod der Jungen verantwortlich und beginnt Nachforschungen anzustellen, nur um relativ schnell festzustellen, dass die Spur bis in die höchsten politischen Ämter Schottlands zu führen scheint. Und da man dort nicht will, dass zukünftige Investitionen und Prestigeprojekte wegen eines einzigen Polizisten in Gefahr geraten, lässt man Rebus bald kalt stellen. Doch den hält selbst seine „Beurlaubung“ nicht davon ab, die Ermittlungen fortzusetzen. Im Gegenteil: Rebus, dessen Privatleben auch wegen der Trennung von Patience mittlerweile ein einziger Schutthaufen ist, stürzt sich mit dem Mute der Verzweiflung ins Getümmel …

Ein eisiger Tod“ ist diesmal weniger typischer Police-Procedural als vielmehr ein politischer Roman, da ein Großteil der Handlung von lokal- und landespolitischen Verwicklungen bestimmt ist und es letztlich um wesentlich mehr geht, als nur die simple „Whodunit“-Frage. Rankins Schurken hier sind nicht die Gegner, welche er sonst durch Edinburghs Gassen jagt, sondern seine Vorgesetzten, seine politischen Vertreter, illustre Industrielle und Immobilienspekulanten. Sie sind es, die jedes mögliche Schlupfloch im Gesetz ausnutzen, um (zum Vorteil aller und besonders für sich selbst) Schottland in eine neue, globalisierte Zukunft zu führen. Was ist die Leiche eines Sträflings gegen Millionen Arbeitsplätze? Was ist die Karriere eines Polizisten im Vergleich zum Image der gesamten schottischen Nation? „Nichts“ ist die Antwort, die von Seiten der elitären Verschwörer auf beide Fragen gegeben wird und die es John Rebus in seinem siebten Fall so schwer macht, für Gerechtigkeit zu sorgen. Denn was ist Gerechtigkeit überhaupt? Ian Rankin lässt seinen noch tiefer gefallenen Helden über dieselben Zweifel straucheln und stolpern, welche auch den Leser nicht unberührt lassen. Unwillkürlich versetzt man sich an Rebus‘ Stelle und fragt sich, wie man wohl an seiner statt handeln würde. Und wenn der verbissene Bulle, der nach Lauderdales Unfall nicht etwa selbst aufsteigt, sondern seine Ex-Geliebte Gill Templer als Vorgesetzte zugeteilt bekommt, seinen Kummer und Unmut im Whisky ertränkt, fühlt man mit.

In „Ein eisiger Tod“ sind die Grenzen zwischen „Gut“ und „Böse“ verschwommen, heben sich die Gegensätze auf eine Art und Weise auf, dass die Nadel des moralischen Kompasses einfach nicht mehr zur Ruhe kommt. Rankin, dessen Buch immerhin schon 1995 veröffentlicht worden ist, beschreibt ein System, das wir auch im Deutschland der Jetztzeit nur zu gut kennen. Ein System, in dem Banker Milliarden verbrennen können, in dem Schmiergelder wie Bonbons verteilt werden, in dem ein Gewissen käuflich ist. Es zu Fall zu bringen fällt schwer, da man sich selbst an dem zu sägenden Ast befindet. Wen schert das Unrecht, das an einem Mann begangen wurde, wenn es dieses Unrecht war, das Perspektiven für tausende Menschen geboten hat? Es sind diese Denkansätze, welche auch nach der Beendigung der Lektüre von Rankins Roman im Gedächtnis bleiben und ihn aus der Masse des Mainstreams hervorheben. Gleichzeitig sorgen sie jedoch auch dafür, dass die gesamte Handlung nur äußerst zäh in Fahrt kommt.

