Keine Ehre unter Dieben

© Pendragon

„Aufhören, wenn es am schönsten ist“, so sagt der Volksmund. Und gerade im Bezug auf die Kriminalliteratur ist an diesem Sprichwort durchaus etwas dran, gibt es doch genügend Beispiele in der langen Geschichte dieses Genres, welche von Autoren künden, die eben jenen Zeitpunkt verpasst, das Pulver verschossen und ihren Serienhelden/ihre Serienheldin zu Tode geritten haben.

Ob getrieben durch stets aufeinanderfolgende Verträge mit dem Verleger, durch die schlichte Geldnot oder weil das Stammpublikum es nachdrücklich immer wieder fordert – oft bedeuten kommerziell erfolgreiche Krimi-Reihen für manchen Schriftsteller die kreative Sackgasse, aus der dieser gar nicht oder nur mit Mühe wieder herauskommt. Wallace Stroby, so scheint es, hat diese mögliche Gefahr nicht nur elegant umschifft, sondern parallel auch seine Protagonistin, die Berufsganovin Crissa Stone, mit einem ganz ähnlichen Problem konfrontiert. Im vierten Band muss sie in Bezug auf ihre persönliche Vergangenheit eine Entscheidung treffen und sich darüber klar werden, inwieweit sie das gegenwärtige Leben noch nachhaltig erfolgreich – und vor allem unversehrt – weiterführen kann. Oder ob nicht doch der Zeitpunkt gekommen ist, einen Schlussstrich zu ziehen. Eine Entwicklung, welche der Leser mit einem lachenden und einem weinenden Auge verfolgt, denn selbst wenn Stroby ein durchaus stimmiger und versöhnlicher Abschluss gelingt, so schleicht sich in diesen Abschied auch ein großes Maß an Wehmut, verlieren wir mit „der Roten“ doch einen der letzten Anti-Helden aus der Tradition von Richard Starks Parker oder Gary Disher Wyatt. Und manchmal verlangt es den Krimi-Freund eben genau nach diesen amoralischen Charakteren, flüstert uns eine verführerische Stimme leise ins Ohr: „Der Teufel will mehr“.

Hin und wieder erliegt auch Crissa Stone diesem Reiz des Bösen, diesem Gefühl von Aufregung und diesem anhaltenden Rausch, wenn ein Coup erst minutiös geplant und dann Schritt für Schritt ausgeführt wird. Und so ist es dann meist weniger das Geld, das sie lockt, als die Herausforderung der Tat an sich, wenngleich sie sich inzwischen eingestehen muss, dass längst nicht mehr alle nach den Regeln spielen und das Gefahrenpotenzial mittlerweile ein weit höheres ist als zum Beginn ihrer kriminellen Karriere. Dennoch zögert sie nur kurz, als der wohlhabende Kunstsammler Emile Cota über einen Kontaktmann mit ihr Verbindung aufnimmt und sie mit einem ganz besonderen Diebstahl beauftragt:

Cota konnte in der Vergangenheit illegal mehrere wertvolle Kunstschätze aus dem Irak erwerben und sieht sich nun von der neu eingesetzten Regierung des Landes – und damit den rechtmäßigen Besitzern – gezwungen, diese zurück in ihr Heimatland zurückzuführen. Der Multimillionär ist not amused. Er denkt gar nicht daran, auf diesen besonderen Teil seiner Sammlung einfach so zu verzichten und plant stattdessen, die Ware auf dem Weg zur Rückführung stehlen zu lassen, um die Versicherungssumme zu kassieren und die Antiquitäten direkt wieder an interessierte Käufer zu veräußern. Crissas Interesse ist geweckt, denn den Truck-Konvoi zu stoppen und inmitten der Einöde der Wüste nahe Las Vegas umzuladen, scheint nicht nur machbar, sondern sollte erfahrungsgemäß relativ lautlos und ohne Waffengewalt vonstatten gehen. Insbesondere letzteres ist der Diebin wichtig, welche Schusswaffen als ein notwendiges Übel erachtet, das aber bei richtigen Profis nicht zum Einsatz kommt. Das birgt wiederum in diesem Fall Konfliktpotenzial, denn ihr Partner bei dieser Unternehmung – der frühere Marine-Infanterist Randall Hicks – übernimmt nicht nur große Teile der Planung, sondern holt mit seinem ehemaligen Kameraden Sandoval auch einen unberechenbaren Heißsporn mit an Bord.

