Keine Ehre unter Dieben

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„Aufhören, wenn es am schönsten ist“, so sagt der Volksmund. Und gerade im Bezug auf die Kriminalliteratur ist an diesem Sprichwort durchaus etwas dran, gibt es doch genügend Beispiele in der langen Geschichte dieses Genres, welche von Autoren künden, die eben jenen Zeitpunkt verpasst, das Pulver verschossen und ihren Serienhelden/ihre Serienheldin zu Tode geritten haben.

Ob getrieben durch stets aufeinanderfolgende Verträge mit dem Verleger, durch die schlichte Geldnot oder weil das Stammpublikum es nachdrücklich immer wieder fordert – oft bedeuten kommerziell erfolgreiche Krimi-Reihen für manchen Schriftsteller die kreative Sackgasse, aus der dieser gar nicht oder nur mit Mühe wieder herauskommt. Wallace Stroby, so scheint es, hat diese mögliche Gefahr nicht nur elegant umschifft, sondern parallel auch seine Protagonistin, die Berufsganovin Crissa Stone, mit einem ganz ähnlichen Problem konfrontiert. Im vierten Band muss sie in Bezug auf ihre persönliche Vergangenheit eine Entscheidung treffen und sich darüber klar werden, inwieweit sie das gegenwärtige Leben noch nachhaltig erfolgreich – und vor allem unversehrt – weiterführen kann. Oder ob nicht doch der Zeitpunkt gekommen ist, einen Schlussstrich zu ziehen. Eine Entwicklung, welche der Leser mit einem lachenden und einem weinenden Auge verfolgt, denn selbst wenn Stroby ein durchaus stimmiger und versöhnlicher Abschluss gelingt, so schleicht sich in diesen Abschied auch ein großes Maß an Wehmut, verlieren wir mit „der Roten“ doch einen der letzten Anti-Helden aus der Tradition von Richard Starks Parker oder Gary Disher Wyatt. Und manchmal verlangt es den Krimi-Freund eben genau nach diesen amoralischen Charakteren, flüstert uns eine verführerische Stimme leise ins Ohr: „Der Teufel will mehr“.

Hin und wieder erliegt auch Crissa Stone diesem Reiz des Bösen, diesem Gefühl von Aufregung und diesem anhaltenden Rausch, wenn ein Coup erst minutiös geplant und dann Schritt für Schritt ausgeführt wird. Und so ist es dann meist weniger das Geld, das sie lockt, als die Herausforderung der Tat an sich, wenngleich sie sich inzwischen eingestehen muss, dass längst nicht mehr alle nach den Regeln spielen und das Gefahrenpotenzial mittlerweile ein weit höheres ist als zum Beginn ihrer kriminellen Karriere. Dennoch zögert sie nur kurz, als der wohlhabende Kunstsammler Emile Cota über einen Kontaktmann mit ihr Verbindung aufnimmt und sie mit einem ganz besonderen Diebstahl beauftragt:

Cota konnte in der Vergangenheit illegal mehrere wertvolle Kunstschätze aus dem Irak erwerben und sieht sich nun von der neu eingesetzten Regierung des Landes – und damit den rechtmäßigen Besitzern – gezwungen, diese zurück in ihr Heimatland zurückzuführen. Der Multimillionär ist not amused. Er denkt gar nicht daran, auf diesen besonderen Teil seiner Sammlung einfach so zu verzichten und plant stattdessen, die Ware auf dem Weg zur Rückführung stehlen zu lassen, um die Versicherungssumme zu kassieren und die Antiquitäten direkt wieder an interessierte Käufer zu veräußern. Crissas Interesse ist geweckt, denn den Truck-Konvoi zu stoppen und inmitten der Einöde der Wüste nahe Las Vegas umzuladen, scheint nicht nur machbar, sondern sollte erfahrungsgemäß relativ lautlos und ohne Waffengewalt vonstatten gehen. Insbesondere letzteres ist der Diebin wichtig, welche Schusswaffen als ein notwendiges Übel erachtet, das aber bei richtigen Profis nicht zum Einsatz kommt. Das birgt wiederum in diesem Fall Konfliktpotenzial, denn ihr Partner bei dieser Unternehmung – der frühere Marine-Infanterist Randall Hicks – übernimmt nicht nur große Teile der Planung, sondern holt mit seinem ehemaligen Kameraden Sandoval auch einen unberechenbaren Heißsporn mit an Bord.

Während Crissa ihrerseits ein Team zusammenstellt, zu dem u.a. der eigentlich bereits im Ruhestand befindliche Fahrer Chance gehört, und gleichzeitig nach und nach die Tatsache akzeptieren muss, dass ihre große Liebe Wayne das Gefängnis wohl so schnell nicht mehr verlassen wird, rückt der Tag des Raubzugs immer näher. Über den zunehmenden Verlust der Kontrolle besorgt, rechnet Crissa insgeheim schon mit einem Scheitern, doch zum besagten Zeitpunkt scheint alles gut zu gehen. Bis plötzlich Schüsse fallen und sich damit eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang setzt, in deren weiteren Verlauf sich die Rote einmal mehr ihrer Haut erwehren muss …

Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, wenngleich dies eher aus reiner Höflichkeit, denn aus Vorsicht geschieht, denn schon nach wenigen Seiten sollte der geneigte Krimi-Leser bereits erahnen können, welche Richtung dieser Plot einschlagen wird, erfindet Wallace Stroby hier doch das Genre wahrlich nicht neu, sondern bedient sich stattdessen altbekannter logischer Abfolgen des Noir. Natürlich kommt es zum Verrat und zu einem Zerwürfnis der Beteiligten, natürlich will jeder für sich allein mit dem Gewinn in den Sonnenuntergang reiten – und natürlich erweist sich Crissa Stone wieder als äußerst findig, wenn es darum geht, ihren Widersachern nicht zu viel von sich zu verraten. Und doch gewinnt dieses Element der Offensichtlichkeit erstaunlicherweise nicht an übermäßig Gewicht, denn Stroby gelingt es scheinbar mühelos, den Spannungsbogen hochzuhalten, was vor allem daran liegt, dass Crissa in „Der Teufel will mehr“ letztendlich mehr um ihr eigenes Leben, als um die Beute kämpft. Der für sie ungewohnte Kontrollverlust macht sie, trotz ihrer Erfahrung, zu einer Gejagten, die lange nur reagieren kann und fast hilflos beobachten muss, wie langjährige Konstanten ihres Lebens und ihrer Profession nun in Gefahr geraten.

Vermeintlich feste Stützen, wie der Auftragsvermittler Sladden brechen jetzt auf einmal weg und entblößen das fragile Fundament, auf dem sich Crissa Stone seit der Festnahme von Wayne ihr Leben aufgebaut hat. Und derart aus dem Gleichgewicht gebracht, braucht es eine gewisse Zeit, bis sie die Zügel wieder in die Hand nehmen kann, was den Leser, der sich vom hohen Tempo mitreißen lässt, auf der anderen Seite allerdings entgegenkommt, und der – derart in Beschlag genommen – nur sporadisch registriert, mit welch heißer Nadel die Handlung mitunter gestrickt wurde. Stroby vermag es erneut exzellent, die übersichtliche Menge der genreüblichen Werkzeuge so einzusetzen, dass wir ganz in diesem düsteren Katz-und-Maus-Spiel aufgehen und von der stets fast greifbaren Suspense durch das Buch gezogen werden. Die hohe Kunst, das Gefahrenmoment auch für die Serienfigur wirksam werden, uns um sie bangen zu lassen – er meistert sie scheinbar mühelos. Und das verleiht der Geschichte einen unheimlichen Drive, dem man sich schwer entziehen kann – und vor allem gar nicht entziehen will.

Crissa Stone derart am Scheideweg zu erleben, derart in ihrer Existenz bedroht zu sehen – das reicht schlicht und ergreifend einfach, um für 320 Seiten die Wirklichkeit außerhalb der Buchdeckel auszublenden und der eigenen Fantasie im Kopf den Rest der „Arbeit“ übernehmen zu lassen. Mehr noch: Dieses vorgezogene Requiem auf eine Verbrecherin geht uns trotz aller Simplizität wieder gehörig unter die Haut, wirkt nach – und hinterlässt uns durchgehend zufrieden und in dem Gefühl, was Besonderes in den Fingern gehalten zu haben.

