Was unter der Oberfläche liegt …

© Ariadne

Wer sich schon etwas längerer im schattigen Dunstkreis der kriminellen Gasse herumtreibt, wird festgestellt haben, dass es sich bei mir nicht (mehr) um den klassischen Novitäten-Leser handelt, der sich sofort auf die aktuellsten Titel stürzt, was wiederum mehrere Gründe hat.

Zum einen genieße ich es nach meiner Zeit als Buchhändler nicht mehr terminlich unter Druck zu stehen, zum anderen gibt es dort draußen inzwischen so viele gute Blogs, dass eine weitere Rezension zu ein und demselben Buch dann eher eine geringere Aufmerksamkeit zuteil wird – zumal sich diese Besprechungen nicht selten inhaltlich überschneiden. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass ich die Neuveröffentlichungen und ihre Einordnung durch die hiesigen Kritiker des Feuilletons und der Bloggergemeinde nicht verfolge. So ist mir die hohe positive Resonanz zu Tawni O’Dells „Wenn Engel brennen“ nicht verborgen und nachhaltig in Erinnerung geblieben, was nun auch Anlass war, mit etwas zeitlicher Verzögerung, selbst die Lektüre in Angriff zu nehmen.

Schon die Hintergrundgeschichte zur Autorin liest sich durchaus spannend, war doch auch ihr Weg wie der so vieler ihrer Kollegen und Kolleginnen ein anfangs extrem steiniger. Geboren und aufgewachsen in Indiana, Pennsylvania – übrigens im selben Ort wie der Schauspieler James Stewart – war sie das erste Mitglied ihrer Familie, das aufs College ging, um dann später an der Northwestern University ihren Abschluss in Journalismus zu machen. Einem Berufsfeld, dem sie jedoch letztlich wenig abgewinnen konnte, weswegen sich letztlich lieber dem Schreiben von Büchern widmete. Es begann eine persönliche Odyssee. Über dreizehn Jahre hinweg schrieb O’Dell sechs Romane, sammelte dabei über dreihundert Absagen seitens der Verleger, bevor ihr (bisher unübersetztes) Debütwerk „Back Roads“ im Jahr 2000 schließlich doch veröffentlicht und – vor allem dank der Lobpreisungen der bekannten Talkmasterin Oprah Winfrey – zu einem großen Erfolg wird. Seitdem folgten fünf weitere Romane aus ihrer Feder, wobei ihr aktuell letzter, das vorliegende „Wenn Engel brennen“, nun ihren ersten Versuch darstellt, auch im Genre des Kriminalromans Fuß zu fassen. O’Dell, die lange Zeit in Chicago lebte, kehrt dafür, wie im echten Leben, zurück in die alte Heimat.

Das westliche Pennsylvania, die kleine (fiktive) Geisterstadt Campbell’s Run. Hier, einstmals eine Region in der vor allem der Bergbau und die Stahlindustrie florierte, bestimmen heute nur noch Ruinen und Industriebrachen das landschaftliche Bild. Kohle wird seit langer Zeit nicht mehr abgebaut, die Investoren haben sich längst aus dem Staub gemacht, welcher jetzt die verfallenen Gebäude bedeckt. Geblieben ist allein die Armut der Bevölkerung, die, weitestgehend arbeitslos, ein trostloses Dasein im so genannten „Rust Belt“ der USA fristet. Campbell’s Run selbst mussten sie verlassen, brennen doch unterirdisch immer noch viele der alten Kohleflöze – unerreichbar für irgendwelche Gegenmaßnahmen, weswegen ein ganzer Landstrich inzwischen zur gesperrten Zone erklärt wurde. Gemeinsam mit den giften Gasen, welche überall aus den Felsspalten des zerklüfteten Bodens aufsteigen, ersticken sie jegliches Leben im Keim. Doch die Leiche, zu der die fünfzigjährige Polizeichefin des Nachbarorts Buchanan, Chief Dove Carnahan, gerufen wird, wurde weit brutaler aus eben diesem Leben gerissen.

Bei der Toten handelt es sich um die siebzehnjährige Camio Truly, der gewaltsam der Schädel eingeschlagen wurde, um sie anschließend in eine Decke zu hüllen, mit Benzin zu übergießen und in einem der schwelenden Erdlöcher anzuzünden. Carnahan, die mit den wenigen Kollegen ihres Countys sich sonst eher mit pöbelnden Säufern oder Schlägereien herumschlagen muss, ist angesichts dieser Grausamkeit überrascht. Zeitgleich weckt die Art und Weise, wie Truly zu Tode kam, aber auch unerwünschte Erinnerungen, weswegen sie fast froh ist, dass der Fall noch am Tatort von den zuständigen Troopern unter der Führung von Detective Corporal Nolan Greely übernommen wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass Carnahan nicht ihre eigenen Ermittlungen anstellen will. Camio stammt aus dem berüchtigten Truly-Clan, einer in Buchanan berüchtigten Familie, angeführt von der aggressiven Matriarchin Shawna Truly. Und die hat mit Camios Freund, einem Sohn aus gutem, bürgerlichen Hause, den vermeintlichen Mörder längst ausgemacht. Carnahan muss all ihre Erfahrung einsetzen, um die Mauer des Schweigens zu durchdringen und kämpft dabei auch noch an einer weiteren Front, denn während sich die Situation im dem kleinen Ort mehr und mehr zuspitzt, holt sie plötzlich auch die eigene familiäre Vergangenheit wieder ein …

Schon immer liebe ich Whodunits. Ich wollte die Kleinstadtfiguren, für die ich berühmt bin, und ihren Alltag mit den dramatischen Twists und der Spannung des Genres verknüpfen.“

So wird Tawni O’Dell in Else Laudans Vorwort zu „Wenn Engel brennen“ zitiert. Und ich finde es durchaus wichtig, diese Aussage im Hinblick auf die Bewertung dieses Buches zu berücksichtigen, zumal in überproportional vielen Besprechungen dieser Titel mit dem Prädikat „Country Noir“ einem Subgenre zugeordnet wurde, welches sich doch in seinen Eigenschaften vom klassischen Whodunnit durchaus deutlich unterscheidet. Es stimmt zwar, dass O’Dell hinsichtlich des Settings und der Figurenzeichnung in den Fußspuren von Flannery O’Connor, William Gay und Co. wandelt – dennoch halte ich persönlich es für etwas vorschnell, das Werk deswegen im gleichen Zuge noireske Attribute zu attestieren, zumal dies beim etwaigen Leser vielleicht falsche Erwartungen wecken könnte. Man mag nun argumentieren dass der Noir schon immer die Literatur der Krise, das Abbild gesellschaftlicher Verwerfungen und Missstände gewesen ist und die Schattenseiten der Gesellschaft auszuleuchten versucht hat. Und in diesem Sinne müsste entsprechend auch „Wenn Engel brennen“ dieser Kategorie zugeordnet werden. Allein, die Herangehensweise O’Dells an diese Thematik ist doch eine ganz eigene und unterscheidet sich von oben genannten Autoren/innen oder auch anderen bekannten Größen wie William Faulkner oder Tom Franklin.

Ein Malus? Mitnichten, aber durchaus auffällig für Enthusiasten und Kenner des Genres, die sich – bedingt durch Hauptprotagonist und Autorin – an diesen deutlichen weiblicheren Blickwinkel eventuell erst einmal gewöhnen müssen. Nun ist O’Dell weder die erste Frau, die dieses Genre bedient, noch Carnahan der erste weibliche Cop, der sich in der trostlosen Provinz mit einem Mordfall herumschlagen muss. Dennoch empfand ich O’Dells Ansatz als erfrischend anders, weil sie in Bezug auf ihre Figuren weitaus feinfühliger und empathischer vorgeht, es nicht bei den Klischees belässt, sondern direkt hinter die Fassaden schaut. Oder um beim Motiv des Bergbaus zu bleiben, direkt in den Stollen hinabsteigt, um die schwelenden Brände offenzulegen. Ja, auch hier wird uns das ganze Ausmaß des von der Gesellschaft abgehängten White Trash schonungslos dargeboten. Bildungsarmut, fehlende Perspektive, Alkoholismus, Drogenmissbrauch, Vergewaltigung, Inzucht, innerfamiliäre Fehden. Und wie in der TV-Serie „Justified“, so sieht sich auch hier das Gesetz mit einem beinahe undurchdringlichen Geflecht von Abhängigkeiten konfrontiert, welches vor allem von einer festen Regel zusammengehalten wird: „Rede niemals mit den Cops“. Der große, dreckige Hammer, der das alles durcheinander fegt, um für Gerechtigkeit zu sorgen – ihn zieht Tawni O’Dell aber nicht.

Im Kontrast zu ihrem humorlosen Vorgesetzten (und Teilzeitliebhaber), dem unerbittlichen und pragmatischen Trooper Nolan, der jegliche emotionale Verwicklung an seiner verspiegelten Sonnenbrille abprallen lässt, wirkt die Härte von Dove Carnahan berührend menschlich (ich fühlte mich übriges hier desöfteren stark an Sergeant Catherine Cawood aus der TV-Serie „Happy Valley“ erinnert). Geschmiedet in den Ereignissen ihrer eigenen Vergangenheit, hat sie sich einen „Panzer“ zugelegt, der weniger nach außen hin schützen, als vielmehr das eigene Innere am Ausbruch hindern soll. Mit wie viel Fingerspitzengefühl und messerscharfer Beobachtungsgabe – und auch mit wie viel schwarzen Humor – O’Dell ihre Protagonist und ihr engstes Umfeld zum Leben erweckt, das zeugt von großer sprachlicher Qualität. Überhaupt: „Wenn Engel brennen“ entfacht eine Sogwirkung, der man sich schwer entziehen kann und über die man sogar vergisst zu bemerken, dass der eigentliche Mordfall immer wieder aus dem Fokus gerät. Das hat zwar zur Folge, dass nicht alle Wendungen ihre Wirkung wie gewünscht erzielen und der Spannungsbogen zumeist ein eher flacher Hügel bleibt – dem Spaß an der Lektüre tut dies aber keinen Abbruch. Zu tief tauchen wie in die Charaktere hinab, zu eindringlich werden mit dieser tristen Hoffnungslosigkeit konfrontiert, die sich aus einer gesellschaftlichen Isolation speist, die man zwischen den Zeilen zu fühlen glaubt.

Bei all der auf den ersten Blick so offensichtlichen Härte – „Wenn Engel brennen“ ist vor allem eine äußerst sensible, pointierte Milieustudie eines amerikanischen Landstrichs, dessen Bevölkerung sonst stets die ewig gleiche stigmatisierte Rolle zuteil wird, hier aber auf beklemmende und bedrückende Art eine Würdigung erfährt, welche von O’Dells großer Menschenkenntnis zeugt. Kein lupenreiner Country-Noir und schon gar kein Whodunit – aber intensive, wortgewaltige Literatur, welche im Grenzland der Genres seine Heimat findet und auf mehr hoffen lässt. Ein starkes Buch einer Schriftstellerin, die ihr ganzes Repertoire auch hiermit vielleicht noch gar nicht ausgereizt hat. Uneingeschränkte Empfehlung!

Wertung: 84 von 100 Treffern

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  • Autor: Tawni O’Dell
  • Titel: Wenn Engel brennen
  • Originaltitel: Angels Burning
  • Übersetzer: Daisy Dunkel
  • Verlag: Argument/Ariadne Verlag
  • Erschienen: 07/2018
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 352 Seiten
  • ISBN: 978-3867542395

+++ Vorschau-Ticker „Crime“ – Winter 2019/Frühjahr 2020 – Teil 3 +++

Aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Und auch wenn der vorliegende Ticker keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt (eventuell entdecke ich den ein oder anderen Titel erst etwas später), so sollte ich doch nun einen Großteil der – in meinen Augen – verheißungsvollsten Krimis eingefangen haben. Die Chance, dass dabei möglichst viele der aufgeführten Bücher in meinem Regal landen werden, sind zudem recht hoch, denn bei Verlagen wie Pendragon, Ariadne oder Unionsverlag ist man eigentlich grundsätzlich immer auf der sicheren Seite.

Damit ohne weiteres Blabla zu meiner Auswahl. Wie immer freue ich mich auf eure Einschätzung der Liste. Wo schlägt euer Krimi-Herz höher? Und welche Titel habe ich bis jetzt vergessen (Immer gerne her mit den Tipps!)?

