Die Nackten und der Tote

© Ullstein

Ein Jahr nach dem Edgar Award prämierten Kriminal-Debütroman „In der Hitze der Nacht“ ließ John Dudley Ball seinen zweiten Band aus der Reihe um den schwarzen Detektiv Virgil Tibbs aus Pasadena folgen.

Totes Zebra zugelaufen“, so der deutsche Titel, brachte es hierzulande nur zu einer Veröffentlichung im Jahre 1967 beim Ullstein Verlag. Danach verschwand der Titel, wie auch die meisten restlichen Werke John Balls, komplett vom deutschen Büchermarkt. Selbst die Hoffnung, dass im Rahmen der Fischer Crime Classics Reihe einer der Bände eine Neuausgabe erfahren würde, währte schließlich, wie auch die Reihe selbst, nicht lange. Wer also gern heutzutage chronologisch die Fälle von Virgil Tibbs lesen möchte, muss weiterhin antiquarisch suchen. Aber diese Suche lohnt – ganz sicher.

Totes Zebra zugelaufen“ führt uns in die kalifornische Nudisten-Kolonie „Sun Valley Lodge“ Mitte der 60er Jahre. Dort ist ein fremder Mann nackt im Schwimmbecken aufgefunden worden. An sich nichts Ungewöhnliches an diesem Ort, nur ist dieser „Badegast“ tot und treibt mit dem Rücken nach oben. Ein Mord ist mehr als wahrscheinlich, wobei sich der Täter alle Mühe gegeben hat, eine Identifizierung zu erschweren, denn neben neben der Kleidung wurde ihm gleich auch noch das Gebiss entwendet. Nur soviel ist klar. Der Unbekannte ist kein Mitglied der Kolonie, sondern ein „Zebra“. (Um die Hüften herum ist er weiß, sonst braun. Bei einem Nudist fehlen diese Streifen.)

Für den ortsansässigen Sheriff ist dies ein mysteriöses Rätsel. Er zieht sogleich Virgil Tibbs von der Mordkommission zurate, der sich nicht nur aufgrund seiner Hautfarbe zwischen all diesen weißen Sonnenanbetern ziemlich fehl am Platz fühlt. Besonders die Nacktheit einer äußerst attraktiven Zeugin macht ihm sichtlich zu schaffen. Schnell kommt der sonst so kühle Denker ins schwitzen, zumal die Suche nach der Identität der Leiche ebenfalls früh in einer Sackgasse zu enden scheint. Bis schließlich ein Landpolizist der kalifornischen Polizei einen wichtigen Hinweis gibt und Tibbs damit auf die richtige Spur gebracht wird …

Nein, die Intensität und Wirkung des Erstlings erreicht „Totes Zebra zugelaufen“ leider nicht. Ein überdurchschnittlich guter Krimi ist er aber dennoch, was gleich mehrere Gründe hat. John Ball beweist auch diesmal viel Mut und scheut sich nicht vor Konfliktthemen. Nachdem es sein Schützling Virgil Tibbs zuvor noch mit rassistischen Cops im kleinen Südstaatenkaff Wells zu tun hatte, sieht er sich nun anderweitig ausgegrenzt. Seine Hautfarbe ist dabei weniger von Belang, als vielmehr die Tatsache, dass er sich angezogen auf dem Gebiet der Nackten bewegt. Ball, selbst einen großen Teil seines Lebens lang Nudist, führt der Gesellschaft hier geschickt, pointiert und mit viel Witz ihr falsches Denken vor, ohne groß mit der Moralkeule zu schwingen. Zwischen dem schwarzen Cop und den weißen Nudisten besteht, und das müssen beide Seiten schnell feststellen, eine schon fast ironische Gemeinsamkeit. Beide werden, der eine wegen der Hautfarbe, die anderen wegen ihres Lebensstils, abfällig beäugt. Das Intelligenz, Kompetenz und Charakterstärke aber vom äußeren Schein unabhängig sind, kann Tibbs erneut brillant unter Beweis stellen.

Auffällig ist dabei hier, dass er sich der Unterstützung der ortsansässigen Polizei sicher sein kann, welche die Fähigkeiten des schwarzen Ermittlers schätzt und sich auch nicht schämt, ihre eigene Unkenntnis einzugestehen. Hier ist er nicht einfach nur Virgil, sondern Mr. Tibbs. Geachtet und anerkannt, nimmt er sich in bester Holmes-Manier des Falles an, wobei der Leser (wie die Leiche) direkt zu Beginn ins kalte Wasser geworfen wird. Ball hält sich nicht allzu lang mit einer großen Einführung auf, sondern lässt den Detective mittels Deduktion und Kombinationsgabe wichtige Indizien noch am Tatort entschlüsseln. Während man selbst noch irritiert über Gründe und Motive rätselt, scheint Tibbs bereits sein Netz enger um den Täter zu ziehen.

Es ist die große Stärke dieses Autors, die Genialität seines Ermittlers herauszustellen, obwohl der Leser, dem die gleichen Hinweise zur Verfügung stehen, völlig im Dunkeln tappt. Ob man will oder nicht. Staunend sieht man Tibbs bei der Arbeit über die Schulter. Und obwohl das Buch (das in der Fassung von Ullstein wieder einige Kürzungen erfahren musste) gerade mal knapp 160 Seiten umfasst, und damit ein wenig mehr Umfang als eine Kurzgeschichte hat, fesselt der Plot von Beginn, überzeugt Ball mit Sprachstil und detaillierten Beschreibungen, die uns das Kalifornien der 60er Jahre vor den Augen wieder auferstehen lassen. Krimikenner mit dem genauen Blick werden übrigens dabei erkennen, dass sich hier eine gewisse Entwicklung von klassischen „Whodunit“ zum „Police Procedural“ vollzieht, den vor allem Ed McBain seit Mitte der 50er aus der Taufe gehoben hatte.

Totes Zebra zugelaufen“ ist der würdige Nachfolger eines großartigen ersten Bands, welcher zwar dessen Qualität nicht ganz erreicht, aber mit einem intelligenten, sehr scharfsinnigen Plot unterhält und neben dem eigentlichen Mordfall noch eine ganze Menge Tiefgang mitliefert. Ein kurzes, aber lohnendes Lesevergnügen, das, zumindest derzeit, zu moderaten Preisen aus zweiter Hand zu bekommen ist.

Wertung: 86 von 100 Treffern

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  • Autor: John Dudley Ball
  • Titel: Totes Zebra zugelaufen
  • Originaltitel: The Cool Cottontail
  • Übersetzer: Mechtild Sandberg-Ciletti
  • Verlag: Ullstein
  • Erschienen: 1967
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 160 Seiten
  • ISBN: –

Der Steppenwolf und die Fliegen

© Kampa

Nach dem sogleich mit einem Edgar Award ausgezeichneten Debütroman „Schwarzes Echo“ ließ Autor Michael Connelly schon direkt ein Jahr später den zweiten Band aus der Reihe um den unbequemen Detective Hieronymus „Harry“ Bosch folgen und griff dabei einmal mehr auf seine reichhaltigen Erfahrungen aus der Zeit als Polizeireporter für die Los Angeles Times zurück.

Ende der 1980er konnte er sich aus erster Hand überzeugen, wie vor allem neuartige Drogen zum rapiden Verfall ganzer Gesellschaftsschichten und Stadtviertel beitrugen – und auch die Kriminalitätsrate in schwindelerregende Höhen katapultierten. Als besonders gefürchtet galt „Ice“, ein äußerst reine Form vom Methamphetaminhydrochlorid, welche, ursprünglich aus Asien stammend, vor allem in Hawaii schnell Fuß fassen und von dort schließlich auch nach Kalifornien gelangen konnte. Im vorliegenden Roman greift Connelly diese Thematik nun auf, erfindet mit „Black Ice“ eine Variante, die jedoch aus Mexiko ihren Weg in die USA findet und nutzt den Namen auch zeitgleich (und passenderweise) als Titel. Doch wie bereits schon im Vorgänger, so ist auch in „Schwarzes Eis“ Drogenhandel nur ein Element eines vielschichtigen Plots, welcher für Bosch seinen Anfang am ersten Weihnachtstag nimmt:

Bosch sitzt gerade beim Essen und beobachtet ein fernes Buschfeuer am Rand der nächtlichen Lichter von Los Angeles, als über den Polizeifunk eine Meldung eingeht und Personal zu einem Tatort in Hollywood beordert wird. Er ist irritiert, sich nicht unter den angeforderten Personen zu befinden, hat er doch eigentlich für diese Nacht Einsatzbereitschaft. Irgendjemandem scheint sehr daran gelegen zu sein, dass er bei diesem neuesten Fall außen vor bleibt. Ein zusätzlicher Anreiz für den sturköpfigen Cop, der sich nach einem kurzen Anruf bei der Dienststelle die Adresse besorgt und direkt im Anschluss auf den Weg Richtung Sunset Boulevard macht. Das Ziel ist das heruntergekommene Hideaway Hotel. Eine alte, abgewrackte Anlage voller dreckigen Absteigen – und Fundort von Calexico „Cal“ Moores Leiche, einem Drogenfahnder und Kollegen, der Bosch noch vor kurzem bei seinen Ermittlungen im Mordfall Jimmy Kapps – einem Drogenkurier, verantwortlich für den Transport der Modedroge „Black Ice“ von Hawaii nach L.A. – unterstützt hatte. Dass nun auch Moore tot ist, weckt Boschs Argwohn, zumal als Todesursache Selbstmord angegeben wird.

Bevor er sich selbst ein Bild davon machen kann, wird er jedoch von Assistant Chief Irvin Irving aufgehalten, mit dem Bosch in der Vergangenheit, erstmals im Zusammenhang mit dem „Dollmaker“-Fall (siehe Beginn von „Schwarzes Echo“), heftig aneinandergeraten ist. Irving hat die Untersuchungen offiziell an sich gerissen und gibt deutlich zu verstehen, dass die Anwesenheit des bekannten Quertreibers aus der Abteilung Hollywood unerwünscht ist. Doch Bosch lässt nicht locker, verschafft sich dennoch Zutritt und erkennt recht schnell, dass etwas an dem vermeintlichen Suizid mittels Schrotflinte nicht ganz zu passen scheint. Und überhaupt – warum ist auch die Dienstaufsicht direkt am Tatort erschienen?