Kommt also das Beste wie immer zum Schluss? Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, muss ich diese Frage mit Nein beantworten, ist der Plot dafür doch viel zu geradlinig und durchsichtig, bedient sich Stroby im letzten Halali von Crissa Stone ein bisschen zu oft bereits bekannter Elemente und Gesetzmäßigkeiten. Allein – es kann den Gesamteindruck einmal mehr kaum trüben, denn auch der finale Auftritt liest sich wieder wie aus einem Guss, überzeugt durch äußerst elegante und stilistisch manchmal fast grazile Sicherheit, die selbst der Routine einen Glanz abringt, welcher einem Großteil der Konkurrenz verborgen bleibt. Wie schon ein Robert B. Parker vor ihm, so hat auch Stroby die Kunst auf kleinstem Raum gemeistert und trotzt einer doch schon so oft erzählten Geschichte auch dank der pointierten Dialoge neue faszinierende Facetten ab. Ein schönes, ein gutes Ende. Oder um es mit Bogarts Worten und vielleicht auch etwas Hoffnung in der Stimme zu sagen:

„Uns bleibt immer noch Paris.“

Wertung: 90 von 100 Treffern

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  • Autor: Wallace Stroby
  • Titel: Der Teufel will mehr
  • Originaltitel: The Devil’s Share
  • Übersetzer: Alf Mayer
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 02.2019
  • Einband: Klappenbroschur
  • Seiten: 320 Seiten
  • ISBN: 978-3865326461

Der Fluch der bösen Tat

© Pendragon

Wallace Stroby widmet sein drittes Buch aus der Reihe um die Berufskriminelle Crissa Stone – welches auf Deutsch unter dem Namen „Fast ein guter Plan“ wieder beim Bielefelder Pendragon Verlag erschienen ist – dem bereits verstorbenen Elmore Leonard, „der die Latte so hoch gelegt hat für uns“. Nun, an dieser Feststellung lässt sich nicht rütteln, denn der Rhythmus, der Vibe und der Sound von Leonards Schreibe stellen in der Tat immer noch eine Referenz in diesem Genre dar.

Zu hoch scheint die Latte letztendlich nicht zu sein. Zumindest nicht für Stroby, der sie nach zwei großartigen Vorgängern auch im vorliegenden Roman gleich mehrfach ohne größere Mühen und mit einmal mehr traumwandlerischer Sicherheit überspringt. Ein Angler mit viel Geschick ist er, der seine Leser direkt nach dem Einwurf ins Becken am Haken hat, um uns mit offenen Mund und vollkommen hilflos am roten Faden dem unvermeidlichen Ende entgegenzuziehen. Und wie beim Angeln geht dies mit einer Geradlinigkeit vonstatten, welche keinen Zweifel daran lässt, was am Schluss auf uns wartet. Dass man trotzdem den staunenden Kiefer nicht schließen, die Augen nicht abwenden und sich auch sonst schlicht überhaupt nicht wehren kann und will – darin liegt die große Stärke des hierzulande bisher so schmählich ignorierten Autors.

Stroby always delivers.“

Dies behauptete kürzlich der vielfach prämierte Schriftsteller-Kollege George Pelecanos – ein Prädikat und gleichzeitig Qualitätssiegel, denn dahinter verbirgt sich ein festes Versprechen, welches der beworbene Autor auch in „Fast ein guter Plan“ wieder auf ganzer Länge einlöst. Und diesmal wird uns dieses Siegel sogar noch etwas härter um die Ohren gehauen.

Die Handlung beginnt mit dem Blick auf einen rostzerfressenen Subaru in der Innenstadt von Detroit. Gemeinsam mit drei Männern beobachtet Crissa Stone aus sicherer Entfernung den Wagen, wohl wissend, dass sich im Kofferraum mehrere Hunderttausend Dollar Drogengeld befinden. Drogengeld, welches dieses Mal noch unangetastet bleibt, doch ein Plan ist bereits ausgeheckt, um bei der nächsten Übergabe zuzuschlagen. Ein Insider versorgt ihr Team mit genaueren Informationen, allerdings ist der Zeitplan knapp. Früher als geplant müssen sie zuschlagen. Es kommt zu einer Schießerei. In letzter Sekunde kann das Team zum sicheren Versteck fliehen. Gewissenhaft wird die Beute gezählt und aufgeteilt, als plötzlich einer der vier seine Waffe zieht. Im darauffolgenden Kugelhagel entkommt Crissa nur knapp und befindet sich von jetzt an mit einem Seesack voll gestohlenem Geld auf der Flucht. Gejagt von den Handlangern des brutalen Drogenbosses Marquis und einem ehemaligen Cop namens Burke. Der wiederum hat seine ganz eigenen Pläne mit dem Geld und erweist sich recht bald als ebenbürtiger Gegner für Crissa, die sich schließlich zwischen dem Profit und dem Leben eines unschuldigen Kindes entscheiden muss …

Wer nun trotz der obigen Einleitung doch noch darauf hofft, dass es im weiteren Verlauf der Story noch irgendwelche Kehren oder Wendungen geben wird, den kann ich an dieser Stelle gleich auf den Boden der Realität zurückholen. „Fast ein guter Plan“ ist ein Noir reinsten Wasser und as urban as it can be. Ein Roman, der gänzlich auf künstliche Ausschmückungen, ja auf Ausschmückungen per se verzichtet und wie in einem Drehbuch lediglich Bilder wirken lässt und durch scharf gezeichnete Charakterisierungen die Figuren zum Leben erweckt, welche naturgemäß zwar in gewisser Weise auch das Genre-Stereotyp abbilden, dennoch ihre Berechtigung in der Wirklichkeit wiederfinden. Und die erweist sich im vorliegenden Buch als besonders schmutzig, verkörpert durch den Schauplatz des einstigen Aushängeschilds der amerikanischen Autoindustrie, der „Motown“ Detroit. Inzwischen ist die Stadt ein Symbols des Niedergangs. Zehntausende von Wohnungen stehen leer, ganze Straßenzüge sind verwaist, verwildert, verwahrlost. Ein rechtsfreier Raum und Nährboden des Verbrechens, den Stroby nicht nur als Kulisse geschickt zu nutzen weiß, sondern auch als schwarzen Vorhang nutzt, vor dem sich Crissa, als Kriminelle mit Gewissen, in helleren Grautönen immer noch abzuheben weiß.

Wallace Stroby reiht sich damit in die Reihe der anderen Chronisten Detroits ein, zu denen neben dem bereits genannten Elmore Leonard auch Loren D. Estleman gehört, dessen Held Amos Walker ebenfalls gewisse Parallelen zu Crissa aufweist. Beide agieren in den Grauzonen zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse und sind von ihren jeweiligen Erfindern eindeutig anachronistisch angelegt. Während um sie herum die Technologisierung voranschreitet, ist z.B. ein Handy das einzige Zugeständnis an Modernität, mit dem Crissa in Kontakt kommt. Peilsender, Drohnen oder sonstige Hightech – all das braucht die gewiefte Diebin nicht. Ihr reichen ein Paar Lederhandschuhe, eine Faustfeuerwaffe, Einbruchswerk und nicht zuletzt ein scharfer Verstand, um über die Planungsphase eines Verbrechens hinaus zu bestehen. Und sie hebt damit die Subtilität dieses Genres auf ein neues Level. Versinnbildlicht durch das grandiose Finale, in dem ein Duschvorhang auf ebenso schlichte, wie geniale Weise zweckentfremdet wird.

Strobys fettfreie Schreibe, sie schnurrt von Anfang bis Ende wie ein Kätzchen, wickelt uns ein und ist bei all ihrem spartanischen Charakter doch nie ohne Empathie. Ganz im Gegenteil: Ohne große Worte gewährt er Einblick in die Gefühlswelt der Figuren. Es reichen Gesten und Blicke, Pausen im Gespräch, um ihre Zerrissenheit deutlich zu machen. Crissa Stone, die ihre eigene Tochter einst bei ihrer Cousine ließ, fern von ihrem kriminellen Leben – sie hat auf gewisse Weise dennoch nie aufgehört Mutter zu sein. Frei von wirklichen Freundschaften und damit auch Zwängen, fühlt sie sich daher letztlich trotzdem einem jungen Leben verpflichtet und ist dafür gewillt alles aufs Spiel zu setzen. Ihr Herz – im Angesicht der Gefahr und des Unrechts kalt und berechnend – sie hat es sich bewahrt. Und das in einem nachvollziehbaren Maße, fern von jeglichem Kitsch, sondern glaubhaft berührend – und inzwischen Markenzeichen dieser in dieser Art tatsächlich einzigartigen Reihe. Dies funktioniert auch deshalb, weil ihr Schicksal niemals von ihrer Umgebung losgelöst wird. Der sie umgebende Dreck, das Elend und der moralische Verfall – es ist mehr als nur ein Arbeitsplatz. Es ist ihr Revier, ihr Milieu – ein Umfeld, das stellenweise noch nach den gleichen Regeln lebt wie sie und dem sie in gewissen Maße auch selbst entstammt (Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ihr diesmaliger Gegenspieler Burke genau den gegenteiligen Weg gegangen ist).