  • Giancarlo de Cataldo – Der Agent des Chaos
    • Hardcover, September 2019, Folio Verlag, 978-3852567686, 256 Seiten, 22,00 €
    • Crimealley-Prognose: Nach seiner (auch verfilmten) Mafia-Tetralogie und weiteren im Umfeld des organisierten Verbrechens (u.a. Suburra) angesiedelten Romanen, lässt Der Agent des Chaos mal wieder erfrischende Abwechslung erwarten. 60er Jahre, Woodstock, Auflehnung und Rebellion der Jugend. Und ein Agent Provocateur einer mysteriösen Organisation, welcher die Bewegung im Keim ersticken will. Dazu Sex, Rock ‚N Roll und Drogen. Könnte was werden und macht mich definitiv neugierig.
  • Chris Brookmyre – Dunkle Freunde
    • Taschenbuch, November 2019, Rowohlt Verlag, 978-3499274923, 480 Seiten, 13,00 €
    • Crimealley-Prognose: So regelmäßig wie die Bücher von Chris Brookmyre in Deutschland auf den Markt geworfen werden, so regelmäßig ignoriere ich sie seit Jahren auch. Und langsam stellt sich die Frage: Wieso eigentlich? Immerhin spielt auch Dunkle Freunde wieder mal im von mir geliebten Schottland und auch Protagonist Parlabane ist in Großbritannien längst eine feste Größe. Die Story um eine IT-Rebellin und eine Gruppe Hacker tönt zudem nicht unspannend. Vielleicht sollte ich mir daher endlich einen Ruck geben.
  • Jane Harper – Zu Staub
    • Broschiertes Taschenbuch, Juli 2019, Rowohlt Verlag, 978-3499000980, 384 Seiten, 16,00 €
    • Crimealley-Prognose: Nachdem der zweite Band der Aaron-Falk-Reihe ja doch mitunter zwiespältig aufgenommen wurde (ich habe ihn natürlich noch nicht gelesen), könnte Zu Staub jetzt die Tendenz festlegen, wo die Reise (qualitativ) in Zukunft hingeht. Mir gefällt Harpers trockene, harte und vor allem schnörkellose Sprache, welche die Einsamkeit des kochheißen Outbacks immer plastisch zum Leben erweckt. Ergo: Der dritte Falk wird sicher auch bei mir einziehen.
  • James Lee Burke – Mein Name ist Robicheaux
    • Broschiertes Taschenbuch, Oktober 2019, Pendragon Verlag, 978-3865326584, 464 Seiten, 20,00 €
    • Crimealley-Prognose: Auf der Liste der am heißesten erwarteten Krimi-Titel rangiert dieser ganz weit oben! Mit Mein Name ist Robicheaux bringt der Pendragon Verlag endlich wieder einen bis dato noch unübersetzten Band aus der Reihe um den gleichnamigen Ermittler. Für den absolut unfassbaren Fall, dass also jemand immer noch kein Buch von Großmeister Burke gelesen hat, hier nochmal der dringende Hinweis, dies jetzt unbedingt nachzuholen. Als Bonus gibt es zudem noch die Kurzgeschichte The Wild Side of Life oben drauf. Absoluter Muss-Kauf!
  • Kerstin Ehmer – Die schwarze Fee
    • Broschiertes Taschenbuch, August 2019, Pendragon Verlag, 978-3865326560, 376 Seiten, 18,00 €
    • Crimealley-Prognose: Sie war für mich eine DER Pendragon-Neuentdeckungen der letzten Jahre und hat dennoch meines Erachtens viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Der kleine Verlag aus Bielefeld bräuchte mal wieder einen Verkaufsschlager wie Borrmann. Ehmer hat dafür jegliches Format. Ich kann nur hoffen, dass ihrem zweiten Roman um Kommissar Spiro – an den ich ähnlich hohe Erwartungen habe – mehr Beachtung zuteil wird. Sowohl vom Feuilleton als auch von den Lesern.  An mir soll es jedenfalls nicht scheitern.
  • Chris Hammer – Outback – Fünf tödliche Schüsse
    • Broschiertes Taschenbuch, Juli 2019, Scherz Verlag, 978-3651025721, 496 Seiten, 14,99 €
    • Crimealley-Prognose: Nun ja, die britische und amerikanische Presse überschlägt sich auch bei diesem Thriller mit Superlativen. Und der Scherz Verlag tut das Seinige dazu, um ihn möglichst werbewirksam in Szene zu setzen. Das muss nichts heißen, stößt mir aber immer etwas bitter auf, wenngleich es am Ende wohl Erfolg zeitigen und das Buch Teil meines Regals werden wird. Auch weil die Story irgendwie nach einem Hackberry Holland im Outback klingt und einem nicht oft ein mehrfach mordender Pfarrer begegnet.
  • Gary Disher – Kaltes Licht
    • Hardcover, Juli 2019, Unionsverlag, 978-3293005501, 320 Seiten, 22,00 €
    • Crimealley-Prognose: Weniger Gedanken muss ich mir bei einem weiteren australischen Vertreter machen (Down Under nimmt in diesem Ticker irgendwie viel Platz ein). Gary Disher ist schon lange eine feste, verlässliche Größe. In Kaltes Licht wartet auf den Cold-Cases-Ermittler Alan Auhl eine im Garten vergrabene Leiche, an die sich so gar keiner der mürrischen Bewohner erinnern kann (oder will). Hört sich ein bisschen an wie Rebus in Australien. Und ähnlich wie Rankin, so hat mich auch Disher nie enttäuscht. Umso schöner, dass auch Pulp Master zwe weitere Titel des Autors in der Pipeline hat. Aber dazu mehr an anderer Stelle.
  • Denise Mina – Klare Sache
    • Hardcover, August 2019, Argument/Ariadne Verlag, 978-3867542425, 372 Seiten, 21,00 €
    • Crimealley-Prognose: Denise Mina und Ariadne. Da kommt endlich zusammen, was zusammengehört, denn auch wenn Heyne ja durchaus aktiv für die schottische Autorin geworben hat, irgendwie wollte sie für mich nicht recht in das Programm hineinpassen. Zumal der Klappentext oftmals eine Art Lektüre versprach, welche mit dem Inhalt wenig zu tun hatte, denn Mina steht eben nicht für den gehetzten Vollgas-Thriller, sondern – und das gibt die diesmalige (äußerst verlockende) Beschreibung von Klare Sache treffend wieder – für komplexe, tiefgründige Kriminalliteratur. Muss-Kauf.
  • Tawni O’Dell – Wenn Engel brennen
    • Hardcover, Juli 2019, Argument/Ariadne Verlag, 978-3867542395, 320 Seiten, 21,00 €
    • Crimealley-Prognose: Geisterstädte im ländlichen Pennsylvania. Verwüstete Landstriche. Rednecks. Milieu-Noir. Genug Schlagworte im Klappentext, um die mir bis dato unbekannte Autorin O’Dell nicht nur auf den Merkzettel zu packen, sondern da auch nach ganz weit oben zu schieben. Das könnte – das gute Näschen für außergewöhnliche Literatur von Ariadne im Hinterkopf – ein echter Kracher werden.
  • Dan Kavanagh – Duffy
    • Broschiertes Taschenbuch, August 2019, Kampa Verlag, 978-3311125013,  240 Seiten, 16,90 €
    • Crimealley-Prognose: Die Duffy-Reihe um den gleichnamigen Londoner Private-Eye (in der Tradition von Spade und Marlowe) hatte ich in der Vergangenheit immer mal auf dem Schirm und dann doch wieder Abstand von ihr genommen, da es sich bei Dan Kavanagh um das Pseudonym von Julian Barnes handelt. Und dessen belletristische Werke und ich – nun wir werden wohl in diesem Leben keine Freunde mehr. Aber vielleicht liegen mir seine Krimis ja mehr. Die Wiederentdeckung durch Kampa werde ich daher als Anlass nehmen, Barnes eine weitere, letzte Chance zu geben.
  • Georges Simenon – Die Fantome des Hutmachers
    • Hardcover, August 2019, Kampa Verlag, 978-3311134206, 272 Seiten, 22,90 €
    • Crimealley-Prognose: Auch bei Kampa erscheint diese Neuauflage des früher bei Diogenes veröffentlichten Simenon-Titels. Ein Autor, dessen Maigret-Romane ich sehr schätze und der dennoch zu Lebzeiten zu fleißig war, um überhaupt nur einen geringen Teil seines Werks überhaupt lesen zu können. Der Plot um einen mordenden Hutmacher, der wiederholt in den verregneten Nächten von La Rochelle auf Jagd geht  – was allein sein Nachbar ahnt – lässt aber ein intensives Katz-und-Maus-Spiel erwarten. Hach, und dieses Cover. Ist so gut wie gekauft.
  • Ngaio Marsh – Das Todesspiel
    • Taschenbuch, Oktober 2019, Bastei Lübbe Verlag, 978-3404178919, 240 Seiten, 10,00 €
    • Crimealley-Prognose: Nach mehr als dreißig Jahren feiert auch Ngaio Marshs Inspector Roderick Alleyn sein Comeback auf dem deutschen Buchmarkt. Und die Tatsache, dass Lübbe die Wiederentdeckung mit dem ersten Band der Reihe beginnt, lässt hoffen, dass ich meine alten, in Ehren gehaltenen Goldmann-Ausgaben in Zukunft nach und nach austauschen kann. Für alle die Marsh noch nicht kennen: Die Neuseeländerin gehörte neben Autorinnen wie Agatha Christie, Dorothy L. Sayers und Margery Allingham zu den ganz Großen des Golden Age des Kriminalromans. Und zu denjenigen, die sich, zumindest zu Beginn ihrer Schriftsteller-Karriere, strikt an die Regeln der klassischen Detektivgeschichte hielten. Jedem Freund des Whodunits kann ich daher den Kauf des Buchs nur ans Herz legen.
  • JB Lawless – Tod in der Bibliothek
    • Taschenbuch, Oktober 2019, Kiepenheuer & Witsch Verlag, 978-3462052480, 208 Seiten, 10,00 €
    • Crimealley-Prognose: JB Lawless ist das Pseudonym eines bekannten Autors, über dessen (vermeintlich deutsche?) Identität man Stand jetzt aber nur spekulieren kann. Tod in der Bibliothek dürfte jedenfalls die gleiche Klientel wie Marsh ansprechen, denn klassischer könnte dieser Rätselkrimi kaum daherkommen. Ein eingeschneites Herrenhaus in Irland. Eine illustre Gesellschaft. Ein toter Pfarrer in der Bibliothek. Ergo: Locked-Room-Mystery für eine gemütliche Ohrensessel-Lektüre in der kalten Jahreszeit. Und da ich so etwas zwischendurch immer wieder gerne lese, wird das Buch wohl auch in meine Bibliothek wandern.
  • Matthew Horace mit Ron Harris – Schwarz Blau Blut
    • Broschiertes Taschenbuch, Oktober 2019, Suhrkamp Verlag, 978-3518470152, 270 Seiten, 15,95 €
    • Crimealley-Prognose: Am Ende nochmal ein Titel aus der Ecke True-Crime. Dieser Bericht eines Cops über Rassismus und Polizeigewalt in den USA setzt sich mit einem hochaktuellen Thema auseinander und versucht die Ursache für den all den Hass innerhalb der amerikanischen Gesellschaft zu ergründen. Ein Buch direkt von der Front, von dem ich mir wenig Verklärung, dafür aber mehr Erklärung erwarte, wieso es in den Vereinigten Staaten unter Trump immer öfter zu Toten bei Festnahmen kommt. Oder besser gesagt zu schlichtem, von der Justiz legitimiertem Mord.

 

+++ Vorschau-Ticker „Crime“ – Winter 2018/Frühjahr 2019 – Teil 4 +++

Bevor demnächst schon die Verlagsvorschauen für die Zeit ab Herbst diesen Jahres online gehen, platziere ich hier nochmal ganz schnell hechelnd und außer Atem ein (ungiftiges) Roundup gegen unkrautartige Mainstream-Literatur. Wie schon im vorherigen Ticker, so liegen auch viele Titel dieser Liste schon längst in den Buchhandlungen aus, so dass der „News“-Wert meiner Auswahl zwar gegen null tendiert, aber vielleicht doch noch jemand da draußen zum Kauf animiert werden kann. Und wer weiß, eventuell ist gar manches Buch vorher komplett unter dem Radar geflogen.