Boschs Jagdtrieb ist geweckt und wird noch stärker, als immer mehr Instanzen der Behörde alles daran setzen, ihn von diesem Fall fernzuhalten. Wieso will man das Ganze so schnell zu den Akten legen? Was kann Moore entdeckt haben, dass eventuell seinen Mord rechtfertigt? Und was haben sterilisierte Fruchtfliegen damit zu tun? Bosch geht jeder möglichen Spur nach, muss aber dann doch von der Fährte ablassen, als ihn sein Vorgesetzter Lieutenant Harvey Pounds mit den liegengebliebenen Akten eines vom Dienst beurlaubten Kollegen betreut, um die bescheidene Aufklärungsquote der Abteilung etwas aufzuhübschen. Nur widerwillig nimmt sich Bosch dieser kalten Spuren an, bis ihn eine davon plötzlich zu Cal Moore und nach Mexiko, genauer gesagt in die Grenzstadt Mexicali führt. Genau gegenüber, auf amerikanischer Seite, liegt auch Calexico, die Stadt welche Moore seinen Namen gab. Ein Zufall zu viel für Moore, der langsam ahnt, dass der Großteil des „Black Ice“ inzwischen nicht mehr aus Hawaii kommt. Unter fadenscheinigen und vorgeschobenen Gründen macht er sich auf eigene Faust auf den Weg nach Mexiko – nicht ahnend, dass bereits jeder seiner Schritte von den Männern des Drogenbosses Zorillo, genannt „Der Papst“, mit Argusaugen verfolgt wird …

Was auf den ersten Blick vielleicht noch wie ein ziemlich geradliniger roten Faden aussieht, erweist sich schon bereits nach wenigen Seiten als ein abermals äußerst komplexes Geflecht vieler kleinerer Handlungsstränge, welche gerade zu Beginn höchste Aufmerksamkeit und ein gutes Namensgedächtnis seitens des Lesers voraussetzen. Es wird auch in „Schwarzes Eis“ deutlich – Michael Connelly macht wenig bis keine Zugeständnisse an eine bessere Zugänglichkeit, sondern erzählt seine Geschichte haargenau so, wie er es für richtig hält. Und das ihn dabei besonders die großen Namen des „Noir“ wie Raymond Chandler und Dashiell Hammett maßgeblich inspiriert und beeinflusst haben, will und kann er gar nicht verhehlen. Allein sein Hauptprotagonist ist – mit dem Unterschied, dass er eben (noch) nicht als Privatdetektiv arbeitet – ein Spiegelbild des klassischen Private-Eye der 30er und 40er Jahre, dem das Protokoll und Hierarchien nichts bedeuten, und der gegen jeglichen Widerstand seinen eigenen Willen durchzusetzen vermag – und damit auch immer wieder durchkommt. Ist das realistisch? Wohl kaum. Auch wenn jede Polizeistelle der Welt wohl gerne eine solch hartnäckige Spürnase wie Harry Bosch in seinen Reihen hätte – für das zerschlagene „Porzellan“ dieses mitunter brachialen „Elefanten“ würde wohl kaum ein Vorgesetzter seinen Kopf hinhalten.

Und doch speist sich gerade aus dieser Figur und Michael Connellys unnachahmlichen Gespür für die Inszenierung seiner Schauplätze die Faszination dieser inzwischen so langlebigen Reihe. Harry Bosch, nicht selten ein Arschloch wie es eben nur im Buche steht, ist genau wegen seiner aufmüpfigen Art und den unkonventionellen Methoden der perfekte Sympathieträger für den Leser, zumal er in einem Umfeld wirken darf, dass – dank Connellys eigener Erfahrungen – so lebensecht wie nur möglich herüberkommt. Von Bosch abgesehen zeichnet der Autor ein äußerst realistisches Bild des Polizeiapparats von L.A., der unter Druck der Öffentlichkeit, vorgegebener Quoten und machtgieriger Karrieristen nicht nur immer wieder äußerst unbeweglich, sondern auch für äußere Einflussnahme unheimlich anfällig ist. Zwar gehören die Zeiten der ganz großen Korruption der Justizbehörden in den frühen 90ern inzwischen lange der Vergangenheit an – die Strukturen selbst haben sich mitunter aber kaum geändert. Und so ist es auch kein Wunder, dass der unbestechliche Einzelgänger Bosch schon fast ein Dauerabonnement auf das berufliche Abstellgleis hat und oft gänzlich allein gegen alle kämpft.

In Folge dessen ist auch jeder berufliche Kontakt für Bosch vor allem eins – ein nützliches Mittel zum Zweck, das ihm letztlich dazu dient, der Gerechtigkeit, und wenn schon nicht ihr, dann wenigstens der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen. Das muss in „Schwarzes Eis“ auch Teresa Corazon erfahren, die als Stellvertretende Chefgerichtsmedizinerin vom L.A. County vom nächsten beruflichen Schritt in ihrer Karriere träumt. Bosch, mit dem sie eine Affäre hat, nutzt ihre Position rücksichtslos aus, um die Vertuschung rund um Moores Ableben an die Öffentlichkeit zu bringen und damit erst weitere Ermittlungen möglich zu machen. Connelly gelingt es dabei jedoch meisterhaft, die menschliche Seite seines Hauptprotagonisten nie außen vor zu lassen. Bosch ist bar jeder Künstlichkeit, hat nicht viel gemein mit den überzeichneten Rächergestalten, die heute den Thriller vielfach bevölkern – nein, sein Benehmen, seine ganze Persönlichkeit ist Resultat eines längeren Prozesses, der in frühen Jahren seinen Anfang genommen hat. Wie wir in „Schwarzes Eis“ erfahren, wuchs er ohne Vater auf und wurde schon in jungen Jahren aus der Obhut seiner Mutter, einer Prostituierten, geholt und in einer einem Jugendheim ähnelnden Wohnanlage, der McLaren Youth Hall, untergebracht, wo man Kinder sowohl vernachlässigt als auch systematisch misshandelt hat.

Seinen eigenen, unehelichen Vater, J. Michael Haller, lernte Harry Bosch erst in späteren Jahren an dessen Sterbebett kennen. Eine für ihn traumatische Begegnung, in der Autor Michael Connelly übrigens äußerst geschickt seine große Liebe für Hermann Hesse, insbesondere für sein Werk „Steppenwolf“ verarbeitet, dessen Hauptfigur Harry Haller sich eben aus jenen beiden Namen zusammensetzt. Für Interessierte sei erwähnt, dass an dieser Stelle auch erstmalig Michael „Mickey“ Haller, Boschs Halbbruder erwähnt wird, der zwölf Jahre später in seinem ersten eigenen (und auch verfilmten) Roman „Der Mandant“ nachhaltig Eindruck hinterlassen und anschließend dann ein fester Bestandteil des Connelly-Kanons wird. Doch bis dahin warten noch einige Bosch-Bände auf den Leser, der sich sicherlich auf jeden einzelnen freuen darf – denn auch wenn „Schwarzes Eis“ nicht ganz das hohe Niveau des großartigen Auftakts erreicht, kann das Buch doch auf vielerlei Ebenen überzeugen.

Harry Boschs zweiter Auftritt ist ein durchweg spannender Mischling aus Police-Procedural und Noir, der besonders nochmal im letzten Drittel zwischen Stierkampfarenen und verlassenen mexikanischen Herrenhäusern mit einer atmosphärischen Dichte aufwartet, die Connellys großen Vorbildern in nichts nachsteht. Wenngleich die Handlung vielleicht den ein oder anderen Haken zu viel schlägt, wandelt man unheimlich gern in den Fußspuren dieses einsamen Wolfs, der inzwischen – auch dank der erfolgreichen TV-Serienumsetzung – aus dem Olymp der Kriminalliteratur nicht mehr wegzudenken ist. Wer sich also immer noch fragt, ob ein Griff zu den frühen Bänden der Serie lohnt, dem gibt „Schwarzes Eis“ eine deutliche Antwort. Definitiv, ja.

Wertung: 86 von 100 Treffern

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  • Autor: Michael Connelly
  • Titel: Schwarzes Eis
  • Originaltitel: The Black Ice
  • Übersetzer: Norbert Puszkar
  • Verlag: Kampa
  • Erschienen: 08.2021
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 464 Seiten
  • ISBN: 978-3311155126

The truth is for those who seek it

© Heyne

„Als würden Caleb Carr und Frederick Forsyth aufeinandertreffen.“

So das Zitat von Lee Child, welches dick und fett auf der Rückseite der deutschen Ausgabe von Christopher Hydes „Die Weisheit des Todes“ aus dem Heyne Verlag prangt, um damit – branchenüblich – den bis dato hierzulande eher unbekannten kanadischen Autor einem größeren Publikum schmackhaft zu machen. Doch kann der Roman diesem Vergleich tatsächlich standhalten oder verbirgt sich auch hier hinter, wie so oft, nur der Versuch, ein lahmes literarisches Pferd zumindest zum humpeln zu bringen?

Bereit seit Jahren auf meinem überbordenden SUB dümpelnd, habe ich mir Hydes Werk nun endlich mal zu Gemüte geführt, um genau dieser Frage auf den Grund zu gehen, nur um abschließend mit Begeisterung feststellen zu dürfen – selten haben sich Reklame und Inhalt derart treffend gedeckt, wie bei „Die Weisheit des Todes“. Einem Buch, das sicherlich rückblickend zu meinen größten positiven Überraschungen der letzten Jahre gehören wird.

Da leider auch dieser Titel bereits seit Jahren nicht mehr lieferbar und aufgrund des geringeren Bekanntheitsgrad des Schriftstellers in Deutschland auch in naher Zukunft kaum mit einer Neuauflage zu rechnen ist, wird sich vielleicht manch einer fragen, welchen Sinn aktuell eine ausführliche Besprechung überhaupt macht. Wer allerdings schon länger zu den Besuchern dieses Blogs zählt, der weiß, dass Aktualität für mich kein Qualitätskriterium darstellt und es sich zudem in der Vergangenheit immer mal wieder ausgezahlt hat (Stichwort z.B. James Lee Burke), auch ältere Perlen aus dem Bereich der Kriminalliteratur ins Scheinwerferlicht etwaiger Leser, oder noch wichtiger, möglicher Verlagshäuser zu ziehen. Hyde hätte es mit Sicherheit verdient, denn wie er seine fiktive Handlung mit den realen Geschehnissen rund um das Attentat an John F. Kennedy verwebt – das kann sich wahrlich sehen und vor allem lesen lassen.

Besagte Handlung setzt zwei Tage vor dem Besuch des Präsidenten John F. Kennedy in Dallas an. Wir schreiben den 20. November 1963. Während die ganze texanische Stadt im Ausnahmezustand ist und insbesondere die Polizeikräfte fast gänzlich mit den Vorbereitungen der Sicherheitsmaßnahmen vorbereitet sind – Kennedys Auftritt in Chicago war zuvor bereits aufgrund von Gerüchten über ein mögliches Attentat abgesagt worden – hat Detective Sergeant Horatio „Ray“ Duval vom Dallas Police Department ganz andere Probleme: Zum einen ist da eine grausam verstümmelte männliche Leiche, welche in einem alten Kühlschrank auf der örtlichen Müllhalde gefunden wurde und der man offensichtlich post mortem Arme und Beine hat, nur um sie danach wieder mit Draht am Körper zu befestigen. Zum anderen ist da sein persönlicher Gesundheitszustand. Duval wurde erst kürzlich eine kongestive Herzkrankheit diagnostiziert, welche heute zwar therapierbar ist, Mitte der 60er Jahre aber nicht heilbar war und letztendlich das Todesurteil bedeutete. Er weiß nicht, wie lange er noch zu leben hat. Und zu allem Überfluss steht jetzt in der kommenden Woche auch der Fitnesscheck an. So oder so – Duval bleibt also nicht mehr viel Zeit.

