Der Fluch der bösen Tat

© Pendragon

Wallace Stroby widmet sein drittes Buch aus der Reihe um die Berufskriminelle Crissa Stone – welches auf Deutsch unter dem Namen „Fast ein guter Plan“ wieder beim Bielefelder Pendragon Verlag erschienen ist – dem bereits verstorbenen Elmore Leonard, „der die Latte so hoch gelegt hat für uns“. Nun, an dieser Feststellung lässt sich nicht rütteln, denn der Rhythmus, der Vibe und der Sound von Leonards Schreibe stellen in der Tat immer noch eine Referenz in diesem Genre dar.

Zu hoch scheint die Latte letztendlich nicht zu sein. Zumindest nicht für Stroby, der sie nach zwei großartigen Vorgängern auch im vorliegenden Roman gleich mehrfach ohne größere Mühen und mit einmal mehr traumwandlerischer Sicherheit überspringt. Ein Angler mit viel Geschick ist er, der seine Leser direkt nach dem Einwurf ins Becken am Haken hat, um uns mit offenen Mund und vollkommen hilflos am roten Faden dem unvermeidlichen Ende entgegenzuziehen. Und wie beim Angeln geht dies mit einer Geradlinigkeit vonstatten, welche keinen Zweifel daran lässt, was am Schluss auf uns wartet. Dass man trotzdem den staunenden Kiefer nicht schließen, die Augen nicht abwenden und sich auch sonst schlicht überhaupt nicht wehren kann und will – darin liegt die große Stärke des hierzulande bisher so schmählich ignorierten Autors.

Stroby always delivers.“

Dies behauptete kürzlich der vielfach prämierte Schriftsteller-Kollege George Pelecanos – ein Prädikat und gleichzeitig Qualitätssiegel, denn dahinter verbirgt sich ein festes Versprechen, welches der beworbene Autor auch in „Fast ein guter Plan“ wieder auf ganzer Länge einlöst. Und diesmal wird uns dieses Siegel sogar noch etwas härter um die Ohren gehauen.

Die Handlung beginnt mit dem Blick auf einen rostzerfressenen Subaru in der Innenstadt von Detroit. Gemeinsam mit drei Männern beobachtet Crissa Stone aus sicherer Entfernung den Wagen, wohl wissend, dass sich im Kofferraum mehrere Hunderttausend Dollar Drogengeld befinden. Drogengeld, welches dieses Mal noch unangetastet bleibt, doch ein Plan ist bereits ausgeheckt, um bei der nächsten Übergabe zuzuschlagen. Ein Insider versorgt ihr Team mit genaueren Informationen, allerdings ist der Zeitplan knapp. Früher als geplant müssen sie zuschlagen. Es kommt zu einer Schießerei. In letzter Sekunde kann das Team zum sicheren Versteck fliehen. Gewissenhaft wird die Beute gezählt und aufgeteilt, als plötzlich einer der vier seine Waffe zieht. Im darauffolgenden Kugelhagel entkommt Crissa nur knapp und befindet sich von jetzt an mit einem Seesack voll gestohlenem Geld auf der Flucht. Gejagt von den Handlangern des brutalen Drogenbosses Marquis und einem ehemaligen Cop namens Burke. Der wiederum hat seine ganz eigenen Pläne mit dem Geld und erweist sich recht bald als ebenbürtiger Gegner für Crissa, die sich schließlich zwischen dem Profit und dem Leben eines unschuldigen Kindes entscheiden muss …

Wer nun trotz der obigen Einleitung doch noch darauf hofft, dass es im weiteren Verlauf der Story noch irgendwelche Kehren oder Wendungen geben wird, den kann ich an dieser Stelle gleich auf den Boden der Realität zurückholen. „Fast ein guter Plan“ ist ein Noir reinsten Wasser und as urban as it can be. Ein Roman, der gänzlich auf künstliche Ausschmückungen, ja auf Ausschmückungen per se verzichtet und wie in einem Drehbuch lediglich Bilder wirken lässt und durch scharf gezeichnete Charakterisierungen die Figuren zum Leben erweckt, welche naturgemäß zwar in gewisser Weise auch das Genre-Stereotyp abbilden, dennoch ihre Berechtigung in der Wirklichkeit wiederfinden. Und die erweist sich im vorliegenden Buch als besonders schmutzig, verkörpert durch den Schauplatz des einstigen Aushängeschilds der amerikanischen Autoindustrie, der „Motown“ Detroit. Inzwischen ist die Stadt ein Symbols des Niedergangs. Zehntausende von Wohnungen stehen leer, ganze Straßenzüge sind verwaist, verwildert, verwahrlost. Ein rechtsfreier Raum und Nährboden des Verbrechens, den Stroby nicht nur als Kulisse geschickt zu nutzen weiß, sondern auch als schwarzen Vorhang nutzt, vor dem sich Crissa, als Kriminelle mit Gewissen, in helleren Grautönen immer noch abzuheben weiß.