Der ein oder andere wird möglicherweise nach dem neuen McKinty oder den angekündigten Pulp-Master-Titeln von Ted Lewis und Les Edgerton suchen. Ersteren habe ich bewusst außen vorgelassen, da ich, trotzdem ich den Autor äußerst schätze, der behandelten Thematik von The Chain einfach überdrüssig bin. Frank Nowatzkis neue Highlights (Der Lewis‘ Titel ward allerdings bereits schon mal im Rahmen von Lübbes „Schwarzer Reihe“ erschienen) werden, meiner Erfahrung nach, nicht mehr dieses Jahr das Licht der Welt erblicken.

So, und damit zu den von mir favorisierten Büchern. Was spricht euch an? Was habe ich vergessen?

  • Attica Locke – Bluebird, Bluebird
    • Hardcover, Februar 2019, Polar Verlag, 978-3945133712, 280 Seiten, 20,00 €
    • Crimealley-Prognose: Krimi-Bestenliste Platz 1., Edgar Award 2018, Ian Fleming Steel Dagger 2018. Und dann diese Geschichte um einen afroamerikanischen Texas-Ranger, der im Milieu von Drogenhandel und Aryan Brotherhood ermittelt. Attica Lockes moderne Version von Virgil Tibbs kann und darf ich mir gar nicht entgehen lassen. Auf dieses Buch freue ich mich richtig!
  • David Joy – Wo alle Lichter enden
    • Hardcover, März 2019, Polar Verlag, 978-3945133798, 300 Seiten, 20,00 €
    • Crimealley-Prognose: Im Schatten von Bluebird, Bluebird kommt mir dieser Polar-Titel irgendwie ein bisschen zu kurz, thematisiert doch auch Joy den abgehängten Teil der amerikanischen Gesellschaft. Aus aktuellem Anlass fühle ich mich bei der Kurzbeschreibung um das väterliche Crystal-Meth-Geschäft in North Carolina an die Serie Justified erinnert. Ob es Jacob Neely es wie Raylan Gives schafft, nicht in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und der kriminellen Tretmühle zu entkommen, möchte ich unbedingt nachlesen.
  • John Steele – Ravenhill
    • Hardcover, Mai 2019, Polar Verlag, 978-3945133774, 448 Seiten, 20,00 €
    • Crimealley-Prognose: Spätestens ab dem dritten Polar-Titel wird mir einmal mehr klar, was für ein Geschenk Wolfgang Franßens Verlag für die hiesige Krimi-Landschaft darstellt. Auch dank McKinty ist mein Interesse an dem Nordirland-Konflikt (der ja durch einen Brexit durchaus wieder aufflammen könnte) noch angewachsen und ich freue mich über jegliche Art von Spannungsliteratur, die sich dieses Themas annimmt. Ravenhill tönt äußerst vielversprechend und wird natürlich auch gekauft.
  • Estelle Surbranche – Nimm mich mit ins Paradies
    • Hardcover, Juni 2019, Polar Verlag, 978-3945133750, 350 Seiten, 20,00 €
    • Crimealley-Prognose: Mit Nimm micht mit ins Paradies macht der Polar Verlag schließlich das Quartett voll, denn auch der vierte Titel des Halbjahresprogramms wird mit Sicherheit in meinem Regal landen. Und das obwohl wir es hier wieder mit einer Art „Serienmörder“ zu tun haben. Aber bei Surbranche stehen die Chancen ziemlich gut, dass das alles andere als gewohnte Kost werden wird.
  • James Sallis – Willnot
    • Hardcover, Februar 2019, Liebeskind Verlag, 978-3954381029, 224 Seiten, 20,00 €
    • Crimealley-Prognose: Ich bin ein bisschen irritiert über die bisherigen Besprechungen, denn in das ganz große Lobeshorn scheint noch keiner blasen zu wollen. Kaum vorstellbar, war für mich Sallis eigentlich immer eine sichere Bank. Nur wenige beherrschen das große Spiel auf so kleinem Raum so perfekt wie er. Da ich lange auf Nachschub aus seiner Feder gewartet habe und er ja schließlich auch noch bei Liebeskind erscheint – natürlich gekauft.
  • James M. Cain – Mildred Pierce
    • Hardcover, Februar 2019, Arche Verlag, 978-3716027745, 416 Seiten, 22,00 €
    • Crimealley-Prognose: Nach Wenn der Postmann zweimal klingelt erscheint in relativer kurzer Zeit schon die nächste Wiederauflage eines Cain-Klassikers. Und ich würde (trotz größerer Bekanntheit des erstgenannten) fast behaupten, DEM Cain-Klassiker, hat doch die Figur Mildred Pierce zum damaligen Zeitpunkt das bis dato vorherrschende Frauenbild gleich um eine Vielzahl von interessanten (und dringend überfälligen!) Facetten erweitert. Eine heiß erwartete Wiederentdeckung, auch weil meine alte Goldmann-Ausgabe langsam in ihre Bestandteile zerfällt.
  • James Lee Burke – Sumpffieber
    • Broschiertes Taschenbuch, April 2019, Pendragon Verlag, 978-3865326454, 464 Seiten, 18,00 €
    • Crimealley-Prognose: Eigentlich möchte ich an dieser Stelle diese zwei folgenden Titel gar nicht mehr erwähnen müssen, bedeutet es doch, dass manch einer immer noch keinen James Lee Burke gelesen hat oder diesen, noch schlimmer, gar nicht kennt. Inwieweit Pendragons Wirken an Burkes Gesamtwerk sich finanziell rentiert, kann ich nur vermuten, aber da ich mir über Jahre im Kriminalbereich nichts mehr als die Rückkehr von Robicheaux herbeigesehnt habe, wird jede weitere Veröffentlichung entsprechend heiß erwartet und unterstützt. Zwar handelt es sich bei Sumpffieber und Nacht über dem Bayou, „nur“ um Neuauflagen. Das sollte aber keinen Liebhaber literarischer Feinkost im Spannungsgewand vom Kauf abhalten.
  • James Lee Burke – Nacht über dem Bayou
    • Broschiertes Taschenbuch, Januar 2019, Pendragon Verlag, 978-3865326454, 456 Seiten, 18,00 €
    • Crimealley-Prognose: Hier gilt dasselbe wie für Sumpffieber. Kaufen und Lesen!
  • Alan Parks – Tod im Februar
    • Broschiertes Taschenbuch, Oktober 2019, Heyne Hardcore Verlag, 978-3453271982, 400 Seiten, 16,00 €
    • Crimealley-Prognose: Glasgow in den 70ern, Übersetzung von Conny Lösch, verlegt bei Heyne Hardcore, Band zwei der Reihe um Harry McCoy. Nuff‘ said.
  • Ross Thomas – Der Fall in Singapur
    • Broschiertes Taschenbuch, Mai 2019, Alexander Verlag, 978-3895814990, 250 Seiten, 16,00 €
    • Crimealley-Prognose: Thomas‘ einziger Mafia-Roman wird, wie alle anderen Titel der schmucken Alexander-Edition, natürlich ebenfalls von mir gekauft. Trotz des nun schon jahrelangen Wirken des Verlags ist der Autor zwar immer noch für viele ein weitgehend Unbekannter, aber wie sagt man so schön: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Oder in diesem Fall ERbricht, denn vielleicht hängt ja dem ein oder anderen irgendwann doch die Fast-Food-Literatur aus dem Hals raus und gibt dann diesem Meister der politischen Spannung endlich die langverdiente Chance.
  • Jürgen Heimbach – Die Rote Hand
    • Hardcover, Februar 2019, weissbooks Verlag, 978-3863371777, 330 Seiten, 22,00 €
    • Crimealley-Prognose: Frankfurt in den 50er Jahren, Jazz und dunkle Straßen. Ein Hauch Noir. Dieser Titel wäre mir fast durch die Lappen gegangen, aber gottseidank nur fast, denn Heimbach, den mancher eventuell durch seine bei Pendragon erschienene Trilogie kennt, ist ein weiterer Vertreter der Sparte „höchstbegabt, aber schmählich vernachlässigt“. Ein Buch – und auch ein Verlag – dem ich möglichst viel Leser und positives Feedback wünsche.
  • Graham Moore – Der Mann, der Sherlock Holmes tötete
    • Hardcover, Februar 2019, Eichborn Verlag, 978-3847900382, 480 Seiten, 22,00 €
    • Crimealley-Prognose: Es ist weniger die Kurzbeschreibung, die mich hier triggert, sondern naturelement der größte Detektiv aller Zeiten, Sherlock Holmes, sowie dessen Schöpfer Arthur Conan Doyle. Ich erwarte mir bei Der Mann, der Sherlock Holmes tötete keine Neuerfindung des hakennasigen Schnüfflers mit der Bruyère-Pfeife, möchte meine Sammlung aus Pastichés aber gerne weiter vervollständigen.
  • Don Winslow – Jahre des Jägers
    • Hardcover, Februar 2019, Droemer Verlag, 978-3426282199, 992 Seiten, 26,00 €
    • Crimealley-Prognose: Der voraussichtliche Abschluss der Kartell-Saga, von der ich weiterhin bisher nur Tage der Toten gelesen habe, erinnert mich daran, mich endlich mal wieder dem Herrn Winslow zu widmen. Ungeachtet seiner qualitativen Ups and Downs der letzten Jahre. An diesem Buch kommen wohl die meisten nur schwer vorbei.
  • Christof Weigold – Der blutrote Teppich
    • Broschiertes Taschenbuch, April 2019, Kiepenheuer & Witsch Verlag, 978-3462051414, 640 Seiten, 16,00 €
    • Crimealley-Prognose: Auch wenn es mir etwas auf den Senkel geht, dass man schon bei Band zwei wieder das Format ändert. Weigolds nächster Ausflug ins Hollywood der 20er – und damit ins Seeting des großen Raymond Chandler – wird ebenfalls heiß erwartet. Femme Fatale, Noir – verflucht, da kann ich dann auch einfach nicht anders.
  • Nico Walker – Cherry
    • Hardcover, April 2019, Heyne Hardcore Verlag, 978-3453271975, 384 Seiten, 22,00 €
    • Crimealley-Prognose: Ob Cherry die Kirsche auf der Sahne des Heyne Hardcore Programms für dieses Halbjahr sein wird, dies bleibt abzuwarten. Die Geschichte um den traumatisierten Irak-Heimkehrer, der aufgrund einer Drogensucht in die Welt des Verbrechens abdriftet – sie ist zwar keine neue, bietet aber viel Potenzial in den Händen des richtigen Schreibers. Ob Walker ein solcher ist, davon werde ich mich selbst überzeugen müssen.
  • Christine Lehmann – Die zweite Welt
    • Broschiertes Taschenbuch, Februar 2019, Argument/Ariadne Verlag, 978-3867542371, 256 Seiten, 13,00 €
    • Crimealley-Prognose: Ein neuer Lisa-Nerz-Roman ist immer eine gute Nachricht, war mir zu meiner Schande aber bis dato in den Tickern noch gar keine Erwähnung wert. Was sich hiermit ändert, zumal Lehmanns neuer Roman über ein angekündigtes Blutbad bei einer Demo in Stuttgart eine spannende Ausgangsposition verspricht. Und auch die Idee, die komplette Handlung an einem Tag spielen lassen, ist bei einer so versierten Autorin wie Christine Lehmann sicher in den besten Händen.
  • Michelle McNamara – Ich ging in die Dunkelheit
    • Hardcover, August 2019, Atrium Verlag, 978-3855350605, 432 Seiten, 24,00 €
    • Crimealley-Prognose: Kurz vor Veröffentlichung dieses Tickers wurde ich noch auf diesen Titel aufmerksam, dessen True-Crime-Hintergrund mich sogleich hellhörig gemacht hat. Michelle McNamaras Aufarbeitung der kalifornischen Mordserie von 1976 bis 1986 wird definitiv gelesen – auch wenn ich die Details des Falls (und damit auch die Identität des Mörders) bereits kenne. Bei denjenigen, wo dies nicht der Fall ist, könnte die Lektüre natürlich nochmal definitiv mehr lohnen.

 

+++ Der Vorschau-Ticker – Frühjahr/Herbst 2018 – Teil 7 +++

Auf den letzten Drücker nun der letzte Ticker – zumindest was den Spannungsroman anbelangt, denn wer unsere kriminelle Gasse schon etwas länger kennt, weiß, dass wir auch abseits von Thriller, Whodunit und Co. allzu gerne wildern und dementsprechend für die Belletristik ebenfalls eine Auswahl unserer interessantesten Titel präsentieren werden. Doch vorher stecken wir die Nase wie gesagt nochmal in die dunklen Ecken der Literatur. Und das vielleicht sogar ganz unter der Prämisse „Das Beste kommt zum Schluss“, denn was Pendragon, Liebeskind, Ariadne/Argument und Alexander in ihren Vorschauen auffahren, unterstreicht einmal mehr, dass die Kleinen beim Auge für herausragende Kriminalromane den Großen so langsam den Rang abgelaufen haben.