Das Opfer, ein homosexueller (zum damaligen Zeitpunkt war diese sexuelle Ausrichtung noch strafbar) Antiquitätenhändler und Antiquar, der offensichtlich sein Geld vor allem durch illegale Transaktionen und Betrügereien verdiente, hatte nicht nur eine unübersichtliche Liste von Liebhabern, sondern in der Vergangenheit auch schon den ein oder anderen Geschäftspartner über den Tisch gezogen. Könnte es sich also um eine Tat aus Rache handeln? Duvals erste Ermittlungen führen alle in eine Sackgasse. Und überhaupt deuten die Umstände der Tat eher auf einen Ritualmord hin. Als er bei einem Besuch zuhause von seinem Vater erfährt, dass es in den 30er Jahren nahezu identische Fälle im Norden Texas gegeben hat, ist seine Neugier geweckt. Bei den Opfern hier handelte es sich jedoch fast durchgehend um zehn bis zwölfjährige Mädchen. Die meisten von ihnen waren schwarz.

Duval, der inzwischen ziemlich sicher ist, es mit einem Serienmörder zu tun zu haben, macht es nun zu seiner letzten Aufgabe, ihm das Handwerk zu legen. Eine beinahe aussichtslose Mission, sind doch alle vorhandenen Spuren inzwischen seit Jahren kalt. Zudem kann er nicht mit Unterstützung durch seine Behörde rechnen, denn auch im Texas der 60er Jahre interessiert sich niemand wirklich für das Schicksal von ein paar getöteten schwarzen Mädchen. Ganz im Gegenteil: Ein Großteil der Kollegen trägt in der Freizeit immer noch stolz die weiße Kapuze. Während drei Schüsse am Dealey Plaza John F. Kennedys Leben auslöschen und um ihn herum eine ganze Stadt in Aufruhr gerät, treibt Duval unerbittlich seine Nachforschungen voran. Ein Wettlauf mit dem Tod beginnt, im wahrsten Sinne des Wortes …

Ich bin ganz ehrlich: Ohne die Empfehlung meines ehemaligen Krimi-Couch-Kollegen Jürgen Priester wäre wohl dieser Titel schon aus mehreren Gründen nicht in meinem Regal gelandet. Neben dem absolut gruseligen Cover, das wohl eher Freunde von Tom Clancy ansprechen dürfte, sind es eben genau die obige Kurzbeschreibung wie auch der Prolog des Buches, welche vor allem eine Sache erwarten lassen – mehr vom ewig blutigen Gleichen. Ein brutaler Psychopath von Serienmörder, der seine Opfer ritualisiert anordnet und nur als „das Monster“ bezeichnet wird – das klingt nicht wirklich nach höchster, literarischer Krimi-Kunst oder einem Werk, das in irgendeiner Art und Weise das Genre bereichern könnte. Nach der Lektüre von „Die Weisheit des Todes“ bleiben mir jedoch nur zwei Dinge zu sagen: So kann man sich irren. Und gut, dass ich Jürgens Empfehlung gefolgt bin. Christopher Hyde, der seit Jahren unter vielen verschiedenen Namen seine Bücher unter das vor allem US-amerikanische Volk bringt, ist mit diesem lupenreinen Thriller ein Riesenwurf gelungen, der mir nebenbei bemerkt auch gleich aus einer Vielzahl von Gründen noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Zuallererst ist da das Setting zu nennen: Hyde gelingt es hervorragend die Stimmung des Dallas der 60er Jahre einzufangen, seinen Blick über die Stadt schweifen zu lassen, welche, vor allem von der Öl- und Baumwollindustrie geprägt, zu diesem Zeitpunkt auch das drittgrößte Technologiezentrum der Vereinigten Staaten war. Die Bevölkerung hatte sich zwischen den 50er und 60er Jahre mehr als verdoppelt – und mit dem Geld kam naturgemäß vermehrt auch Korruption und die organisierte Kriminalität in die Metropole. In „Die Weisheit des Todes“ vor allem zusammengeführt durch die historische Figur Jack Ruby, Sohn polnisch-jüdischer Einwanderer und Nachtclub- und Stripteaselokalbesitzer, der stets enge Verbindungen zu lokalen Mobstern pflegte und als Mörder des Kennedy-Attentäters Lee Harvey Oswald in die Geschichte gegangen ist.

Er spielt nicht nur eine wesentliche Rolle bei Duvals Ermittlungen, sondern ist auch ein Beispiel fürs Hydes Geschick, das reale Dallas mit der fiktiven Handlung zu verbinden, welche immer wieder die geschichtlichen Ereignisse kreuzt (daher der passende Forsyth-Vergleich) und den Cop u.a. Zeuge werden lässt, wenn man John F. Kennedy, zu diesem Zeitpunkt bereits tot, unter dem Schutz des Secret Service und gemeinsam mit einer völlig verstörten Jackie Kennedy ins Parkland Memorial Hospital einliefert. Nur eine von vielen Szenen, die nachhaltig Eindruck hinterlässt und in seiner plastischen Schilderung beileibe nichts für Zartbesaitete ist.

Hyde sucht diese Schockeffekte aber nicht, sondern macht immer wieder deutlich, dass wir uns im Raum dessen bewegen, was laut Zeugenaussagen von den damaligen Geschehnissen überliefert ist. Allein diese Erkenntnis reicht, um die Wirkung seiner Worte auf uns, den Leser, nochmal zu verstärken. Selbiges gilt übrigens auch für die Mordserie selbst, welche es tatsächlich ebenfalls gegeben hat und die bis heute unaufgeklärt ist. Hier nimmt sich der Autor die künstlerische Freiheit für einen anderen Ausgang, doch bis wir dorthin gelangen, ist es vielleicht für manchen ein langer Weg, denn polizeiliche Untersuchungen müssen in dieser Ära noch ohne den modernen CSI-Schnickschnack auskommen.

So nimmt Hyde sich viel Zeit, um Ray Duval und sein Umfeld zu zeichnen. Zeit, die aber gut investiert ist, denn mir ist schon lange nicht mehr ein so authentischer Ermittler in einem Spannungsroman begegnet. Auch weil es zur Abwechslung mal einen nachvollziehbaren Grund für die zynische Menschenfeindlichkeit des Protagonisten gibt, der sich inmitten seiner rassistischen Kollegen und aufgrund seines unvermeidlichen Schicksals einfach irgendwann einen Scheißdreck dafür interessiert, was andere von ihm denken. Er hat schlicht nichts mehr zu verlieren. Und es ist auch dieser zunehmende Fatalismus, gepaart mit einen zunehmenden inneren Frieden, der ab der Hälfte das Spannungsmoment befeuert – und, soviel sei verraten, in einem klaustrophobischen, düsteren Finale mündet, das sich in seiner gewaltsamen Konsequenz nicht hinter Caleb Carrs „Die Einkreisung“ verstecken muss.

Mit „Die Weisheit des Todes“ hat Christopher Hyde einen nachtschwarzen Hardboiled-Thriller abgeliefert, der dem durchgekauten, faden Serienkiller-Thema endlich wieder ein paar neue Impulse verleiht und nebenbei noch eines der wichtigsten Ereignisse in der US-amerikanischen Geschichte behandelt, ohne sich in simplen Voyeurismus zu verlieren oder dadurch die eigentliche Handlung zu überladen. Ein sprachlich, inhaltlich und auch im Spannungsaufbau hoch zu lobendes Werk, nach dem sich eine antiquarische Suche mal so wirklich lohnt.

Wertung: 92 von 100 Treffern

einschuss2
  • Autor: Christopher Hyde
  • Titel: Die Weisheit des Todes
  • Originaltitel: Wisdom of the Bones
  • Übersetzer: Helmut Gerstberger
  • Verlag: Heyne
  • Erschienen: 06/2009
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 448 Seiten
  • ISBN: 978-3453431010

A cold, cold noir

© Knaur

Saukaltes Wetter. Bergeweise Schnee. Spiegelglatte Fahrbahnen. Die letzten 24 Stunden bedeuteten in manchen Regionen endlich wieder mal Winter pur, weshalb die nun von mir gewählte Lektüre da gut ins Bild gepasst hat. In „Treibeis“, dem zweiten Kriminalroman aus der Feder des Kanadiers John Farrow (Pseudonym für John Trevor Ferguson), kehrt der Leser einmal mehr nach Montreal, der „Stadt aus Eis“, zurück, um Sergeant-Detective Émile Cinq-Mars und seinem jüngeren Kollegen Bill Mathers bei ihrer dreckigen Arbeit über die Schulter zu schauen.

Und wie schon im Erstlingswerk „Eishauch“, so stellt auch hier Farrow seine Fähigkeiten eindringlich unter Beweis. Obwohl das martialische Cover anderes vermuten lässt, erwartet den Leser wieder eine äußerst komplexe und vor allem tiefgründige Geschichte, die geschickt mit unseren Erwartungen spielt und deren leise Töne härter treffen, als es das blutige Spektakel des derzeitigen Thriller-“Mainstreams“ je könnte.

Tiefer Winter in Montreal. In einer Eisanglerhütte auf dem Lake of Two Mountains nordwestlich der Stadt beobachtet Émile Cinq-Mars durch ein zugefrorenes Fenster den zugeschneiten See und die weite Bucht am Ufer. Eine Frau hat ihn herzitiert. Sie ist im Besitz von vertraulichen und äußerst brisanten Informationen, welche sie nur in den Händen des besten Bullen der Stadt in Sicherheit glaubt. Nun wartet Cinq-Mars auf die Unbekannte, gemeinsam mit Bill Mathers, der über den Ausflug aufs Eis nur wenig erfreut ist, zumal sich einfach niemand blicken lässt. Den Gedanken an die Heimreise schon im Kopf, durchbricht plötzlich ein Schrei die Stille auf dem See. In einer der nahe liegenden Eisanglerhütten ist eine im Wasser treibende Leiche gefunden worden. Bei dem Toten handelt es sich um Andrew Stettler, einem losen Gangmitglied der Hells Angels und Sicherheitschef eines großen örtlichen Pharmakonzerns. Anscheinend hat man ihm erst in den Hals geschossen und anschließend unter dem Eis ertränkt.

