Der Schatten der Königin

© Lübbe

Knapp vier Jahre nach dem Auftakt zur Reihe um Otto, den Großen lässt Rebecca Gablé mit „Die fremde Königin“ eine Fortsetzung folgen, die ungefähr dreizehn Jahre nach „Das Haupt der Welt“ ansetzt und den Leser damit zurück in eine Epoche führt, in welcher der ostfränkische König und Herzog von Sachsen sein Herrschaftsgebiet auf Italien auszudehnen versucht. Ein, wie wir aus heutiger Sicht wissen, entscheidender Zeitraum in seiner Regentschaft und damit beste Voraussetzung für einen weiteren großen historischen Roman aus der Feder der deutschen Bestseller-Autorin. Doch wird Gablé diesen Erwartungen diesmal auch gerecht?

Fakt ist: „Das Haupt der Welt“ war einmal mehr eine durchgehend kurzweilige und gewissenhaft recherchierte Lektüre, ließ aber das gewisse Etwas, diesen speziellen, ansteckenden Funken ihrer vergangenen Werke über weite Strecken vermissen und überraschte stattdessen durch für Gablé untypische, unnötig ausgewalzte und en detail beschriebene Romanzen, was ihr meiner Ansicht nach nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal geraubt, sondern auch den qualitativen Abstand zur Genre üblichen, femininen Schmuse-Literatur verringert hat. Hinzu kam mit Tugomir leider noch ein farbloser Protagonist, der keiner der Figuren aus ihrer Waringham-Saga auch nur ansatzweise das Wasser reichen und mit dem man sich entsprechend wenig identifizieren konnte. So überwiegt vor Beginn der Fortsetzung also tatsächlich die Skepsis. Und diese ist, so viel darf ich vorab verraten, letztendlich dann auch nicht ganz unberechtigt.

Garda, Norditalien 951 n. Chr. Nach dem Tod ihres Gemahls Lothar, dem ehemals mächtigsten Mann der Lombardei, darbt dessen Witwe Adelheid im Turmverlies der mächtigen Burg, unter Druck gesetzt vom unbarmherzigen Markgraf Berengar von Ivrea, der es auf ihre rechtmäßige Krone abgesehen hat und sie zu diesem Zweck mit seinem Sohn vermählen will. Die Chancen sich ihm zu widersetzen schwinden mit jedem weiteren Tag, denn Berengar schreckt auch nicht davor zurück, das Leben ihrer Tochter Emma zu bedrohen. Sie beschließt die Initiative zu übernehmen und findet tatsächlich einen Ausweg aus ihrem Gefängnis, durch den ihr letztlich sogar die Flucht gelingt. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Auch König Otto I. ist aus ganz persönlichen Gründen an ihrer Rettung gelegen und hat einen seiner besten Panzerreiter, den jungen Bastard Gaidemar ausgesandt, um sie zu befreien. Gemeinsam entkommen sie knapp ihren Häschern und erreichen die Burg von Canossa, von wo mit Graf Atto einer der wenigen Verbündeten des Königs in Italien regiert. Während Otto in Adelheid vor allem die Eintrittskarte für Italien sieht, hat Gaidemar weit tiefere Gefühle für die leidenschaftliche Frau, was diese schließlich dennoch nicht davon abhält, den charismatischen Herzog von Sachsen zu heiraten.

Daheim an dessen Hof in Magdeburg hat Adelheid nicht nur aufgrund der kalten Temperaturen so ihre Anpassungsprobleme, kann aber dennoch nach und nach das Volk für sich gewinnen. Sehr zum Missfallen von Ottos Sohn Liudolf, der die mangelnde Unterstützung seines Vaters beklagt und mit steigender Wut beobachtet, wie ihm sein Onkel, Herzog Heinrich von Bayern, immer wieder vorgezogen wird – ungeachtet dessen vieler Verfehlungen in der Vergangenheit. Während Gaidemar nach und nach in den Rängen der Panzerreiter aufsteigt und als „Schatten der Königin“ für deren Schutz sorgt, rumort es zunehmend mehr unter den Adligen des Reichs. Als es zum Aufstand kommt muss sich Gaidemar zwischen seiner Freundschaft zu Liudolf und der Loyalität zur Königin entscheiden. Doch ein weit größere Gefahr setzt den Konflikten in Ottos Herrschaftsgebiet ein jähes Ende: In Bayern und Schwaben sind die Ungarn eingefallen. Und anders als in der Vergangenheit machen sie diesmal keinerlei Anstalten, sich wieder zurückzuziehen. Otto sieht sich gezwungen, die Heere mehrerer Länder unter seiner Führung zu vereinen, um dem Feind die Stirn bieten zu können. Auf dem Lechfeld nahe Augsburg kommt es für alle schließlich zur Schlacht, welche das Schicksal der deutschen Herzogtümer – und damit der Deutschen an sich – entscheiden soll …

Vielleicht kann man es schon Beginn zwischen den Zeilen herauslesen, aber diese Rezension wollte irgendwie nicht so flüssig zu „Papier gebracht“ werden, wie ich das gewohnt bin, da ich mich äußerst schwer damit getan habe, die einzelnen positiven und negativen Aspekte mit Augenmaß zu gewichten. So darf ich zwar nachdrücklich konstatieren, dass sich Gablé mit „Die fremde Königin“ gegenüber dem Vorgänger wieder verbessert hat, zuletzt auffällige Schwächen sich aber auch durch diesen Roman ziehen. Ja, wenn man die nostalgische Verklärung außen vor lässt, so waren auch die frühen Werke der Autorin in ihrer Charakterisierung immer etwas modern geraten und nie wirklich dem mittelalterlichen Setting verpflichtet. Dennoch waren es gerade die historischen Figuren und ihre Zeichnung, welche die Barrieren der Geschichte bei der Lektüre so schnell zu Fall brachten und dafür gesorgt haben, dass man sich nach wenigen Seiten widerstandslos der geistigen Zeitreise hingab. Diesen Widerstand zu überwinden, gelang Gablé zuletzt leider seltener und hier macht sie auch beim vorliegenden Titel nur kleine Fortschritte, denn mit Ausnahme von Liudolf sind mir nach Beendigung des Buches keine weiteren der realen Persönlichkeiten in Erinnerung geblieben. Das ist insofern hervorzuheben, da es gerade ein William, der Eroberer oder ein John of Gaunt war, der mit seiner Präsenz die Helmsby bzw. Waringham-Titel getragen und nachhaltig beeindruckt hat. Überhaupt gibt es meines Erachtens einfach zu wenig Otto in diesem historischen Epos über eben jenen Herrscher. Und wenn er die Bühne mal für sich beanspruchen kann, wird er uns als naiver, unsicherer und extrem wankelmütiger König präsentiert, den die Power-Frau Adelheid nach Belieben zu lenken weiß.

Während Gablé hier also wenig Fortschritte macht, ist ihr dafür mit der Hauptfigur, dem Bastard Gaidemar wieder ein echter Volltreffer gelungen. Der harsche, verschlossene und unerbittliche Panzerreiter ist nicht nur eine Söldnerseele nach meinem Geschmack, sondern auch mit hoher Wahrscheinlichkeit – an den historischen Gegebenheit gemessen – am ehesten akkurat gezeichnet und wartet zusätzlich mit einer interessanten Hintergrundgeschichte auf, die sich nur nach und nach entblättert. In vielen seiner Charakterzüge erinnert er (nicht grundlos) an Ottos Bruder Thankmar aus „Das Haupt der Welt“ und sorgt mit seiner schroffen Natur für die dringend benötigte Reibung in diesem über weite Strecken äußerst „bequemen“ Roman. Und mit bequem beziehe ich mich auf die Situation in der sich die Protagonisten größtenteils befinden, denn es fehlt einfach an Dramatik und an Gefahrenpotenzial – und vor allem an einem hinreichend ernst zunehmenden Antagonisten, um überhaupt so etwas ähnliches wie ein Gefühl der Sorge beim Leser zu wecken. Ob auf der Schlacht auf dem Lechfeld – welche Gablé übrigens fantastisch in Szene gesetzt hat, ein Highlight dieses Buches – oder beim Aufstand und dem mysteriösen Tod Liudolfs (den die Autorin ruhig größer in die Handlung hätte einbauen können), es will sich kein richtiges Spannungsmoment aufbauen, das zumindest zwischenzeitlich mal Zweifel am Erfolg der Beteiligten nährt. Gerade hier hat Gablé in der Vergangenheit ihre Stärken gezeigt und uns selbst um Charaktere bangen lassen, deren historischen Lebenslauf man ja eigentlich bereits kennt.

So negativ der Tenor nun insgesamt klingen mag, „Die fremde Königin“ ist einmal mehr ein lesenswertes Buch. Rebecca Gablé erweckt diesen Zeitabschnitt der frühen deutschen Geschichte farbenfroh und atmosphärisch zum Leben, kann die mitunter komplizierten Familienverhältnisse und politischen Bündnisse erfrischend kurzweilig übermitteln und vermag Ottos Weg zur Kaiserkrone dank ihrer profunden Kenntnis akkurat zu Papier bringen. Dieser Weg ist allerdings weit linearer als ich mir das gewünscht hätte und – ja, ich muss sie nochmal lobend erwähnen – von ihren frühen Waringham-Romanen gewohnt bin. Mehr Komplexität, mehr Mut zur Tiefe und weniger massentaugliche Zugänglichkeit hätten diesem zweiten Band des Zyklus sicher gut zu Gesicht gestanden.