Fast ein guter Plan“ deutet besonders im letzten Drittel an, dass es in Zukunft für Crissa noch härter und gefährlicher werden könnte. Alte Ehrenkodexe sind inzwischen nichts mehr wert und die neue Generation der Verbrecher fühlt sich keinen Verhaltensregeln mehr verbunden. Crissa wird sich anpassen oder abwenden müssen. Wie Wallace Stroby dies im Nachfolger (welcher aller Voraussicht nach im Frühjahr 2019 auf Deutsch erscheinen wird) zu Papier bringt, darauf freue ich mich bereits jetzt und kann bis dahin nur mit allem Nachdruck predigen: Stroby kaufen und lesen. Unbedingt!

Wertung: 91 von 100 Treffern

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  • Autor: Wallace Stroby
  • Titel: Fast ein guter Plan
  • Originaltitel: Shoot the Woman First
  • Übersetzer: Alf Mayer
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 01.2018
  • Einband: Klappenbroschur
  • Seiten: 312 Seiten
  • ISBN: 978-3865326072

+++ Der Vorschau-Ticker – Frühjahr/Herbst 2018 – Teil 7 +++

Auf den letzten Drücker nun der letzte Ticker – zumindest was den Spannungsroman anbelangt, denn wer unsere kriminelle Gasse schon etwas länger kennt, weiß, dass wir auch abseits von Thriller, Whodunit und Co. allzu gerne wildern und dementsprechend für die Belletristik ebenfalls eine Auswahl unserer interessantesten Titel präsentieren werden. Doch vorher stecken wir die Nase wie gesagt nochmal in die dunklen Ecken der Literatur. Und das vielleicht sogar ganz unter der Prämisse „Das Beste kommt zum Schluss“, denn was Pendragon, Liebeskind, Ariadne/Argument und Alexander in ihren Vorschauen auffahren, unterstreicht einmal mehr, dass die Kleinen beim Auge für herausragende Kriminalromane den Großen so langsam den Rang abgelaufen haben.

Beispielhaft dafür steht vor allem Wallace Stroby. Für mich die bis dato größte Entdeckung von Günther Butkus, denn sowohl „Kalter Schuss ins Herz“ als auch „Geld ist nicht genug“ wussten nachhaltig beeindrucken. Mehr noch: Hier hat sich jemand längst in den engsten Kreis meiner Lieblingsautoren geschrieben. Auch weil Serien-Anti-Heldin Crissa Stone nicht bereits ausgelatschte Pfade betritt, sondern ihren ganz eigenen Charakter mit in das Genre bringt. Knallhart und doch verletzlich. Berechnend und doch auch loyal. Die Zerrissenheit zwischen dem, was das Herz sagt und was es erfordert, um ein Verbrechen zu begehen – dies macht Stone einzigartig. Dementsprechend freue ich mich unheimlich auf „Fast ein guter Plan„. Und lege hier jedem nochmal nah, den Einstieg in diese Reihe unbedingt zu wagen!

Wer jetzt die beiden James Lee Burke-Titel näher betrachtet und denkt „Moment mal, das sind doch keine Neuerscheinungen!“, der hat durchaus recht. Mit „Im Schatten der Mangroven“ und „Im Dunkel des Deltas“ spendiert uns der Pendragon Verlag zwei Neuauflagen – allerdings zwei auf die viele Burke-Fans, und natürlich auch ich selbst, lange gewartet haben, denn erstens werden mit den beiden Titeln innerhalb der Reihen-Chronologie weitere Lücken geschlossen, zweitens gehört insbesondere „Im Dunkel des Deltas“ zum Besten, was der ohnehin nicht für Rohrkrepierer bekannte James Lee Burke zu Papier gebracht hat. Und auch wenn sich beim ein oder anderen inzwischen eine gewisse Übersättigung angesichts der vielen Veröffentlichungen eingestellt hat – es lohnt. Außerdem bedarf es der anhaltenden Unterstützung, damit Günther Butkus sein Projekt, alle Robicheaux-Bände zu bringen, auch stemmen kann.

Mit „Red Grass River“ von James Carlos Blake geht diesmal der Liebeskind-Verlag ins Rennen (weitere Titel des Verlages haben es in unsere Belletristik-Auswahl geschafft). Als Jochen König, Susanne Fink und ich uns im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse über das kommende Programm unterhalten haben, wurde mir einmal klar, wieviel dieses vergleichsweise kleine Verlagshaus in den letzten Jahren richtig gemacht hat. Und vor allem warum. Jürgen Christian Kill, Susanne Fink und Marion Hertle sind die Trüffelschweine in diesem Geschäft. Woran andere achtlos vorbeilaufen, das wird hier nicht nur ansprechend in Szene gesetzt und hervorragend lektoriert, sondern schafft auch meist das Kunststück, prägend in Erinnerung zu bleiben. Carlos Blake ist dies bereits mit zwei knallharten Western gelungen. Nun geht es in das Florida der Prohibitionszeit. Wer mich kennt, der weiß, dass ich hier zugreifen muss.

Etwas das ich jetzt endlich auch bei Denise Mina zu tun gedenke, deren bisher bei Heyne erschienene Bücher ich all die Jahre – trotz lobpreisender Kritiken im Feuilleton – links liegen gelassen habe. Warum? Schwer zu sagen. Mit Autoren wie u.a. Ian Rankin, Mark Billingham oder Zoe Beck hat sie gleich mehrere von mir geschätzte Unterstützer – und dennoch setzte bereits meist bei der Lektüre des Klappentextes das Stirnrunzeln ein. Irgendwie wurden da dann doch die richtigen Knöpfe eben nicht gedruckt. Da die gute Zoe aber diesmal selbst für die Übersetzung verantwortlich zeichnet (und schon in Karan Mahajans „In Gesellschaft kleiner Bomben“ einen wortwörtlichen Bombenjob gemacht hat) und es mich derzeit noch mehr als sonst gen Schottland (Warum, dazu bald mehr hier) ziert, wandert „Blut Salz Wasser“ im April ins Regal. Schön übrigens, dass Ariadne/Argument jetzt hier das Ruder übernommen hat (wobei Frau Beck sicher auch hier ihre Finger im Spiel hatte 8-) ). Besser kannst du als Krimi-Autorin kaum aufgehoben sein.

Im selben Verlag erscheinen seit Jahren auch die Bücher von Dominique Manotti, über die ich an dieser Stelle gar nicht allzu viele Worte verlieren will, sollte die Qualität der bisher veröffentlichten Titel doch für sich sprechen. Mehr am Puls der Zeit kann Kriminalliteratur kaum sein. Und unter die Haut gehender und sprachlicher beeindruckender wohl ebenso nicht. „Kesseltreiben“ ist ein absoluter Muss-Kauf. Jedem, der Manotti immer noch nicht kennt, empfehle ich zudem, diese Lücke schnellstmöglich zu schließen.

Ein Statement, das sich eins zu eins für Ross Thomas übernehmen lässt, den der Alexander Verlag seit Jahren in einer eigenen Edition wiederveröffentlicht und dem deutschsprachigen Publikum damit nach und nach den für mich besten Politthriller-Autoren zugänglich macht. Wie alle anderen Werke, so wandert auch „Wenn du nicht brav sein kannst“ in mein Regal.

Was könnte euch aus dieser Liste in Versuchung bringen?