Cinq-Mars ist für ein solches Verbrechen eigentlich nicht zuständig, doch dass der Mann ausgerechnet dort getötet wurde, wo er sich mit seiner Informantin treffen wollte, kann kein Zufall sein und er beginnt hartnäckig eigene Nachforschungen anzustellen. Er findet heraus, dass Stettler an illegalen Menschenversuchen beteiligt war. Ahnungslose und idealistische Mitarbeiter wurden benutzt, um noch nicht zugelassene Medikamente an Aidspatienten zu verteilen und an diesen zu testen. Die Menschen, welche sich eine Verbesserung ihres Krankheitsbildes erhofften, nahmen bereitwillig und begeistert teil. Sie schluckten Pillen und Mixturen, ließen sich Spritzen geben … und starben. Die Führungsetage versucht nun das Fiasko unter den Teppich zu kehren und alle Mitwissenden, darunter Stettler, aus dem Weg zu räumen. Zu ihnen gehört auch die indianisch-stämmige Aktivistin Lucy Gabriel. Während Cinq-Mars und Mathers alles daran setzen, die junge Frau zu retten, machen im Untergrund die Schläger der „Hells Angels“ mobil. Alles läuft auf ein tödliches Wettrennnen hinaus …

Auch wenn ich Kollege Königs Wertung von 91° auf der Krimi-Couch dann doch ein wenig zu hoch gegriffen finde, muss auch ich konstatieren, dass sich John Farrow mit „Treibeis“, das bereits im Jahre 2001 im Original erschienen ist und erst neun Jahre später auf Deutsch veröffentlicht wurde, nochmals deutlich gesteigert hat, ohne dabei in irgendeiner Art und Weise von der eigenen Linie abzuweichen. Farrow behält seinen Stil bei, konzentriert sich in seiner Geschichte wieder auf ein brandheißes und aktuelles Thema und meidet weiterhin die Fallen der üblichen Serienheld-Krimis. Auch wenn Émile Cinq-Mars und Bill Mathers die treibende Kraft hinter den polizeilichen Ermittlungen sind, stellen sie doch nur einen Teil des großen Mosaiks dar, aus denen dieser Kriminalroman zusammengesetzt ist.

Wo manche Autoren mit detaillierten Einblicken ins Seelenleben der Protagonisten gleich ganze Seiten füllen, wird einem dies hier nur ausschnittsweise zuteil. Besonders zu Beginn ist zudem hohe Aufmerksamkeit vom Leser gefordert, da Farrow durch die Zeiten springt und man sich so, nachdem das Buch mit der Ankunft zweier New Yorker Cops begonnen hat, rückblickend dem Status Quo nähert. Ein geschickter Schachzug, der nicht nur die Dramaturgie verdichtet, sondern auch ganz nach dem alten „Columbo“-Rezept die „Wie“-Frage über die „Wer“-Frage stellt.

Und wie Farrow im weiteren Verlauf die individuellen Beweggründe der Protagonisten schildert und diesen Schmelztiegel aus Profitgier, Lug und Betrug zu einem stimmigen Ganzen formt, ist äußerst beeindruckend. Wenngleich auch hier der Bodycount sich durchaus sehen lassen kann, bezieht der Plot seine Spannung besonders aus der Realitätsnähe. Die Tatsache, dass sich der Autor eigentlich nicht weit von der Wirklichkeit entfernt, das organisierte Verbrechen keine Ausnahmeerscheinung darstellt, sondern Teil der Gesellschaft ist, lässt schwer schlucken. Alte moralische Grenzen sind längst verschwommen, die Ethik wurden dem Gewinnstreben geopfert. Gauner in Rockerkluft machen gemeinsame Sache mit gut situierten Geschäftsführern, bestimmen gar deren Geschäftspraxis. Farrow hebt mit sicherer Hand diese Verflechtungen hervor, macht den eiskalten Mord zum bitteren Tagesgeschäft. Wofür andere Autoren Tonnen von Blut und eine Handvoll schleimiges Gedärm brauchen, das erledigt hier ein kurzer Dialog – man ist angeekelt, angewidert und doch, aufgrund von morbider Neugier, fasziniert.

Dennoch taucht Farrow nicht gänzlich in die Dunkelheit ein. Cinq-Mars und Mathers bleiben erstaunlich menschlich, versuchen ihren Teil beizutragen, um das Böse einzudämmen, das, wie sie selbst gut wissen, zwar nicht besiegt werden kann, aber immer wieder auch Fehler begeht. Und es ist ein wahres Vergnügen Cinq-Mars dabei zu beobachten, wie er diese Ausrutscher entdeckt (die mir teilweise selbst entgangen sind) und geschickt nutzt, um seine Gegenspieler in die Ecke zu treiben. Überhaupt sind die Dialoge ein Genuss, fasziniert die rauhe, grobe Art des alten Wolfs Cinq-Mars, der gegen alle Widerstände vorausgeht und für den erfolgreichen Abschluss auch mal die Gesetze bis an ihre Grenzen dehnt. „Treibeis“ lebt von seinen großartigen Figuren und dieser intelligent konzipierten Komplexität, welche im Vergleich zum Vorgänger nun viel zielgerichteter geraten ist. Das sorgt wiederum für besseren Lesefluss, wenngleich man auch diesmal die ein oder andere Schwierigkeit mit den vielen Handlungsebenen und Schauplätzen hat. Das Buch verweigert sich dem „page-turning“, sorgt gleichzeitig aber damit auch dafür, dass das Gelesene umso eindringlicher in Erinnerung bleibt.

Treibeis“ ist ein eiskalter, äußerst düsterer Polizeiroman-Noir-Mischling, der vor allem gegen Ende eine intensive Dramatik entfaltet, die dem Thema Serienkiller ein paar neue, beängstigende Facetten abringt und den Leser wortwörtlich aufs Glatteis führt. Ein wirklich gut geschriebener Krimi, dessen Fortsetzung gern ebenfalls eine Übersetzung erfahren dürfte. Leider lässt diese nun seit Jahren auf sich warten.

Wertung: 86 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: John Farrow
  • Titel: Eishauch
  • Originaltitel: Ice Lake
  • Übersetzer: Friederike Levin
  • Verlag: Knaur
  • Erschienen: 07.2010
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 560
  • ISBN: 978-3426635131

Eine Fähre in die Nacht

© Goldmann

„Geteiltes Leid ist halbes Leid.“ So würde vielleicht auch Michael Robotham denken, wenn er sich näher mit den äußerst frei interpretierten Übersetzungen seiner Titel ins Deutsche beschäftigen würde, für die der Goldmann Verlag in schöner Regelmäßigkeit verantwortlich zeichnet. Und das nicht nur bei ihm: Ob Mark Billingham, Ian Rankin oder Stuart MacBride – der sinnfreien Übertragung in unsere Muttersprache sind anscheinend keinerlei Grenzen gesetzt, wobei mich persönlich im Falle Robotham auch dann noch die Covergestaltung stört, die zwar eines Fitzek oder McFadyen durchaus würdig wäre, zu dem australischen Schriftsteller allerdings überhaupt nicht passt.

Das sei von mir deshalb erwähnt, da durchaus auch anderen Krimi-Freunden die Aufmachung – welche uns einen weiteren blutigen und auf Mainstream gebügelten „Thriller“ suggeriert – wenig zusagen und in manchen Fällen vielleicht sogar deshalb einen Kauf verhindern dürfte. Und das wäre schade, da Robotham zu den talentiertesten Spannungsautoren der neuen Generation gehört und in jedem seiner Romane das Genre auch neu interpretiert, die Handlung aus einer anderen Sichtweise und Perspektive beleuchtet.

Während im Debütroman „Adrenalin“ noch der Psychotherapeut Joe O’Loughlin im Mittelpunkt der Geschichte stand und im Nachfolger „Amnesie“ Inspektor Ruiz diese Rolle ausfüllte, nimmt letzterer in „Todeskampf“ (im Original „The Night Ferry“ – sollten sie einen Zusammenhang der Titel suchen, geben sie auf – es gibt keinen) nun einen Platz als Assistent/Side-Kick ein. Wie auch sein südafrikanischer Kollege Deon Meyer, so legt auch Robotham großen Wert darauf, seine Figuren in unterschiedlichen Konstellationen auftreten zu lassen, wodurch das Gesamtwerk einen authentischeren Anstrich bekommt.

Todeskampf“, im Jahr 2007 erschienen, profitiert bereits in hohem Maße von den beiden Vorgängern (die man nicht unbedingt gelesen haben muss, auch wenn ich dazu raten würde), da altvertraute Bekannte es der neuen Protagonistin, der jungen Londoner Polizistin Detective Constable Alisha Barba, leicht machen, als vollwertiger Charakter ernst genommen zu werden. Interessant dabei ist, dass Robotham nicht nur in Punkto Personal, sondern auch hinsichtlich des Stils Vielseitigkeit demonstriert, schmeckt doch sein dritter Roman mehr nach „Noir“, als die beiden Vorgänger, welche das „Police-Procedural“-Genre („Amnesie“) und den Psychothriller („Adrenalin“) bedienten. Grund dafür ist der Plot, der sich auf äußerst eindringliche Art und Weise aktuellen Themen widmet, welche selten in diesem komplexen Umfang ihren Weg in einen Krimi finden. Zum besseren Verständnis sei die Handlung kurz angerissen:

Als sich Detective Constable Alisha Barba auf den Weg zum Ehemaligen-Treffen ihrer Schule in London aufmacht, kann sie noch nicht ahnen, dass der Abend mit alten Freunden einige Überraschungen für sie bereithält. Ihre ehemalige Freundin Cate, zu der sie seit Jahren keinen Kontakt mehr gehabt hat, nutzt das freudige Wiedersehen, um Alisha verzweifelt um Hilfe zu bitten, da sie um das Leben ihres ungeborenen Babys fürchtet. Die junge Polizistin versucht zu beschwichtigen, kann das Flehen von Cate, die in der Vergangenheit nicht immer einfach war, nur schwer einordnen. Nur wenige Stunden später wird diese gemeinsam mit ihrem Ehemann Felix von einem PKW überrollt. Beide erliegen noch in derselben Nacht ihren Verletzungen. Ein Unfall, so das Urteil der Polizei, doch Alishas Misstrauen ist geweckt, als bei der Obduktion herausgefunden wird, dass Cate ihre Schwangerschaft nur vorgetäuscht hatte. Hatte sie vielleicht geplant, ein Kind illegal zu adoptieren?

Die Suche nach Antworten führt sie, gegen den Willen ihrer Vorgesetzten, bis nach Amsterdam, einer Hochburg der Prostitution, wo sie gemeinsam mit dem inzwischen pensionierten Detective Inspector Vincent Ruiz auf ein gefährliches Netz des Menschenhandels stößt, dessen Fäden bis in die entlegensten Winkel Europas reichen. Als beide erkennen, mit wem sie es zu tun haben, ist es fast zu spät …

Todeskampf“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht immer schubkarrenweise Leichen oder eines soziopathischen Serienkillers bedarf, um beim Leser ein Gefühl des Unbehagens und des Ekels zu erzeugen – die Realität selbst übertrifft hier alle Fiktion. Und Robotham nimmt sich der vorliegenden Thematik nicht nur mit viel Sorgfalt und Vorsicht an, er widersteht auch der Versuchung diese mit kunstvollen Effekten zu würzen. Als Folge davon vergisst man zwischenzeitlich gar, dass man einen Spannungsroman zwischen den Fingern hat, liest sich doch „Todeskampf“ in vielen Elementen eher wie eine Milieustudie, welche insbesondere im berüchtigten Rotlichtviertel von Amsterdam nichts beschönigt und die dunklen Seiten der holländischen Stadt auf Pfählen betont. Alishas Ermittlungen in den düsteren Gassen sind stimmungsvoll und erdrückend zugleich, da es dem Autor hervorragend gelingt, die hoffnungslose Atmosphäre des Schauplatzes einzufangen und damit auch dem Schicksal der dort zum Verkauf stehenden Frau gerecht wird. Erschreckend die Hilflosigkeit der Polizei angesichts der vor ihren Augen verübten Verbrechen. Unbehagen, ob der weiterführenden Gedanken, die ich mir als Vater zweier Töchter während der Lektüre gemacht habe.