Während Crissa ihrerseits ein Team zusammenstellt, zu dem u.a. der eigentlich bereits im Ruhestand befindliche Fahrer Chance gehört, und gleichzeitig nach und nach die Tatsache akzeptieren muss, dass ihre große Liebe Wayne das Gefängnis wohl so schnell nicht mehr verlassen wird, rückt der Tag des Raubzugs immer näher. Über den zunehmenden Verlust der Kontrolle besorgt, rechnet Crissa insgeheim schon mit einem Scheitern, doch zum besagten Zeitpunkt scheint alles gut zu gehen. Bis plötzlich Schüsse fallen und sich damit eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen in Gang setzt, in deren weiteren Verlauf sich die Rote einmal mehr ihrer Haut erwehren muss …

Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, wenngleich dies eher aus reiner Höflichkeit, denn aus Vorsicht geschieht, denn schon nach wenigen Seiten sollte der geneigte Krimi-Leser bereits erahnen können, welche Richtung dieser Plot einschlagen wird, erfindet Wallace Stroby hier doch das Genre wahrlich nicht neu, sondern bedient sich stattdessen altbekannter logischer Abfolgen des Noir. Natürlich kommt es zum Verrat und zu einem Zerwürfnis der Beteiligten, natürlich will jeder für sich allein mit dem Gewinn in den Sonnenuntergang reiten – und natürlich erweist sich Crissa Stone wieder als äußerst findig, wenn es darum geht, ihren Widersachern nicht zu viel von sich zu verraten. Und doch gewinnt dieses Element der Offensichtlichkeit erstaunlicherweise nicht an übermäßig Gewicht, denn Stroby gelingt es scheinbar mühelos, den Spannungsbogen hochzuhalten, was vor allem daran liegt, dass Crissa in „Der Teufel will mehr“ letztendlich mehr um ihr eigenes Leben, als um die Beute kämpft. Der für sie ungewohnte Kontrollverlust macht sie, trotz ihrer Erfahrung, zu einer Gejagten, die lange nur reagieren kann und fast hilflos beobachten muss, wie langjährige Konstanten ihres Lebens und ihrer Profession nun in Gefahr geraten.

Vermeintlich feste Stützen, wie der Auftragsvermittler Sladden brechen jetzt auf einmal weg und entblößen das fragile Fundament, auf dem sich Crissa Stone seit der Festnahme von Wayne ihr Leben aufgebaut hat. Und derart aus dem Gleichgewicht gebracht, braucht es eine gewisse Zeit, bis sie die Zügel wieder in die Hand nehmen kann, was den Leser, der sich vom hohen Tempo mitreißen lässt, auf der anderen Seite allerdings entgegenkommt, und der – derart in Beschlag genommen – nur sporadisch registriert, mit welch heißer Nadel die Handlung mitunter gestrickt wurde. Stroby vermag es erneut exzellent, die übersichtliche Menge der genreüblichen Werkzeuge so einzusetzen, dass wir ganz in diesem düsteren Katz-und-Maus-Spiel aufgehen und von der stets fast greifbaren Suspense durch das Buch gezogen werden. Die hohe Kunst, das Gefahrenmoment auch für die Serienfigur wirksam werden, uns um sie bangen zu lassen – er meistert sie scheinbar mühelos. Und das verleiht der Geschichte einen unheimlichen Drive, dem man sich schwer entziehen kann – und vor allem gar nicht entziehen will.

Crissa Stone derart am Scheideweg zu erleben, derart in ihrer Existenz bedroht zu sehen – das reicht schlicht und ergreifend einfach, um für 320 Seiten die Wirklichkeit außerhalb der Buchdeckel auszublenden und der eigenen Fantasie im Kopf den Rest der „Arbeit“ übernehmen zu lassen. Mehr noch: Dieses vorgezogene Requiem auf eine Verbrecherin geht uns trotz aller Simplizität wieder gehörig unter die Haut, wirkt nach – und hinterlässt uns durchgehend zufrieden und in dem Gefühl, was Besonderes in den Fingern gehalten zu haben.

Kommt also das Beste wie immer zum Schluss? Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, muss ich diese Frage mit Nein beantworten, ist der Plot dafür doch viel zu geradlinig und durchsichtig, bedient sich Stroby im letzten Halali von Crissa Stone ein bisschen zu oft bereits bekannter Elemente und Gesetzmäßigkeiten. Allein – es kann den Gesamteindruck einmal mehr kaum trüben, denn auch der finale Auftritt liest sich wieder wie aus einem Guss, überzeugt durch äußerst elegante und stilistisch manchmal fast grazile Sicherheit, die selbst der Routine einen Glanz abringt, welcher einem Großteil der Konkurrenz verborgen bleibt. Wie schon ein Robert B. Parker vor ihm, so hat auch Stroby die Kunst auf kleinstem Raum gemeistert und trotzt einer doch schon so oft erzählten Geschichte auch dank der pointierten Dialoge neue faszinierende Facetten ab. Ein schönes, ein gutes Ende. Oder um es mit Bogarts Worten und vielleicht auch etwas Hoffnung in der Stimme zu sagen:

„Uns bleibt immer noch Paris.“

Wertung: 90 von 100 Treffern

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  • Autor: Wallace Stroby
  • Titel: Der Teufel will mehr
  • Originaltitel: The Devil’s Share
  • Übersetzer: Alf Mayer
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 02.2019
  • Einband: Klappenbroschur
  • Seiten: 320 Seiten
  • ISBN: 978-3865326461

Der Fluch der bösen Tat

© Pendragon

Wallace Stroby widmet sein drittes Buch aus der Reihe um die Berufskriminelle Crissa Stone – welches auf Deutsch unter dem Namen „Fast ein guter Plan“ wieder beim Bielefelder Pendragon Verlag erschienen ist – dem bereits verstorbenen Elmore Leonard, „der die Latte so hoch gelegt hat für uns“. Nun, an dieser Feststellung lässt sich nicht rütteln, denn der Rhythmus, der Vibe und der Sound von Leonards Schreibe stellen in der Tat immer noch eine Referenz in diesem Genre dar.

Zu hoch scheint die Latte letztendlich nicht zu sein. Zumindest nicht für Stroby, der sie nach zwei großartigen Vorgängern auch im vorliegenden Roman gleich mehrfach ohne größere Mühen und mit einmal mehr traumwandlerischer Sicherheit überspringt. Ein Angler mit viel Geschick ist er, der seine Leser direkt nach dem Einwurf ins Becken am Haken hat, um uns mit offenen Mund und vollkommen hilflos am roten Faden dem unvermeidlichen Ende entgegenzuziehen. Und wie beim Angeln geht dies mit einer Geradlinigkeit vonstatten, welche keinen Zweifel daran lässt, was am Schluss auf uns wartet. Dass man trotzdem den staunenden Kiefer nicht schließen, die Augen nicht abwenden und sich auch sonst schlicht überhaupt nicht wehren kann und will – darin liegt die große Stärke des hierzulande bisher so schmählich ignorierten Autors.

Stroby always delivers.“

Dies behauptete kürzlich der vielfach prämierte Schriftsteller-Kollege George Pelecanos – ein Prädikat und gleichzeitig Qualitätssiegel, denn dahinter verbirgt sich ein festes Versprechen, welches der beworbene Autor auch in „Fast ein guter Plan“ wieder auf ganzer Länge einlöst. Und diesmal wird uns dieses Siegel sogar noch etwas härter um die Ohren gehauen.

Die Handlung beginnt mit dem Blick auf einen rostzerfressenen Subaru in der Innenstadt von Detroit. Gemeinsam mit drei Männern beobachtet Crissa Stone aus sicherer Entfernung den Wagen, wohl wissend, dass sich im Kofferraum mehrere Hunderttausend Dollar Drogengeld befinden. Drogengeld, welches dieses Mal noch unangetastet bleibt, doch ein Plan ist bereits ausgeheckt, um bei der nächsten Übergabe zuzuschlagen. Ein Insider versorgt ihr Team mit genaueren Informationen, allerdings ist der Zeitplan knapp. Früher als geplant müssen sie zuschlagen. Es kommt zu einer Schießerei. In letzter Sekunde kann das Team zum sicheren Versteck fliehen. Gewissenhaft wird die Beute gezählt und aufgeteilt, als plötzlich einer der vier seine Waffe zieht. Im darauffolgenden Kugelhagel entkommt Crissa nur knapp und befindet sich von jetzt an mit einem Seesack voll gestohlenem Geld auf der Flucht. Gejagt von den Handlangern des brutalen Drogenbosses Marquis und einem ehemaligen Cop namens Burke. Der wiederum hat seine ganz eigenen Pläne mit dem Geld und erweist sich recht bald als ebenbürtiger Gegner für Crissa, die sich schließlich zwischen dem Profit und dem Leben eines unschuldigen Kindes entscheiden muss …