  • Wallace Stroby – Fast ein guter Plan (Broschiertes Taschenbuch, Februar 2018 – Pendragon Verlag – 978-3865326072)
  • Inhalt: Eine halbe Million Dollar aus Drogendeals, bewacht von drei skrupellosen Kerlen mit automatischen Waffen. Für die Berufsverbrecherin Crissa Stone und ihr Team gehört der Raub des Geldes noch zu den einfachsten Übungen. Als das Aufteilen der Beute schiefgeht, entkommt Crissa dem Kugel­hagel allerdings nur knapp. Mit einem Seesack voll gestohlenem Geld befindet sie sich auf der Flucht.
    Gejagt wird sie von brutalen Handlangern eines Drogenbosses und einem ehemaligen Cop aus Detroit, der seine eigenen tödlichen Pläne verfolgt. Crissa will ihnen das Geld auf keinen Fall überlassen. Auch als sie und ein Kind in Lebensgefahr geraten und ihre Verfolger sie in die Enge treiben, kämpft Crissa weiter.
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  • James Lee Burke Im Schatten der Mangroven (Broschiertes Taschenbuch, April 2018 – Pendragon Verlag – 978-3865326027)
  • Inhalt: In den Atchafalaya-Sümpfen ist ein jahrzehntealtes Skelett aufgetaucht. Das jedenfalls behauptet der große Filmstar Elrod Sykes. Detective Dave Robicheaux schenkt der Geschichte zunächst keine Beachtung. Denn er hält es für fraglich, ob Sykes, der für seine Trunksucht bekannt ist, tatsächlich ein menschliches Skelett gefunden hat. Doch dann gerät Robicheaux ins Grübeln: Vor 35 Jahren war er in den Sümpfen Zeuge eines kaltblütigen Mordes an einem Schwarzen. Der Mörder konnte allerdings nie identifiziert werden und auch die Leiche wurde nie gefunden. Robicheaux entschließt sich, den alten Fall noch einmal aufzurollen. Eine Spur führt ihn direkt zu einem Schulfreund.
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  • James Lee Burke – Im Dunkel des Deltas (Broschiertes Taschenbuch, Mai 2018 – Pendragon Verlag – 978-3865326034)
  • Inhalt: Seit über hundert Jahren lebt die schwarze Farmerfamilie Fontenot auf einer Plantage in der Nähe von New Orleans. Doch jetzt will man sie von dem gepachteten Stück Land vertreiben. Detective Dave Robicheaux kümmert sich darum und stößt auf die zwielichtigen Machenschaften des Giacano-Clans. Schnell verstrickt er sich selbst in das wirre Geflecht der undurchsichtigen Verbindungen. Erste Anhaltspunkte findet er in einem Notizbuch, das ihm Sonny Boy Marsallus, ein Dealer und Spieler zwischen den Fronten, auf der Flucht vor dem Clan anvertraut. Bald fließt das erste Blut …
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© Pendragon

  • James Carlos Blake – Red Grass River (Hardcover, Februar 2018 – Liebeskind Verlag – 978-3954380879)
  • Inhalt: John Ashley und Bobby Baker sind Todfeinde. Der eine, Spross einer Familie von Schwarzbrennern, ist der berühmteste Schmuggler und Bankräuber im Florida der Prohibitionszeit. Der andere, Gesetzeshüter aus einer Familie von Gesetzeshütern, treuer Ehemann und liebevoller Vater, verkörpert für viele Recht und Ordnung in einer florierenden Wohlstandsgesellschaft, die ihre archaischen Wurzeln vergessen machen will. Doch niemand ist der, der zu sein er vorgibt, und das Recht ist nicht immer auf der Seite des Gesetzes. Besonders, wenn die Mafia aus Chicago nach Florida drängt, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Immer wieder kreuzen sich die Wege von John Ashley und Bobby Baker, gewaltsam und unvermeidlich, bis einer von beiden in einem Hinterhalt auf dem Dixie Highway in Richtung Jacksonville zu Boden geht …
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© Liebeskind

  • Denise Mina – Blut Salz Wasser (Hardcover, April 2018 – Argument/Ariadne Verlag – 978-3867542302)
  • Inhalt: Iain Fraser stammt aus Helensburgh. War lange weg, eine Haftstrafe absitzen. Jetzt ist er zurück. Und muss tun, was sein Boss von ihm erwartet, egal wie, egal was. Aber eine arglose Frau zu töten ist verdammt finster. Das wird Iain nicht mehr los. Inzwischen steht Detective Inspector Alex Morrow vor einem Rätsel. Die von der Polizei überwachte Roxanna Fuentecilla ist verschwunden – sehr peinlich, zumal die Spanierin in einen Fall von Wirtschaftskriminalität verwickelt ist, der dem frisch verschlankten Budget der zuständigen Ermittlungsabteilung helfen sollte. Die Leiche, die im Loch Lomond treibt, ist jedoch nicht die der Gesuchten. Morrow hat also zusätzlich einen Mordfall am Hals. Und der führt sie nach Helensburgh …
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© Ariadne

  • Dominique Manotti – Kesseltreiben (Hardcover, Mai 2018 – Argument/Ariadne Verlag – 978-3867542319)
  • Inhalt: Commandant Noria Ghozali, 25 Berufsjahre bei der Polizei, zuletzt in der Terrorbekämpfung des französischen Inlandsgeheimdiensts, fällt in Ungnade, als ihr jüngerer Bruder nach Syrien in den Djihad zieht, und wird in die randständige Abteilung »Unternehmenssicherheit« versetzt. Dort verfolgt man aktuell die Aktivitäten um den ­Orstam-Konzern, französischer Weltmarktführer im Kraftwerksbau von natio­naler strategischer Bedeutung. Am Flughafen JFK wird ein Orstam-Manager verhaftet – Vorwurf: Bestechung beim Indonesiengeschäft. Eine konzertierte Aktion von amerikanischer Justiz, CIA, NSA und Unternehmerkreisen?
    In Paris bleibt es seltsam still: Der Orstam-Chef hüllt sich in Schweigen, die Regierung bleibt untätig. Ein interessierter Konkurrent, die amerikanische Power Energy, streckt bereits seine Finger nach Orstam aus. Während Noria Ghozali und ihr Team Bericht auf Bericht schreiben, die ihre Ansprechpartner in der Regierung vollkommen kalt lassen, rückt bei Orstam die entscheidende Aktionärsversammlung näher. Mit Anreizen, Manipulation und Erpressung sucht Power Energy gewisse Orstam-Mitarbeiter ins Boot zu holen oder unschädlich zu machen …
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© Ariadne

  • Ross Thomas – Wenn du nicht brav sein kannst (Broschiertes Taschenbuch, April 2018 – Alexander Verlag – 978-3895814761)
  • Inhalt: Wer hat den Millionär und Senator Robert F. Ames mit 50.000 Dollar bestochen und dann seine Tochter ermordet? Warum hat er seine Frau verlassen, um mit einem wesentlich jüngeren Callgirl in einem Watergate-Appartement zu leben? Trieb ihn ein Erpresser in diesen Skandal? Das soll der Historiker und Korruptionsspezialist Decatur Lucas für Frank Size, Inhaber einer gefürchteten Presseagentur in Washington, herausfinden.
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Könige der Nacht

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Man kann auf mehrere Arten etwas entbehren. Das eine vermisst man vielleicht erst, wenn es nicht mehr da ist, sich eine Lücke dort auftut, wo sie nie vorhergesehen war. Und dann gibt es aber auch noch den Fall, wo man erst mit Erhalt von etwas merkt, dass es eigentlich immer schon gefehlt, man es sich immer schon herbeigesehnt hat. Die Reihe um die Berufsverbrecherin Crissa Stone von Wallace Stroby fällt für mich persönlich genau in eben jene letztere Kategorie, weshalb das Engagement des Pendragon Verlags, diesen erstklassigen Autor für den deutschsprachigen Krimi-Markt zu entdecken, gar nicht entscheidend genug gewürdigt werden kann.

Eine Würdigung, die meinerseits äußerst subtil vonstatten gehen muss, da man doch als kritischer Rezensent oftmals Gefahr läuft, in Kategorien zu bewerten, Vergleiche anzustellen und Muster herauszuarbeiten, was einerseits den Viellesern des Genres möglicherweise entgegen kommt, sich für den durchschnittlichen Leser jedoch als Hindernis darstellen kann, da dieser wiederum mit all diesen Bezügen wenig bis gar nichts anfangen kann. So ist Lob, gerade hinsichtlich solcher Literatur wie der hier vorliegenden, manchmal ein Ritt auf der Rasierklinge, will ich doch allen etwaigen Interessenten auf möglichst nachdrückliche Weise vor allem eine Botschaft zu verstehen geben: Kauft und liest dieses Buch!