Wertung: 87 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: Rebecca Gablé
  • Titel: Die fremde Königin
  • Originaltitel:
  • Übersetzer:
  • Verlag: Bastei Lübbe (Ehrenwirth Verlag)
  • Erschienen: 04.2017
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 768
  • ISBN: 978-3431039771

Vom König der Deutschen

© Lübbe

So schön das Dasein als Vielleser und bibliophiler Sammler auch ist – es hat auch seine Schattenseiten. Im Wust der zahlreichen vielversprechend tönenden Novitäten schaffen es irgendwann nur noch wenige Titel, den Puls der Erwartung etwas höher schlagen zu lassen und uns den Veröffentlichungstermin als lang herbeigesehntes Ereignis zu kredenzen. Dies liegt nicht unbedingt am satten Leser, sondern an der so großen Menge hervorragender Bücher. (Ob es mehr sind als früher, ist fraglich. Wahrscheinlich haben sich einfach die Möglichkeiten, sie zu entdecken, verbessert) Und die werden, statt wie früher geduldig mit der Angel gefischt, inzwischen von mir in Schleppnetzen nach Hause gebracht, wo sie in Stapeln getürmt um meine knapp bemessene Lesezeit buhlen. Das hat zur Folge, dass nur wenige Novitäten sogleich gelesen werden.

Aber es gibt Ausnahmen. Und die Romane aus der Feder der deutschen Schriftstellerin Rebecca Gablé gehören in diese Kategorie. Als sich mir also an meinem Geburtstag in der Geschenktüte „Das Haupt der Welt“ entgegen reckte, ward mal wieder jegliche Leseplanung über den Haufen geworfen, ist doch ein Ausflug in Gablés Geschichten in der Vergangenheit stets ein lohnenswerter gewesen. Aber auch diesmal?

Das Haupt der Welt“ ist insofern schon ein bemerkenswerter Roman, da Rebecca Gablé erstmals ihrem üblichen Betätigungsfeld, dem englischen Mittelalter, den Rücken gekehrt hat, um sich stattdessen der deutschen Geschichte zuzuwenden. Dies ist, auch wenn viele Leser dies bereits länger gefordert haben, sicherlich ein Wagnis seitens der Autorin, welche die „Sicherheit“ des Schauplatzes Englands für eine Epoche preisgibt, die, und das ist eigentlich das merkwürdige, den meisten deutschen Lesern vielleicht sogar weit weniger bekannt ist. Im Mittelpunkt des wieder einmal in Umfang und Erzählung epischen Romans steht nämlich Otto I., später genannt „der Große“, der in vielen Geschichtsbüchern als Begründer des Deutschen Reiches angesehen wird. Eine Rolle, die er, auch von den Nationalsozialisten für ihre Propaganda missbraucht, so nie verkörperte, denn wie Gablé im Nachwort treffend bemerkt: Eine nationale Identität in dem Sinne hat es zu diesem Zeitpunkt in keinster Weise gegeben. Das einzig „Deutsche“ am riesigen Reich Ottos war die Sprache. Und selbst hier hatten und haben bis heute die Bewohner, je nach Herkunft, so ihre Probleme einander zu verstehen.

Nichtsdestotrotz: Otto I. ist eine interessante Figur und eine noch interessantere Wahl für einen Roman, zumal sich Frau Gablé auf die ersten Jahre seiner Regentschaft konzentriert, was die Möglichkeiten in der Erzählung der Geschichte etwas limitiert. Ein Grund, weshalb auch hier wieder jemand anders die Rolle des Hauptprotagonisten verkörpert, der jedoch, uns das ist neu für Gablé, diesmal keine fiktive Figur ist, sondern wirklich gelebt haben soll.

Die Brandenburg im kalten Winter 929. Tugomir, slawischer Fürstensohn der Heveller, steht kurz vor dem Ende seiner Ausbildung zum Tempel-Priester, als die Belagerung durch den deutschen König Heinrich I. und dessen Sohn Otto ein blutiges Ende findet. Die Festung an der Havel fällt, und Prinz Tugomir und seine Schwester Dragomira werden als Geiseln nach Magdeburg verschleppt. Während sich letztere schnell an die Sachsen gewöhnt und sogar bald ein Kind von Otto erwartet, leidet Tugomir unter dem Verlust von Freiheit und Heimat. So rettet er zwar Otto – widerwillig – das Leben und macht sich einen Namen als Heiler am Hof, doch er bleibt gefangen zwischen zwei Welten. Ein Umstand, der sich noch verschlimmert, als er sich in die Tochter seines größten Feindes verliebt und fortan seines Lebens nicht mehr sicher ist. Geschützt wird Tugomir dabei zumeist von Ottos Halbbruder Thankmar, mit dem ihm eine ungewöhnliche Freundschaft verbindet. Doch die Zeiten unter Ottos Regentschaft sind stürmisch und das Reich von allen Seiten bedroht. Und auch in der eigenen Familie gibt es Widerstand gegen den König der Ostfranken.

Als sich Ottos Gegner schließlich für seinen geplanten Sturz formieren, wendet sich dieser mit einer ungewöhnlichen Bitte an Tugomir – den Mann, der Freund und Feind zugleich ist und dem sich jetzt die einmalige Chance bietet: Das deutsche Reich, den großen Widersacher der slawischen Völker, zu Fall zu bringen. Wie wird er sich entscheiden?

So verheißungsvoll für eine gut erzählte Geschichte diese Ausgangslage auch ist – Gablé kopiert sich hier dennoch ein bisschen selbst, sind doch die Erfahrungen und der Lebenslauf des Hauptprotagonisten Cædmon in „Das zweite Königreich“ denen Tugomirs nicht unähnlich. Beide sind weitestgehend allein unter Feinden, beide fernab der eigentlichen Heimat. Und beide werden irgendwann vor die Wahl zwischen eben dieser und dem neu gefundenen Zuhause gestellt. Der einzige Unterschied dabei: Tugomir tut sich wesentlich schwerer, das sächsische Exil zu ertragen und weigert sich beharrlich Freundschaften mit den sächsischen Feinden zu schließen. Eine durchaus nachvollziehbare Einstellung angesichts dessen, was mit dem Rest seines Volkes nach Einnahme der Brandenburg passiert ist. Dennoch ist es gerade diese Zurückhaltung und der (vor allem zu Beginn) gänzliche Mangel an Freundlichkeit, welcher es dem Leser schwer macht, Sympathie für den slawischen Prinz zu entwickeln, der partout jeder ihm dargebotenen Hand entgegenspuckt.

Überhaupt hat Gablé hier einige Schwierigkeiten damit, einen schnellen Einstieg in die Geschichte zu gewährleisten und eine Brücke zwischen dem Jetzt und dem frühen Mittelalter zu bauen. Ungewöhnlich für eine Autorin, welche mich sonst bereits nach wenigen Seiten vollkommen in den Bann gezogen hat. Ob Robin of Waringham oder eben der bereits genannte Cædmon, die Lebendigkeit der Figuren, ihr Freud und ihr Leid, nahm sogleich automatisch gefangen. „Das Haupt der Welt“ kommt da wesentlich schwerer und schleppender in Fahrt und besonders Tugomir bleibt dem Leser seltsam fremd. Ob das dem ungewohnten Setting zuzuschreiben ist oder vielleicht gar der Tatsache, dass Gablé selbst nicht so wirklich mit ihrem „Helden“ warum geworden ist, vermag ich nicht zu sagen. Fakt ist jedenfalls: Der Roman lässt bereits an dieser Stelle das gewisse und vor allem gewohnte Herzblut vermissen, das die Vorgänger zu solchen Pageturnern hat werden lassen.

Dabei lässt sich der Autorin sonst nicht wirklich viel vorwerfen. Der bildgewaltige Erzählstil überzeugt einmal mehr und der historische Hintergrund, wieder sorgfältig recherchiert, regt zur Auseinandersetzung mit dieser Epoche der deutschen Geschichte an. So werde ich als gebürtiger Westfale dem ein oder anderen Ort meiner Heimat nun sicherlich mehr Aufmerksamkeit schenken bzw. diesen auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Aber das alles, nun ja, reicht mir irgendwie nicht. Vielleicht auch weil Rebecca Gablé die Messlatte durch ihr bisheriges Werk derart hoch gelegt hat, dass damit halt eine gewisse Erwartungshaltung einhergeht. „Das Haupt der Welt“ kommt zu schwer in Gang, die Figuren sehr hölzern daher. Gerade ihr Geschick, die historischen Persönlichkeiten mit Ecken, Kanten und vor allem mit Charisma zu füllen, habe ich doch schmerzlich vermisst. Die meisten, wie z.B. Ottos jüngerer Bruder Henning, genannt „Hasenfuß“, wirken unausgearbeitet, eindimensional. Einziger Lichtblick ist da Halbbruder Thankmar, der mich in seinen Ausschweifungen und dem hitzigen Temperament an Raymond of Waringham erinnert hat und welcher der Handlung, die sonst eher gemächlich dahinschreitet, ordentlich Feuer verleiht.