Die gleichen verworrenen und für uns nicht nachvollziehbaren Praktiken innerhalb der Gremien der EU und den Großindustriellen, welche dem Missbrauch den Boden bereiten, sorgen passenderweise auch im Roman dafür, das man relativ schnell den Überblick verliert. Mehrere komplizierte Abkürzungen, politische Ämter und ganze Namensschwadronen machen von Beginn an eigentlich einen Notizzettel notwendig, um den roten Faden, der sich windet wie ein Lachs an der Angel, zu folgen. Das wird nicht jedermanns Sache sein und sicherlich viele dazu bringen, das Buch mit dem Prädikat „langweilig“ zu versehen oder gleich in die Ecke zu knallen. Dabei lohnt es jedoch sich gemeinsam mit Rebus den Kopf zu zermartern, da neben der üblichen Spurensuche weit größere Zusammenhänge ans Licht gezerrt werden, die als Spiegelbild ihrer Gesellschaft für Deutschland genauso gelten wie für Schottland. Denn dort wo der Bürger stumm und unkritisch bleibt, wo er alles glaubt und noch mehr glauben will, dort gedeiht das Verbrechen am Allerbesten.

Aufgelockert wird diese weit und ineinander verzweigte Handlung wieder mal von einer guten Prise schottischen Humors, den Rankin wieder punktgenau zu setzen weiß (Highlight ist sicherlich der ungewollte Tod von Patiences Kater Lucky – selbst ich als Katzenliebhaber konnte mir ein Lachen nicht verkneifen). Trotz all seiner privaten Probleme und Rückschläge, begeht der Edinburgher Autor gottseidank nicht den Fehler, bei dem Bemühen, seine Figuren menschlicher zu gestalten, John Rebus in der Düsternis versinken zu lassen. Während hinsichtlich dessen besonders die Skandinavier keine Grenzen zu kennen scheinen, bleibt Rebus stets glaubhaft, sein Handeln glaubwürdig. Auch deshalb weil ihm der Erfolg nicht immer zufällt und schon gar nicht bei jedem seiner Fälle sicher ist. Zur Not begibt sich der bissige Bulle auch in die unteren Ebenen der Gesellschaft, um zu bekommen was er will. Getrieben von dem Ziel für Recht zu sorgen und Recht zu haben, nimmt man schon mal die Hilfe von Berufsverbrechern in Kauf oder klaut Beweismaterial aus dem Müll von Verdächtigen. All das schildert Rankin mit schlafwandlerischer Sicherheit, durchsetzt von einer Spannung, die es trotz langatmiger Passagen unmöglich macht, das Buch aus der Hand zu legen.

Abschließend kann man sagen: Auch „Ein eisiger Tod“ wird Rebus-Freunde nicht enttäuschen, da Rankin sich treu bleibt und der Roman all das bietet, was die Reihe so einzigartig gemacht hat. Als langjähriger Leser der Bücher muss aber auch ich bemängeln, das sich der siebte Fall des sympathischen Arschlochs langsam entwickelt, sich äußerst sperrig liest und vergleichsweise wenig Höhepunkte bietet. Wer in die Serie reinschnuppern will, sollte lieber zu einem anderem Band greifen. Dieser ist, trotz aller Qualitäten („Ein eisiger Tod“ ist zweifelsfrei hervorragend konstruiert und literarisch auf höchstem Niveau), einer der schwächeren.

Wertung: 84 von 100 Treffern

einschuss2
  • Autor: Ian Rankin
  • Titel: Ein eisiger Tod
  • Originaltitel: Mortal Causes
  • Übersetzer: Giovanni Bandini, Ditte Bandini
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 01.2004
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 416 Seiten
  • ISBN: 978-3442454280

„Somebody stepped inside your soul – Little by little, they robbed and stole“

© Goldmann

Knapp anderthalb Jahre waren (obwohl ich stets mit neugierigen Blicken an der Ian-Rankin-Ecke meines Bücherregals vorbei gelaufen bin und durchaus Lust auf ein neues Abenteuer aus Edinburgh hatte) seit der Lektüre von „Verschlüsselte Wahrheit“, dem Vorgänger des nun gelesenen John-Rebus-Falls „Blutschuld“, vergangen. Aber wie das Leben so spielt: Immer wieder kamen andere Titel dazwischen, verhinderte ein unser Wohnzimmer sprengender SUB eine weitere Beschäftigung mit meinem schottischen Lieblingsautor. Sicherlich ein Fehler, denn nach Beendigung des sechsten Bands aus der Reihe um Inspector John Rebus zeigt sich einmal mehr, dass man nicht in die Ferne schweifen sollte, wenn das Gute doch so nah liegt.