Damit ist, was die Bewertung angeht, ein Teil der Katze zwar bereits aus dem Sack und doch natürlich lange nicht das warum erklärt, dem ich mich jetzt, möglichst überzeugend widmen möchte, wobei ein kurzer Anriss des Inhalts den Anfang macht:

South Carolina, vier Monate nach Crissa Stones Zusammenprall mit dem Mann (siehe „Kalter Schuss ins Herz“), den alle nur unter dem Namen „Eddie der Heilige“ kannten und der dem Leben, so wie sie es bisher führte, ein Ende gesetzt hatte. Zu viel Polizei, zu viele juristische Ermittlungen, zu viel Aufsehen und aufgewirbelter Staub für diese Frau, die ihren dreckigen Job stets sauber über die Bühne bringen und dabei größtmöglichen Profit abkassieren will. Hier im Süden scheint dies seit einiger Zeit relativ ertragreich möglich – einem Schaufellader und vieler exponiert stehender Geldautomaten sei Dank. Wohlgemerkt scheint, denn ihre beiden Partner halten nicht viel von Teamwork und vor allem voneinander, so dass Crissas Mitteilung, nun wieder eigene Wege gehen zu wollen, dazu führt, dass sich beide schließlich über den Haufen schießen. Zwei relativ verlässliche Helfer tot, über 100.000 Dollar kassiert. Unterm Strich kein schlechter Schnitt, mit dem sich Crissa wieder gen Norden aufmacht, um das Geld weiter in die Bestrebungen zu investieren, ihren langjährigen Lebensgefährten und Mentor Wayne frühzeitig aus dem Gefängnis zu holen. Und damit ihrem Traum, vereint mit der gemeinsamen, derzeit bei ihrer Cousine lebenden Tochter ein neues Leben zu beginnen, ein Stück näher zu kommen. Doch vorher will das Geld gewaschen werden. Ein Vorgang für den es schmutziger Hände bedarf, in die sich Crissa nur äußerst ungern begibt.

Zur selben Zeit hat an anderer Stelle ebenfalls jemand Probleme mit dem lieben Geld. Benny Roth, ein ehemaliger Gangster und Mitglied der Mafia in den 70er Jahren, wird von der Vergangenheit eingeholt, als ihn ein paar seiner früheren Weggefährten eines Abends in dem Imbiss aufspüren, in welchem er sich seit seinem Ausstieg aus dem damaligen Zeugenschutzprogramm seinen Unterhalt als Koch verdient. Ein paar der alten Mobster hatten zuletzt bereits alters- und krankheitsbedingt das Zeitliche gesegnet, doch Gerüchte sind im Umlauf, dass mehrere Million Dollar aus einem vor fünfunddreißig Jahren begangenen Geldraub auf das Lufthansa-Cargo-Terminal am Flughafen JFK immer noch irgendwo versteckt sind. Und dass Benny als einziger weiß, wo sich dieses Versteck befindet. Der erkennt recht schnell, dass es wenig Sinn macht, den kaltblütigen Mobster Taliferro vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Mit viel Glück kann er diesen und seine Laufburschen überrumpeln und gemeinsam mit seiner viele Jahre jüngeren Lebensgefährtin Marta fliehen.

Über den alten, mittlerweile im Pflegeheim lebenden Mafiaboss Jimmy Falcone kreuzen sich schließlich Crissas und Bennys Wege, die, nach kurzer Überlegung ihrerseits, beschließen, dass eine Zusammenarbeit bei der Suche nach dem Lufthansa-Geld durchaus Sinn macht. Doch sie haben die Rechnung ohne Taliferro gemacht. Der hat sich längst an Bennys Fersen geheftet und stellt recht bald Crissas Credo, keinerlei Leben mehr nehmen zu wollen, schwer auf die Probe …

Dass Wallace Strobys Anti-Heldin Crissa Stone denselben Nachnamen hat wie Robert B. Parkers Schöpfung, der Polizeichef Jesse, ist mit großer Wahrscheinlichkeit nur ein Zufall. Dass beide inzwischen beim Bielefelder Pendragon Verlag veröffentlicht werden, allerdings ganz sicher nicht, sondern einfach nur die Folge des feinen Näschens für noch feinere Kriminal-Literatur, welches Günther Butkus, Eike Birck und ihr Team seit, man darf es wohl sagen, Jahrzehnten immer wieder unter Beweis stellen. Und es ist auch angesichts der vorliegenden Klasse von „Geld ist nicht genug“ einmal mehr unglaublich, dass über vier Jahre lang tatsächlich niemand sonst vorher den Namen Stroby auf dem Zettel hatte. Vielleicht muss Gut Ding aber auch Weile haben, wobei dieses Werk den perfekten Zeitpunkt zur Veröffentlichung sicher nicht bedarf, derart zeitlos die traumwandlerisch sichere Schreibe dieses bis hin zur letzten Zeile so stilsicheren Autors. Auch Crissa Stones zweiter Auftritt könnte in dieser Form genauso in den 60er oder 70ern auf Papier gebracht worden sein, sind doch Mobiltelefone das einzige Zugeständnis an die Entwicklungen der Moderne, derer sich Stroby bedient. Der Rest fußt auf genau dem Prinzip, dass auch Richard Starks „Parker“ oder Garry Dishers „Wyatt“ bis heute so erfolgreich macht.

Womit die Namen genannt wurden, die ich einfach nennen muss, um es greifbar zu machen und die dennoch nicht reichen, Stroby an sich zu klassifizieren. Denn so sehr ich mich hier in manchen Passagen an obige Autoren erinnert fühlte, so anders ist doch auch die Figur Crissa Stone. Eben nicht nur eiskalt, nicht immer Herrin der Lage, nicht mit schon zwei, drei Ausweichplänen in der Hinterhand. Ein Profi im Verbrechen, die sich jedoch der Welt, in die sie für die Begehung eben jenes Verbrechens eintauchen muss, nicht wirklich zugehörig fühlt. Der eben Geld nicht genug ist, sondern nur als Mittel zum Zweck dient, der in diesem Fall heißt, ihre Liebe aus dem Knast und ihre Tochter zurück in ein gemeinsames Leben als Familie zu holen. Stroby gesteht Crissa mehrere Schalen an Persönlichkeit zu, lässt den Leser unter der harten oberen Schicht auch Blicke auf den Kern werfen. Auf eine Seele, die noch nicht nachtfinster ist und welche die Finger noch selbst da vom Abzug nimmt, wo ihre Gegenüber schon längst ein ganzes Magazin entleert haben.

(…) „Du lernst es früh oder erst spät“, sagte er. „Die Karten sind gezinkt. Niemand gibt Dir irgendetwas. Du musst es Dir nehmen.“ (…)

Benny Roths an sie gerichtete Worte sind überflüssig, hat sie Crissa doch seit langer Zeit verinnerlicht. Doch für sie besitzt diese Aussage auch eine Ausstiegsklausel, ein Hintertürchen, von ihrem Herzen offen gehalten, das besagt: Nicht um jeden Preis. Nicht um jedes Leben. Und genau das ist es, was die Faszination dieser Reihe ausmacht. Crissa bewegt sich in einer Grauzone, immer dicht am Schwarz. Ein Ritt auf der Rasierklinge, der uns Leser nie genau wissen lässt, für welche Handlungsweise sie sich entscheidet, wie weit sie zu gehen bereit ist. Oder ob ihre Auseinandersetzung mit „Eddie dem Heiligen“ letztlich doch eine Barriere hat fallen lassen, die sie verändert hat. Von diesen verschiedenen Facetten der Figur lebt der Roman, aus ihnen bezieht er sein Spannungsmoment. Und Stroby gelingt es auch die Gegenüber mit dieser Tiefe zu versehen, so dass gerade die Auftritte von Danny Taliferro zu den Highlights in diesen an Highlights nicht armen „Hardboiled“-Titels gehören. Seine Präsenz ist ein drohender Schatten über unseren Protagonisten, ein beständiger Gefahrenherd, der die Atmosphäre erst auf eiskalte Temperaturen herabkühlt, um sie schließlich in einem heißen Konflikt zu entladen.

Wie Stroby dieses Katz-und-Maus-Spiel um das Geld in Szene setzt und am Rad der Fortuna für alle Beteiligten dreht – das ist einerseits ein großer Spaß, andererseits von gnadenloser Entschlusskraft und zielgerichteter Härte (der Film „Drive“ kam mir oft in den Sinn), weil er sich zwar der Zutaten des Gangster-Romans und dessen Milieus bedient, dabei jedoch nie Gefahr läuft deren Einsatz für künstliche Effekte zu missbrauchen. Dank Alf Mayers Nachwort – dessen Übersetzung übrigens erneut ohne Fehl und Tadel ist – wird der authentische Ton von „Geld ist nicht genug“ nochmal unterfüttert, hat es doch diesen Lufthansa-Raub tatsächlich gegeben und Stroby die Leerstellen „lediglich“ mit einer Geschichte gefüllt. Eine Geschichte, welche zwar nicht die Wahrheit sein muss, aber durchaus sein könnte.

Schon Chandler sagte einst: „Alles was du hast und brauchst ist Stil.“ – Wallace Stroby hat ihn. Und er durchdringt alle 328 Seiten dieses erstklassigen, perfekt getimten und in den Abgründen der finsteren Nacht lebenden Werks. Was weit mehr ist als das, was ein Großteil heutiger „Bestseller“-Autoren vorweisen kann. Man kann nur hoffen, dass er sich diesen in weiteren Bänden in gleichem Maße bewahrt. Das wären in jedem Fall rosige Aussichten für alle Freunde des klassischen „Hardboiled“.