Woran es letztlich haargenau im Einzelnen liegt, warum der Funke nicht richtig übergesprungen ist – ich vermag es nicht zu sagen. Möglicherweise würde ich diesen Roman, wäre er der Feder eines bis dahin nicht bekannten Autors entsprungen, auch nicht derart pingelig beurteilen. So fehlt halt einfach das gewisse Etwas, dieser typische Schuss Gablé, der die meisten anderen ihrer Werke zu so großartigen und vor allem bewegenden Leseerlebnissen gemacht hat. Fast scheint es so, als hätte Gablé dies selbst gemerkt und versucht durch neue Elemente wettzumachen, womit sie aber gerade das Gegenteil erreicht. Waren sonst die Liebesgeschichten immer durchaus stilvoll mit der Geschichte verzahnt, wandelt hier die Autorin nun auf Folletts Spuren. Explizite Beschreibungen von Bettszenen verstören mich zwar genauso wenig wie ich sie grundsätzlich in jeglicher Literatur ablehne, so lange es passt – aber ein Gablé-Roman hatte das einfach nie nötig. Warum also jetzt die ständigen Einblicke in den menschlichen Genitalbereich?

Bevor ich Gefahr laufe, allzu kritisch zu erscheinen: „Das Haupt der Welt“ ist immer noch ein richtig guter historischer Roman, der in vielen Bereichen der Konkurrenz auch weiterhin davonläuft. Doch diese Liebe zum Detail, diese Leidenschaft für jede noch so kleine Figur im großen Konstrukt der Handlung, sie wird doch schmerzlich vermisst. Wo mich sonst z.B. Tode unheimlich bewegt und gerührt haben, verfolgte ich in diesem Roman die Schicksale eher aus der Distanz. Das Ableben wird nicht als Verlust empfunden, nur mit einem Nicken zur Kenntnis genommen. Auch weil die Schwarz-Weiß gezeichneten Protagonisten selbst kaum der richtigen Trauer fähig sind und man dadurch das Gefühl bekommt, dass einfach keine Zeit da ist, dass die Geschichte schnell ihrem Ende entgegen getrieben werden muss. Und gerade das Verweilen im Mittelalter, das alltägliche Leben, die kleinen Dinge am Rand des Weges, haben die Gablé-Bücher immer so hervorragend gemacht.

Müsste ich „Das Haupt der Welt“ mit einem Wort beschreiben, es wäre wohl „mühselig“. Bezogen nicht auf die Lektüre selbst, sondern auf den Prozess der Entstehung, da ich das Gefühl nicht loswerde, dass Rebecca Gablé hier einfach nicht richtig mit ganzem Herzen dabei bzw. auf einem ihr noch etwas unbekannten Terrain unterwegs gewesen war. Dennoch freue ich mich auf die Fortsetzung „Die fremde Königin„, ändert mein Jammern auf hohem Niveau doch nichts an der Tatsache, dass diese Autorin im Genre weiterhin ihresgleichen sucht.

Wertung: 85 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: Rebecca Gablé
  • Titel: Das Haupt der Welt
  • Originaltitel:
  • Übersetzer:
  • Verlag: Bastei Lübbe (Ehrenwirth Verlag)
  • Erschienen: 10.2013
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 864
  • ISBN: 978-3431038835

Der Junge und das Schwert im Stein

© Klett Cotta

Marion Zimmer-Bradley, Mary Stewart, Bernard Cornwell, Persia Woolley, Mark Twain. Die Liste der Autoren und Autorinnen, welche den britischen Mythos König Artus/King Arthur aufgegriffen und neu interpretiert haben, ist lang und kann sich durchaus sehen bzw. lesen lassen.

Alle haben auf ihre Weise die Geschichte über den erhabenen Begründer der Tafelrunde, seinen Lehrer Merlin, Morgan Le Fay, Guinevere und Lancelot nachbearbeitet, umgestaltet und jeweils verschiedene Erzählperspektiven gewählt, um diese sagenumwobene Gestalt, deren Ursprünge bereits im 9. Jahrhundert zu finden sind, lebendig werden zu lassen. Ein Großteil stützt sich dabei auf die älteste überlieferte Artusgeschichte, die „Historia Regum Britanniae“ („Geschichte der Könige Britanniens“) von Geoffrey of Monmouth (um 1135) und Sir Thomas Malorys „Le Morte D’Arthur“ (posthum veröffentlicht 1485). Auffällig ist, dass in den meisten Adaptionen Artus selbst nur eine schwache oder widersprüchliche Rolle spielt, wohingegen seine Wegbegleiter zu eigenen Helden oder zu die Handlung tragenden Hauptfiguren stilisiert werden. Eine der wenigen Ausnahmen ist „Der König auf Camelot“ von Terence Hanbury White.

Der in Bombay, Indien geborene Schriftsteller White begann mit der Arbeit an dem vierteiligen Epos „Der König auf Camelot“ fast zu selben Zeit wie J.R.R. Tolkien an „Der Herr der Ringe“. Und wie bei diesem lagen zwischen Beginn und Fertigstellung seines Werks gleich mehrere Jahrzehnte. Die ersten drei Bücher entstanden in den Jahren 1938, 1939 und 1940, unter dem Eindruck des beginnenden Zweiten Weltkriegs, welcher den Autor und damit letztlich auch seine Romane stark geprägt hat. Im Jahr 1958 folgte dann der vierte Band als Teil einer Gesamtveröffentlichung. Auf eine deutsche Übersetzung musste man bis zur zweibändigen Ausgabe von 1976 warten, der 2004 schließlich eine Neuausgabe bei Klett Cotta folgte, in welcher alle vier Bücher enthalten sind. Der Inhalt der einzelnen Geschichten sei an dieser Stelle kurz angerissen:

Das Schwert im Stein“ (Erstes Buch):
Dieses Buch führt den Leser zurück in die Jugendzeit von Artus bzw. Arthur, die als Ziehsohn Sir Ectors vergleichsweise sorgenfrei ausfällt. Allerdings spielt der Junge, der von allen nur „Wart“ (Warze) genannt wird, nur eine untergeordnete Rolle neben Sir Ectors leiblichem Sohn Kay, welcher in späteren Jahren die Nachfolge des Ritterguts antreten soll. Warts Träume sind bescheiden. Ihm reicht es eines Tages als Schildknappe seinem Stiefbruder zu dienen. Eine Einstellung, die sich erst nach dem Zusammentreffen mit Merlin langsam ändert.

Der magische und zerstreute Zauberer, welcher „rückwärts“ in die Zukunft lebt, übernimmt die Bildung des Jungen (dessen Schicksal er ja bereits kennt) und verwandelt ihn immer wieder in verschiedene Tiere, damit dieser die unterschiedlichen Lebensphilosophien studieren und daraus lernen kann. In der Gestalt eines Fisches macht er Bekanntheit mit dem einsamen, als Tyrann herrschenden Hecht im Burggraben. Er erlebt das militärische und unpersönliche System der kriegführenden Ameisen und verbringt eine Nacht im Haus der Beizvögel, welche in ihrer Art an eine Fliegerstaffel der Royal Air Force gemahnt. Am meisten prägt ihn jedoch sein Ausflug mit den ziehenden Gänsen, die weder Grenzen, noch Eigentum oder Frieden kennen und seine spätere Vorstellung von Gerechtigkeit maßgeblich beeinflussen. Merlin gibt ihm all diese Erfahrungen mithilfe seiner Magie mit auf den Weg, bis er ihn schließlich verlässt und erst dann zurückkehrt, als Wart Excalibur aus Stein und Amboss befreit … und sich damit selbst zum König von England proklamiert.

Die Königin von Luft und Dunkelheit“ (Zweites Buch):
Arthur ist mittlerweile König und muss all seine Kraft darauf einsetzen, die vielen Barone und Unterkönige zu vereinen, welche den Jungspund nicht als Herrscher anerkennen wollen und deshalb gegen ihn in den Krieg ziehen. Um das Chaos und das Leid zu beenden, führt er die Tafelrunde ein, welche die gedankenlose Gewaltbereitschaft des Adels für gute Zwecke kanalisieren und somit die alte Willkür abschaffen soll. Doch weder die besten Ritter des Landes noch der bald für immer entschwindende Merlin können verhindern, das Arthur ahnungslos eine inzestuöse Beziehung zu Morgause von Orkney (seiner Stiefschwester) eingeht, aus der dem König in nicht allzu ferner Zukunft ein gnadenloser Widersacher erwachsen wird.