Michael Robotham gelingt, woran sich viele Krimi-Schreiber heutzutage verheben. Eine stimmige, handwerklich anspruchsvolle Handlung auf Papier zu bringen, in der auch die kleinsten Nebenfiguren mit Sorgfalt gezeichnet werden und die Chemie zwischen Protagonist und Assistent einfach passt. Vincent Ruiz, in „Adrenalin“ noch eher ungeliebter Jäger des eigentlichen Helden, erweist sich nun, um einige Jahre gealtert, als hilfreicher Unterstützer der vom Instinkt getriebenen Polizistin, der auch am Rande des Gesetzes entschlossen bleibt, ihre gemeinsame Mission zu ihrem Ende zu bringen. Notfalls sogar unter Riskierung des eigenen Lebens. Und Alisha Barba selbst hebt sich erfrischend von den vielen FBI-Schönheiten der Genre-Konkurrenz ab, die noch im Kugelhagel Leichen sezieren und nach einem harten Tag im Büro mit ihrem ebenso wohlgeformten Kollegen unter die Bettdecke hüpfen. Robotham nimmt sich, auch auf Kosten des Tempos, Zeit, seine Figuren zu skizzieren, ihnen Schärfe und Kontur zu verleihen. Im Falle Alishas geht er dabei näher auf ihre indische Herkunft ein, welche sie zwar nicht verleugnet, die aber oft ihren Erlebnissen im Beruf diametral gegenüber steht. Es ist hier nicht ohne einen gewissen Humor, wie sie versucht, diesen Spagat innerhalb der Familie zu vollziehen, ihre Verwandtschaft nicht zu brüskieren.

Sicherlich – es wird gewisse Leser geben, die dies als Verschleppung des Plots empfinden, für die diese genaue Ausarbeitung ein unnötiges Hindernis darstellt, welches den Spannungsbogen gefährdet. Und wenn wir ehrlich sind: Ja, „Todeskampf“ fehlt, besonders zur Mitte, diese durchgehende Suspense, was meines Erachtens aber eben gerade durch obige Punkte kompensiert wird. Die Schrecknisse des organisierten Verbrechens, das kriminelle, menschenverachtende Treiben der Schlepperbanden, die kommerzielle Leihmutterschaft – all das beschäftigt, macht nachdenklich und hebt den Roman letztlich auf eine gänzlich andere Ebene. Wer sich darauf einlässt, wird in hohem Maße und nachwirkend davon profitieren. Freunde des „Page-Turners“ dürften daran wahrscheinlich weniger Freude haben, auch weil Robotham den Fehler macht, den unheimlich stimmungsvollen Showdown auf einer Fähre bei ihrer nächtlichen Überfahrt, noch durch einen (zumindest aus meiner Sicht) unnötig kitschigen „Wurmfortsatz“ zu verlängern, den ein guter Lektor vielleicht auch besser vor Veröffentlichung entfernt hätte.

Ein Lapsus, den man Robotham rückblickend gerne verzeiht, der mir auch mit „Todeskampf“ wieder Lust auf mehr aus seiner Feder gemacht hat.

Wertung: 88 von 100 Treffern

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  • Autor: Michael Robotham
  • Titel: Todeskampf
  • Originaltitel: The Night Ferry
  • Übersetzer: Kristian Lutze
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 03/2012
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 480 Seiten
  • ISBN: 978-3442477906

Dead before dying

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© Aufbau

Seit über dreizehn Jahren wird der südafrikanische Schriftsteller Deon Meyer nun hierzulande bereits veröffentlicht – und rückblickend betrachtet muss man dies als eine absolute Erfolgsgeschichte bezeichnen, hat er doch nicht nur unheimlich viele Leser in Deutschland für sich gewonnen, sondern auch gleichzeitig dafür gesorgt, dass Kriminalromane aus der „Regenbogennation“ inzwischen vom heimischen Buchmarkt nicht mehr wegzudenken sind bzw. nicht mehr nur als Exot, sondern als etablierter Schauplatz wahrgenommen werden.

Ein großes Verdienst, welches wiederum der Qualität dieses Autors geschuldet ist, der – anfänglich noch vom Aufbau-Verlag als „südafrikanischer Mankell“ plakatiert – den Vergleich mit den ganz Großen des Genres mitnichten zu scheuen braucht. Ganz im Gegenteil: Insbesondere die Gegenüberstellung mit dem Erfinder von Kurt Wallander hinkt, da meines Erachtens Meyer weit facettenreicher und wandlungsfähiger daherkommt, als der sicherlich Maßstäbe setzende, aber irgendwann auch viel zu schwermütige und zähflüssig schreibende Schwede. Eine Meinung, über die sich streiten lässt und die sicherlich nicht jedermann teilt, welche aber das Kaliber des vorliegenden Autors unterstreichen soll, der mir, bei allem Erfolg, in Leserkreisen immer noch zu sehr unter dem Radar segelt. Ein Umstand, den diese Besprechung ja vielleicht zumindest in geringem Maße ändern kann, wenngleich sie eine Überarbeitung bedurfte, da ich – zehn Jahre nach meiner ersten Lektüre des Buches – mit den damals angelegten Maßstäben sowie der letztlichen Ausarbeitung nur bedingt zufrieden war. Insofern: Auf ein Neues, bei diesem inzwischen doch etwas älteren Titel, endete doch die Apartheid gerade mal zwei Jahre vor der Erstveröffentlichung von „Der traurige Polizist“. Ein Ende der Apartheid, das jedoch nicht das Ende von Rassismus und Ungerechtigkeit implizierte, was sich auch im Plot widerspiegelt, welcher hier kurz angerissen sei:

Mat Joubert, Captain bei der Mordkommission der South African Police, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Tod seiner Ehefrau vor gut zwei Jahren – sie starb als Drogenfahnderin in einem Undercover-Einsatz – hat ihn völlig aus der Bahn geworfen, seinen Elan erstickt und droht ihn nun auch beruflich zu erledigen, da seine Leistungen im Dienst zunehmend unter den Depressionen leiden. Gedanken an Selbstmord kommen ihm und konkretisieren sich, als er einen Kollegen im Einsatz gefährdet und eine Abmahnung erhält. Soll er dem Ganzen ein Ende bereiten? Bevor er sich zu einer Entscheidung durchringen kann, kommt es zu einem Wechsel an der Spitze der Mordkommission in Kapstadt. Mit Colonel Bart de Wit bekleidet nun ein Schwarzer den Posten des Abteilungsleiters. Als Protegé der ANC hat er, trotz fehlender Erfahrung in praktischer Polizeiarbeit, jegliche Freiheiten und nutzt diese von Beginn an, um in seinen Augen für Gleichheit in der Truppe zu sorgen. So wird allen Detectives ein spezielles Trainingsprogramm für mehr körperliche Fitness verordnet. Joubert, mit mittlerweile miserabler Aufklärungsquote, Raucherlunge und Übergewicht, ist ihm besonders ein Dorn im Auge. Er wird auf strikte Diät gesetzt und zu der Polizeipsychologin Hanna Nortier geschickt.

Während er sich nur langsam aus seinem seelischen Loch herausarbeitet und überdies noch Gefühle für Hanna Nortier zu entwickeln beginnt, versetzt eine mysteriöse Mordserie ganz Kapstadt in Aufregung. Die Mordwaffe: Eine deutsche Mauser aus dem 19. Jahrhundert. Die Opfer: Auf den ersten Blick nicht miteinander in Verbindung zu bringen. Die Ausführung: Eiskalte Hinrichtung. Ausgerechnet Joubert wird nun mit der Leitung der Ermittlung betraut. Für ihn die letzte Chance als Cop und als Mensch einen Neuanfang zu schaffen …

Deon Meyers zweiter Roman (Sein Erstling „Wie Met Vuur Speel“ ist bis dato noch unübersetzt) „Der traurige Polizist“ erschien – wie alle seine Werke – zuerst in Afrikaans, unter dem Namen „Feniks“, um anschließend ins Englische (hier lautet der Titel „Dead before Dying“) und von dort wiederum ins Deutsche übersetzt zu werden. Ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang, welcher aber wohl nicht zum Schaden des Buches war, wirkt doch die vorliegende Übersetzung trotz der doppelten Übertragung mehr als stimmig und scheint kein bisschen der originalen Essenz verloren zu haben. Und diese ist vielleicht nicht das, was man angesichts der obigen Kurzbeschreibung erwarten würde, denn trotz der mittlerweile endgültig zu Tode gerittenen Serienmörder-Thematik hat dieses Werk aber mal so gar nichts mit den 0815-Thrillern der Neuzeit gemein.

Während die Konkurrenz nichts unversucht lässt, um sich gegenseitig mit immer perfideren Mordmethoden und noch kränkeren Soziopathen zu übertreffen, bleibt Meyer mit beiden literarischen Beinen ganz fest auf dem Boden. So sehr Matt Joubert auf den ersten Blick all den anderen von Verlusten getroffenen, depressiven Ermittlern auch ähnelt – Deon Meyer verwehrt sich hier jeglicher künstliche Ausschmückungen, nimmt sich viel Zeit für seinen Protagonisten und schildert dessen Situation rundweg glaubhaft. Und diese ist vor allem zu Beginn des Buches äußerst verzweifelt, so dass sich relativ schnell ein enger Bezug zu Joubert herstellt, was insofern erstaunt, da er eigentlich nicht allzu viele sympathische Züge mit sich bringt.

Gekennzeichnet vom Verlust seiner Frau pflegt er die Verwahrlosung seiner eigenen Person mit genauso viel Hingabe, wie das Selbstmitleid, was nicht nur auf Seiten seines neuen Vorgesetzten Bart de Wit Zweifel aufkommen lässt, ob er für den Polizeidienst überhaupt noch taugt. Joubert ist gebrochen, zurechtgestutzt, am Boden. Und doch ist da auch irgendetwas zwischen all dem Schmerz, das uns hinschauen lässt, das den Leser bannt – inmitten all der Dunkelheit, denn „Der traurige Polizist“ kultiviert – wie der Name schon vermuten lässt – eine äußerst gedrückte und düstere, ja manchmal beinahe noireske Stimmung, welche wiederum nur dann überrascht, wenn man nicht weiß, dass Deon Meyer u.a. John D. MacDonald zu seinen großen Vorbildern zählt. MacDonald gehörte zu den Spannungsautoren, welche Anfang der 70er den Hardboiled in eine neue Ära führten. Weg von Fedora, Trenchcoat und dem getriebenen Private-Eye, hin zu Romanen, die mehr „plot driven“ waren und weit komplexere Figuren beinhalteten. Meyer greift diesen Faden auf, legt wie MacDonald unheimlich viel Wert auf die Dreidimensionalität der Charaktere und versucht – wie dieser mit dem vom Vietnam-Krieg verunsicherten Amerika der damaligen Zeit – das Südafrika nach Ende der Apartheid gesellschaftskritisch zu erfassen.