Beispielhaft dafür steht vor allem Wallace Stroby. Für mich die bis dato größte Entdeckung von Günther Butkus, denn sowohl „Kalter Schuss ins Herz“ als auch „Geld ist nicht genug“ wussten nachhaltig beeindrucken. Mehr noch: Hier hat sich jemand längst in den engsten Kreis meiner Lieblingsautoren geschrieben. Auch weil Serien-Anti-Heldin Crissa Stone nicht bereits ausgelatschte Pfade betritt, sondern ihren ganz eigenen Charakter mit in das Genre bringt. Knallhart und doch verletzlich. Berechnend und doch auch loyal. Die Zerrissenheit zwischen dem, was das Herz sagt und was es erfordert, um ein Verbrechen zu begehen – dies macht Stone einzigartig. Dementsprechend freue ich mich unheimlich auf „Fast ein guter Plan„. Und lege hier jedem nochmal nah, den Einstieg in diese Reihe unbedingt zu wagen!

Wer jetzt die beiden James Lee Burke-Titel näher betrachtet und denkt „Moment mal, das sind doch keine Neuerscheinungen!“, der hat durchaus recht. Mit „Im Schatten der Mangroven“ und „Im Dunkel des Deltas“ spendiert uns der Pendragon Verlag zwei Neuauflagen – allerdings zwei auf die viele Burke-Fans, und natürlich auch ich selbst, lange gewartet haben, denn erstens werden mit den beiden Titeln innerhalb der Reihen-Chronologie weitere Lücken geschlossen, zweitens gehört insbesondere „Im Dunkel des Deltas“ zum Besten, was der ohnehin nicht für Rohrkrepierer bekannte James Lee Burke zu Papier gebracht hat. Und auch wenn sich beim ein oder anderen inzwischen eine gewisse Übersättigung angesichts der vielen Veröffentlichungen eingestellt hat – es lohnt. Außerdem bedarf es der anhaltenden Unterstützung, damit Günther Butkus sein Projekt, alle Robicheaux-Bände zu bringen, auch stemmen kann.

Mit „Red Grass River“ von James Carlos Blake geht diesmal der Liebeskind-Verlag ins Rennen (weitere Titel des Verlages haben es in unsere Belletristik-Auswahl geschafft). Als Jochen König, Susanne Fink und ich uns im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse über das kommende Programm unterhalten haben, wurde mir einmal klar, wieviel dieses vergleichsweise kleine Verlagshaus in den letzten Jahren richtig gemacht hat. Und vor allem warum. Jürgen Christian Kill, Susanne Fink und Marion Hertle sind die Trüffelschweine in diesem Geschäft. Woran andere achtlos vorbeilaufen, das wird hier nicht nur ansprechend in Szene gesetzt und hervorragend lektoriert, sondern schafft auch meist das Kunststück, prägend in Erinnerung zu bleiben. Carlos Blake ist dies bereits mit zwei knallharten Western gelungen. Nun geht es in das Florida der Prohibitionszeit. Wer mich kennt, der weiß, dass ich hier zugreifen muss.

Etwas das ich jetzt endlich auch bei Denise Mina zu tun gedenke, deren bisher bei Heyne erschienene Bücher ich all die Jahre – trotz lobpreisender Kritiken im Feuilleton – links liegen gelassen habe. Warum? Schwer zu sagen. Mit Autoren wie u.a. Ian Rankin, Mark Billingham oder Zoe Beck hat sie gleich mehrere von mir geschätzte Unterstützer – und dennoch setzte bereits meist bei der Lektüre des Klappentextes das Stirnrunzeln ein. Irgendwie wurden da dann doch die richtigen Knöpfe eben nicht gedruckt. Da die gute Zoe aber diesmal selbst für die Übersetzung verantwortlich zeichnet (und schon in Karan Mahajans „In Gesellschaft kleiner Bomben“ einen wortwörtlichen Bombenjob gemacht hat) und es mich derzeit noch mehr als sonst gen Schottland (Warum, dazu bald mehr hier) ziert, wandert „Blut Salz Wasser“ im April ins Regal. Schön übrigens, dass Ariadne/Argument jetzt hier das Ruder übernommen hat (wobei Frau Beck sicher auch hier ihre Finger im Spiel hatte 8-) ). Besser kannst du als Krimi-Autorin kaum aufgehoben sein.

Im selben Verlag erscheinen seit Jahren auch die Bücher von Dominique Manotti, über die ich an dieser Stelle gar nicht allzu viele Worte verlieren will, sollte die Qualität der bisher veröffentlichten Titel doch für sich sprechen. Mehr am Puls der Zeit kann Kriminalliteratur kaum sein. Und unter die Haut gehender und sprachlicher beeindruckender wohl ebenso nicht. „Kesseltreiben“ ist ein absoluter Muss-Kauf. Jedem, der Manotti immer noch nicht kennt, empfehle ich zudem, diese Lücke schnellstmöglich zu schließen.

Ein Statement, das sich eins zu eins für Ross Thomas übernehmen lässt, den der Alexander Verlag seit Jahren in einer eigenen Edition wiederveröffentlicht und dem deutschsprachigen Publikum damit nach und nach den für mich besten Politthriller-Autoren zugänglich macht. Wie alle anderen Werke, so wandert auch „Wenn du nicht brav sein kannst“ in mein Regal.

Was könnte euch aus dieser Liste in Versuchung bringen?

  • Wallace Stroby – Fast ein guter Plan (Broschiertes Taschenbuch, Februar 2018 – Pendragon Verlag – 978-3865326072)
  • Inhalt: Eine halbe Million Dollar aus Drogendeals, bewacht von drei skrupellosen Kerlen mit automatischen Waffen. Für die Berufsverbrecherin Crissa Stone und ihr Team gehört der Raub des Geldes noch zu den einfachsten Übungen. Als das Aufteilen der Beute schiefgeht, entkommt Crissa dem Kugel­hagel allerdings nur knapp. Mit einem Seesack voll gestohlenem Geld befindet sie sich auf der Flucht.
    Gejagt wird sie von brutalen Handlangern eines Drogenbosses und einem ehemaligen Cop aus Detroit, der seine eigenen tödlichen Pläne verfolgt. Crissa will ihnen das Geld auf keinen Fall überlassen. Auch als sie und ein Kind in Lebensgefahr geraten und ihre Verfolger sie in die Enge treiben, kämpft Crissa weiter.
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© Pendragon

  • James Lee Burke Im Schatten der Mangroven (Broschiertes Taschenbuch, April 2018 – Pendragon Verlag – 978-3865326027)
  • Inhalt: In den Atchafalaya-Sümpfen ist ein jahrzehntealtes Skelett aufgetaucht. Das jedenfalls behauptet der große Filmstar Elrod Sykes. Detective Dave Robicheaux schenkt der Geschichte zunächst keine Beachtung. Denn er hält es für fraglich, ob Sykes, der für seine Trunksucht bekannt ist, tatsächlich ein menschliches Skelett gefunden hat. Doch dann gerät Robicheaux ins Grübeln: Vor 35 Jahren war er in den Sümpfen Zeuge eines kaltblütigen Mordes an einem Schwarzen. Der Mörder konnte allerdings nie identifiziert werden und auch die Leiche wurde nie gefunden. Robicheaux entschließt sich, den alten Fall noch einmal aufzurollen. Eine Spur führt ihn direkt zu einem Schulfreund.
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© Pendragon

  • James Lee Burke – Im Dunkel des Deltas (Broschiertes Taschenbuch, Mai 2018 – Pendragon Verlag – 978-3865326034)
  • Inhalt: Seit über hundert Jahren lebt die schwarze Farmerfamilie Fontenot auf einer Plantage in der Nähe von New Orleans. Doch jetzt will man sie von dem gepachteten Stück Land vertreiben. Detective Dave Robicheaux kümmert sich darum und stößt auf die zwielichtigen Machenschaften des Giacano-Clans. Schnell verstrickt er sich selbst in das wirre Geflecht der undurchsichtigen Verbindungen. Erste Anhaltspunkte findet er in einem Notizbuch, das ihm Sonny Boy Marsallus, ein Dealer und Spieler zwischen den Fronten, auf der Flucht vor dem Clan anvertraut. Bald fließt das erste Blut …
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© Pendragon

  • James Carlos Blake – Red Grass River (Hardcover, Februar 2018 – Liebeskind Verlag – 978-3954380879)
  • Inhalt: John Ashley und Bobby Baker sind Todfeinde. Der eine, Spross einer Familie von Schwarzbrennern, ist der berühmteste Schmuggler und Bankräuber im Florida der Prohibitionszeit. Der andere, Gesetzeshüter aus einer Familie von Gesetzeshütern, treuer Ehemann und liebevoller Vater, verkörpert für viele Recht und Ordnung in einer florierenden Wohlstandsgesellschaft, die ihre archaischen Wurzeln vergessen machen will. Doch niemand ist der, der zu sein er vorgibt, und das Recht ist nicht immer auf der Seite des Gesetzes. Besonders, wenn die Mafia aus Chicago nach Florida drängt, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Immer wieder kreuzen sich die Wege von John Ashley und Bobby Baker, gewaltsam und unvermeidlich, bis einer von beiden in einem Hinterhalt auf dem Dixie Highway in Richtung Jacksonville zu Boden geht …
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© Liebeskind

  • Denise Mina – Blut Salz Wasser (Hardcover, April 2018 – Argument/Ariadne Verlag – 978-3867542302)
  • Inhalt: Iain Fraser stammt aus Helensburgh. War lange weg, eine Haftstrafe absitzen. Jetzt ist er zurück. Und muss tun, was sein Boss von ihm erwartet, egal wie, egal was. Aber eine arglose Frau zu töten ist verdammt finster. Das wird Iain nicht mehr los. Inzwischen steht Detective Inspector Alex Morrow vor einem Rätsel. Die von der Polizei überwachte Roxanna Fuentecilla ist verschwunden – sehr peinlich, zumal die Spanierin in einen Fall von Wirtschaftskriminalität verwickelt ist, der dem frisch verschlankten Budget der zuständigen Ermittlungsabteilung helfen sollte. Die Leiche, die im Loch Lomond treibt, ist jedoch nicht die der Gesuchten. Morrow hat also zusätzlich einen Mordfall am Hals. Und der führt sie nach Helensburgh …
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© Ariadne

  • Dominique Manotti – Kesseltreiben (Hardcover, Mai 2018 – Argument/Ariadne Verlag – 978-3867542319)
  • Inhalt: Commandant Noria Ghozali, 25 Berufsjahre bei der Polizei, zuletzt in der Terrorbekämpfung des französischen Inlandsgeheimdiensts, fällt in Ungnade, als ihr jüngerer Bruder nach Syrien in den Djihad zieht, und wird in die randständige Abteilung »Unternehmenssicherheit« versetzt. Dort verfolgt man aktuell die Aktivitäten um den ­Orstam-Konzern, französischer Weltmarktführer im Kraftwerksbau von natio­naler strategischer Bedeutung. Am Flughafen JFK wird ein Orstam-Manager verhaftet – Vorwurf: Bestechung beim Indonesiengeschäft. Eine konzertierte Aktion von amerikanischer Justiz, CIA, NSA und Unternehmerkreisen?
    In Paris bleibt es seltsam still: Der Orstam-Chef hüllt sich in Schweigen, die Regierung bleibt untätig. Ein interessierter Konkurrent, die amerikanische Power Energy, streckt bereits seine Finger nach Orstam aus. Während Noria Ghozali und ihr Team Bericht auf Bericht schreiben, die ihre Ansprechpartner in der Regierung vollkommen kalt lassen, rückt bei Orstam die entscheidende Aktionärsversammlung näher. Mit Anreizen, Manipulation und Erpressung sucht Power Energy gewisse Orstam-Mitarbeiter ins Boot zu holen oder unschädlich zu machen …
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© Ariadne

  • Ross Thomas – Wenn du nicht brav sein kannst (Broschiertes Taschenbuch, April 2018 – Alexander Verlag – 978-3895814761)
  • Inhalt: Wer hat den Millionär und Senator Robert F. Ames mit 50.000 Dollar bestochen und dann seine Tochter ermordet? Warum hat er seine Frau verlassen, um mit einem wesentlich jüngeren Callgirl in einem Watergate-Appartement zu leben? Trieb ihn ein Erpresser in diesen Skandal? Das soll der Historiker und Korruptionsspezialist Decatur Lucas für Frank Size, Inhaber einer gefürchteten Presseagentur in Washington, herausfinden.
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© Alexander Verlag

+++ Der Vorschau-Ticker – Winter/Frühjahr 2016/2017 – Teil 5 +++

Jedes halbe Jahr geht mir beim Sichten der Verlagsvorschauen derselbe Gedanke durch den Kopf: „Diesmal sind aber nicht so viele interessante Bücher dabei.“ Bis mir dann aufgeht, dass ich dieses und jenes Verlagshaus wieder mal komplett vergessen habe. Und die anfänglich übersichtliche Liste wächst dann doch wieder langsam und stetig zu einem mehrseitigen Wunschzettel an, bei dem sich beinahe ein Besuch beim Buchbinder lohnen würde. Ein weiterer Grund, warum ich das Tempo hier etwas anziehen und den nächsten Vorschau-Ticker auf den Weg bringen muss. Wie versprochen dieses Mal wieder mit dem Hauptaugenmerk auf den weitläufigen Bereich des „Krimis“.