Der missratene Ritter“ (Drittes Buch):
Buch drei erzählt von den Rittern der Tafelrunde und ihren Abenteuern, zuoberst vom „besten Ritter der Welt“, Sir Lanzelot (Lancelot), welcher seit Kindheitstagen trainiert, um Arthurs Botschaft mit dem Schwert zu verteidigen. Als endlich der langersehnte Tag da ist und er am Hof seines großen Idols ankommt, übermannt ihn Eifersucht auf die Frau an des Königs Seite, Ginevra (Guinevere). Doch aus Neid und Missgunst wird bald Liebe. Die wunderschöne Königin und der (in Whites Version) hässliche Ritter gehen eine Affäre ein, welche Arthur so gut es geht zu ignorieren versucht. Er empfindet Liebe für beide und möchte keinen der beiden verlieren. Sein Herz ist immer noch das eines Jungen, der keine Bosheit kennt und zuallererst an das Gute glaubt. Als die Situation für alle drei unerträglich wird, zieht es Lanzelot auf Queste. Über viele Monate vollbringt er tollkühne Taten in Britannien, bis er schließlich eines Tages von einer Prinzessin verführt und seiner Jungfräulichkeit beraubt wird. Aus der Verbindung entspringt ein Sohn: Galahad, der spätere Gralsritter.

Dieses uneheliche Kind ist der erste Keim des Misstrauens zwischen Lanzelot und Ginevra, die sich nun zunehmend anfeinden. Und auch die Tafelrunde droht zu zerbrechen. Da alle bösen Lords tot, alle Prinzessinen gerettet und alle Riesen und Drachen besiegt sind, gibt es für die nach Kampf gierenden Ritter plötzlich nichts mehr tun. Die Untätigkeit führt schließlich dazu, dass man sich alter Rechnungen und Fehden erinnert, und Zwietracht die Runde zersprengt. Um dem Einhalt zu gebieten muss eine größere Aufgabe her. Arthur schickt sie auf die hohe Suche nach dem Heiligen Gral.

Die Kerze im Wind“ (Viertes Buch):
Arthurs unehelicher Sohn Mordred, der seinen Vater aus tiefster Seele hasst, ersinnt einen Plan, um den gealterten König endgültig zu stürzen. Er will ihm die beiden Menschen nehmen, welche ihm am wichtigsten sind: Ginevra und Lanzelot. Gnadenlos zerrt er die Affäre der beiden ans Licht, so dass sich Arthur, der gerade das Zivilrecht eingeführt hat und ein Vorbild für seine Untertanen sein will, dazu gezwungen sieht, dem Paar den Prozess zu machen. Während Lanzelot fliehen kann, droht Ginevra der Tod auf dem Scheiterhaufen. Arthur ist verzweifelt. Seine letzte Hoffnung ruht auf Lanzelot, der bereit steht, seine Liebe zu retten. Doch darauf hat Mordred bereits gewartet …

Was sich aufgelistet hintereinander wie eine fortlaufende Romanreihe liest, ist in der Realität zwischen den Buchdeckeln ein äußerst sperriges Werk, dessen einzelne Glieder nicht so recht zueinander passen wollen. Viele Kritiker haben T.H. White bereits diese große Inhomogenität zwischen und innerhalb der vier Teile vorgeworfen, welche der Autor sogar selbst bestätigt hat. Und ich kann nur in dasselbe Horn blasen, denn „Der König auf Camelot“ ist ein stetes Auf und Ab, das oftmals in mehrere Richtungen gleichzeitig will und daran fast zu scheitern droht. Es gibt keinen durchgängigen Ton, keinerlei Konstanz im Stil und in der Perspektive der Erzählung. Das führt letztlich natürlich auch dazu, dass es beinahe unmöglich ist, die vorher gehegten Erwartungen in irgendeiner Art und Weise erfüllt zu sehen. Ob man auf eine Artus-Sage im klassischen Gewande gehofft oder sich wie ich eine humorvolle Erzählung des berühmten Sagenstoffes versprochen hat: Es kommt in jedem Fall anders, als gedacht.

Zumindest zu Beginn lag ich jedenfalls mit meiner Einschätzung richtig, denn Buch Eins regt über weite Strecken immer wieder zum Lachen und Schmunzeln an und liest sich wie eine Parodie auf den Ritterroman. Das liegt nicht nur an den Verwandlungen Warts, sondern auch an den anderen Figuren. Allen voran König Pellinore, dessen historische Verpflichtung, das gefürchtete Aventiure-Tier zu erlegen, für äußerst amüsante Momente sorgt (wenngleich die ewige Jagd letztlich unerwartet tragisch endet). Mit von der Partie ist auch Robin Hood, der sich hier Robin „Wood“ nennt, und Arthur auf sein erstes Abenteuer schickt, bei dem dieser gleich Bekanntschaft mit der Hexe Morgan macht. Warum der grüngekleidete Rächer der Armen und Schwachen allerdings auftaucht, um dann im weiteren Verlauf keine Rolle mehr zu spielen, hat sich mir nicht wirklich erschlossen.

Und auch sonst überrascht White mit einigen Brüchen innerhalb der Erzählung. Ist die Zauberei zu Beginn noch tragendes Element und wichtig für Arthurs Beziehung, bleibt sie später ohne große Bedeutung, was mit Merlins Verschwinden nur unzureichend erklärt wird (die Hexenschwestern sind schließlich noch da). Allein das Rittertum ist durchgehend in all seinen Formen präsent, wobei White die Gepflogenheiten der Lords und Sirs, ihr Geprahle und stundenlanges Messen im Kampfe, mit derart lapidarer Komik vorbringt, das man als Leser nicht umhin kann zu grinsen. Überhaupt ist dem Autor ein Hang zur Überzeichnung Eigen, der sich in den folgenden Büchern auch auf der düsteren Seite zeigt. Das Buch Eins letztlich als Grundlage für die Disney-Trickfilmadaption „Die Hexe und der Zauberer“ gedient hat, verwundert nur wenig. (Die Gemeinsamkeiten zwischen Buch und Film sind aber insgesamt gering. Auch Madame Mim sucht man in der literarischen Vorlage vergebens.)

Neben aller Komik haben Merlins Lehren jedoch auch einen ernsten Hintergrund. Der Zauberer versucht Arthur auf die Gefahren unkontrollierter Macht aufmerksam zu machen. Auf die große Versuchung, Macht und Stärke zu missbrauchen, um die Schwachen auszubeuten. Im Gegensatz zu Tolkien, der stets Wert darauf gelegt hat zu betonen, dass es sich bei „Der Herr der Ringe“ nicht um eine Allegorie handelt, nimmt White direkt Bezug auf die politische Situation, welche er zurzeit der Niederschrift der ersten drei Bände erlebt hat. Auch wenn Hitlers Name nicht fällt und stattdessen von einem „jungen Österreicher“ die Rede ist, liest man die Gesellschaftskritik zwischen den Zeilen immer wieder heraus. Manchmal wird sie dem Leser, dem der Autor, so scheint es, nicht immer genug Feingespür zutraut, sogar mit der Holzhammermethode um die Ohren gehauen. Wenn die Ameisen zum Lied „Ameisenland, Ameisenland, über alles“ in den Krieg marschieren und die düster gewandten, Armbinden tragenden Anhänger Mordreds die Juden zusammentreiben, wird selbst dem tumbesten Zeitgenossen klar, worauf White abzielt. So lobenswert die Statements gegen Krieg, Nationalsozialismus und Kommunismus letztlich sind: Hier und da hätte ich mir ein wenig Zurückhaltung, eine Spur mehr Arthur und ein bisschen weniger White gewünscht.

Erst in den letzten beiden Büchern pflegen sich die philosophischen Erörterungen und Betrachtungen in die ausgewählten Sagenelemente ein, liest sich die Handlung flüssiger und nicht mehr nur wie ein Stichwortgeber für Whites Sozialkritik. Hier ist es gelungen, gerade noch rechtzeitig den Hebel umzulegen, denn während der Lektüre des zweiten Buches war ich mehrmals versucht, die Lektüre zu beenden. Zu viele Wiederholungen, zu viele ausschweifende Beschreibungen, zu wenig Zug in der Erzählung. Hinzu kommen die ständigen Verweise auf Thomas Malory, die irgendwann einfach nur noch stören und den Eindruck nahe legen, als hätte der Autor an dieser Stelle einfach die Verantwortung für nähere Informationen und Unterhaltung in andere Hände legen wollen. Das Buch „Der missratene Ritter“ entschädigt dann jedoch für vieles, da aus Figuren, welche vorher schlicht die Botschaft des Autors vermitteln sollten, plötzlich Menschen werden, welche aufgrund ihrer charakterlichen Schwächen und eines fragwürdigen Ehrenkodexes in Konflikte geraten, an denen sie letztlich scheitern. Wie das geschieht, ist tragisch, atemberaubend und besonders gegen Ende zutiefst traurig. Allein die letzten 30 Seiten des Buches lohnen den durchaus vorhandenen Aufwand und heben die Gesamtwertung von „Der König auf Camelot“ um ein Vielfaches.

Am Ende ist Whites vierbändige Reihe eine sehr satirische, geistreiche Fassung des Artus-Mythos, welche trotz angestaubter Sprache auch heute noch über weite Strecken überzeugt, von der Klasse eines Tolkiens aber doch ziemlich weit entfernt ist. Ein Klassiker mit Schwächen, den man dennoch mal gelesen haben sollte.