Sprachlich ist das – ebenfalls wie bei MacDonald – ein absolutes Vergnügen für den Leser, den Deon Meyer mit unvergleichlicher Stimme in seine Geschichte zieht. Und das mit einer Beiläufigkeit, welche angesichts der Tatsache, dass es sich hier erst um sein zweites Buch handelt, umso mehr beeindruckt. Meyer beherrscht das Handwerk – wohlgemerkt ohne stilistisch große Experimente wagen. Oder besser wagen zu müssen, denn „Der traurige Polizist“ liest sich auch ohne Staffage und Schnörkel wie aus einem Guss. Auch weil der Plot Seite um Seite mehr Atmosphäre und vor allem Südafrika atmet, funktioniert der Roman doch nur deshalb so gut, eben weil er in Kapstadt angesiedelt und würde – an einen anderen Schauplatz verlegt – ein Gros seiner Intensität verlieren. Diese reißt im Verlauf der Lektüre jegliche Barrieren zwischen Leser und Buch nieder, und entlädt sich in einem verstörenden Finale, welches schwer schlucken lässt und wohl nur ganz eiskalte Herzen nicht berührt. Meyers Feingefühl für die richtige und doch auch folgerichtige Auflösung – es kann gar nicht hoch genug gelobt werden.

Die Bewerbung von „Der traurige Polizist“ als simpler Thriller – das ist Understatement pur, denn dieses Werk ist soviel mehr als das. Ein filigraner und doch auch mitunter brachialer, gefühlvoller und eiskalter Police Procedural, der die Veränderungen im neuen Südafrika aufs Trefflichste abbildet und gleichzeitig im Segment der anspruchsvollen Spannungsliteratur neue, tiefe Fußspuren hinterlassen hat. Und für alle, die Deon Meyer bereits kennen: Ja, auch dieses Frühwerk ist unbedingt lesenswert – und das nicht nur, weil die spätere Serienfigur Bennie Griessel hier ihren ersten kleineren (und doch auch für die Geschichte wichtigen) Auftritt hat.

Wertung: 93 von 100 Treffern

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  • Autor: Deon Meyer
  • Titel: Der traurige Polizist
  • Originaltitel: afrikaans: Feniks / englisch: Dead before Dying
  • Übersetzer: Ulrich Hoffmann
  • Verlag: Aufbau
  • Erschienen: 04/2014
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 452 Seiten
  • ISBN: 978-3746630502

Der Apfel fällt weiter weg vom Stamm

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© dtv

Alafair Burke – mit Sicherheit kein Name, der wie Donnerhall durch die Buchhandlungen in deutschsprachigen Landen schallt. Wie auch, sind doch mit „Online wartet der Tod“ (engl. „Death Connection“) und „Manhattan 212“ (engl. „212“) erst zwei Bücher dieser in Wichita, Kansas aufgewachsenen Schriftstellerin übersetzt worden (Ihre Kooperation mit Mary Higgins Clark nicht mitgezählt). Der ein oder andere Krimikenner wird ob des Namens dennoch hellhörig werden. War da nicht mal etwas mit einer Alafair als Protagonistin?

Wer sich, wie ich selbst, zu den Anhängern des großen Krimi-Autors James Lee Burke zählt, weiß, dass es sich hier um niemand geringeren als seine eigene Tochter handelt. Bereits in der seit Ende der 80er Jahre laufenden Reihe um den Südstaaten-Cop Dave Robicheaux hatte sie als gleichnamige Ziehtochter des Ermittlers schon ungewollt von sich Reden gemacht. Nun tritt sie, zumindest was das Genre angeht, selbst in die Fußstapfen ihres Vaters. Ein Grund, nein, streng genommen, sogar DER Grund, warum „Online wartet der Tod“ in meinem Regal landete, hätten mich doch Titel und auch Inhaltsangabe sonst nur wenig reizen können. Auch mein Bauchgefühl sprach deutlich von einem Titel, „den ich nicht unbedingt haben muss“. Um es kurz zu machen: Ab sofort werde ich darauf wieder hören, denn bei aller Objektivität – die Fußstapfen sind diesmal erheblich zu groß.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die gerade zum Detective beförderte Polizistin Ellie Hatcher, welche, sonst im Dezernat für Betrug und Diebstahl tätig, nun von der Mordkommission des NYPD angefordert wird, um einen vermeintlichen Serienmörder dingfest zu machen. Seine Jagdgründe: die Internet-Kontaktbörse „FirstDate.com“. Das glaubt zumindest der leitende Ermittler Flann McIllroy, der, trotz des Abstands von einem Jahr, zwischen zwei seiner Mordfälle die Verbindung in FirstDate sieht. McIllroy, aufgrund seiner Beliebtheit bei den Medien in Kreisen des NYPD eher ein gemiedener Außenseiter, glaubt in der attraktiven Ellie, welche zudem selbst aufgrund der mysteriösen Umstände beim Tod ihres Vaters in den Medien keine Unbekannte ist, den perfekten Lockvogel gefunden zu haben, um den Täter eine Falle zu stellen. Doch er hat sowohl Ellie als auch den Täter unterschätzt. Forsch übernimmt die junge Detective die Nachforschungen … und sieht sich bald mit einem Gegenüber konfrontiert, der jeden ihrer Schritte vorherzusehen scheint.

Wo liegt das Motiv für die Morde? Wie ist FirstDate involviert? Die Suche nach den Antworten auf diese Fragen bringt nicht nur Ellie selbst in größte Gefahr …

Zugegeben: Was auf den ersten Blick wie der typische Mainstream-Aufguss des x-mal durchgekauten Serienmörder-Themas erscheint, entpuppt sich doch (gottseidank) recht bald als weit komplexerer Polizeiroman, der uns mit soziopathischen Super-Bösewichten verschont und Ellies Ermittlungen stattdessen als schweißtreibende Arbeit darstellt. Und nicht nur in dieser Hinsicht kommt Alafair Burke ganz nach ihrem Vater. Auch ihre Heldin trägt gleich ein paar autobiographische Züge in sich. Angefangen beim Geburtsort Wichita bis hin zum Themenfeld Online-Kontaktbörse, wo Burke ihren späteren Ehemann kennenlernte. Hier enden aber dann auch die Parallelen zu James Lee Burke, der stilistisch einfach in einer ganz anderen Liga spielt. Das fängt bereits mit dem Schauplatz des Geschehens an. Während man beim Vater die von Spanischen Moos bewachsenen Bäume vor sich zu sehen, die feucht-warme Hitze der Bayous auf der Haut zu spüren glaubt, hinterlässt das New York seiner Tochter keinerlei bleibenden Eindruck. Im Gegenteil: Die Story hätte genauso gut in Chicago oder L.A. angesiedelt sein können. Vom Showdown einmal abgesehen fehlt es hier leider gänzlich an Atmosphäre, krankt der Handlungsort an der Austauschbarkeit und dem Mangel an Flair.

Dabei kann man Alafair Burke nicht einmal handwerkliche Mängel vorwerfen. Ihre Schreibe liest sich flüssig, temporeich. Die leicht lakonische Ader und der trockene Humor zünden an den vorgesehenen Stellen. Und Ellie Hatcher ist weit von einer (mittlerweile) nervigen Alleskönnerin wie Amelia Sachs entfernt … und doch, irgendetwas, die gewisse Würze, dieser eigenständige Stil, die „intensive Ausstrahlung“ (von Ex-Krimi-Couch-Kollege Jürgen Priester hervorgehoben) – sie fehlen mir hier. „Online wartet der Tod“ macht viel richtig, hebt sich aber auch nirgendwo von der Konkurrenz ab. Einen triftigen Grund das Buch unbedingt lesen zu müssen sucht man vergebens. Stattdessen spult Alafair Burke ihren gefälligen, in sich stimmigen Plot routiniert herunter ohne große Glanzpunkte zu setzen, was aber wohl dem Fast-Food-Krimi-Junkie weder auffallen noch groß stören wird.

Denjenigen Lesern, die sowohl Vater wie Tochter gelesen haben, wird der qualitative Unterschied allerdings nicht entgehen. Und das stattdessen gerade Ersterer seit dem Jahr 2002 vom deutschen Verlagsweisen bezüglich weiterer Übersetzungen gänzlich ignoriert wurde, stößt angesichts der vorliegenden Lektüre (und dem Cameo-Auftritt von Dave Robicheaux in „Online wartet der Tod“) dann besonders bitter auf.

So bleibt am Ende ein netter, kurzweiliger Krimi für das Wartezimmer, die Bushaltestelle oder die nächste Zugfahrt. Statt einem „vielversprechenden“ (O-Ton Jürgen Priester) ersten Auftritt bleibt insgesamt leider nur ein Buch, von dem ich mir zu viel versprochen habe. Daher: Lieber Dtv-Verlag, danke für diese Vorspeise. Aber ich bleibe lieber beim Hauptmenü und das heißt James Lee Burke.

Wertung: 79 von 100 Treffern

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  • Autor: Alafair Burke
  • Titel: Online wartet der Tod
  • Originaltitel: Dead Connection
  • Übersetzer: Susanne Wallbaum
  • Verlag: dtv
  • Erschienen: 08.2011
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 464 Seiten
  • ISBN: 978-3423213141

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© Pendragon

So schön Krimi-Reihen eigentlich sind, erweisen sie sich für Menschen wie mich, die notorischer Weise jeden Titel unbedingt besprechen wollen, dann doch manchmal als eine gewisse Bürde. Insbesondere im Falle von Autoren wie dem inzwischen verstorbenen Robert B. Parker, welcher sowohl mit seinen Spenser-Romanen als auch bei der Jesse-Stone-Reihe jegliche Experimente strikt abgelehnt und stets nach bewährten Rezept bzw. Konzept geschrieben hat, was es wiederum etwas schwierig macht, das „Besondere“ hervorzuheben. Denn – so negativ das jetzt geklungen haben muss– Parkers Werke sind, fernab krimineller Superlative der Mainstream-Konkurrenz, (fast) uneingeschränkt empfehlenswert und können größere Aufmerksamkeit seitens der deutschen Leser zweifelsfrei gebrauchen.

Insofern kommt da der fünfte Band um Polizeichef Jesse Stone (bekannt auch durch die CBS-Verfilmungen mit Tom Selleck in der Hauptrolle) gerade recht, stellt „Tod im Hafen“ doch den bisherigen Höhepunkt der Serie dar, was nicht zuletzt daran liegt, dass Parker ein wenig die Komfortzone verlässt und thematisch heißeres und auch emotional aufwühlenderes Eisen anfasst.

Sieben Jahre sind inzwischen vergangen, seit der Cop Jesse Stone Los Angeles den Rücken gekehrt und seinen Posten als Polizeichef im fiktiven Provinznest Paradise im Bundesstaat Massachusetts bezogen hat. Die Zeiten als Ermittler in der Mordkommission liegen genauso hinter ihm, wie seit kurzem auch der Alkohol. Seit zehn Monaten und genau dreizehn Tagen hat er keinen Schluck mehr getrunken. Und auch seine Beziehung zu Ex-Frau Jenn steht wieder unter einem besseren Stern. Nach vielen Affären auf beiden Seiten wagen sie nun einen Neuanfang. Wortwörtlich paradiesische Zustände also, wäre da nicht die im Hafenbecken angeschwemmte Leiche einer jungen Frau, welche Rätsel aufgibt, zumal Florence Horvath, so ihr Name, eigentlich in Fort Lauderdale, Florida, wohnhaft ist.