Und richtig gut ist auch wieder „Blutschuld“, welcher im englischen Original bereits im Jahre 1993 unter dem Titel „Mortal Causes“ erschienen ist und uns zurück in eine Zeit führt, in welcher die politische Situation in Nordirland wesentlich brisanter war, als dies heute der Fall ist. Rankin ist es nicht nur gelungen, die verhärteten Fronten zu skizzieren, welche jahrelang einen Frieden auf der grünen Insel verhindert haben. Er zeigt auch die Auswirkungen dieses Konflikts auf Schottland, das sich trotz der Mitgliedschaft in „Großbritannien“ keineswegs als gleichberechtigter Partner der Engländer fühlt und in dessen Bevölkerung einige militante Gruppen, auf protestantischer und katholischer Seite, diesen ewig währenden Bürgerkrieg zu ihren jeweiligen Gunsten zu beeinflussen versuchen.

Edinburgh, im August 1993. Wie immer beginnt auch diesmal alles mit einer Leiche. Während in der Innenstadt das berühmte Edinburgh Festival Fringe im Gange ist und Tausende von Touristen durch die engen Gassen strömen, wird in den alten unterirdischen Gemäuern von Mary King’s Close, einem im 17. Jahrhundert errichteten und in späterer Zeit überbauten Straßenzug, die grausam verstümmelte Leiche eines jungen Mannes gefunden. Offensichtlich wurde er vor seinem Tod lange gefoltert, bis man ihm schließlich einen „Six-Pack“ verpasst hat. Eine in Nordirland übliche Strafmaßnahme, bei der dem Opfer systematisch Arme und Beine zerschossen werden. Inspector John Rebus wird an den Tatort gerufen und soll den Fall, nicht zuletzt weil er selbst als junger Soldat in Belfast gedient und Erfahrungen mit der IRA gemacht hat, übernehmen. Die üblichen Nachforschungen werden angestellt, Klinken geputzt und Zeugen befragt, bis bald die Identität des Toten feststeht und die Ermittlungen für John Rebus einen bitteren Beigeschmack bekommen. Bei dem Opfer handelt es sich um niemand geringeren als den Sohn von „Big Ger“ Cafferty. Ein Gangsterboss, der einen Großteil des organisierten Verbrechens in Edinburgh kontrolliert und mit dem sich Rebus in der Vergangenheit bereits mehr als einmal messen musste. Zuletzt hat er ihn sogar hinter Gitter geschickt (siehe „Verschlüsselte Wahrheit“), was „Big Ger“ aber nicht davon abhält, weiterhin seine Ränke zu schmieden und Rache zu fordern. Die soll ihm nun ausgerechnet Rebus verschaffen, den er mit Druck und Drohungen dazu „ermuntert“, den Mörder seines Sohnes zu finden.

Keine einfache Situation für den eigensinnigen Polizisten, der im Zusammenhang mit dem Mord zu einer Sondereinheit, dem Scotish Crime Squad, abkommandiert worden ist, um die möglichen Verflechtungen mit paramilitärischen Organisationen zu überprüfen und der dabei von seinen neuen Kollegen nicht gerade enthusiastisch empfangen wird. Doch Rebus, der hinter vorgehaltener Hand den Ruf eines „Terriers“ genießt, beißt sich fest und setzt alles auf eine Karte, um zwischen Geheimdienstlern, Gangstern, „Freiheitskämpfern“ und jugendlichen Aufrührern der richtigen Spur zu folgen … und diese scheint ihn bald immer näher in die Kreise der Polizei zu führen. Hat sich Rebus diesmal übernommen?