Wallace Stroby reiht sich damit in die Reihe der anderen Chronisten Detroits ein, zu denen neben dem bereits genannten Elmore Leonard auch Loren D. Estleman gehört, dessen Held Amos Walker ebenfalls gewisse Parallelen zu Crissa aufweist. Beide agieren in den Grauzonen zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse und sind von ihren jeweiligen Erfindern eindeutig anachronistisch angelegt. Während um sie herum die Technologisierung voranschreitet, ist z.B. ein Handy das einzige Zugeständnis an Modernität, mit dem Crissa in Kontakt kommt. Peilsender, Drohnen oder sonstige Hightech – all das braucht die gewiefte Diebin nicht. Ihr reichen ein Paar Lederhandschuhe, eine Faustfeuerwaffe, Einbruchswerk und nicht zuletzt ein scharfer Verstand, um über die Planungsphase eines Verbrechens hinaus zu bestehen. Und sie hebt damit die Subtilität dieses Genres auf ein neues Level. Versinnbildlicht durch das grandiose Finale, in dem ein Duschvorhang auf ebenso schlichte, wie geniale Weise zweckentfremdet wird.

Strobys fettfreie Schreibe, sie schnurrt von Anfang bis Ende wie ein Kätzchen, wickelt uns ein und ist bei all ihrem spartanischen Charakter doch nie ohne Empathie. Ganz im Gegenteil: Ohne große Worte gewährt er Einblick in die Gefühlswelt der Figuren. Es reichen Gesten und Blicke, Pausen im Gespräch, um ihre Zerrissenheit deutlich zu machen. Crissa Stone, die ihre eigene Tochter einst bei ihrer Cousine ließ, fern von ihrem kriminellen Leben – sie hat auf gewisse Weise dennoch nie aufgehört Mutter zu sein. Frei von wirklichen Freundschaften und damit auch Zwängen, fühlt sie sich daher letztlich trotzdem einem jungen Leben verpflichtet und ist dafür gewillt alles aufs Spiel zu setzen. Ihr Herz – im Angesicht der Gefahr und des Unrechts kalt und berechnend – sie hat es sich bewahrt. Und das in einem nachvollziehbaren Maße, fern von jeglichem Kitsch, sondern glaubhaft berührend – und inzwischen Markenzeichen dieser in dieser Art tatsächlich einzigartigen Reihe. Dies funktioniert auch deshalb, weil ihr Schicksal niemals von ihrer Umgebung losgelöst wird. Der sie umgebende Dreck, das Elend und der moralische Verfall – es ist mehr als nur ein Arbeitsplatz. Es ist ihr Revier, ihr Milieu – ein Umfeld, das stellenweise noch nach den gleichen Regeln lebt wie sie und dem sie in gewissen Maße auch selbst entstammt (Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ihr diesmaliger Gegenspieler Burke genau den gegenteiligen Weg gegangen ist).

Fast ein guter Plan“ deutet besonders im letzten Drittel an, dass es in Zukunft für Crissa noch härter und gefährlicher werden könnte. Alte Ehrenkodexe sind inzwischen nichts mehr wert und die neue Generation der Verbrecher fühlt sich keinen Verhaltensregeln mehr verbunden. Crissa wird sich anpassen oder abwenden müssen. Wie Wallace Stroby dies im Nachfolger (welcher aller Voraussicht nach im Frühjahr 2019 auf Deutsch erscheinen wird) zu Papier bringt, darauf freue ich mich bereits jetzt und kann bis dahin nur mit allem Nachdruck predigen: Stroby kaufen und lesen. Unbedingt!

Wertung: 91 von 100 Treffern

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  • Autor: Wallace Stroby
  • Titel: Fast ein guter Plan
  • Originaltitel: Shoot the Woman First
  • Übersetzer: Alf Mayer
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 01.2018
  • Einband: Klappenbroschur
  • Seiten: 312 Seiten
  • ISBN: 978-3865326072