Ist es wirklich nur ein Zufall, dass gerade zu dieser Zeit die Rennwoche stattfindet? Ein riesiges Event in Paradise, das zahlreiche Besitzer großer, teurer Yachten in den Hafen lockt und doch weit weniger mit Segelsport zu tun hat, als der Name auf den ersten Blick vermuten lässt. Stattdessen werden feuchtfröhliche Parties an Bord und an Land gefeiert. Und Florence, Tochter reicher Eltern, attraktiv, durch und durch verwöhnt und mit einer Vorliebe für außergewöhnliche Sexspiele, scheint, wie Jesse Stone und seine Kollegen recht bald herausfinden, fester Bestandsteil der ausartenden Exzesse gewesen zu sein. Warum aber leugnen dann Besitzer, Crew und Gäste der „Lady Jane“ Florence gekannt zu haben? Und weshalb haben sich ihre Schwestern, Musterbeispiele der Kategorie „Blond und Blöd“, jetzt ebenfalls nach Paradise begeben, um selbst Nachforschungen anzustellen?

Mit der ihm eigenen Sturheit und Beharrlichkeit ermittelt Stone in den Kreisen der „Upper Class“ und muss nach und nach erkennen, dass es sich bei Florence‘ Tod nur um die Spitze eines Eisbergs aus Sex, Gewalt, Lügen und Verdrängung handelt …

Dass die High Society nicht selten einem Sündenpfuhl mit tiefsten Abgründen gleichkommt, ist ganz sicher keine neue Erkenntnis und wird in „Tod im Hafen“ auch nicht zum ersten Mal in der Form eines Kriminalromans präsentiert. Interessant ist aber die Herangehensweise von Robert B. Parker, der sich nur allmählich und – vor allem im ersten Drittel – behutsam der Thematik nähert, wobei er mittels einfachster Tricks und Kniffe, dem Leser die hedonistischen Ausschweifungen der Reichen vor Augen führt. Drogen, zügelloser Sex, Alkohol – im Rausch fällt die Fassade des Wohlstands zusammen, bricht sich ein Deck tiefer, unter dem blank gebohnerten Teakholz der Yachten, das Primitive und Dreckige des Menschen Bahn. Probleme und Widrigkeiten – unter den Oberen Zehntausend werden sie in Cocktails ertränkt, menschliche Schicksale mit starren, facegelifteten Masken weggelächelt, wodurch Jesse Stone wiederum auf eine Mauer des Schweigens stößt, die, vor allem was die sexuellen Ausschweifungen angeht, zunehmend seinen inneren Friedens stört, da etwas in ihm davon nicht unbehelligt bleibt. Er selbst hegt zunehmend unkeusche Gedanken gegenüber Jenn, kann die Eifersucht nicht abschütteln – macht ihn das den Teilnehmern dieser orgiastischen Veranstaltungen ähnlich? Antworten auf diese Fragen sucht er, wie fast in jedem Band, bei seinem Psychotherapeuten Dix.

Auch aus diesem Grund schleppen sich vor allem anfangs seine Ermittlungen hin, was die ungeduldigen unter den Lesern hoffentlich nicht mit einem Abbruch der Lektüre quittieren werden, da „Tod im Hafen“ einem guten Wein gleichkommt, dem man die Zeit zum Atmen geben muss, um anschließend das „Aroma“ kosten zu können. Wobei Aroma in diesem Zusammenhang eher einen faden Beigeschmack bezeichnet, der sich unabwendbar die Kehle hinaufarbeitet, wenn uns Robert B. Parker mit jeder weiteren Seite mehr haarsträubenden Details aussetzt und sich aus dem reinen Mordfall schließlich eine dramaturgische Tragödie entwickelt, welche zunehmend auch familiäre Züge aufweist. In der Auseinandersetzung mit den haarsträubenden, ans Licht kommenden Details zeigt sich dann auch die Stärke dieses Romans, der, gleichsam dem Ablauf einer rauschenden Party, einen Bogen von ungehemmter Ausgelassenheit hin zum morgendlichen Kater schlägt – in diesem Fall verkörpert durch menschliche und moralische Abgründe, die selbst hartgesottene Leser wohl nicht kalt lassen dürften.

Selten, wirklich sehr selten, hat Robert B. Parker seinen emotionalen Schutzschild derart tief gesenkt, wie hier in „Tod im Hafen“. Obwohl auch der fünfte Band der Reihe von seinem kurz-knappen, schnoddrigen und vor allem schnörkellos-geschliffenen Stil dominiert wird, umgibt ihn doch eine gewisse, traurige Schwere, die an keiner Stelle künstliche Züge annimmt, sondern der abschließenden Auflösung des Falls auf gebührende, und vor allem ernsthafte Art und Weise, Rechnung trägt. Insbesondere das letzte Drittel beeindruckt und bedrückt gleichermaßen, erinnerte mich streckenweise gar an die Umtriebe in Bret Easton Ellis Kult-Roman „Unter Null“, der in einem ähnlich parasitären Umfeld spielt und dessen Protagonisten sich auf der „Lady Jane“ wohl auch gut aufgehoben fühlen würden.

Natürlich wäre ein Jesse Stone kein Jesse Stone, wenn uns Parker nicht auch hier ein paar flotte Sprüche und noch flottere Damen kredenzen würde. Die Anwältin Rita Fiore (bekannt aus der „Spenser“-Reihe – der in „Tod im Hafen“ nur als „Detektiv“ bezeichnet wird) und die Polizeibeamtin Kelly Cruz aus Fort Lauderdale, die vor Ort im Auftrag des Polizeichefs aus Paradise weiteren Spuren nachgeht, komplettieren die übliche Besetzung aus heißen Bräuten, die nun mal immer irgendwie Stones Nähe suchen – wie sich das für den smarten Cop alter Schule halt gehört. Dass diese Schilderungen sich nicht abnutzen, liegt dann nicht zuletzt auch an der unheimlich gelungenen Übersetzung von Bernd Gockel, der die auf Tempo frisierten, lässigen Dialoge samt Ironie, Zynismus und Sarkasmus über die gesamte Distanz äußerst stilsicher ins Deutsche überträgt. Gerade bei diesem Band, der sich an der Balance zwischen Coolness und Ernsthaftigkeit unbedingt messen lassen muss, sollte Gockels Wirken als entscheidend gewürdigt werden.

Tod im Hafen“ – das ist eben doch nicht einfach nur der x-te Band irgendeiner Krimi-Reihe, sondern ein erschreckend aktueller, unheimlich eindringlicher Augenöffner im Gewand des Spannungsromans, dessen stufenweise zu Tage tretende Enthüllungen ihn entdeckungs- und vor allem lesenswert machen. Gefangen im Mahlstrom von Dekadenz und Pomp liefern sowohl Parker als auch Jesse Stone ihre bis hierhin beste Leistung innerhalb der Serie ab.

Wertung: 89 von 100 Treffern

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  • Autor: Robert B. Parker
  • Titel: Tod im Hafen
  • Originaltitel: Sea Change
  • Übersetzer: Bernd Gockel
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 07.2014
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 328 Seiten
  • ISBN: 978-3865324160

… und sie spielen Bonnie und Clyde.

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© Pendragon

Während mir mein Job mal wieder kaum Zeit lässt, mich meiner aktuellen Lektüre, James Ellroys „Browns Grabgesang“ zu widmen, nutze ich hier mal die Gelegenheit, um meinen Jesse-Stone-Marathon weiterzuführen. Dieses Mal im Fokus – Band 4, „Eiskalt“.

Es ist ein Merkmal von Krimi-Serien, das mit fortschreitender Dauer und wachsender Anzahl der Titel, die Wahrscheinlichkeit immer größer wird, vom möglicherweise nächsten Fall enttäuscht zu werden, da sich die steigende Qualität naturgemäß auf die Erwartungshaltung eines Lesers auswirkt. Eine Bürde, welche auch der vierte Band aus Robert B. Parkers Reihe um den Polizeichef Jesse Stone, „Eiskalt“, tragen muss, der in Stil und Ton zwar durchaus an seinen äußerst lesenswerten Vorgänger anzuknüpfen weiß, dessen Esprit und Spannungsbogen jedoch nicht mehr durchgängig aufrecht erhalten kann. Damit pflegt der amerikanische Autor, der bereits im Januar 2010 verstarb, aber auch eine gewisse Tradition: Im Modus Operandi was das Schreiben betrifft sich stets treu geblieben, fehlte, insbesondere in Bezug auf die Spenser-Krimis, manchmal dann doch diese gewisse Konstanz, wenngleich man an dieser Stelle auch deutlich betonen muss – in der Ausarbeitung seiner Figur Jesse Stone zeigt sich Parker nochmal um einiges gereift.

Bei vielen seiner Leser gilt der kauzige Provinzcop, den Tom Selleck auch in mehreren Fernsehverfilmungen verkörperte, inzwischen ohnehin als der bessere Spenser. War der Bostoner Privatdetektiv noch eindeutig den Traditionen von Chandler und Hammett verhaftet und als zeitgemäße Fortsetzung des „Noir“-Genres konzipiert, ist Parkers jüngere Serie in gewissem Sinne als ein Zugeständnis an die Moderne zu verstehen – ohne dabei die Wurzeln, denen sich der Autor verbunden fühlte, leugnen zu wollen. Eine Mischung, die funktioniert und in deren Genuss wir dank des Pendragon Verlags nun endlich auch in Deutschland kommen.