Wertung: 86 von 100 Treffern

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  • Autor: T. H. White
  • Titel: Der König auf Camelot
  • Originaltitel: The Once and Future King
  • Übersetzer: Rudolf Rocholl, H. C. Artmann
  • Verlag: Klett-Cotta
  • Erschienen: 02/2020
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 778 Seiten
  • ISBN: 978-3608949704

One day, a King will come, and the Sword will rise… again

© Rowohlt

Nein, diesmal erspare ich mir den Sermon über Cornwells Meriten und eine knappe Kurzbeschreibung des Inhalts, da jeder, der die ersten beiden Bände der Artus-Trilogie gelesen hat, ohnehin weiß worum es geht und woran er bei dem britischen Autoren ist. Daher sollen wenige(r) Worte genügen, um es auf den Punkt zu bringen:

Arthurs letzter Schwur“ bildet den Abschluss einer Reihe, die mit den traditionellen Versionen der Grals-Legende vollkommen bricht und eine der ältesten Sagen Britanniens in einer Art und Weise präsentiert, wie man sie so noch nicht gekannt hat. Wo sich doch die meisten Erzählungen um die Ritter der Tafelrunde zumindest in einigen Punkten gleichen, ist es Cornwell gelungen, etwas gänzlich Neues auf Papier zu bringen, das sich jeglicher mythischer Einflüsse enthält, mittels der realistischen Erzählungen aber dafür umso nachhaltiger wirkt. Der Spagat zwischen Magie und Geschichte, er funktioniert bis ins letzte Detail. Die Figuren, heruntergeholt vom lichtdurchfluteten Sockel, sind derart menschlich gezeichnet, dass man gar nicht anders kann, als mitzuleiden, mitzufiebern, mitzulieben und letztlich auch zu hassen. Fernab vom Glanz üblicher Grals-Geschichten hat Cornwell ein Epos zu Papier gebracht, das in erster Linie das frühe Mittelalter in England zum Leben erwecken will und sich dabei nur zufällig der bekannten Figuren bedient. Und auch diese erkennt man hier nicht wieder.

Merlin ist ein verrückter, verdreckter Druide mit Wahnvorstellungen. Artus ein genialer Stratege ohne Ambitionen auf eine Krone. Lancelot ein feiger, ehrloser Geck ohne Rückgrat. Und erzählt wird die Geschichte rückblickend aus der Sicht eines einfachen Soldaten. Womit natürlich auch der Boden für Cornwell bereitet ist, dem hinsichtlich der minutiösen Beschreibung einer Schlacht wohl kein anderer Autor dieser Welt das Wasser reichen kann. Im Gegensatz zu der „Sharpe“-Reihe oder Büchern wie „Das Zeichen des Sieges“ lebt die Artus-Trilogie aber noch weit mehr von ihren Figuren. Und auch nirgendwo sonst sind sie dem englischen Autor derart gut gelungen. Inmitten des Konflikts zwischen aufkommenden Christentum und alter Götterkulte erzählt er eine Geschichte, die man weniger mitliest, als vielmehr miterlebt. Es geht um Verrat, Ehre, Treue, Liebe, Freundschaft. Um Eide, die nicht gebrochen werden dürfen. Und um Pakte, die geschlossen werden müssen, um das Überleben zu sichern. Kurz: Cornwell beschreibt das düstere frühe Mittelalter, wie es hätte sein können.

Und düster, ja streckenweise schon hoffnungslos finster, ist besonders der letzte Band der Reihe geworden. Nach und nach scheint sich alles zum schlimmsten zu wenden, die Lage für Artus und seine Getreuen immer aussichtsloser zu werden. Und dem Leser ist, nicht nur aufgrund des Titels, klar, dass das Ganze nicht gut ausgehen kann und wird. Doch gerade diese Tatsache, scheint das Buch noch umso spannender zu machen. Man weiß, dass der Traum vom friedlichen Britannien nicht in Erfüllung gehen kann, dass Mordred verloren ist, dass es zu viele Sachsen sind, um siegen zu können, dass das Druidentum zum Untergang verdammt ist. Aber man will das Drama, die Tragik, hautnah erleben. Und was Bernard Cornwell hier dann auf den letzten einhundertfünfzig Seiten abfackelt, ist großes Kino, ist einfach schlicht und ergreifend meisterhaft.

Die letzten Schritte an der Seite Arthurs und seiner Gefährten sind unheimlich schwer, der Abschied von den ans Herz gewachsenen Figuren rührt. Und die ganze Leidenschaft, die Cornwell in die Geschichte hineingesteckt hat, sie zahlt sich mehr als aus. Ein Buch wird an dieser Stelle für kurze Zeit zu mehr. Wenige Worte, die lediglich etwas beschreiben, werden zu einem beeindruckenden, ergreifenden Moment. Würdiger und besser hätte sich der Kreis der Handlung nicht schließen können. Und kurz, ganz kurz, war ich mir tatsächlich sicher: Irgendjemand schneidet gerade Zwiebeln.

Arthurs letzter Schwur“ ist, wie schon seine beiden Vorgänger, ein Meisterwerk im Genre des historischen Romans. Hervorragend erzählt, atmosphärisch einzigartig, unheimlich bewegend. Es ist eins dieser Bücher, die im Gedächtnis, die unvergesslich bleiben. Und es ist die beste, weil glaubhafteste Geschichte vom „König“ Artus, die ich bisher lesen durfte.

Wertung: 97 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: Bernard Cornwell
  • Titel: Arthurs letzter Schwur
  • Originaltitel: Excalibur
  • Übersetzer: Gisela Stege
  • Verlag: Rowohlt
  • Erschienen: 12.2009
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 688
  • ISBN: 978-3499246265

Der Kessel von Clyddno Eiddyn

© Rowohlt

Der Schwachpunkt einer jeden Trilogie ist bekanntlich fast immer der zweite Teil, da ein Großteil der vorhergehenden Ereignisse aufgegriffen werden und das Buch zwangsläufig mit einem offenen Ende schließen muss. Bernard Cornwell schafft es jedoch, trotz dieser offensichtlichen erzählerischen Einschränkungen, nochmals eine Schüppe oben drauf zulegen und den ohnehin schon überragenden ersten Part der Artus-Saga, „Der Winterkönig“, zu überflügeln.

Erneut entzaubert er die bis dato bekannte Legende um die Tafelrunde und Camelot, um stattdessen dem Leser eine Alternative zu kredenzen, welche dank sorgfältiger Recherchen nicht nur historisch glaubwürdiger daherkommt, sondern zugleich den sonst sehr stereotyp gezeichneten Heldenfiguren und Bösewichten ein gehöriges Maß an Facettenreichtum und Tiefgang verleiht. Herausgekommen ist ein historischer Roman, der als schulmeisterliches Beispiel für die Verknüpfung von Fakten und Fiktion gelten darf.

Britannien Ende des 5. Jahrhunderts. Nach der Schlacht von Lugg Vale ist Arthurs lang ersehnter Traum in Erfüllung gegangen: Die bisher zerstrittenen britannischen Stämme sind endlich im Kampf gegen die sächsischen Eindringlinge vom Festland geeint und Gerechtigkeit und Ordnung scheinen greifbar nahe. Nach mehreren Kämpfen an der sächsischen Grenze wird ein zerbrechlicher Frieden ausgehandelt, der dem Land einige Jahre der Ruhe beschert. Doch während der bösartige Mordred auf seine Rolle als König vorbereitet wird, ziehen am Horizont bereits dunkle Wolken auf, denn mit dem Sieg bei Lugg Vale ist auch das Christentum in Britannien erstarkt. Einzig und allein Merlin, der Druide, und seine Gehilfin Nimue glauben noch an die Wiederkehr der alten Götter. Um die deren Mächte neu zu entfesseln, brauchen sie den Kessel von Clyddno Eiddyn, eines der dreizehn Kleinodien der Briten, das sich auf der Insel Ynys Mon und damit tief im Territorium des gefürchteten irischen Königs Diwrnach befindet. Durch einen Eid an Merlin gebunden, schließt sich der Krieger Derfel Cadarn dem Druiden an und reist gemeinsam mit diesem tief ins Feindesland … wo Diwrnach bereits auf sie wartet.

Währenddessen droht von anderer Seite ebenfalls Gefahr. Guinevere, Arthurs Frau, hat genug von ihrer Rolle als stilles Eheweib und sucht den Kontakt zum machtgierigen und selbstverliebten Lancelot. Und der hat, da ihm Derfel einst die Frau vor dem Altar stahl, mit Arthurs bestem Mann schon seit langem eine Rechnung offen …

Erneut wird uns die Geschichte rückblickend aus der Sicht von Derfel Cadarn erzählt, dem bei den Briten aufgewachsenen Sachsen, welcher nun im hohen Alter im Kloster lebend, der Königin Igraine die Legenden um Arthur niederschreiben soll. Dabei wird einiges wieder ganz anders dargestellt, als man es gemeinhin aus den Sagen kennt. Ein Umstand, den die heldenliebende Igraine stets aufs Neue bemängelt, dem Leser jedoch nur zugute kommt, denn Bernard Cornwells Darstellung von Arthur, Merlin, Lancelot und Co. hebt sich erfrischend vom klischeehaften Einerlei bisheriger Literaturfassungen ab. So hat Arthur nichts mit dem strahlenden Recken zu Pferde gemein, sondern wird als idealistischer, kühner Mann voll Schwächen gezeichnet, welcher in Merlin einen Verbündeten hat, den einzig und allein die Götterwelt und weniger die Geschicke der Menschen interessiert. Guinevere hat auch hier nichts von ihrer Schönheit verloren, ist jedoch zudem mit einer überragenden Intelligenz gesegnet, die große Ambitionen in ihr nährt, wohingegen Lancelot als narzisstischer und opportunistischer Feigling wohl den größten Gegensatz zur altbekannten Vorlage darstellt.