Ian Rankin, in einem kleinen Bergarbeiterort in Fife aufgewachsen, und damit weit weg von den „Unruhen“ in Nordirland, hat bereits seit frühester Jugend Erfahrungen mit der protestantisch-katholischen Feindschaft in Schottland gemacht, welche oft eine Straße, in manchen Fällen ganze Familien getrennt hat. Die eigentliche „Seele“ des Konflikts blieb für ihn jedoch für Jahre, trotz einiger Besuche in Belfast, wo seine Frau Miranda groß geworden ist, schwer fassbar. „Blutschuld“ ist somit als Versuch zu verstehen, die Sektiererei und religiöse Spaltung in Schottland innerhalb der Reihe in Angriff zu nehmen und neben den touristischen Attraktionen, welche Rankin im Umfeld des Edinburgher Festivals hervorhebt, auch die hässlicheren Seiten der Gesellschaft zu zeigen. Herausgekommen ist eine Mischung aus Police-Procedural-Krimi und Politthriller, der die fatalen Konsequenzen der so genannten „Troubles“ im Zusammenhang mit einer spannenden Mordermittlung verdeutlicht und selbst dem nicht-britischen Publikum plastisch vor Augen führt, wie schnell auch perspektivlose Jugendliche in diese Spirale der Gewalt hereingezogen werden können. Dennoch ist „Blutschuld“ keinesfalls ein Mahnmal mit wedelndem Moral-Zeigefinger. Ganz im Gegenteil:

Rankin lässt seine Botschaft dicht unter der Oberfläche fließen und überlässt es dem Leser, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Wie auch schon in den Vorgängern, so hält Rankin auch hier nichts von Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Nichts ist eindeutig gut, nichts eindeutig böse. Und selbst die Kriminalität kann man nicht mehr derart in Sparten aufteilen, wie dies früher der Fall gewesen ist. Terroristen und Gangster arbeiten zunehmend Hand in Hand, die eine wäscht die andere. Bei all den hochgesteckten Idealen scheint der Profit noch das Wichtigste zu sein. Der Kampf für die Freiheit dient lediglich als Aufhänger, um Investoren aus den USA für die Finanzierung zu gewinnen. Das hat mich, aus aktuellem Anlass, (hatte dieses Buch kurz zuvor gelesen) an „Die Schatten von Belfast“ erinnert, in dem Autor Stuart Neville die fließenden Übergänge in einem ähnlichen Rahmen thematisiert.

„Big Ger“ Cafferty ist in „Blutschuld“ die Verkörperung dieser Anpassung an das neue Zeitalter. Sein Charakter ist schwer zu fassen, seine Motive undurchdringlich, sein krimineller Charme erschreckend überzeugend. Obwohl er durch und durch Böse ist, erwischt man sich dabei, Sympathie für ihn zu empfinden. Nicht zuletzt deshalb, weil er John Rebus auf eine schizophrene Art und Weise gleicht. Die Idee für diese komplexe Beziehung zwischen dem Polizisten und dem Edinburgher Obergangster ist, laut Rankin, durch die Matt-Scudder-Romane vom New Yorker Autor Lawrence Block inspiriert worden. Block hat das Verhältnis Scudders zu dem knallharten Gangster Mick Ballou ähnlich beschrieben:

Beide scheinen sich zu verstehen, womöglich sogar zu respektieren. Aber wären sie einander ins Gehege gekommen, hätte nur einer die Begegnung überlebt.

Das unsichtbare Kräftemessen zwischen Rebus und Cafferty verleiht „Blutschuld“ eine untergründige Spannung, welche sich erst am Ende entlädt, das, soviel darf verraten werden, das Verhältnis zwischen den beiden Kontrahenten für den weiteren Verlauf der Reihe entscheidend verändert. Ansonsten überzeugt „Blutschuld“ wieder mit der farbenfrohen Schilderung Edinburghs, die sich neben Mary King’s Close, ein Mahnmal für die Vergänglichkeit und Erinnerung an die kriminellen Strömungen der Vergangenheit, vor allem auf das fiktive Viertel Garibaldi Estate („Gar-B“) konzentriert. Dieser heruntergekommene Stadtteil ist ein Sammelbecken für die „Verlierer“ der Gesellschaft. Und gerade hier fallen extremistische oder revolutionäre Ideen auf besonders fruchtbaren Boden. Selbst die Polizei traut sich in diese Problemviertel nur in Hundertschaften und schwer bewaffnet. (Ich hatte in diesen Passagen mehrmals den Film „Harry Brown“ vor Augen) Warum das so ist, muss auch Rebus schnell feststellen. Wie so oft ist gerade an dieser Stelle die Realität erschreckender als die Fiktion.