Wertung: 89 von 100 Treffern

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  • Autor: Wallace Stroby
  • Titel: Geld ist nicht genug
  • Originaltitel: Kings of Midnight
  • Übersetzer: Alf Mayer
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 02.2017
  • Einband: Klappenbroschur
  • Seiten: 352 Seiten
  • ISBN: 978-3865325778

+++ Der Vorschau-Ticker – Frühjahr/Herbst 2017 – Teil 2 +++

Damit aus dem Vorschau-Ticker hier kein Rückblick wird, heißt es für mich: Ranhalten. Daher schnell weiter mit meiner nächsten Auflistung verheißungsvoller Titel, von denen einige sogar bereits in den nächsten Tagen in gut sortierten Buchhandlungen stehen dürften. Die Betonung liegt auf gut sortiert, haben es doch besonders die kleineren Verlage seit Jahren immer schwerer, einen Fuß in die größeren Buchhandelsketten zu bekommen. Es ist zwar kein neues Leid über das ich hier klage, aber eins was mich doch weiterhin arg stört, wenn man sieht wie vielen herausragenden Büchern –  durch die inzwischen zu großen Teilen nur noch auf Massenkompatibilität ausgelegten Bestückungen in Filialen – ein größeres Lesepublikum verwehrt bleibt. Wenn daher durch diesen Blog auch nur ein Buch gekauft UND gelesen wird, das sonst auf Halde liegen geblieben wäre, hat sich die Mühe an dieser Stelle bereits gelohnt. Doch nun zu den Titeln:

Der Block“ könnte von der Thematik her wohl kaum aktueller sein und möge bitte eine Zukunftsvision bleiben, die sich nicht erfüllt. Dennoch ist Jérôme Leroys Ansatz von einem Frankreich kurz vor der Übernahme durch die äußersten Rechten ein heißes Eisen, welches man meines Erachtens anfassen muss, denn gerade jetzt heißt es: Wegschauen gilt und hilft vor allem nicht. Politik in Krimis ist immer so eine Sache. Gerade in diesem Fall bin ich aber mehr als optimistisch, hat doch Edition Nautilus schon in der Vergangenheit bewiesen, dass man für solche Titel ein feines Näschen besitzt.

Des Menschen Wolf“ präsentiert sich für mich in erster Linie als Wundertüte. Der Autor sagt mir nichts, der Inhalt klingt nach stereotyper Rache-Geschichte vor Mafia-Kulisse. Und doch: Tropen ist kein Verlag, der seichte Wohlfühlliteratur vertreibt und vielleicht lohnt hier doch ein zweiter Blick, zumal mich der Schauplatz Hollywood in Kriminalromanen schon seit längerem fasziniert.

Der nächste Titel ist ein „Muss“-Kauf mit einem besonders dicken  Ausrufezeichen hinter dem „Muss“. Cynan Jones‘ „Graben“ war für mich 2015 eines DER literarischen Kleinode überhaupt, wobei man inzwischen fast gönnerhaft behaupten muss: Kein Wunder, es ward ja auch bei Liebeskind veröffentlicht. Was dieser kleine, aber äußerst feine Verlag seit Jahren für Perlen entdeckt ist mitunter fast schon unheimlich und so ist es ein wenig überraschend, dass es in diesem Halbjahr tatsächlich nur ein Buch in meine engste Auswahl geschafft hat. Dies ist jedoch weniger einer vermuteten fehlenden Qualität der anderen Titel, als vielmehr dem eigenen Geldbeutel sowie dem endlichen Platz in meinem Bücherregal geschuldet. Und doch, so wie ich mich kenne, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch „Meroe“ von Oliver Rolin Einzug in Letzteres halten.

Nach dem Lob für Liebeskind müsste ich dieses eigentlich 1:1 beim Pendragon Verlag wiederholen, der übrigens dieses Jahr seinen 30. Geburtstag feiert, was in erster Linie Verleger Günther Butkus‘ unnachgiebigem Engagement zu verdanken ist, der mit fast schon ostwestfälischer Sturheit an seinen Autoren festhält, die es auf den mit „Augenschneidern“, „Knochenbrechern“ und Fingersammlern“ überschwemmten Markt nicht immer leicht haben. Das schmerzt angesichts vieler großartiger Krimi-Perlen in dessen Programm besonders, wenngleich zumindest James Lee Burke zuletzt (natürlich auch dank dem parallelen Erscheinen bei Heyne Hardcore) ein kleines (lange überfälliges!) Comeback feiern durfte. Hier hoffe ich weiterhin auf großes Feedback seitens der Krimi-Gemeinde, damit wir irgendwann alle 20 Robicheaux-Hände in deutscher Übersetzung unser Eigen nennen dürfen. Sollte irgendjemand tatsächlich noch keinen Titel dieses absoluten Ausnahme-Autors gelesen haben: „Schmierige Geschäfte / Black Cherry Blues“ ist meines Erachtens einer der besten Titel, die Burke zu Papier gebracht und dieses Genre zu verzeichnen hat. Unbedingte, nachdrückliche, ganz dicke Leseempfehlung!

Willi Achten ist für mich bisher ein unbeschriebenes Blatt, doch angesichts des Klappentext kann ich mir kaum vorstellen, dass am Ende der Lektüre „nichts bleibt“. Wenn das Buch nur halb so gut wird, wie es tönt, könnte hier Pendragon die nächste große Entdeckung gelungen sein.

Die letzte war (zusammen mit Andreas Kollender) der US-Amerikaner Wallace Stroby mit dem Auftakt seiner „Crissa-Stone„-Reihe „Kalter Schuss ins Herz„, welche nun mit „Geld ist nicht genug“ endlich fortgesetzt wird. Endlich deswegen, weil obiger Titel mein Krimi des Jahres 2015 war. Daher an dieser Stelle keine Empfehlung, sondern stattdessen ein Appell: Kaufen und lesen! Das ist ganz große, eindringliche und äußerst unterhaltsame Kriminalliteratur nach klassischem Muster, wie sie heute nur noch ganz wenige schreiben können. Dieser Reihe kann man wirklich nur so viele Leser wie möglich wünschen.

Da übrigens der ein oder andere Titel aus dem Frühjahrprogramm mancher Verlage bereits erschienen ist (ich war dieses Jahr zu langsam), werde ich am Ende meiner Vorschau-Ticker noch mal extra auf die „verpassten Empfehlungen“ hinweisen.

Welches Buch von den oben genannten kommt in eure nähere Wahl?

  • Jérôme Leroy – Der Block (Taschenbuch, März 2017 – Edition Nautilus – 978-3960540373)
  • Inhalt: Blutige Aufstände in den französischen Vorstädten, die Zahl der Toten steigt unaufhörlich. Die Partei der äußersten Rechten – der Patriotische Block – steht kurz vor dem Einzug in die Regierung. In dieser Nacht kann das Schicksal Frankreichs kippen, und sie ist für drei Menschen der Höhepunkt einer 25-jährigen Geschichte aus Gewalt, Geheimnissen und Manipulation. Agnès führt als Parteivorsitzende die Verhandlungen. Ihr Ehemann Antoine wartet in seiner luxuriösen Pariser Wohnung auf das Ergebnis, Stanko, der Chef des paramilitärischen Ordnerdienstes der Partei, versteckt sich in einem schäbigen Hotelzimmer. Antoine ist morgen vielleicht Staatssekretär – Stanko jedenfalls soll morgen tot sein.
    Ein Vierteljahrhundert lang waren die beiden wie Brüder. Ein Vierteljahrhundert lang waren sie bei allen Aktionen dabei, die den Patriotischen Block an die Macht gebracht haben. Ein Vierteljahrhundert lang sind sie vor nichts zurückgeschreckt. Sie haben dieses Leben geliebt, und sie bereuen nichts.
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(c) Edition Nautilus

  • Apostolos Doxiadis – Des Menschen Wolf (Hardcover, April 2017 – Tropen Verlag – 978-3608501575)
  • Inhalt: Ben Frank hat Blut an seinen Händen. Bei einer Kneipenschlägerei tötet er den Sohn des berüchtigten Mafiabosses Tonio Lupo. Und dieser sinnt auf Rache: Auch Franks Söhne sollen in dem Alter ermordet werden, in dem sein Sohn starb. Schicksal, Zufall, bewusste Entscheidungen: ein spannender Rache-Thriller über die Frage, wie wir dem Tod ein Schnippchen schlagen können. Al, Nick und Leo Frank sind sich keiner Schuld bewusst. Doch der vom Tode gezeichnete Mafiaboss nimmt seine Rache ernst: Er setzt einen Profikiller auf die drei Brüder an, der sie umbringen soll, sobald sie 42 Jahre alt sind. Während Al sich durch Reichtum zu schützen sucht, flüchtet Nick in den Glamour von Hollywood, um sich unverwundbar zu machen. Nur der jüngste Bruder Leo ist noch zu klein, um von dem Fluch zu erfahren, und führt zunächst ein unbeschwertes Leben. Aber auch für den Profikiller stellt sich die Frage, wie er leben soll, bis seine Opfer ihr entsprechendes Alter erreicht haben.
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(c) Tropen