Cornwell hat mit der Zeichnung seiner Charaktere beeindruckendes, ja streckenweise atemberaubendes geleistet, denn trotz all dieser neuen Facetten, nimmt einen das hier geschilderte Frühmittelalter von der ersten Seite gefangen. Man leidet, hofft und bangt mit den Helden, welche allesamt mit unglaublicher Tiefe ausgestattet sehr menschlich skizziert wurden und im Verlauf der Trilogie eine jederzeit nachvollziehbare Entwicklung durchmachen. Auf der anderen Seite wird die Bühne dieser Erzählung von einer ganzen Schar äußerst hassenswerter Bösewichte besiedelt, welche uns stets um Arthurs Hoffnungen und Träume bangen und ein Happy-End nicht selten in weite Ferne rücken lassen. Ohnehin ist auch Band zwei der Artus-Chroniken wieder mal nichts für zartere Gemüter, was schon in der Erzählperspektive des Buches begründet liegt. Derfel, als Kind einer druidischen Todesgrube entkommen, ist als Krieger aufgewachsen und schreibt deshalb auch aus deren Sicht. Seine Geschichte Arthurs ist eine Geschichte voller Kriege zwischen Angeln und Sachsen, vom Konflikt des Druidentums mit dem aufkommenden Christentum. Sprachlich wird nichts beschönigt, die Taten auf und neben dem Schlachtfeld detailliert geschildert. Das frühe Mittelalter war eine rauhe, eine rohe Zeit. Und genau das will Cornwell auch zeigen. Wem das nicht liegt, der sollte lieber zu Iny Lorentz und Konsorten greifen.

Dass sich Cornwell damit zwangsläufig vom ätherischen, magischen Mythos im Stile Marion Zimmer Bradleys entfernt, liegt auf der Hand. Und dennoch verliert die Erzählung nichts von ihrem Zauber und ihrer Unterhaltung. Da wird die „Tafelrunde“ kurzerhand zum bierbefleckten Holztisch voll schnarchender, besoffener Speerträger umfunktioniert, was neben den Auftritten Merlins eine der humorigsten Passagen des Buches darstellt. Cornwell gelingt das, was nur wenigen gelingen will. Einen Mythos neu zu interpretieren, in dem er ihm zwar den Glanz nimmt, aber gleichzeitig glaubwürdiger, nachvollziehbarer und damit bewegender macht. Die bildhafte, direkte Sprache lässt selbst die verworrensten politischen Intrigen und Verwandschaftsverhältnisse verständlich werden, ohne das an irgendeiner Stelle deutlich wird, wo die Fakten aufhören und die Fiktion beginnt. „Der Schattenfürst“ funktioniert somit als fantastischer und historischer Roman gleichermaßen. Nicht zuletzt deshalb, da Cornwell Kenner der Mythologie das Erwartete auf völlig andere Art und Weise präsentiert und neben seiner üblichen Liebe zu Schlachten diesmal auch besonders im Hinblick auf die Charakterzeichnung zu punkten weiß.

Für mich gehört „Der Schattenfürst“schon jetzt zu meinen persönlichen Favoriten in diesem Genre. Über knapp 700 Seiten hat Cornwell mich mit herrlichen Bildern und ungeahntem Tiefgang auf allerhöchstem Niveau unterhalten, bewegt und bis zum Ende nicht losgelassen. Wenn man in manchen Passagen (hier möchte ich besonders Cornwells Erzählung von Tristan und Iseult/Isolde hervorheben) einen Kloß im Hals hat, an anderer Stelle vor Wut und Empörung kocht, um dann wieder im Wüten der Schlacht das Adrenalin steigen zu spüren, dann, ja dann, hat ein Buch bemerkenswertes geleistet.

Bernard Cornwell hebt sich mit „Der Schattenfürst“ endgültig weit von der trivialen Konkurrenz ab und schafft eine Neuerzählung des Mythos, welche den Geist jener Zeit lebendig macht und den ohnehin schon brillanten Vorgänger (den man vorher gelesen haben sollte) zu übertrumpfen weiß. Ein episches Meisterstück, das mit zwei Karten, Namensliste und äußerst informativen Nachwort abgerundet wird.

Wertung: 96 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: Bernard Cornwell
  • Titel: Der Schattenfürst
  • Originaltitel: Enemy of God
  • Übersetzer: Gisela Stege
  • Verlag: Rowohlt
  • Erschienen: 05.2009
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 688
  • ISBN: 978-3499246258

Das Erbe des Uther Pendragon

© Rowohlt

Nachdem zuletzt die Warterei auf Band 11 von Bernard Cornwells Sachsen-Saga zu lang zu werden drohte, habe ich mir „Der Winterkönig“ aus dem Bücherregal hervorgeholt, um damit zumindest etwas die Zeit überbrücken zu können. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Auftakt der Arthur-Trilogie, welche Cornwell Mitte der 90er und damit chronologisch vor der so erfolgreichen Serie mit dem Sachsen Uthred geschrieben hat, die anderen Werke nochmal derart in den Schatten stellen sollte. Und dabei standen die Zeichen vor der Lektüre doch eigentlich nicht so günstig, gibt es schließlich bereits genug Bücher über die Artus-Saga, von denen ein Großteil (von wenigen Ausnahmen abgesehen) letztendlich am versuchten Spagat zwischen Fiktion und Fakten gescheitert ist.

Besonders auf Letztere legt nun ja auch Cornwell bekanntlich großen Wert, weswegen das von ihm hier Geleistete umso höher zu bewerten ist. Ihm ist es gelungen, aus Mythen und Legenden, und trotz fehlender geschichtlich belegbarer Aufzeichnungen, einen historischen Roman zu schmieden, der die märchenhafte Erzählung zwar zu großen Teilen entzaubert, dafür aber gleichzeitig eine viel realistischere aus der Taufe gehoben hat. Diese sei schnell angerissen:

Britannien Ende des 5. Jahrhunderts. Es ist eine dunkle, eine düstere Zeit. Die Königreiche der Insel werden von Sachsen und Iren gleichermaßen bedroht, innere Streitigkeiten sorgen für Krieg zwischen den einzelnen Stämmen. Uther Pendragon, der alternde Großkönig, wartet verzweifelt auf die Geburt seines Kindes, in der Hoffnung es möge ein Junge sein, der seine Nachfolge sichert. Sein Wunsch wird ihm erfüllt, doch nur wenige Zeit später stirbt Uther aufgrund seines hohen Alters. Da der Säugling mit dem Namen Mordred das Land nicht regieren kann, beginnt nun die Suche nach einem Vertreter unter den Rittern, der anstatt des jungen Königs die Führung übernimmt und die begonnenen Friedensgespräche zwischen den britannischen Stämmen weiter vorantreibt. Ist Mordred alt genug, muss dieser Regent von seinem Amt zurücktreten und dem von Geburt an bestimmten Herrscher die Macht übergeben. Doch wer soll dieser Ritter sein?

Ein Rat wird gegründet, der aus den verschiedensten Stämmen den geeignetsten Kandidaten auswählen soll. Nach langen, zähen Verhandlungen einigt man sich schließlich auf Arthur, den Bastardsohn Uthers ohne legitimen Kronanspruch, der derzeit in Armorica, an der nordwestlichen Küste Galliens weilt, um dort das gefährdete britannische Reich gegen die vorrückenden Franken zu verteidigen. Bevor er sein Amt als Protektor Mordreds antreten kann, kommt es zu Verrat zwischen den Stämmen auf der Insel, den der junge rechtmäßige König nur knapp überlebt. Arthur eilt in Riesenschritten zur Hilfe und macht sich fortan an daran, das zerteilte Britannien zu einen, um die Sachsen endgültig vernichtend schlagen zu können. Alles sieht danach aus, als hätte er Erfolg. Die Heirat der Tochter eines ehemaligen Feindes scheint endlich den ersehnten Frieden und damit auch den Sieg zu bringen … bis Arthurs Blick auf die junge Guinevere fällt und durch seine Liebe zu ihr das gesamte Königreich in den Abgrund zu stürzen droht.