Das Wort „Genuss“ darf, trotz oben bereits angedeuteter Kritik, auch im Zusammenhang mit „Eiskalt“ verwandt werden, da der im Original („Stone Cold“) bereits 2003 erschiene Titel zwar der bis hierhin schwächste Titel der Stone-Serie ist, die (leider) mehr etablierte Genre-Konkurrenz hierzulande aber in den meisten Fällen hinter sich lässt. Dies sei schon allein deswegen erwähnt, weil sich Parker gleich zwei Themen widmet, welche er in der Vergangenheit eher gemieden hat und die dem Krimi-Freund derzeit in immer billigeren und blutigeren Varianten in Buchhandlungen stapelweise präsentiert werden. Um das zu konkretisieren, sei die Story kurz angerissen:

Eine Mordserie hält die (fiktive) US-Kleinstadt Paradise in Atem: ein Jogger am Strand, eine Frau vor einem Einkaufscenter und ein Mann auf offener Straße. Getötet durch zwei Schüsse in die Brust aus kurzer Distanz. Parallel abgefeuert aus zwei verschiedenen Waffen. Und damit enden auch die Gemeinsamkeiten der Morde. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Opfer sich kannten. Was also ist das Motiv? Polizeichef Jesse Stone steht vor einem Rätsel und angesichts des stetig wachsenden Medienaufkommens auch unter öffentlichem Druck. Weitere Morde kann er sich nicht leisten – er muss die Täter fassen. Und zwar so schnell wie möglich…

Was erst einmal wie der typisch abgeschmackte „Serienkiller-nimmt-Ermittler-ins-Visier“-Plot klingt, umschifft das Mainstream-Allerlei mit der wie üblich stilsicheren Routine, die halt nur ein Robert B. Parker auf Papier zu bringen weiß. Wer also bei der Lektüre des Klappentexts Angst bekommen sollte, einen weiteren drögen Schlitzer-Thriller im Ami-Style präsentiert zu bekommen, dem sei diese sogleich genommen. Zynisch, knapp und mit herrlich lakonischen Dialogen gewürzt zieht die Story recht schnell in den Bann, welche sich in erster Linie auf Jesse Stone konzentriert und nur in kurzen Ausschnitten auch einen Blick auf die anderen Charaktere wirft. Das hat Vor- und Nachteile, denn gerade der Weiterentwicklung seines privaten Lebens – seine Alkoholabhängigkeit und die äußerst seltsame „Nicht“-Ehe mit Ex-Frau Jenn sind wieder äußerst präsent – wird in manchen Passagen der Spannungsbogen dann doch zu arg geopfert. Zumal Weiterentwicklung einen weit größeren Schritt ankündigt, als Stone ihn in Wirklichkeit geht. Der sehr gelassene, in sich ruhende und sture Cop beharrt, trotz Sprechstunden beim Psychologen, stur auf seinem Standpunkt, der Liebe zu seiner Ex – die ihn jedoch nicht davon abhält, in schöner Regelmäßigkeit mit jeder sich bietenden Frau in die Kiste zu steigen. Es ist Parkers großes Verdienst, dass er es trotzdem irgendwie schafft, dass dieser Womanizer und eiskalte Hund trotzdem so menschlich daherkommt.

Einen Fehler macht er dennoch. Und dieser ist gerade bei Kriminalromanen eigentlich unverzeihlich. Er lässt Stone an keiner Stelle die Kontrolle über das Geschehen verlieren. Sicher, kleine Fehler baut er auch diesmal wieder, doch wird an keiner Stelle im Buch ein Gefühl der Gefahr oder Bedrohung kreiert, da seine Gegenüber ihm augenscheinlich nicht gewachsen sind und Stone, der selbst ins Visier des Killerpärchens gerät, weiterhin gänzlich in sich ruht. Coolness gut und schön – aber gerade die hier im weiteren Verlauf geschilderten Schicksalsschläge und Niederlagen sollten auch an einem so gelassenen Gemüt wie dem von Stone mehr rütteln. Was für andere Krimis jetzt der Genickschlag wäre, ist in „Eiskalt“ tatsächlich aber nur ein Schönheitsfehler, der dem Lesevergnügen letztlich nicht abträglich ist. Auch weil Parker zweigleisig fährt und neben der Jagd nach den Killern (die Idee durch Mord einen Kick beim Sex zu bekommen fand ich durchaus interessant geschildert; die nach außen gelebte Normalität der beiden unheimlich erschreckend) den Vergewaltigungsfall nicht aus den Augen verliert. Stoisch versucht er Gerechtigkeit für die junge Candace zu erreichen oder ihr zumindest den Spaß am Leben in gewissem Maß zurückzugeben. Parker gelingt dieser Balanceakt zwischen Sozialkritik und juristischen Fallstricken hervorragend. Im Verbund mit dem durchgehend melancholisch-traurigen Ton von „Eiskalt“ sorgen sie für die Realitätsnähe, welche der Krimi-Konkurrenz oftmals abgeht.

Wer sich jetzt fragt, ob das als Kaufargument reicht, dem sei eindrücklich mit „Ja“ geantwortet. Trotz gewisser Abnutzungserscheinungen und einem latent vorhandenen Gefühl der Vorhersehbarkeit – „Eiskalt“ unterhält doch einmal mehr gekonnt und unaufgeregt, so dass die knapp 350 Seiten schnell durchgeschmökert sind – und wir uns auf den nächsten Band der Jesse-Stone-Reihe freuen dürfen.

In diesem Sinne: Ich bleibe weiterhin „Stoned“.

Wertung: 80 von 100 Trefferneinschuss2Autor: Robert B. Parker

  • Titel: Eiskalt
  • Originaltitel: Stone Cold
  • Übersetzer: Bernd Gockel
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 02.2014
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 348
  • ISBN: 978-3865323910

Paradise City … where the grass is green and the girls are pretty

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© Pendragon

Weiter geht’s mit meinem Rezensionsmarathon zur Jesse-Stone-Reihe von Robert B. Parker. Diesmal im Blickfeld – Band drei, „Die Tote in Paradise“.

Klein, aber fein“. Ein Prädikat was, in der Vergangenheit oft vergeben, selten in dem Maße so zugetroffen hat, wie auf den Bielefelder Pendragon Verlag, der bereits seit Jahren für die Wiederentdeckung von Klassikern des Kriminalroman-Genres verantwortlich zeichnet und dabei in schöner Regelmäßigkeit ein äußerst gutes Händchen beweist. Nach den Shaft-Titeln von Ernest Tidyman und Robert B. Parkers Serie um den knallharten Privatdetektiv Spenser, kommen die deutschen Leser seit Anfang 2013 nun auch endlich in den Genuss der bis dato unveröffentlichten Jesse-Stone-Serie, welche mit „Die Tote in Paradise“ und dem gleichzeitig erschienenen Titel „Eiskalt“ Anfang 2014 in die dritte und vierte Runde dieser irgendwann hoffentlich vollständigen Werkausgabe ging. Eine solche Vollständigkeit wäre wünschenswert, einen langen Atem beim Verlag und genug Interesse bei den Krimi-Freunden hierzulande vorausgesetzt. Da Parker vielleicht durch Letztere jedoch eher weniger Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, bietet sich hier einmal mehr die Gelegenheit die Werbetrommel zu rühren. Schließlich gilt auch für „Die Tote in Paradise“ wieder: Parker ist und bleibt eine Klasse für sich!

Kurz zur Story: In der fiktiven Ostküsten-Kleinstadt Paradise ist nach den Ereignissen auf Stiles Island (siehe „Terror auf Stiles Island“) endlich wieder etwas Ruhe eingekehrt, was zur Folge hat, dass selbst Polizeichef Jesse Stone sich eines Feierabends erfreuen darf. Den verbringt er zumeist mit Freunden auf dem Baseball-Platz, wo der ehemalige Profispieler Stone die Sorgen des Alltags zumindest für eine Weile vergessen kann. So denkt er zumindest, bis eines Abends am nahegelegenen See die stark verweste Leiche einer jungen Frau gefunden wird. Während recht schnell fest steht, dass es sich um Mord handelt, gibt die Identität der Toten Rätsel auf. Niemand scheint sie zu kennen oder zu vermissen. Allein ein Ring gibt Hinweise auf ihren möglichen Namen, doch die dazu gehörigen Eltern geben vor keine Tochter zu vermissen.

Doch ein Jesse Stone lässt sich so leicht nicht entmutigen und geht den vielen Fragen auf den Grund. Was hatte das Mädchen mit einem stadtbekannten Mafioso zu tun? Warum wird sie sogar von ihren eigenen Eltern verleugnet? Und wie passt ein Bestseller-Autor in das Szenario? Die Suche nach Antworten führt ihn bis ins benachbarte Boston … und wieder einmal auch in die Gesellschaft der ein oder anderen schönen Frau.

Ja, natürlich könnte man es sich als Rezensent hier leicht machen und Band 3 der „Jesse-Stone“-Reihe unter „Business as usual“ abhaken, die üblichen Automatismen der Reihe betonen und damit Nichtkennern der Serie gleichzeitig ungewollt die Lust auf Parkers Kriminalromane nehmen, welche tatsächlich selten wirklich neue Wege gehen, dafür aber eben auf eine Art bestechen, die in der Vergangenheit nur wenige beherrscht haben: Die Variation auf kleinem Raum. Das ökonomische Schreiben mit minimalem Aufwand und Umfang. Der kurze, knackige Roman, der nur eine Richtung kennt. Und die heißt vorwärts. Wie auch die inzwischen ebenfalls verstorbenen Kollegen Donald E. Westlake (alias Richard Stark) oder Elmore Leonard, so ist auch Robert B. Parker dem ihm eigenen Stil stets treu und Experimenten gegenüber eher skeptisch geblieben. Und warum auch etwas reparieren, das so gut funktioniert wie hier in „Die Tote in Paradise“?

Ein Parker-Roman bietet das Erwartete und verzichtet zumeist gänzlich auf künstliche Twists und Turns, wie sie uns in vielen aktuellen Thrillern und Krimis oft begegnen. Langeweile also vorprogrammiert? Gerade das eben nicht, denn Parkers flüssige Schreibe gleicht diese fehlenden Aha-Effekte aus, überzeugt mit stilvoller Cleverness, in der sich nicht selten eine unterschwellige Satire des Kleinststadtlebens mischt, die den genauen Beobachter Robert B. Parker offenbart. Schuld, Verlangen, Verzweiflung, Wut. All dies sind Ingredienzen dieses Romans und spielen sich dennoch in einem kleinen Rahmen ab, der große Showdowns nicht benötigt und auf kunstvoll in Szene gesetzte Action ebenfalls verzichtet. Einem Schuss folgt hier schlicht der Tod. Und diesem ein abschließender Bericht. Das Nehmen eines Menschenlebens ist Parker selten einen ausschweifenden Kommentar wert. Und auch die Gefühle und die Gedanken des Protagonisten bleiben uns hier eher verschlossen. Die immer wieder in verschiedensten Formen auftauchenden Schönheiten des Ortes sind hier das einzige Zugeständnis des Autors an ein künstliches Setting. Der Rest könnte direkt in Aufbau und Ablauf des Verbrechens durchaus einem normalen Polizeibericht entnommen worden sein.

In Zeiten von komplexen Romanen mit über 1000 Seiten, von Thrillern mit hunderten von Toten und Tonnen von Blut, wirkt „Die Tote in Paradise“ wie ein Anachronismus, ein Relikt einer vergangenen Ära, als Polizisten noch Hüte trugen und Sonnenstrahlen durch Jalousien auf das bärtige Antlitz eines rauchenden Privatdetektivs fielen. Und doch zeigt sich gleichzeitig: Parker kochte dieses Rezept immer wieder nur aus einem Grund: Weil es zeitlos ist und weil es schmeckt. Bis heute. Und ganz sicher auch in naher Zukunft noch.

Die Tote in Paradise“ ist ein herrlich schroffes, ungeschliffenes Krimi-Juwel im Meer Dutzender Kieselsteine. Unbedingt entdeckungswürdig. Uneingeschränkt empfehlenswert. Wer Police-Procedurals ohne Pathos mag und unter „Hardboiled“ mehr als nur seelenlose Gewalt versteht, der darf und sollte hier zugreifen.

Wertung: 85 von 100 Trefferneinschuss2Autor: Robert B. Parker

  • Titel: Die Tote in Paradise
  • Originaltitel: Death in Paradise
  • Übersetzer: Bernd Gockel
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 02.2014
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 312
  • ISBN: 978-3865323699