Neben all diesen gesellschaftlichen Themen, welche heute wohl nicht weniger aktuell sind, als Mitte der 90er, sind es besonders die kleinen Nebengeschichten, die „Blutschuld“ wieder so erfrischend authentisch machen und zum Schluss dann sogar Relevanz für die Auflösung besitzen. Sie droht man im Eifer der Leselust gerne mal zu überspringen, nur um letztlich festzustellen, dass man anhand dieser Details, dem Täter viel früher auf die Spur hätte kommen können. Ich muss allerdings auch gestehen, dass ich lieber Rebus über die Schulter schaue, der weitestgehend im Alleingang (Brian Holmes und Siobhan Clarke haben diesmal eher wenig zu tun) die Steine ins Rollen bringt und den Kampf zu seinen Feinden trägt. Anstatt seinem Protagonisten Neues anzudichten, was bei vielen anderen Autoren deren Ideenarmut bloßstellt, greift Rankin hier wieder auf Rebus‘ Vergangenheit in der Armee zurück, die unter anderem der Grund dafür ist, warum er diesmal in die Spezialeinheit versetzt wird. Das „Blutschuld“ dann am Schluss nicht zu den besten Titeln der Reihe gehört, liegt vor allem am sehr zähen Beginn, der aufgrund vieler Verflechtungen und Anspielungen auf den Nordirland-Konflikt manchmal schwer zu verfolgen ist und anfangs nur wenig Spannung aufkommen lässt. Freunde von actionreichen Thrillern werden da ganz sicher an die Grenzen ihrer Geduld getrieben. Mich hat das, nicht zuletzt wegen dem herrlich lakonischen Rebus, mal wieder nur wenig gestört.

Am Ende bleibt Ian Rankin auch mit „Blutschuld“ ein Garant für ziselierte Spannung und intelligente Unterhaltung, ohne dabei der Versuchung zu erliegen, sich in irgendeiner Art und Weise zu wiederholen. Düster, dreckig, mürrisch und bitter. Ein echter Rebus halt. Genauso wie er sein sollte.

Wertung: 85 von 100 Treffern

einschuss2
  • Autor: Ian Rankin
  • Titel: Blutschuld
  • Originaltitel: Mortal Causes
  • Übersetzer: Giovanni Bandini
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 05.2003
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 384 Seiten
  • ISBN: 978-3442450169

Drecksarbeit in trüben Gewässern

© Goldmann

Im Frühsommer 1991 erreichte Ian Rankin ein Brief in Südwestfrankreich, wo er nach seiner „Flucht“ aus dem Großkapital Londons seit knapp einem Jahr mit seiner Familie wohnte. In diesem wurde ihm mitgeteilt, dass er das Chandler-Fulbright-Stipendium für Kriminalliteratur gewonnen hatte und der Preis ein größerer Betrag Geld (mit freundlicher Empfehlung der Raymond-Chandler-Stiftung) war, an den die Bedingung geknüpft wurde, dass dieses im Verlauf eines sechsmonatigen Aufenthalts in den Vereinigten Staaten ausgegeben werden musste. Gemeinsam mit dem gerade erst drei Monate alten Sohn Jack flog Familie Rankin gen USA, wo der Autor damit begann sich Gedanken über den nächsten Rebus-Roman zu machen.

Sein Ziel war es, der Serie einen erkennbaren Hintergrund zu geben, seine Figur vom erfundenen Edinburgh ins das reale zu versetzen, weshalb er schon im Vorgänger die fiktive Dienststelle von Rebus hatte abbrennen lassen. Nun sollte er in der echten Polizeistation in St. Leonard’s Street arbeiten und der Leser endlich genau erfahren, in welcher Straße der DI wohnt. Das Ergebnis all dieser in den USA stattgefundenen Überlegungen ist der fünfte Roman der Reihe: „Verschlüsselte Wahrheit„.