Den Anfang machen zwei Titel aus Frank Nowatzkis Verlag Pulp Master, der es seit Jahren immer wieder aufs Neue schafft, Autoren auszugraben, von denen man zumeist vorher nie etwas gehört hat und die doch jedes Mal auf ganzer Länge (und nicht selten in der Magengrube) einschlagen, so dass man sich unwillkürlich fragt: Verdammt, warum habe ich von dem eigentlich noch nie etwas gehört?  Franks goldenes Händchen für den besonderen „Hardboiled“ und „Pulp“ wird mir jedenfalls langsam unheimlich, denn auch die kommenden Titel hören sich stark danach, als müsste ich sie kaufen und lesen.

Mit „Hitze“ erscheint nach längerer Durststrecke endlich wieder ein Roman aus der „Wyatt“-Reihe. Das allein ist Kaufargument genug. Und wer die Reihe noch nicht kennt, sollte dies spätestens jetzt dringend nachholen, denn der australische „Parker“ ist immer eine Lektüre wert. Les Edgerton dagegen ist für mich bis jetzt ein unbeschriebenes Blatt. In diesem Juni soll bei Pulp Master mit „Der Vergewaltiger“ der erste Titel in deutscher Übersetzung erscheinen. Und wie bei diesem, so scheinen auch in „Primat des Überlebens“ Knackis eine größere Rolle zu spielen. Knast, Gangster, Lug und Betrug. Klingt großartig, klingt genau nach der Art schroff-kantiger Literatur, die ich gern lese. Die Veröffentlichungstermine sind allerdings – wie immer bei Pulp Master – mit Vorsicht zu genießen. Nowatzki nimmt sich bei seinem Ein-Mann-Projekt die Zeit, die er braucht. Und wie heißt es so schön: Gut Ding muss Weile haben.

Mit „No one rides free“ von Larry Beinhart feiert ein alter Bekannter (früher bei Rowohlt) sein Comeback auf dem deutschen Buchmarkt, was mich wiederum sehr freut. Wenngleich ich verwundert bin, dass Emons für die Wiederveröffentlichung unter dem originalen Titel verantwortlich zeichnet. Sonst eher für regionale Krimis ausgelegt, scheint man unter dem Schlagwort „Emons: Vintage Crime“ – so zumindest lässt der Name vermuten – nun auch ältere Krimi-Titel (Andrew Vachss, Derek Raymond und Stephen Greenleaf, wenn ich bitten darf!) ins Blickfeld zu nehmen. Überhaupt sieht es derzeit nach einer Retro-Welle aus: George V. Higgins, Donald E. Westlake, Lawrence Block und natürlich James Lee Burke. Die „alte Garde“ mischt seit ein paar Jahren wieder ordentlich im Krimi-Becken mit. Gut und weiter so!

Nun kommen zwei Titel, bei denen mir das Warten auf die Veröffentlichung noch schwerer fallen wird. „Zeit der Finsternis“ von Malla Nunn ist ein absoluter Muss-Kauf. Ihre Cooper-Serie im Südafrika der 50er Jahre gehört meines Erachtens zum Besten was der „Hardboiled“ derzeit bietet. Man kann der Autorin nur wünschen, dass sie hierzulande so viele Leser wie möglich findet, damit Argument/Ariadne – wie schon bei Manotti – am Drücker bleibt bzw. bleiben kann. Da ist sie jedenfalls in allerbesten Händen.

Auf die Übersetzung von Tom Boumans „Auf der Jagd“ hatte ich die ganze Zeit gehofft. Nicht nur weil der Autor aktueller Edgar-Award-Preisträger ist, sondern die bisherigen Kritiken in Verbund mit der Inhaltsbeschreibung große Krimi-Literatur erwarten lassen. Lassen wir uns überraschen, ob das Buch den Vorschusslorbeeren gerecht wird. Ich freue mich in jedem Fall drauf!

Und welcher Titel regt euer Interesse an?

  • Garry Disher – Hitze (Taschenbuch, Juni 2017 – Pulp Master – 978-3927734951)
  • Inhalt: Wyatt sondiert mal wieder die Möglichkeiten. Eine Bank wäre toll oder ein Geldtransporter. Doch soll er sich deswegen mit dreisten, jungen Idioten und
    Meth-Köpfen einlassen? So groß ist seine Verzweiflung dann doch nicht, zumal ihm ein Broker in Queensland einen One-Man-Job anbietet. Ein flämisches Gemälde aus dem 16. Jahrhundert – von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs erbeutet – sei
    im Erholungsort Noosa, in der sengenden Hitze der Sunshine Coast im Haus eines Pädophilen aufgetaucht und eine israelische Auftraggeberin biete viel Geld dafür. Ganz nach Wyatts Geschmack, denn er kann den Coup in Eigenregie ausbaldowern …
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(c) Pulp Master

  • Les Edgerton – Primat des Überlebens (Taschenbuch, November 2017 – Pulp Master – 978-3927734937)
  • Inhalt: Jake Bishop ist voll resozialisiert und träumt gemeinsam mit seiner Frau Paris den amerikanischen Traum, der sich als eigener Friseursalon materialisieren soll. Doch seine kriminelle Vergangenheit holt Bishop ein, und zwar in Gestalt seines ehemaligen Zellenkumpels Walker, der ihm im Knast das Leben rettete und nun, frisch entlassen, im Gegenzug etwas Starthilfe einfordert. Sich des über seinem Kopfe schwebenden Damoklesschwertes bewusst – einer bei der nächsten Verurteilung anstehenden lebenslangen Haftstrafe –, lehnt Jake entschlossen ab. Doch der Auftraggeber im Hintergrund hat Jakes Schwachstelle längst ausgemacht und zwingt ihn, den Einbruch bei einem lokalen Juwelier durchzuziehen …
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(c) Pulp Master

  • Larry Beinhart – No one rides free (Broschiert, Januar 2017 -Emons – 978-3954517718)
  • Inhalt: Privatdetektiv Tony Cassella soll die Aussage eines Anwalts aufnehmen, der über die miesen Machenschaften seines eigenen Berufsstands auspacken will. Doch dazu kommt es nicht, denn der Mann liegt tot auf einem Parkplatz. Tony muss die Lügen der Vergangenheit aufdecken und die ehrenwerten Männer, die jeden Preis zu zahlen bereit sind, um die Vergangenheit ruhen zu lassen, aus dem von ihnen bevorzugten Halbdunkel ans Licht der Öffentlichkeit zerren.
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(c) emons

  • Malla Nunn – Zeit der Finsternis (Broschiert, September 2016 – Ariadne/Argument – 978-3867542173)
  • Inhalt: Im zutiefst korrupten Apartheidstaat Südafrika geht das Jahr 1953 zu Ende. Fünf Tage vor Weihnachten wird im Johannesburger Villenviertel ein weißes Ehepaar überfallen und bewusstlos geprügelt. Dann verschwinden die Täter mit dem neuen Automobil der Familie Brewer. Die fünfzehnjährige Tochter Cassie hatte sich versteckt und blieb unversehrt. Der Vater erliegt noch in derselben Nacht seinen Verletzungen. Detective Sergeant Emmanuel Cooper hat sich nach Johannesburg versetzen lassen, um hier mit seiner heimlichen Familie ein Doppelleben zu führen, von dem keiner seiner Kollegen etwas ahnen darf, schon gar nicht sein argwöhnischer Vorgesetzter Lieutenant Walter Mason. Andernfalls droht Cooper Berufsverbot und Gefängnis, ganz zu schweigen von den Repressalien, die seine farbige Frau und ihre kleine Tochter zu erwarten hätten: Die assentrennungsgesetze sind gnadenlos. Er muss also extrem behutsam lavieren.Die traumatisierte Cassie Brewer sagt aus, für die Bluttat seien zwei Zulu-Jungs verantwortlich, die auf die Förderschule in Sophiatown gehen und von ihrem Vater zum Dinner eingeladen wurden. Zu Coopers Entsetzen ist einer davon Aaron Shabalala, der jüngste Sohn seines besten Freundes und Ermittlungskollegen Detective Constable Samuel Shabalala. Undenkbar! Als das vermisste Auto­mobil fast unversehrt im Slum von Sophiatown gefunden wird, im Kofferraum zusätzliches Belastungsmaterial gegen Aaron Shabalala, schwant Cooper, dass jemand den Jungen als Sündenbock benutzt. Dann zieht Lieutenant Mason ihn von der Ermittlung ab, schickt ihn vorzeitig in Urlaub. Cooper kann jetzt nur noch inoffiziell weitermachen, ein gewagtes Spiel, zumal offenbar jemand Mächtiges die Fäden in der Hand hält. Aber das ist er Shabalala schuldig – und seinem eigenen Gewissen.
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(c) Ariadne/Argument

  • Tom Bouman – Auf der Jagd (Hardcover, Januar 2017 – ars vivendi – 978-3867542173)
  • Inhalt: „In der Nacht, bevor wir die Leiche fanden, konnte ich nicht schlafen.“ So beginnt die Geschichte des US-Dorfpolizisten Henry Farrell, Ex-Somalia-Kämpfer und Witwer, der sich auf einen gemütlichen Job in den gottverlassenen Wäldern im Nordwesten von Pennsylvania eingerichtet hat – und dort eine ganze Weile nicht zum Schlafen kommen wird. Die Einheimischen, dickschädelige, traditionsbewusste Nachkommen irischer Einwanderer, ernähren sich mehr schlecht als recht von dem, was das Land hergibt, ignorieren die Staatsmacht und pflegen ihre Waffen. Doch die Gemeinschaft wird nicht nur von mexikanischen Drogenkartellen und verborgenen Crystal-Meth-Küchen bedroht: Ein Fracking-Unternehmen setzt alles daran, die örtlichen Schiefergasvorkommen auszubeuten und lockt mit viel Geld für Grundstücke. Als einer der Einsiedler eine Leiche auf seinem Land findet, beginnt für Henry Farrell die Jagd nach dem Killer …
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(c) ars vivendi

Morde made by Müller

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© Ariadne

Während Joachim Körbers Facebook-Reihe über „zu Unrecht missachtete Bücher“ in Formvollendung das humoristische Element bedient, so ist in diesem Fall die Bezeichnung durchaus ernst zu verstehen, fliegt doch Monika Geier weiterhin unter dem Radar vieler Leser. Ein Zustand, der vor allem dann meinerseits für einen dicken Hals sorgt, wenn ich beim Besuch einer Buchhandlung mal wieder einen Blick auf die Bestseller-Liste geworfen habe und zur Kenntnis nehmen muss, zu welch sprachlichen „Höhenflügen“ en Masse gegriffen wird. Und weil auf dieser wenig aussagekräftigen Liste in Zukunft Bücher von Frau Geier (oder überhaupt vom Ariadne/Argument Verlag) wohl leider nicht zu erwarten sind, macht es gerade im Kreis der Literatur-Blogger umso mehr Spaß, solchen entdeckungswürdigen Titeln eine Plattform zu bieten.