Uther Pendragon, Arthur, Guinevere, Merlin, Gawain, Lancelot. All die aus der legendären Sage bekannten Namen tauchen auch in diesem Buch auf, soviel sei verraten. Doch mit den Namen endet dann auch jegliche Ähnlichkeit zu anderen Artus-Büchern. Von Rittern in glänzenden Metallrüstungen oder elfengleichen Prinzessinnen vor turmhohen Steinburgen fehlt hier nämlich jede Spur. Und auch die Figuren sind so ganz anders, als man sie aus Film und vergleichbaren Büchern kennt. Cornwell zeigt sich einmal mehr als innovativer Autor und lässt die Geschichte, wie auch in der Sachsen-Saga, rückblickend erzählen. In diesem Fall von einem alten Mönch mit Namen Derfel, der als Kind nur knapp einer Todesgrube entkam und als Mündel des Druiden Merlins aufwuchs. In späteren Jahren wurde er zum findigen Krieger, Heerführer und Freund an Arthurs Seite, mit dem er gemeinsam so manche Schlacht schlug, um letztendlich in einem christlichen Kloster zu landen. Nun, im hohen Alter, schreibt er auf Wunsch von Lady Igraine seine Erlebnisse nieder, wobei diese stets den Ausgang der Geschichte sowie die Darstellung der Figuren zu beeinflussen versucht, da die von Derfel berichteten Vorgänge nicht zu dem von ihr lieber gesehenen Heldenbild der Beteiligten passen wollen. An dieser Stelle spielt Cornwell augenzwinkernd auf die verschiedenen, zumeist eher traditionellen Artus-Sagen an, die in seiner realitätsnahen Geschichte letztendlich keinen Platz finden.

Arthur ist hier kein strahlender Held und schon gar nicht König, sondern lediglich ein willensstarker, fähiger Krieger mit politischem Weitblick, dem es jedoch nicht an charakterlichen Schwächen und Feinden mangelt. Sein Mentor Merlin kann keine Zauberkräfte aufbieten und ist vielmehr der führende Kopf des vom Aussterben bedrohten Druidenkults. Und selbst Lancelot, der strahlende, blondgelockte Vorzeigeritter aus der Sage, hat keinerlei Ähnlichkeit mit der von z.B. Richard Gere verkörperten Figur. In diesem Buch ist er ein Feigling und Blender, und ein besonders hassenswertes Geschöpf dazu, an dem Cornwell seinen Spaß gehabt zu haben scheint. Selbiges gilt natürlich auch für Merlin, der mit seiner zynischen Art und dem staubtrockenen Humor nicht nur für ordentlich Spaß in der Geschichte sorgt, sondern der auch trotz seiner anfangs undurchsichtigen Handlungen die zusammenhängenden und -führenden Faden der Ereignisse in den Händen zu halten scheint.

Wo sonst besonders die Ausarbeitung der Nebencharaktere zu den größeren Schwächen des Autors zählt (u.a. bei „Das Zeichen des Sieges“ oder den ersten Bänden der Uthred-Reihe), so ist sie gerade hier das Bemerkenswerte des Romans. Alle, wirklich alle Personen innerhalb der Handlung überzeugen mit einer beeindruckenden Tiefe und einem Facettenreichtum, den man sonst innerhalb dieses Genres vergeblich sucht. Gute und Böse gibt es hier nicht. Vielmehr verkörpert fast jede Figur vor allem das Menschliche, das Zerrissene. Geleitet von den verschiedensten Motivationen und Wünschen sind sie weit entfernt von den strahlenden Rittergestalten der Sage, wodurch der Plot nicht nur an Authentizität gewinnt, sondern auch der Leser einen viel engeren Zugang zu den Charakteren bekommt. Und obwohl sich Cornwell liebevoll um diese, SEINE Figuren kümmert, verliert er doch nie den größeren Kontext aus den Augen. Dies hat zur Folge, dass „Der Winterkönig“ weit mehr ist, als nur eine weitere Version einer Legende. Der Autor erweckt eine ganze Epochen mit ihren Kriegen, Religionsstreitigkeiten und politischen Auseinandersetzungen zum Leben, und tut dies derart bildreich und berührend, das man nicht anders kann, als mitgerissen zu werden. So blutig und brutal auch hier die Schlachten wieder sind, sind es doch diesmal die ruhigen Szenen, die im Gedächtnis haften bleiben und das Leseerlebnis damit zu einem äußerst nachhaltigen machen.

Der Winterkönig“ ist weit mehr als ein guter Auftakt einer Trilogie. Cornwell stellt hier vielleicht erstmals sein sprachliches Können und seine Befähigung als Romancier auf ganzer Länge unter Beweis. Ein historischer Roman mit Anleihen des Fantasy-Genres, der einen Mythos auf die allerbeste Weise neu erzählt und gleichzeitig in Punkto Spannungsaufbau neue Grenzen auslotet. Für mich das (bisher) beste Werk dieses Autors, der sich langsam aber sicher zum Olymp des Genres schreibt.

Wertung: 95 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: Bernard Cornwell
  • Titel: Der Winterkönig
  • Originaltitel: The Winter King
  • Übersetzer: Gisela Stege
  • Verlag: Rowohlt
  • Erschienen: 09.2008
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 688
  • ISBN: 978-3499246241

Gute Freunde kann niemand trennen

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© Ehrenwirth

Worin die größte Kunst beim Schreiben eines guten Buches besteht, darüber mag man sicherlich trefflich streiten bzw. hat ein jeder, seine eigene Meinung. Im Falle des historischen Romans begegnen uns – geschuldet unter anderem den geschichtlichen Entwicklungen, welche sich über Jahrzehnte hinweg vollzogen haben – nicht selten Schmöker von bis zu 1000 Seiten. Natürlich spielt in diesen Fällen dann auch der Erzähldrang des Autors eine gewichtige Rolle. Und hiermit kommt man direkt zu dem Punkt, dem ich persönlich größte Wichtigkeit beimesse und der auch letztlich die Qualität und die Kunstfertigkeit der vorliegenden Lektüre maßgeblich beeinflusst: Der Aspekt der Unterhaltung.

Ein Wort, das, wie mir scheint bedingt durch die triviale Unterhaltungsliteratur der Jetztzeit, inzwischen enorm an Wert verloren hat und nicht selten gänzlich kritisch beurteilt wird. Kurzum: Ein Buch, das nur unterhält, kann keinerlei tieferen literarischen Wert in sich bergen, hält keinerlei genauerer Betrachtung stand. Inwieweit man damit den Dan Browns, Ken Folletts oder Stieg Larssons dort draußen Unrecht tut, sei dahingestellt. Aber Fakt ist: Ganz von der Hand zu weisen, ist diese (natürlich sehr oberflächliche) Analyse jedenfalls auch nicht. Es gibt allerdings ebenso Fälle, wo es gerade die dauerhafte Kurzweil ist, welche das Werk über die Masse der anderen hebt. Und damit hätte ich dann auch wieder den Bogen zu den dicken Schwarten im Genre des historischen Romans vollzogen, für die hierzulande vor allem die deutsche Autorin Rebecca Gablé verantwortlich zeichnet.

Im Hinblick auf eine wahre Geschichte (aufgearbeitet von „stern“-Autor Jan Christoph Wiechmann) über siebzehn psychisch kranke und drogenabhängige Männer, die zusammen vor dem Hurrikan Katrina aus einem Obdachlosenasyl in New Orleans geflohen waren und während ihrer langen Odyssee so gut aufeinander achtgegeben hatten, wie sie eben konnten, schreibt Gablé im Nachwort des vorliegenden Romans „Hiobs Brüder“:

Ich wünschte, ich könnte so großartige Geschichten in so knapper Form schreiben, aber wie man an diesem Buch hier wieder einmal unschwer erkennen kann, ist es mir einfach nicht gegeben, mich kurzzufassen.

Ein ehrliches Geständnis, das aus dem Munde eines anderen Schriftstellers vielleicht für Schweißperlen auf der Stirn des Lektors sorgen dürfte – nicht so jedoch bei Rebecca Gablé. Denn so wenig sie in der Lage ist, den Umfang ihrer Geschichten auf weniger Seiten zu begrenzen, so wenig vermag sie es auch – trotz des epischen Ausmaßes – an irgendeiner Stelle zu langweilen. Eine banale Feststellung, der ich aber höchsten Wert beimesse. Besonders im Beispiel von „Hiobs Brüder“, das auf den ersten Blick zwar für mich alle Voraussetzungen mitbringt, um die übliche, hundertfach wiedergekäute Gutmenschen-Helden-Geschichte zu erzählen, dann aber doch mit einer Mischung aus Innovation und altbekannten Gablé-Tugenden einmal mehr auf ganzer Länge überzeugt und von der ersten bis zur letzten Seite unterhält. Eine auch deswegen bemerkenswerte Leistung, weil die Autorin mit einer traumwandlerischen Sicherheit und Selbstverständlichkeit nun bereits seit über zehn Jahren dieses hohe Niveau im Zweijahres-Rhythmus abliefert.

Doch nun näher zum Buch, welches den Leser abermals ins englische Mittelalter entführt, genauer gesagt ins Jahr 1147. Eingesperrt in einer verfallenen Festung auf der Isle of Whitholm vor der Küste von Yorkshire fristen sie ein menschenunwürdiges Dasein, weil sie nicht zu den Kindern Gottes zählen: Simon de Clare hat die Fallsucht. Edmund hält sich selbst für den gleichnamigen toten Märtyrerkönig. Godric und Wulfric sind an der Hüfte zusammengewachsen. Oswald hat das Down-Syndrom. Luke glaubt, eine Schlange in seinem Bauch zu haben. Regy ist ein soziopathischer Mörder und so gefährlich, das er an einer Kette gehalten werden muss. Und Losian hat sein Gedächtnis und seine Vergangenheit verloren. Ausgerechnet Letzteren fällt die Führung dieser sonderbaren Gemeinschaft zu, als eine Laune der Natur ihnen den Weg in die Freiheit öffnet.