Für John Rebus hat sich nicht allzu viel geändert. Sein Glück bei den Frauen scheint weiterhin ein zeitlich begrenztes, denn Patience, seine Freundin, hat ihn kurzerhand aus der Wohnung geschmissen. Da er seine eigene blöderweise an eine Gruppe Studenten vermietet hat, muss er sich nun dort neben Joints, Körnermüsli und Tofuhappen ein freies Eckchen suchen, was schließlich noch erschwert wird, als plötzlich sein Bruder Michael, nach dreijähriger Haft wegen Drogenhandels entlassen, völlig pleite vor seiner Tür steht. Dementsprechend wenig Zeit versucht Rebus zu Hause zu verbringen, wenngleich es für ihn auch auf der Arbeit wenig rosig aussieht. Bei den neuen Kollegen in der Hauptwache St. Leonard’s hat er sich nicht nur Freunde gemacht und besonders Detective Inspector Flower scheint ihn auf dem Kieker zu haben. Zu allem Überfluss kommen dann noch seine Vorgesetzten auf die glorreiche Idee, eine weiteren Versuch zu starten, Morris Gerald „Big Ger“ Cafferty hinter Gitter zu bringen.

Der heimliche König des organisierten Verbrechens in Edinburgh hat dem Gesetz bereits desöfteren ein Schnippchen geschlagen und sich dank einflussreicher Freunde stets dem Zugriff entzogen. Als nun Rebus‘ Partner Brian Holmes im Hinterhof eines Restaurants niedergeschlagen wird und der DI in seinen Habseligkeiten ein schwarzes Buch findet, dass neue Erkenntnisse über den vor fünf Jahren stattgefundenen Brand im Central Hotel beinhaltet, sieht er die Chance gekommen seinen Erzfeind endgültig matt zu setzen. Ohne Rückendeckung von oben nimmt Rebus die Ermittlungen auf …

Mit „Verschlüsselte Wahrheit“ nähert sich, auch seinen eigenen Worten nach, Ian Rankins lange Lehrzeit allmählich ihrem Ende. Der Reihencharakter ist nun eindeutig erkennbar, zumal der Autor inzwischen ökonomischer schreibt und wieder auf altbekannte Figuren (z.B. Jack Morton, Matthew Vanderhyde) zurückgreift. Eine Routine stellt sich dennoch nicht ein, da immer wieder neue Facetten der Stadt Edinburgh in Augenschein genommen werden, um die Rankin einen stets spannenden Plot zu spinnen weiß. In diesem Fall ist das Thema die Korruption der Volksvertreter, hinter deren achtbarer Fassade das organisierte Verbrechen in Form von Cafferty seine Fäden zieht. Weitestgehend ungestört, denn dieses bis auf die Grundfesten verrottete System ist nicht nur hervorragend vernetzt, sondern auch frei von Skrupeln, wenn es darum geht, seinen Einflussbereich immer mehr auszuweiten. John Rebus, der kleinere Ganoven aus den sozial schwächeren Schichten auch mal laufen lässt, ist der erklärte Feind dieser elitären Oberschicht, die in seinen Augen die größte Gefahr für die Gesellschaft darstellt. Und so ist es natürlich auch diesmal wieder er, der, mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestattet, die Kreise dieser Verbrechner im feinen Zwirn stört und den Dreck am Fuße des Tümpels aufwirbelt.