Monika Geier ist, über die Grenzen von Rheinland-Pfalz hinaus, immer noch wenigen Krimi-Freunden in Deutschland ein Begriff. Eine Schande, sind doch ihre sprachlich raffinierten und herrlich leichtfüßigen Werke eine Wohltat inmitten der platten Genre-Konkurrenz. Gerade diese Alteingesessenen machen es neuen Talenten (zu denen Geier, welche bereits seit Ende der 90er als Krimischriftstellerin tätig ist, eigentlich gar nicht mehr gehört) ungewollt schwer, auf dem von Regio-Titeln überschwemmten Krimi-Buchmarkt Fuß zu fassen. Es scheint so, als würde der Griff nach der x-ten Neuhaus oder der gefühlten hundertsten Franz-Retorte für den Leser immer noch am einfachsten sein. Selbst wenn eine Serie schon vier Bände zuvor zu Tode geritten worden ist, bleibt man standhaft auf dem Pferd, in der Hoffnung es möge sich doch vielleicht irgendwann mal wieder erheben. Das Risiko abseits plakatierter Top-Titel und Bestsellerlisten sein Glück zu suchen, mögen viele erst gar nicht eingehen. Entgehen tun dem Krimi-Freund dabei Werke wie „Müllers Morde“, dem ersten Stand-Alone Geiers seit ihrer Reihe um Kommissarin Böll, welche allerdings auch ein kleinen, wenn auch für die Handlung nicht relevanten, Auftritt hat.

In deren Mittelpunkt stehen in erster Linie vor allem zwei Personen: Eine davon ist der titelgebende Mörder Müller, dem wir gleich zu Beginn bei seinem ersten Mord über die Schulter schauen dürfen. Dieser muss natürlich vertuscht werden, weshalb die Leiche kurzerhand zum Totenmaar verschafft wird. Ein kleiner See, in dessen Tiefe erloschene Vulkane Kohlendioxid ausdünsten, das sich nicht selten als schweren Gas in den Bodensenken der umliegenden Felder sammelt. So lautet dann auch die Todesursache des Opfers, ein Manager der ENERGIE namens Dr. Steenbergen, auf Kohlendioxidvergiftung. Weitere Ermittlungen werden erst gar nicht angestellt. Allein Steenbergens Freund, der Anwalt Peter Welsch-Ruinart, will sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden geben und engagiert Richard Romanoff, um der Sache näher auf den Grund zu gehen. Romanoff, seines Zeichens Historiker, Antiquitätenhändler und Atlantis-Mythologe, sieht sich als Detektiv wenig geeignet, kann das Geld aber dringend gebrauchen und nimmt missmutig den Auftrag an.

Was folgt ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem gewitzten Täter und dem unkonventionellen Ermittler, das schließlich bis in höchste Wirtschaftskreise führt und für beide Duellanten einige Überraschungen bereithält …

Jenseits von schablonenhaften Tatort-Klonen und konstruierten Allgäu-Klamauk erfrischt Monika Geier uns in „Müllers Morde“ mit einer scheinbar beiläufig erzählten Geschichte, welche sich von der ersten bis zur letzten Seite wie aus einem Guss liest und in Punkto Humor genau die Balance bewahrt, an der Klüpfel, Kobr, Falk und Co. zumeist so kläglich scheitern. Trotz aller Leichtigkeit gleitet die Handlung nie in die Trivialität ab, bleibt Geier in der Ausarbeitung des stringenten und herrlich verwobenen roten Fadens überraschend kompromisslos. Hier greift flüssig jedes Rädchen ins andere, ist jedes Wort von Bedeutung und Aussagekraft. Trotzdem verschwendet Geier derer nicht viele. Kurz, knapp, knackig, präsentiert sich ihre scharf geschliffene Sprache, die eindrucksvoll die Möglichkeiten des Kriminalromans auslotet und zeigt, dass man mit wenig richtig viel unterhalten kann. Und unterhalten tut „Müllers Morde“, besonders hinsichtlich Stil und Sprache, auf allerhöchstem Niveau.

Von Müller über Romanoff bis hin zu den Nebenfiguren. Allesamt zeichnet Geier mit detailgetreuer und doch feinfühliger Akribie, wodurch man sich sofort als Teil des Getümmels fühlt, das mit Kehren und Wendungen stets aufs Neue für Überraschungen gut ist. Der typische Reißblatt-Ermittler glänzt ebenso wie der überzeichnete Dialekt-Provinzler mit Abwesenheit. Stattdessen Charaktere wie du und ich, glaubhaft, lebensecht und den rechts und links von uns wohnenden Nachbarn auch irgendwie nicht unähnlich. Die große Bühne, den riesigen Aha-Effekt – all das braucht Monika Geier nicht, um den Leser bei Laune zu halten. Es ist die Alltäglichkeit des Verbrechens, dessen Versuchung überall lauert, welche das Fundament der Geschichte bildet, die zwar unkonventionell erzählt wird, dadurch aber nichts an Wirkung einbüßt.

Wie die Autorin die hochaktuelle Realität nimmt und benutzt, ohne sie großartig zu formen, das beeindruckt. Monika Geier ist ein Buch gelungen, das in Form und Inhalt weit über vielen ihrer Bestseller-Kollegen thront. Möge diese Rezension zumindest ein bisschen zu größerer Bekanntheit beitragen. Geier hat diese, nicht nur aufgrund von „Müllers Morde“, mehr als redlich verdient.

Wertung: 91 von 100 Trefferneinschuss2Autor: Monika Geier

  • Titel: Müllers Morde
  • Originaltitel:
  • Übersetzer:
  • Verlag: Argument/Ariadne
  • Erschienen: 08.2011
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 320
  • ISBN: 978-3867542005

+++ Der Vorschau-Ticker – Sommer/Herbst 2016 – Teil 15 +++

Last but not least“ – Selten hat dieser Ausspruch besser gepasst, als bei meinem letzten Vorschau-Ticker für dieses Halbjahr, in dem ich die noch verbliebenen (vermeintlichen?) Highlights zusammenfasse, von denen einige mitunter bereits vor kurzem erschienen sind. Ein Gros entfällt dabei auf die so genannten „kleinen“ Verlage, welche mal wieder eindrucksvoll unter Beweis stellen, dass ein verhältnismäßig schmales Programm durch die Dichte erstklassiger Titel bestens ausgeglichen werden kann.

Den Anfang macht Golkonda, die mit „Rote Rache“ (orig. „Devil Red„) ihre Veröffentlichung der Hap-und-Leonard-Serie fortsetzen, was mich als Fan dieser Reihe wiederum besonders freut. Und für alle die es interessieren sollte: Ab März geht das Duo auch im US-Fernsehen auf Verbrecherjagd. Die gleichnamige TV-Serie wird auf Sundance TV zu sehen sein. Mit Michael K. Williams als Leonard Pine treffen Freunde von „The Wire“ und „Boardwalk Empire“ einen alten Bekannten wieder.

Cops in the City“ dürfte wiederum ein Muss für Freunde des Police-Procedurals sein. Alf Mayers und Frank Göhres Report über die Ursprünge von Ed McBains 87. Polizeirevier ist (meines Wissens – korrigiert mich bitte, wenn ich falsche liege) der erste Titel des eBook-Verlag CULTurBOOKS, welcher auch als Printmedium vorliegt.

Show me a Hero“ ist das Buch zur HBO-Serie von „The Wire„-Autor David Simon mit Star-Wars-Star Oscar Isaac in der Hauptrolle. Und in dem Satz steckt dann für mich auch schon genug drin, um den Kauf zu rechtfertigen. ;-) Lese gerade (zum zweiten Mal) „Homicide“ und freue mich auf mehr aus dieser Richtung. Selbst wenn Simon diesmal nicht federführend ist.

Edition Nautilus bringt mit „The Big O“ ihren zweiten Declan Burke. Auch wenn ich „Absolute Zero Cool“ verpasst habe – auch dieser Titel tönt unterhaltsam und wird den Weg in mein Regal finden. Das gilt mehr noch für „Schwarzes Gold“ von Dominique Manotti. Eine Autorin, die sich in den letzten Jahren ganz nach oben in meine Favoriten-Liste geschrieben und mich bisher jedes Mal aufs Tiefste beeindruckt hat. Auf diese Neuerscheinung bei Argument/Ariadne fiebere ich besonders hin.

Mit „Porkchoppers“ komme ich meinem Ziel, einer vollständigen Werkausgabe von Ross Thomas, wieder einen Schritt näher. Falls ihr noch kein Buch von diesem Autor gelesen haben solltet – unbedingt nachholen. Die Edition vom Alexander Verlag macht sich nicht nur schön im Regal, sondern ist nebenbei auch hervorragend übersetzt. Ob das auch für „Fünf Schräge Vögel“ gilt, kann ich noch nicht beurteilen. So erfreulich die Neuübersetzung dieses verfilmten Klassikers von Donald E. Westlake auch ist – 19,99 € für ein so schmales (und bereits auch schon mal erschienenes) Büchlein halte ich für etwas happig. Was den Sammelwütigen in mir wohl aber wieder nicht abhalten wird …

Apropos Sammeln: Festa bringt im Mai eine limitierte Sammlerausgabe von Joe R. Lansdale heraus. Ich sage explizit nicht „auf den Markt“, da das Buch nur über den Verlag direkt zu bekommen sein wird. Wenn ich mir die Auswahl der Kurzgeschichten so betrachte, dürfte ich auch hier schwach werden. Nicht zuletzt weil Meister Lansdale es auch noch signiert hat.

Was kommt für euch in Frage?

  • Joe R. Lansdale – Rote Rache (März 2016 – Golkonda Verlag – 978-3-944720-94-4)
  • Inhalt : Endlich dürfen Hap und Leonard ihren ersten richtigen Auftrag für Marvin Hansons Privatdetektei übernehmen: Sie sollen einen Doppelmord aufklären, der allerdings schon Jahre zurückliegt. Bei ihrer Recherche stoßen sie auf eine bluttrinkende Vampirclique, noch mehr Morde – und überall die rote Teufelsfratze. Tatkräftig unterstützt von einem umtriebigen Reporter und einem Computerprofi müssen sie allmählich erkennen, dass der Fall immer größere Kreise zieht und der Killer von damals jederzeit wieder zuschlagen kann …
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(c) Golkonda

  • Frank Göhre & Alf Mayer – Cops in the City – Ed McBain und das 87. Polizeirevier: Ein Report (Januar 2016 – CULTurBOOKS – 978-3959880176)
  • Inhalt : Frank Göhre und Alf Mayer lassen Werk und Leben des Ausnahme-Autors Ed McBain lebendig werden, erzählend und dokumentierend, spannend und unterhaltsam. Ein vielschichtiges amerikanisches Sittenbild entsteht.
    Ed McBain wurde 1926 als Salvatore Albert Lombino in New York geboren, 1952 nahm er offiziell den Namen Evan Hunter an. Mit seinem Debütroman »Die Saat der Gewalt« und der Verfilmung wurde er international bekannt, Alfred Hitchcock engagierte ihn als Drehbuchautor für »Die Vögel«. Als Ed McBain veröffentlichte er ab 1956 fünf Jahrzehnte lang insgesamt 55 Romane über das fiktive 87. US-Polizeirevier.Ed McBain starb am 6. Juli 2005. Aus Anlass seines 10. Todestages haben die Autoren Frank Göhre und Alf Mayer diesen umfangreichen erzählenden Essay geschrieben.Es ist eine Reise durch fünf Jahrzehnte auf den Spuren der Detectives vom 87. Revier. Die Ermittler und ihre Fälle werden vorgestellt, die Veränderung einer Stadt und ihrer Kriminalität aufgezeigt. Polizistenmorde, Bandenkriege und Heckenschützen sind Thema, wie auch die klassischen »7 Todsünden«: Eitelkeit, Habgier, Wollust, Rachsucht, Maßlosigkeit, Eifersucht und Ignoranz.Der ultimative Reader zum 10. Todestag des Autors Ed McBain, dem unumstrittenen Großmeister des Polizeiromans.
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(c) CULTurBOOKS

  • Lisa Belkin – Show me a Hero (März 2016 – Ullsteinverlag – 978-3864930386)
  • Inhalt : Eine Kleinstadt im Norden New Yorks, Anfang der 80er Jahre: Inmitten eines bürgerlichen Viertels sollen Sozialwohnungen für die Unterschicht gebaut werden. Die dort ansässigen Bürger fürchten Kriminalität und Verrohung und steigen auf die Barrikaden. Der Konflikt spitzt sich immer weiter zu, und Nick Wasicsko, der jüngste Bürgermeister der USA, gerät angesichts der aufkommenden Unruhen und Rassenkonflikte unter Druck. Eines Tages geschieht ein Mord … Show Me A Hero ist eine wahre Geschichte über Macht, Politik und Gemeinschaft, die all unsere Werte in Frage stellt. Ein packendes Sachbuch, erzählt wie ein Krimi, verfilmt von The Wire-Autor David Simon.
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(c) Ullstein