  • Cynan Jones – Alles, was ich am Strand gefunden habe (Hardcover, Februar 2017 – Liebeskind Verlag – 978-3954380749)
  • Inhalt: Zwei Männer, die auf ihre Chance warten. Holden setzt alles daran, ein Versprechen einzulösen, das er einem sterbenden Freund gegeben hat, während Grzegorz auf ein besseres Leben für seine Familie hofft und zu allem bereit ist … Zwei Männer, die auf ihre Chance warten, setzen wider besseren Wissens ihr Leben aufs Spiel. Eine schiefgelaufene Drogenübergabe löst eine fatale Verkettung von Ereignissen aus, in deren Folge sie zum Spielball unkontrollierbarer Kräfte werden. Stringer, der lange im Gefängnis saß und nun merkt, wie sehr sich die Welt verändert hat, wird losgeschickt, um die verloren gegangene Lieferung wieder aufzutreiben. Und um ein Zeichen zu setzen …
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(c) Liebeskind

  • James Lee Burke – Schmierige Geschäfte / Black Cherry Blues (Broschiertes Taschenbuch, Mai 2017 – Pendragon Verlag – 978-3895814402)
  • Inhalt: Alte Freunde bringen manchmal Unglück. Diese Erkenntnis macht Dave Robicheaux, als er unverhofft dem abgehalfterten Rock ´n´ Roller Dixie Lee Pugh wiederbegegnet. Pugh arbeitet inzwischen für eine Ölfirma und berichtet ihm von zwei finsteren Kollegen und ihren dreckigen Machenschaften in den Bergen Montanas. Wenig später wird Pugh Opfer eines Brandanschlags und Dave Robicheaux flattert ein Drohbrief ins Haus. Als er sich die Absender schnappen will, steht er plötzlich selbst unter Mordverdacht. Robicheaux hat nur eine Chance: Er muss nach Montana und herausfinden, in welche Geschäfte Dixie Pughs Kollegen verwickelt sind. Es geht um eine Menge Geld, um mächtige Ölgesellschaften und um junge Indianer, die gegen altes Unrecht kämpfen.
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(c) Pendragon

  • Willi Achten – Nichts bleibt (Broschiertes Taschenbuch, Februar 2017 – Pendragon Verlag – 978-3865325686)
  • Inhalt: Franz Mathys ist Kriegsfotograf. Eines seiner Fotos wurde mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet. Doch er hat tiefe Zweifel und Schuldgefühle, denn er profitiert von dem Leid anderer. Mathys spürt, dass sein Leben ihm mehr und mehr entgleitet. Er zieht sich auf einen abgeschiedenen Hof im Wald zurück. Lebt dort mit seinem Vater und seinem Sohn, kommt zur Ruhe und verliebt sich. Doch die Idylle trügt. Eines Nachts schlagen zwei Männer seinen Vater brutal nieder und er muss schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht werden. Mathys will die Täter finden. Der immer stärker werdende Wunsch nach Rache und die Suche nach den Männern entfremden ihn von den Menschen, die er liebt. Wird er nun alles verlieren? In einem zerklüfteten Tal in den Alpen trifft er eine einsame Entscheidung, die sein Leben kosten kann.
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(c) Pendragon

  • Wallace Stroby – Geld ist nicht genug (Broschiertes Taschenbuch, März 2017 – Pendragon Verlag – 978-3865325778)
  • Inhalt: Metallteile und Plastik schlittern über den Asphalt. Volltreffer. Crissa Stone hebelt den Geldautomaten mit der Schaufel eines Frontladers aus der Verankerung und balanciert die Beute auf die Ladefläche ihres Pick-ups. Sie liebt saubere Lösungen. Crissa hat das System des Bankraubs perfektioniert, aber ihre Partner verlieren die Nerven. Gangster, die sich gegenseitig umbringen – wie unprofessionell. Zum Glück wartet schon ein neuer Job: Ein verstorbener Mafiaboss soll die Millionen eines Raubs jahrelang versteckt haben. Leider ist Crissa nicht die Einzige, die es auf das Geld abgesehen hat. Sie gerät zwischen die Fronten und muss fliehen: Vor dem Gesetz und einer Mafia-Gang aus New York.
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(c) Pendragon

Die Rote und der Heilige

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© Pendragon

Wallace Stroby betritt mit „Kalter Schuss ins Herz“ zum ersten Mal deutschen Buchmarktboden – und hinterlässt gleich tiefe Spuren mit viel Profil. Meine Entschuldigung für die doch etwas lang geratene Besprechung, aber einmal ins Schwärmen geraten, flogen die Pfoten nur so über die Tasten. Außerdem: Pendragons neueste Entdeckung hat etwas tiefergehende Aufmerksamkeit verdient. Und zwar darum:

Es ist gerade mal ein bisschen mehr als einen Monat her, seit ich – gemeinsam mit Jochen König – Günther Butkus und Eike Birck am Stand von Pendragon auf der Frankfurter Buchmesse einen Besuch abgestattet und mit ihnen zwanglos über das aktuelle Programm und die zukünftige Planung geplaudert habe. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand neben „Kolbe“ und den Neuauflagen älterer „Spenser“-Krimis vor allem der kommende James Lee Burke-Titel „Mississippi Jam“ (orig. „Dixie City Jam“), mit dem der Bielefelder Verlag einen weiteren bisher unübersetzten Titel aus der Robicheaux-Reihe veröffentlicht und meine langjährige Hoffnung nährt, irgendwann hierzulande doch in den Genuss aller Bände zu kommen. Gänzlich unbeachtet – zu meiner nachträglichen Schande – blieb größtenteils Wallace Strobys „Kalter Schuss ins Herz“. Und obwohl Kollege König schon zum damaligen Zeitpunkt durchaus voll des Lobes war, ging ich ein paar Wochen später die Lektüre mit eher moderaten Erwartungen an, da Stroby mir bis dato schlichtweg kein Begriff und der vom Titel ausgehende Lockreiz doch etwas verhalten war.

Tja, was bleibt mir im Nachhinein übrig als zu sagen: Himmel, welch fatale Fehleinschätzung. Eine Fehleinschätzung, für die es nicht mal eine gute Entschuldigung gibt, hat doch Pendragon bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass sie einen untrüglich guten Riecher für genau die hochkarätigen Juwelen haben, die andere Verlage übersehen oder lippenschürzend links liegen lassen. Und „Kalter Schuss ins Herz“, der Auftakt einer bisher vier Bände umfassenden Serie mit der professionellen Diebin Crissa Stone, macht doch kurz vor Ladenschluss den Kampf um Platz eins in meiner hauseigenen Jahres-Bestenliste nochmal so richtig spannend. Warum – dazu später. Nun erst einmal kurz zum Inhalt:

Die Zeiten sind schlecht für die Wahl-New-Yorkerin Crissa Stone seit ihr Mentor und Lebensgefährte Wayne im weit entfernten Texas seine Haftstrafe absitzen und sie allein auf Raubzüge gehen muss. Ihr letzter Coup, ein Überfall auf eine Wechselstube, ging zwar vom Ablauf her reibungslos über die Bühne, der letztliche Ertrag war aber enttäuschend, zumal Crissa, von Freunden liebevoll „Rote“ genannt, schnellstmöglich 250.000 Dollar braucht, um eine frühzeitige Entlassung Waynes in die Wege leiten zu können. Hinzu kommt ihre persönliche Situation. Die gemeinsame Tochter Maddie hat sie schweren Herzens in die Obhut ihrer Cousine gegeben. Auch als Vorsichtsmaßnahme aufgrund der Gefahren ihres „Geschäfts“ beobachtet sie sie nur aus der Ferne. Doch zumindest für den Lebensunterhalt will sie aufkommen, weshalb Crissa nun selbst Jobs in Erwägung zieht, die sie früher nicht angenommen hätte. Gemeinsam mit den beiden Profis Stimmer und Chance macht sie sich auf den Weg nach Fort Lauderdale, dem „Venedig Amerikas“, wo ein High Rollers Kartenspiel die Beute von einer Million Dollar und mehr verspricht.