Wortwörtliche Drecksarbeit in trüben Gewässern, denn die Grenzen zwischen Gut und Böse sind fließend – und die dicken Fische halten sich entweder gut versteckt im Untergrund oder präsentieren sich nach außen hin als vorbildliche Bürger. Doch Rebus ist geduldiger „Angler“, der zudem genau weiß, wo er seine Köder samt Haken auswerfen muss, um Unruhe in den Schwarm zu bringen. Einmal mehr ist es ein echter Genuss, dem bärbeißigen Detective Inspector bei seinem Werk über die Schultern zu schauen, wohl wissend, dass auch er dem Verbrechen in Edinburgh am Ende allenfalls Nadelstiche versetzen kann. Aber diese Stiche, sie sitzen. Und wie Rebus sie verteilt, um dann seinerseits Prügel zu beziehen, das hat seine ganz eigene, äußerst schottische Faszination. Auch weil es Rankin verstanden hat, diesen anachronistischen Dinosaurier nicht zu sehr an den üblichen Stereotyp anzupassen. Natürlich kämpft auch John Rebus mit seinen ganz eigenen Dämonen – seine kurze, aber verhängnisvolle Zeit im SAS bleibt zum Beispiel weiterhin ein Thema – ergibt sich aber diesen nicht oder droht gar in Depressionen zu verfallen. Stattdessen opfert er alles, vor allem das private Glück, für den Beruf, den er nach seinen, und nur seinen Regeln ausübt.

Bei seinen Vorgesetzten und vielen Kollegen kommt dies naturgemäß eher bescheiden an, was Rebus selbst in größeren Ermittlungen letztlich stets isoliert. Allerdings wissen auch sie, dass sie ihn und seine ganz eigenen unorthodoxen Methoden manchmal einfach benötigen, um den Stein ins Rollen und ein vermeintlich stabiles verbrecherisches Gerüst zum Wanken zu bringen. John Rebus ist sich dieses stillschweigendes Respekts stets bewusst, nutzt ihn jedoch nie über Gebühr aus, weswegen selbst sein Chef „Farmer“ Watson bei dessen Verfehlungen auch mal ein Auge zudrückt. Überhaupt gewinnt „Verschlüsselte Wahrheit“ durch die genaue Skizzierung des Polizeireviers St. Leonards unheimlich an Realismus, da sich Rankin viel Zeit für seine Figuren nimmt und diese auch ihren Charaktereigenschaften entsprechend nachvollziehbar handeln lässt. Neben Siobhan Clarke, die mit jedem Band der Reihe für Rebus zu einer wichtigeren Partnerin wird, steht allerdings vor allem jemand außerhalb des Gesetzes im Vordergrund: Morris „Big Ger“ Cafferty, Rebus‘ ganz eigener Moriarty.

Nicht selten heißt es ja, dass ein Film nur so gut ist wie sein Bösewicht. Und genau das lässt sich auch für viele Krimi-Serien anwenden, braucht es doch diesen einen Gegenpart auf Augenhöhe, diese ebenbürtige Nemesis, an der sich unser Held reiben und an der er wachsen kann. Ian Rankin versteht es dabei äußerst geschickt, sowohl das Bild des Helden als auch das des typischen Bösewichts zu meiden, was die Beziehung dieser zwei echten Typen umso interessanter macht. Cafferty ist mehr als nur ein Gangster, sondern steht symbolisch für den Felsbrocken, welchen Rebus immer wieder auf den Berg hochrollen muss, nur um ihn am nächsten Tag wieder an dessen Fuße vorzufinden. Er ist dieser eine unnachgiebige Widerstand, gegen den selbst dieser gewiefte Bulle (noch) erfolglos anrennt, aber gleichzeitig auch der Antrieb, es immer wieder zu versuchen. Die Beziehung dieser zwei, sie bekommt in „Verschlüsselte Wahrheit“ nicht nur ein paar neue Perspektiven, sondern gibt auch einen äußerst vielversprechenden Ausblick auf das, was da in den weiteren Bänden noch kommen wird. Weiterhin ganz getreu des ursprünglichen Jekyll und Hyde-Themas, mit dem die Serie einst ihren Anfang nahm.

Mit „Verschlüsselte Wahrheit“ erreicht Ian Rankin einen neuen Reifegrad als Schriftsteller und liefert einen starken „Tartan Noir“ in der Tradition von William McIlvanney ab, der die Vorfreude auf weitere John-Rebus-Romane ganz weit oben hält.

Wertung: 91 von 100 Treffern

einschuss2
  • Autor: Ian Rankin
  • Titel: Verschlüsselte Wahrheit
  • Originaltitel: The Black Book
  • Übersetzer: Ellen Schlootz
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 10.2002
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 384 Seiten
  • ISBN: 978-3442450152