  • Declan Burke – The Big O (März 2016 – Edition Nautilus – 978-3960540021)
  • Inhalt : Karen ist eine Sprechstundenhilfe mit notorisch schlechter Laune. Zum Monatsende unternimmt sie regelmäßig Raubüberfälle unter virtuosem Einsatz ihrer .44er Magnum. Karens Chef, Frank, ist ein Schönheits­chirurg mit Geldsorgen und einer Frau, die bald seine Ex-Frau sein wird, Madge. Sie will er entführen lassen, um das Lösegeld von der Versicherung zu kassieren. Hier kommt Ray ins Spiel, den Karen kennengelernt hat, als sie ihn bei einem Überfall versehentlich fast erschossen hätte. Hauptberuflich malt Ray Wandbilder, aber nebenbei ist er Auftrags-Kidnapper. Nur leider ist Madge, auf die er angesetzt wird, Karens beste Freundin. Und dann ist da noch Karens Ex Rossi, der gerade aus dem Knast kommt und sich an ihre Fersen heftet, denn sie hat noch ein Motorrad und eine Knarre, die ihm gehören …
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(c) Edition Nautilus

  • Dominique Manotti – Schwarzes Gold (Mai 2016 – Argument Verlag – 978-3867542135)
  • Inhalt : März 1973: Nach der Auflösung der French Connection tobt in Marseille ein blutiger Bandenkrieg um die Nachfolge von Mafiaboss Antoine Guérini. In dieser aufgeheizten Atmosphäre wird der dynamische Geschäftsmann Maxime Piéri vor dem Casino von Nizza mit zehn Kugeln hingerichtet. Der Held der Résistance, vormals rechte Hand der Guérini-Brüder und dann zum Frachtreeder konvertiert, scheint seiner Mafiavergangenheit erlegen zu sein. So jedenfalls die bevorzugte Version von Polizei und Justiz, wo man an einer echten Untersuchung nicht interessiert ist.
    Mit dem Fall betraut wird der unerfahrene Commissaire Théodore Daquin, der in Marseille seinen ersten Posten antritt. Er stößt auf dubiose Aktivitäten von Piéris Frachtern im Mittelmeer, die offenbar nicht nur Erz und Getreide transportieren. Und in Zusammenarbeit mit einem anonymen Partner schien der Reeder sich soeben für den Einstieg in ein heiß umkämpftes neues Geschäftsfeld zu rüsten.
    Daquin bleiben genau fünfzehn Tage, die ihm im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens für seine Ermittlung zustehen, um sich in das Labyrinth der lokalen Geheimnisse, des Seefrachtgeschäfts und der internationalen Finanzkreisläufe einzuarbeiten. Eine Herkulesaufgabe im Angesicht einer undurchsich­tigen Gemengelage und einer ihm fremden, bedrohlichen Stadt.
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(c) Ariadne/Argument

  • Ross Thomas – Porkchoppers (Februar 2016 – Alexander Verlag – 978-3895814037)
  • Inhalt : Donald Cubbin, Alkoholiker und Vorsitzender einer der größten Gewerkschaften Amerikas, weiß, dass der Kampf um seine Wiederwahl hart wird. Er weiß, dass sein Assistent mit seiner Frau schläft, dass sein Gegenkandidat ein Psycho ist und dass die Wahlen höchstwahrscheinlich manipuliert werden. Cubbin weiß jedoch nicht, dass jemand einen Killer auf ihn angesetzt hat …
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(c) Alexander Verlag

  • Donald E. Westlake – Fünf schräge Vögel (März 2016 – Atrium Verlag – 978-3855357956)
  • Inhalt : New York, 1970: John Dortmunder hat in seinem Leben noch keinen einzigen Cent auf ehrliche Weise erworben. Er ist ein Meisterdieb, bei dem man sich auf zwei Dinge verlassen kann: Erstens: Er bereitet seine Coups akribisch vor. Zweitens: Die Sache geht gründlich schief. Denn Dortmunder ist zwar ein brillanter Kopf, aber auch ein chronischer Pechvogel. Zusammen mit vier schrägen Kleinganoven plant Dortmunder den Raub eines afrikanischen Edelsteins, der im Rahmen einer Wanderausstellung in New York
    ausgestellt ist: hinter Panzerglas und schwer bewacht. Dortmunder schmiedet einen Plan, der ebenso verrückt wie genial ist und der eigentlich nur schiefgehen kann. Doch tatsächlich gelingt es den fünf Gangstern, den Stein in ihren Besitz zu bringen – zumindest für kurze Zeit, denn dann sind sie ihn auch schon wieder los. Es folgt eine haarsträubende Jagd zu Lande, zu Wasser und in der Luft nach einer Beute, die einfach nicht zu fassen ist.
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(c) Atrium

  • Joe R. Lansdale – Gekreuzigte Träume (Mai 2016 – Festa Verlag – Dieser Privatdruck hat keine ISBN. Er gelangt also nicht in den offiziellen Buchhandel. Zudem ist das Buch auf 666 Exemplare limitiert.)
  • Inhalt : Joe R. Lansdales Romane erscheinen in diversen deutschen Verlagen. Bekannt machten ihn jedoch die einzigartigen Kurzgeschichten. Diese Sammlerausgabe vereint 16 der besten von Mama Lansdales kleinem Jungen. Und fast alle in deutscher Erstveröffentlichung.
    Ein wundervoller Querschnitt durch sein Schaffen: Thriller, Horror, Satire, Fantasy, Mystery, Southern Gothic und sogar Western … Etwa die Geschichte von Elvis Presley und John F. Kennedy im Altersheim, die gegen eine seelenschlürfende Mumie antreten – die Vorlage für den Kultfilm Bubba Ho-Tep.
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(c) Festa

 

„Die Güte des Menschen ist eine Flamme, die zwar versteckt, aber nicht ausgelöscht werden kann.“

© Ariadne

Für mich war es in der Krimi-Szene die Nachricht des letzten Jahres: Ariadne/Argument führt die Veröffentlichung von Malla Nunns Reihe um den Detective Sergeant Emmanuel Cooper in Deutschland fort. Und anlässlich des Erscheinens von „Tal des Schweigens“ im vergangenen November, richte ich nochmal den Blick zurück auf Nunns Erstling „Ein schöner Ort zu sterben“, der nebenbei auch zum Besten gehört, was ich in diesem Genre bisher lesen durfte.

Südafrika war nicht nur als Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft in aller Munde, sondern hat sich hierzulande in den letzten Jahren auch zu einer neuen Kriminalromanhochburg gemausert. Nach Deon Meyer, der in Deutschland äußerst erfolgreich den Anfang machte, folgten kurze Zeit später Autoren wie Roger Smith, Mike Nicol und nicht zuletzt auch, Malla Nunn. Ihr Debüt, „Ein schöner Ort zu sterben„, wurde sogleich für den Edgar Award als bestes Buch 2010 nominiert. Und wer die knapp über 400 Seiten umfassende Lektüre hinter sich hat, versteht sofort warum. Nunns Erstlingswerk führt den Leser in das Südafrika des Jahres 1952 und katapultiert ihn damit äußerst eindrücklich in eine Zeit, in welcher die Apartheid-Politik den Kurs des Landes bestimmte und Rassentrennungsgesetze jeglichen näheren Kontakt zwischen Weißen und Schwarzen unmöglich machen sollten:

Im Jahr 1952 wird Detective Sergeant Emmanuel Cooper von der Polizei aus Johannesburg in das kleine Dorf Jacobs Rest an der Grenze zu Mosambik beordert, um die dortigen Kräfte bei der Untersuchung eines Mordfalls zu unterstützen. Mitten im Grenzfluss treibt die Leiche des weißen Polizeicaptains Pretorius, der augenscheinlich hinterrücks erschossen wurde. Am Schauplatz des Verbrechens angekommen muss Cooper feststellen, dass es mit Unterstützung hier nicht weit her ist. Der blutjunge Constable Hansie ist ein ungeschickter Tölpel und zudem nicht der Hellste, der schwarze Constable Shabalala aufgrund seiner Hautfarbe gezwungen, sich im Hintergrund zu halten. Stattdessen haben drei der muskelbepackten Söhne des ermordeten Captains bereits den Tatort unter ihre Kontrolle gebracht. Für sie steht zweifelsfrei fest, dass es sich bei dem Täter nur um einen Schwarzen handeln kann. Und auch die restlichen Mitglieder der Pretorius-Familie, welche sich als „echte Buren“ und „weißes Volk Afrikas“ verstehen, legen Cooper wo es nur geht Steine in den Weg. Als dann auch noch die „Security Branch“, der südafrikanische Geheimdienst, auftaucht und kurzerhand die Ermittlungen übernimmt, scheint der Detective auf einem Abstellgleis angekommen zu sein.

Offiziell vom Mordfall entbunden, soll er stattdessen einem geheimnisvollen Sittenstrolch nachjagen, der seit einiger Zeit die Gegend unsicher macht. Doch Cooper bleibt stur, stellt heimlich weiter Nachforschungen an, was ihn schließlich selbst ins Visier des rücksichtslosen Geheimdiensts bringt. Allein Shabalala, der in Cooper einen möglichen Verbündeten erkennt, und ein jüdischer Arzt mit mysteriöser deutscher Vergangenheit, stehen dem englischen Ermittler nun noch zur Seite … Können sie den wahren Täter dingfest machen, bevor die „Security Branch“ sich wahllos einen Schwarzen als Schuldigen auswählt?

Selten hat mich ein Erstlingswerk dermaßen beeindruckt wie Mala Nunns „Ein schöner Ort zu sterben„. Die aus Swasiland stammende Autorin verarbeitet hierin nicht nur einen Teil der eigenen Familiengeschichte (ihre Eltern haben sich ungefähr zum Zeitpunkt der Romanhandlung kennen gelernt), sondern bringt gleichzeitig eine Geschichte zu Papier, welche den Leser auch nach Beendigung der Lektüre mit Sicherheit noch beschäftigen wird. Von Seite eins an ist man unrettbar im Südafrika der 50er Jahre versunken, taucht man in die gottverlassene Gegend nahe Mosambik ein, welche Nunn meisterhaft in Bildern und Rhythmen zum Leben erweckt. Die Hitze, der Dreck, die Armut. Man meint es zu sehen, zu fühlen, zu schmecken. Und genauso nah steht man auch bald den Figuren. Während man sich sonst mit den konstruierten Schema-F-Typen des Krimigenres nur noch wenig identifizieren kann, sind der Autorin hier unvergessliche Protagonisten gelungen.

Allen voran Emmanuel Cooper. Ein moralischer Cop, der nun in einem völlig amoralischen Umfeld der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen soll. Das Gesetz und Gerechtigkeit zwei Dinge sind: Hier wird es in all seiner Grausamkeit deutlich. Cooper ist eine machtlose Figur auf dem Schachbrett der Mächtigen, welche sich Beweise und Indizien nach eigenem Gutdünken zurechtbiegen und die „Wahrheit“ mit dem Schlagstock erprügeln. Von den posttraumatischen Halluzinationen aus seiner Zeit als Soldat gebeutelt, rennt er gegen unüberwindbare Hindernisse an, muss er körperlich und seelisch harte Schlage nehmen. Er ist der Spiegel in diese vergangene Zeit, in der der Rassenwahn das Fundament eines ganzes Staates darstellte und ein Nelson Mandela ein noch nicht mal gehegter Wunschtraum war.

Dennoch schimmert auch immer wieder zwischen die Zeilen die Hoffnung hindurch. In all der Düsternis deutet sich an, dass Folter und Unterdrückung auf den tönernen Füßen einer weißen Minderheit stehen und man mit der Trennung der Hautfarben den ersten Nagel in den eigenen Sarg geschlagen hat. Diese weiß Nunn übrigens sehr facettenreich zu beschreiben. Es gibt mehr als schwarz und weiß in diesem Buch. Ein jeder, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität und Religion, hat Leichen im Keller. Grautöne lassen die Grenzen verschwimmen und neue Wege eröffnen. Bestes Beispiel dafür sind die Kaffernpfade, welche, von den Schwarzen benutzt, letztendlich auch dem ein oder anderen Weißen zum Vorteil gereichen. Schnell stellt man fest, dass hinter der Fassade mehr ist, als man anfangs erahnt hat. Gerade diese Vielschichtigkeit, diese Tiefe der Figuren, ist das Beeindruckende an diesem Buch, das mich gepackt, geschüttelt und bis zum Ende nicht losgelassen hat. Wenn man im letzten Drittel laut mitliest, fast den Ausstieg an der richtigen Bahnstation verpasst und abends vor dem Einschlafen das Buch nochmal gedanklich Revue passieren lässt, dann, ja dann, muss man ein äußerst guten Roman gelesen haben.