Zur gleichen Zeit verlässt Eddie „der Heilige“ Santiago den Knast. Schon früher Ausputzer für die Mobster, verschwendet er keinen zweiten Gedanken an Resozialisierung und macht sich sogleich daran, seine alte berufliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. An seiner Seite der ehemalige Junkie Terry, der mehr gezwungen als gewollt die Rolle des Sidekicks übernimmt und dem Eddie nur so lange vertraut, wie dieser ihm bereitwillig folgt.

Crissas Aktion ist derweil in vollem Gang und läuft reibungslos nach Plan, bis Stimmer augenscheinlich die Nerven verliert und einen der Pokerspieler noch am Tisch sitzend erschießt. Aus dem coolen Abgang wird nun eine hektische Flucht, denn der Getötete ist niemand geringeres als der Schwiegersohn des alten Gangsterbosses Tino Conte – Eddies Arbeitgeber. Obwohl Conte sich bei der Beauftragung des Heiligen mit der Liquidierung Stimmers zufrieden gibt, macht der erst gar keine Anstalten sich zurückzuhalten. Dieser Job verspricht Geld – und Geld ist alles was Eddie interessiert. Crissa und Chance tauchen unter, doch beiden ist klar, dass über diese Sache kein Gras wachsen, ihr Verfolger die Sache nicht auf sich beruhen lassen wird. Und dieser hat auch noch einen Trumpf im Ärmel – er weiß genau, für wen Crissa ihr Leben riskieren würde. Eine Hetzjagd beginnt…

Bei der Besprechung eines Buches kann man Dutzende Fehler machen – der größte ist es aber wohl, vorab Rezensionen anderer zu lesen. Nicht unbedingt, weil man sich dadurch in seiner Bewertung beeinflussen lässt, sondern weil es Wort- und Schwerpunktwahl zusätzlich erschwert. In „Kalter Schuss ins Herz“ kam dies in meinem Fall besonders zum Tragen, ist es doch schier unmöglich, diesen Krimi einer näheren Betrachtung zu unterziehen, ohne genau diejenigen Vergleiche aufzulisten, welche auch anderen Rezensenten sogleich ins Auge gefallen sind. Und auch die kurze obige Inhaltsbeschreibung sollte bei Kennern des Genres sogleich die Glocken klingen lassen, welchem Vorbild Stroby hinsichtlich der Thematik folgt und nacheifert. Gemeint ist Donald E. Westlake, der als Richard Stark mit seiner Serie um den Berufsganoven Parker Literaturgeschichte (und u.a. dank der Verfilmung des Erstlings unter dem Titel „Point Blank“ mit Lee Marvin in der Hauptrolle auch Filmgeschichte) geschrieben und den klassischen „Noir“ eine ganz neue Perspektive verliehen hat. Wie Stroby unlängst in einem Interview mit Sonja Hartl bekannt und Übersetzer Alf Mayer im informativen Nachwort herausgearbeitet hat, spielte auch Garry Disher eine nicht unwesentliche Rolle in seiner Selbstfindung als Autor – vor allem in der Phase, als Stark eine langjährige Pause bei Parker einlegte.

Nun kommt natürlich die Frage, die viele stellen werden: Ist „Kalter Schuss ins Herz“ einfach nur eine weitere Variante mit weiblicher Hauptfigur, welche die Stilelemente ihrer Vorgänger eins zu eins kopiert?

Die Antwort darauf kann und muss nach der Lektüre von Strobys Werk nur „Nein“ lauten, da der US-amerikanische Autor nicht nur in der Figurenzeichnung neue und andere Wege geht, sondern einen eigenen schnörkellosen Ton kultiviert. Zwar in der Tradition der Vorgänger, aber nur durch sie inspiriert und mit soviel Individualität, dass man reinen Gewissens behaupten kann: Hab ich so in dieser Art noch nicht gelesen. Auch wenn Strobys Crissa und Starks Parker dasselbe Berufsfeld teilen, unterscheiden sie sich doch stark in deren Ausübung und in der Auffassung eines moralischen Kodexes. Am Ende muss zwar bei beiden der Schnitt stimmen – der Weg dorthin ist aber im Falle von Crissa Stone nicht grundsätzlich mit Leichen gepflastert. Noch weniger als Schusswaffen mag sie deren Einsatz. Die Ausübung von Gewalt, außer im Notfall, sieht sie als die Schwäche eines Amateurs. Und obwohl sie wie Parker auf sich allein gestellt und gegenüber jedem misstrauisch ist, lässt sie gewisse Loyalitäten zu, wohingegen ersterer sich immer selbst am Nächsten ist und sich erst in späteren Bänden wenige sentimentale oder gar mitfühlende Momente erlaubt. Stattdessen bleibt er eckig, kantig, unnahbar und roh. Ein Eindruck, den auch Crissa auf den ersten Blick erweckt und der es ihr erlaubt, in dem dreckigen Tümpel, welcher ihr Milieu ist, auf Augenhöhe mit den meist doch männlichen Partnern ihr Ding durchzuziehen.

Ein zweiter Blick offenbart jedoch auch eine verletzliche Seite. Crissa leidet unter der Trennung von ihrer Tochter ebenso wie unter Waynes Gefangenschaft. Verbarrikadiert und zurückgezogen in ihrem Schlupfloch gönnt Stroby uns Lesern einen Blick in ihr Gefühlsleben, ohne dabei – und das ist meiner Ansicht nach eine herausragende Eigenschaft dieses Krimis – die Professionalität der Figur zu untergraben. Im Gegenteil: Durch diesen Blick „hinter die Kulissen“ wirkt Crissa umso stärker nach, gewinnt der Ablauf der Handlung, die Stroby mit einigen wohl dosierten Wendungen gespickt und mit einem steil nach oben führenden Spannungsbogen ausgestattet hat, zusätzlich an Dramatik.

Für dessen steilen Anstieg zeichnet insbesondere dann Eddie, „der Heilige“ verantwortlich. Ein eiskalter Killer und Soziopath wie er nur in wenigen Büchern steht und vielleicht einer der besten Antagonisten, der mir in den letzten Jahren zwischen den Seiten unter die Augen gekommen ist. Sobald er die Bühne betritt, sinkt die Temperatur rapide, hallt da ein dünnes, ängstliches „Oh-oh“ genauso zwischen unseren Ohren nach wie böse Vorahnungen, was das jeweilige Gegenüber Eddies angeht. Stroby hat hier einen Charakter geschaffen, dessen Ausstrahlung allein schon die Lektüre des Buches rechtfertigt. In einer Welt, wo die meisten Schriftsteller ihre Bösewichte künstlich aufblähen und zu abartigen Tieren verkommen lassen, ist Eddie dieses glaubhafte, erschreckend ehrliche und äußerst unangenehme Moment, welches uns daran erinnert, dass dort draußen tatsächlich solche Menschen existieren. Jegliche Szene mit ihm hier – garantierte Gänsehaut und nachvollziehbare Gefahr für Crissa Stone, deren Überleben man deshalb – trotz der Kenntnis dreier weiterer Krimis mit ihr – kurzerhand in Zweifel zieht.

Abgerundet wird das von einer stilistischen Sicherheit (auch dank Alf Mayers punktgenauer Übersetzung!), die denen der großen Meister vergangener Tage in Nichts nachsteht und einige denkwürdige Passagen hervorbringt, welche atmosphärisch lange nachwirken werden. Ob der Showdown in einem allein stehenden, verschneiten Haus oder der kurze Besuch Eddies bei der schwangeren Lebensgefährtin Terrys – „Kalter Schuss ins Herz“ besticht mit einer plastischen Schärfe, welche den „Ist-doch-nur-ein-Buch-Gedanken“ mit spitzer Feder sogleich zerreißt und es aufs Beste versteht, die Fähigkeiten dieses Mediums maximal zu nutzen. Knackige Dialoge, karge Kulissen, lakonischer Witz und dabei doch nie konstruiert wirkend – genau so will ich meinen Krimi haben, genau so muss „Hardboiled“ aussehen.

Bei meiner nächsten Unterhaltung mit Günther Butkus kann es daher nur ein Thema und eine Frage geben: „Günther, wann bringst du den nächsten Stroby?

Wertung: 93 von 100 Trefferneinschuss2Autor: Wallace Stroby

  • Titel: Kalter Schuss ins Herz
  • Originaltitel: Cold shot to the heart
  • Übersetzer: Alf Mayer
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 8/2015
  • Einband: Broschiertes Taschenbuch
  • Seiten: 352
  • ISBN: 978-3-86532-487-0