Losian bringt die kleine Schar zurück in die „wirkliche“ Welt, wo Hunger, Not und Rechtlosigkeit herrschen. Auf ihrer Reise durch das vom Bürgerkrieg (als „Anarchy“ in die Geschichte eingegangen) gebeutelte England gelangt er zu erschreckenden Erkenntnissen über den Mann, der er einmal war. Und gerade als er einer Frau begegnet, mit der ein Neuanfang möglich scheint, beginnt Losian zu ahnen, dass er die Schuld an dem furchtbaren Krieg trägt, der das Land zugrunde zu richten droht…

Mit „Hiobs Brüder“ vollzieht Autorin Rebecca Gablé bisweilen meisterhaft den Spagat zwischen den an sie gestellten Erwartungen und dem Gehen neuer Wege abseits der bisher von ihr genutzten Routen. So kehren wir auf der einen Seite ins englische Mittelalter zurück, um, wie im Nachwort zu ihrem Roman „Das zweite Königreich“ angekündigt, „die seltsamen Begebenheiten um Henrys Regentschaft und was es mit dem Weißen Todesschiff („White Ship“) auf sich hatte (…)“, näher zu beleuchten. Auf der anderen Seite befinden wir uns diesmal zu Beginn weit weg vom Umfeld der Mächtigen, den Königen und Rittern, um uns stattdessen verstärkt mit den damaligen Verlierern der Gesellschaft zu befassen, welche, separiert von dieser, nicht besser als Tiere behandelt und selbst von kirchlicher Barmherzigkeit gänzlich ausgeschlossen werden. Ein gewagter Schritt seitens Gablé, so zumindest mein erster Gedanke, da ich besonders für den weiteren Verlauf die Gefahr gesehen habe, diese äußerst ungewöhnliche und in ihren Fähigkeiten ja auch limitierte Gemeinschaft als Helden zu installieren, welche größeren Einfluss auf die Geschicke anderer nehmen könnten. Nun, ich hätte es natürlich besser wissen sollen – Gablé meistert auch diese Herausforderung mit Bravour.

Ganz im Stil von Tolkiens „Der Herr der Ringe“ – nicht zufällig auch Gablés Lieblingsbuch – begibt sich der Leser an der Seite der vermeintlich Schwachen auf die Reise, die, einem mittelalterlichen Roadtrip gleich, nicht nur dazu dient, um die ausweglose Lage der Figuren zu unterstreichen, sondern diese dem Leser gleichzeitig auch näher zu bringen. Auffällig hier ist, dass die Autorin diesmal ein wenig länger dafür braucht, das Profil der Protagonisten, allen voran das von Simon und Losian, zu schärfen. Im Falle des Letzteren ist dies aber natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass dieser seine eigene Vergangenheit und damit seinen ursprünglichen Platz im Gefüge des englischen Adels vergessen hat. Dass er diesem angehört, kann er nur aufgrund der Tatsache schlussfolgern, weil er mit einem Kreuzfahrermantel bekleidet auf der Insel das Bewusstsein erlangt hat. Dennoch – es dauert ein bisschen länger als die übliche Zeit, bis man warm wird mit ihm und seinen merkwürdigen Freunden. Das scheint vielleicht auch Gablé bemerkt zu haben, welche nach dem ersten Drittel nach und nach in die adligen Kreise – und damit auch auf sicheres, weil altbekanntes Terrain – zurückkehrt.

Nach „Die Säulen der Erde“ ist „Hiobs Brüder“ erst der zweite von mir gelesene historische Roman, der sich eingehend mit der vielleicht dunkelsten Zeit im englischen Mittelalter, der „Anarchy“, beschäftigt. Eine Epoche, ausgelöst durch den Untergang des „White Ship“ und den damit verbundenen Tod des rechtmäßigen Thronfolgers William, geprägt vom langjährigen Bürgerkrieg zwischen König Stephen und Kaiserin Maud, von immer wieder wechselnden Bündnissen und anhaltender Gesetzeslosigkeit. Rebecca Gablé gibt diese Zeit eindringlich wieder, ohne sich dabei in drastischen Schilderungen zu verlieren oder allzu übermäßige Brutalität zu zelebrieren. Im Gegenteil: Es sind die ruhigen Momente, die uns inne halten und das Ausmaß des Schreckens erkennen lassen, für die dieser Bürgerkrieg bis heute berüchtigt ist und dem schließlich selbst die Beteiligten irgendwann überdrüssig wurden. Der Glaube eine Entscheidung oder den Sieg in diesem Konflikt herbeizuführen – er war irgendwann auf beiden Seiten ins Wanken geraten. Und es ist diese Hoffnungslosigkeit, welche Gablé, besonders beim Beispiel der Belagerung von Wallingford, haargenau einfängt.

Obwohl Stephen und Maud die wichtigen Rollen in diesem Krieg ohne wirkliche Grenzen verkörpern, nehmen sie jedoch verhältnismäßig wenig Raum im Roman ein. Stattdessen konzentriert sich „Hiobs Brüder“, abgesehen von der ungewöhnlichen Gemeinschaft, vor allem auf den jungen Heißsporn Henry Plantagenet, der nichts unversucht lässt, um den englischen Thron zu erobern und später eine der mächtigsten Herrscherdynastien begründen wird. Gablés besonderes Händchen für historische Figuren – es kommt auch hier wieder hervorragend zum Tragen. Nach William, dem Eroberer („Das zweite Königreich“), John of Gaunt („Das Lächeln der Fortuna“) und Henry Beaufort („Die Hüter der Rose“) ist Henry FitzEmpress die nächste geschichtliche Person, die von Gablé, mit viel Sympathie, Witz, Charme, aber auch historisch belegten Eigenschaften bedacht, zum Leben erweckt wird. Wenn man ihr denn überhaupt hinsichtlich der Figurenzeichnung einen Vorwurf machen will, dann den, dass doch die meisten herrschenden Adligen äußerst gut wegkommen. Einen richtigen Unsympathen gibt es in „Hiobs Brüder“ nicht. Genauso wenig wie einen durchgängigen Antagonisten, der Losian und seinen Freunden das Leben schwer macht. Hier hätte ich mir dann doch manchmal einen William Hamleigh (aus Folletts „Die Säulen der Erde“) gewünscht. Auch weil Losian bzw. seine später wiedergewonnene Identität ein wenig zu stark daherkommt, um glaubhaft zu sein oder ein gewisses Gefahrenmoment zu befeuern.

Stattdessen wird die Gemeinschaft Losians durch die Einschränkungen und Krankheiten der einzelnen immer wieder auf die Probe gestellt, geht die Gefahr eher von gesellschaftlichen Begebenheiten als von feindlichen Rittern aus. Das muss besonders Losian feststellen, der sich in ein jüdisches Mädchen verguckt und das schwere Los ihres Volkes an der eigenen Haut erfahren muss. Die Abschnitte von ihm und dem jüdischen Arzt Josua gehören für mich eindeutig zu den Höhepunkten des Buches, wenngleich mir da manch eine Figur für mittelalterliche Verhältnisse dann doch zu modern und aufgeklärt reagiert. Aber ganz ohne künstlerische Freiheit kann halt auch ein historischer Roman seine Wirkung nicht entfalten.

So bleibt am Ende wieder mal die Erkenntnis: Selbst eine in einer gewissen Routine verfangene Rebecca Gablé thront immer noch weit über der im Genre ansässigen Konkurrenz. Wie keine andere vermag sie Geschichte – und in dem Zusammenhang natürlich dann auch geschichtsträchtige Figuren und Momente – lebendig zu machen und gleichzeitig einen Plot zu zimmern, dem man nur mit größten Unwillen den Rücken kehren will. „Hiobs Brüder“ ist ein über die volle Distanz mitreißendes Epos, das trotz des düsteren Kontextes den Wert von Freundschaften über alle Einschränkungen hinaus überaus warmherzig vor Augen führt und ein Loblied auf die Treue singt, welches vor allem auf den letzten Seiten den Leser durchaus zu ergreifen weiß. Denn wie Gimli schon einst sagte: „Treulos ist, wer Lebewohl sagt, wenn die Straße dunkel wird.

Meine Lektüre beende ich äußerst zufrieden und mit der Hoffnung, dass die darauffolgende Epoche noch eines Tages von Rebecca Gablé in Angriff genommen wird. Zwischen 1154 und 1330 ist jedenfalls noch eine Menge Platz für ein oder zwei Romane. Wenn sie also so freundlich wären …

Wertung: 91 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: Rebecca Gablé
  • Titel: Hiobs Brüder
  • Originaltitel:
  • Übersetzer:
  • Verlag: Bastei Lübbe (Ehrenwirth Verlag)
  • Erschienen: 10.2009
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 912
  • ISBN: 978-3-404-16069-3