Ein schöner Ort zu sterben“ – Das ist für mich eine der größten Entdeckungen der letzten Jahre. Ein eindringlicher, kantiger und zuweilen auch sehr wütender Hardboiled-Kriminalroman und gleichzeitig Auftakt der Reihe um Detective Sergeant Emmanuel Cooper, die nun hoffentlich auch ein paar mehr Leser für sich entdecken werden.

Wertung: 96 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: Malla Nunn
  • Titel: Ein schöner Ort zu sterben
  • Originaltitel: A Beautiful Place to Die
  • Übersetzer: Armin Gontermann
  • Verlag: Aufbau
  • Erschienen: 05.2022
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 400
  • ISBN: 978-3867542616

„Cherchez la femme!“

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© Ariadne

Bereits  2013 erschienen, scheint Clementine Skorpils großartiges Portrait des Shanghais der 20er Jahre seitdem nur wenige Leser gefunden zu haben. Inwiefern meine Besprechung etwas daran ändern kann, sei mal dahingestellt. Fakt ist jedenfalls: „Gefallene Blüten“ ist eine dieser Perlen, welche es zu entdecken gilt und eine meiner persönlichen Entdeckungen der letzten Monate. Warum erläutere ich hier:

„Dominique Manotti, Merle Kröger, Christine Lehmann, Monika Geier, Anne Goldmann – und bald folgt die Wiederentdeckung von Malla Nunn. Der Verlag Ariadne/Argument ist inzwischen längst weit mehr als nur ein Geheimtipp und hat sich – auch aufgrund der vielen Titel, welche immer wieder auf der Krimi-Zeit-Bestenliste landen – einen festen Platz im elitären Kreis derer erobert, die Kennern des Genres „das Besondere“ fernab des Mainstreams kredenzen. Soll heißen: Wer zwischen Bushaltestelle und Arbeitsplatz mal schnell einen Reißer schmökern und möglichst wenig Zeit investieren will (und vielleicht auch kann), ist hier in der Regel beim falschen „Anbieter“ gelandet bzw. mit den Titeln der oben genannten Schriftstellerinnen eher schlecht beraten, die vom Leser genauso viel fordern, wie sie ihm letztlich wiedergeben. Auch Clementine Skorpils „Gefallene Blüten“ – bereits im März des Jahres 2013 erschienen und von mir (sträflicherweise) mehr als zwei Jahre unbeachtet geblieben – macht da keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil:

Nachdem ich noch kurz zuvor den ebenfalls historischen Kriminalroman „Wer übrig bleibt, hat Recht“ (von Richard Birkefeld und Göran Hachmeister) für die genaue Recherche und das perfekt eingefangene Flair hoch gelobt habe (Rezension folgt hier in Kürze), muss ich hier nun Kopf kratzend nach größeren Superlativen suchen. Skorpil – Historikerin, Journalistin und Lektorin – setzt tatsächlich neue Maßstäbe, wenn es darum geht, fiktive Handlungen mit real-geschichtlichen Ereignissen zu verknüpfen. Und sie tut dies derart hervorragend, einfühlsam und detailliert, dass man für die Dauer der Lektüre das 21. Jahrhundert vollkommen ausblendet. Gänzlich gebannt der Handlung folgend, welche im Jahr 1926 ihren Anfang nimmt:

Shanghai. „Die Stadt über dem Meer“. Mitte der 20er Jahre ein Hotspot, der zwar zu den schicksten, aber auch zu den verruchtesten Orten der Welt zählt und sich hinsichtlich Gewalt und Kriminalität nicht hinter dem Chicago desselben Zeitraums verstecken muss. In dem Chaos, das der Chinesischen Revolution von 1911 gefolgt ist, konnte sich keine der um Macht ringenden Parteien durchsetzen. Warlords besetzen und beherrschen kleinere oder größere Territorien und herrschen auf ihrem Gebiet wie Sonnenkönige. Die Regierung in Bejing übt ihre Funktion de facto nur in der Hauptstadt und der unmittelbaren Umgebung aus, wohingegen die über Jahrzehnte andauernde Besiedlung Shanghais durch die Europäer, die Stadt in mehrere Zonen unterteilt hat. Das International Settlement, von Amerikanern und Engländern verwaltet, die Französische Konzession und die Chinesenstadt (Zhabei). Jede Zone verfügt über eigene Gesetze, Legislative und Exekutive, was die Strafverfolgung extrem erschwert. Am Opiumhandel verdienen die Kolonialmächte Unsummen. Und auch illegales Glücksspiel und Prostitution florieren.

Das muss auch die alte, eigenwillige Ai Ping erfahren, welche ihr Heimatdorf verlassen hat, um in Shanghai nach ihrer verschollenen Enkelin zu suchen. Auf schmerzenden (gebundenen) Füßen wandert sie durch die riesige Stadt und verzweifelt bald an ihrer mangelnden Eignung als Detektiv. Die Spur, welche sie zu den Kurtisanenhäusern, ins Reich der „wilden Hennen“, führt, verliert sich und Ai-Ping sieht keinerlei Möglichkeit mehr herauszufinden. Zum Glück stößt sie auf den kommunistischen Studenten Lou Mang. Ein Weltverbesserer, der unermüdlich versucht, die Fabrikarbeiter zu agitieren und einer kommenden Revolution den Weg zu bereiten – und der leider chronisch pleite und nicht mal in der Lage ist, seine Miete zu bezahlen. Die übernimmt nun Ai Ping im Austausch für seine Dienste als Ermittler. Und seine Arbeit trägt bald Früchte. „Pflaumenblüte“, wie Ai Pings Enkelin in Kurtisanenkreisen heißt, war offensichtlich vor ihrem Verschwinden mit dem Komprador Liu Er zusammen. Ist sie gar in dessen Ermordung verwickelt? Oder wurde sie ebenfalls umgebracht?

Lou Mangs Nachforschungen kreuzen schnell die Wege der „Green Gang“, der größten Triade Shanghais. Und dessen Pate Du Yuesheng, genannt „Großohr Du“, ist bekannt dafür, mit Störenfrieden kurzen Prozess machen…

Ai Ping, Lou Mang, Wei Long, Du Yuesheng – Ich muss ehrlich gestehen, dass mir der Einstieg in „Gefallene Blüten“ alles andere als leicht gefallen ist, zumal ich seit jeher keinen wirklichen Bezug zum östlichen Asien (Korea, China und Japan) aufbauen konnte und mich hier in erster Linie die „Gangster“-Thematik bzw. der zeitliche Kontext und das europäische Flair Shanghais lockten. Dementsprechend zäh gestaltete sich die Lektüre auf den ersten Seiten, weswegen ich kurzzeitig gar mit einem Abbruch kokettiert habe. Nachträglich lässt sich nur konstatieren: Was wäre das ein Fehler gewesen, denn nachdem man sich erst einmal an das ungewohnte Umfeld gewöhnt und die Namen den Figuren zugeordnet hat (das Personenregister am Anfang ist da sehr hilfreich!), saugt einen die in allen Belangen außergewöhnliche Geschichte geradezu zwischen die Buchdeckel. Das Moloch Shanghai, seine Bewohner, sein Klima, sein Sound – Clementine Skorpil fängt dies bis ins kleinste Detail ein, was entweder Zeichen der ausführlichen Recherche oder ein Beweis für Seelenwanderung ist. Anders lässt sich jedenfalls nicht rational erklären, warum eine Österreicherin derart authentisch eine längst vergangene Zeit lebendig macht.

Wenn sich Ai Ping mit gebundenen Füßen (bisher hatte ich davon noch nichts gehört – die anschließende Beschäftigung mit dem Thema hat den Roman noch tiefer wirken lassen) durch die engen Gassen der Stadt schleppt, meint man die verschwitzte Kleidung am Körper kleben zu spüren, den Geruch exotischer Gerichte in der Nase zu riechen, den Lärm der Kulis in den Ohren zu hören. Wie bereits eine andere Rezensentin auf loveybooks äußerst treffend bemerkt: „… ein Erlebnis für alle Sinne“ Und gleichzeitig auch ein musterhaftes Beispiel dafür, wozu Literatur in der Lage ist, wenn der/die Richtige die Feder führt. Atmosphäre ist das Stichwort – und die ist hier tatsächlich so dicht und dick, dass man sie mit dem Messer schneiden kann. Und das nicht nur, weil man mit Adjektiven überhäuft wird oder die Autorin sich in seitenlangen Beschreibungen ergeht. Nein; Clementine Skorpil findet genau das richtige Maß zwischen notwendigem Spannungsbogen und Landschaftsmalerei, wodurch dieses Sinneserlebnis stets ein kurzweiliges bleibt, das sich keinerlei Atempausen gönnt.

Auch in der Zeichnung der Figuren geht Clementine Skorpil äußerst geschickt vor. Sieht man mal von den beiden Hauptprotagonisten sowie dem hilfreichen „Mandarin“ Wei Long ab, wird der Rest dieses durchweg ziemlich düsteren Zeitgemäldes gänzlich von historischen Figuren getragen. „Großohr Du“, Victor Sassoon, Lin Guisheng, „Pockennarben-Huang“ – sie alle hat es wirklich gegeben und mussten nur dezent der Handlung angepasst werden, um in dieser zu funktionieren, denn vieles von dem, was Skorpil hier erzählt, ist tatsächlich so passiert. Vom Brand des Palace Hotels bis hin zu den Vorbereitungen des Massakers, das im Namen Chiang Kai-Sheks ein Jahr später unter den Kommunisten verübt worden ist. Und auch an dieser Stelle muss wieder ein Extra-Lob ausgesprochen werden. Geschichtlich verbriefte Personen zu verwenden ist kein neuer Kniff und wird von vielen Schriftstellern gerne genutzt – selten, wirklich sehr selten, betten sie sich aber dermaßen perfekt und fließend ein. Von Künstlichkeit keine Spur. Die Struktur des Romans wird an keiner Stelle einem Aha-Effekt geopfert. Wozu auch, reichen doch die realen Zustände der damaligen Zeit gänzlich aus, um dem Werk Tiefgang und emotionale Durchschlagskraft zu verleihen.

Kinder, die mit bloßen Händen in Lauge Seide kochen. Frauen, die ihren Körper dem Meistbietenden verkaufen. Väter, die ihre Söhne wie Fleisch an spezielle Liebhaber auf dem Land verscherbeln. Die sozialen Missstände des Shanghais der 20er Jahre unterfüttern den ohnehin bedrückenden Roman noch zusätzlich und lassen gleichzeitig den Nährboden erkennen, auf dem in nicht allzu ferner Zukunft Mao Zedong schließlich seine Revolution ernten wird (Der „Großspurige“ hat übrigens auch einen kleinen, augenzwinkernden Auftritt, dessen lyrische „Versuche“ betreffend). Überhaupt sollte Skorpils feines Gespür für Humor Erwähnung finden, der die im Ganzen doch äußerst bittere und in seinen Bildern nicht selten drastische Geschichte etwas auflockern kann. Dass die Autorin dann nebenbei und gut versteckt auch noch Zeit findet, unser eigenes Handeln einer Nachbetrachtung zu unterziehen, ist nur ein weiterer Beweis ihrer Klasse.

Gefallene Blüten“ – von mir anfangs als Roman der Kategorie „Lesen-und-weiterverschenken“ angedacht – entpuppt sich nach knapp 350 gelesenen Seiten als eine meiner persönlichen Entdeckungen des Jahres. Ein sowohl in Sprache als auch in historischer Akkuratesse herausragendes Werk, das mir lange im Gedächtnis bleiben wird und meine Neugier für das China der 20er Jahre erst so richtig befeuert hat. Sehr geehrte Frau Skorpil – vielen Dank dafür und gerne, gerne mehr davon!“

Wertung: 90 von 100 Trefferneinschuss2Autor: Clementine Skorpil

  • Titel: Gefallene Blüten
  • Originaltitel:
  • Übersetzer:
  • Verlag: Argument/Ariadne
  • Erschienen: 03.2013
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 320
  • ISBN: 978-386754-212-8