Wer nun trotz der obigen Einleitung doch noch darauf hofft, dass es im weiteren Verlauf der Story noch irgendwelche Kehren oder Wendungen geben wird, den kann ich an dieser Stelle gleich auf den Boden der Realität zurückholen. „Fast ein guter Plan“ ist ein Noir reinsten Wasser und as urban as it can be. Ein Roman, der gänzlich auf künstliche Ausschmückungen, ja auf Ausschmückungen per se verzichtet und wie in einem Drehbuch lediglich Bilder wirken lässt und durch scharf gezeichnete Charakterisierungen die Figuren zum Leben erweckt, welche naturgemäß zwar in gewisser Weise auch das Genre-Stereotyp abbilden, dennoch ihre Berechtigung in der Wirklichkeit wiederfinden. Und die erweist sich im vorliegenden Buch als besonders schmutzig, verkörpert durch den Schauplatz des einstigen Aushängeschilds der amerikanischen Autoindustrie, der „Motown“ Detroit. Inzwischen ist die Stadt ein Symbols des Niedergangs. Zehntausende von Wohnungen stehen leer, ganze Straßenzüge sind verwaist, verwildert, verwahrlost. Ein rechtsfreier Raum und Nährboden des Verbrechens, den Stroby nicht nur als Kulisse geschickt zu nutzen weiß, sondern auch als schwarzen Vorhang nutzt, vor dem sich Crissa, als Kriminelle mit Gewissen, in helleren Grautönen immer noch abzuheben weiß.

Wallace Stroby reiht sich damit in die Reihe der anderen Chronisten Detroits ein, zu denen neben dem bereits genannten Elmore Leonard auch Loren D. Estleman gehört, dessen Held Amos Walker ebenfalls gewisse Parallelen zu Crissa aufweist. Beide agieren in den Grauzonen zwischen Recht und Unrecht, Gut und Böse und sind von ihren jeweiligen Erfindern eindeutig anachronistisch angelegt. Während um sie herum die Technologisierung voranschreitet, ist z.B. ein Handy das einzige Zugeständnis an Modernität, mit dem Crissa in Kontakt kommt. Peilsender, Drohnen oder sonstige Hightech – all das braucht die gewiefte Diebin nicht. Ihr reichen ein Paar Lederhandschuhe, eine Faustfeuerwaffe, Einbruchswerk und nicht zuletzt ein scharfer Verstand, um über die Planungsphase eines Verbrechens hinaus zu bestehen. Und sie hebt damit die Subtilität dieses Genres auf ein neues Level. Versinnbildlicht durch das grandiose Finale, in dem ein Duschvorhang auf ebenso schlichte, wie geniale Weise zweckentfremdet wird.

Strobys fettfreie Schreibe, sie schnurrt von Anfang bis Ende wie ein Kätzchen, wickelt uns ein und ist bei all ihrem spartanischen Charakter doch nie ohne Empathie. Ganz im Gegenteil: Ohne große Worte gewährt er Einblick in die Gefühlswelt der Figuren. Es reichen Gesten und Blicke, Pausen im Gespräch, um ihre Zerrissenheit deutlich zu machen. Crissa Stone, die ihre eigene Tochter einst bei ihrer Cousine ließ, fern von ihrem kriminellen Leben – sie hat auf gewisse Weise dennoch nie aufgehört Mutter zu sein. Frei von wirklichen Freundschaften und damit auch Zwängen, fühlt sie sich daher letztlich trotzdem einem jungen Leben verpflichtet und ist dafür gewillt alles aufs Spiel zu setzen. Ihr Herz – im Angesicht der Gefahr und des Unrechts kalt und berechnend – sie hat es sich bewahrt. Und das in einem nachvollziehbaren Maße, fern von jeglichem Kitsch, sondern glaubhaft berührend – und inzwischen Markenzeichen dieser in dieser Art tatsächlich einzigartigen Reihe. Dies funktioniert auch deshalb, weil ihr Schicksal niemals von ihrer Umgebung losgelöst wird. Der sie umgebende Dreck, das Elend und der moralische Verfall – es ist mehr als nur ein Arbeitsplatz. Es ist ihr Revier, ihr Milieu – ein Umfeld, das stellenweise noch nach den gleichen Regeln lebt wie sie und dem sie in gewissen Maße auch selbst entstammt (Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ihr diesmaliger Gegenspieler Burke genau den gegenteiligen Weg gegangen ist).

Fast ein guter Plan“ deutet besonders im letzten Drittel an, dass es in Zukunft für Crissa noch härter und gefährlicher werden könnte. Alte Ehrenkodexe sind inzwischen nichts mehr wert und die neue Generation der Verbrecher fühlt sich keinen Verhaltensregeln mehr verbunden. Crissa wird sich anpassen oder abwenden müssen. Wie Wallace Stroby dies im Nachfolger (welcher aller Voraussicht nach im Frühjahr 2019 auf Deutsch erscheinen wird) zu Papier bringt, darauf freue ich mich bereits jetzt und kann bis dahin nur mit allem Nachdruck predigen: Stroby kaufen und lesen. Unbedingt!

Wertung: 91 von 100 Treffern

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  • Autor: Wallace Stroby
  • Titel: Fast ein guter Plan
  • Originaltitel: Shoot the Woman First
  • Übersetzer: Alf Mayer
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 01.2018
  • Einband: Klappenbroschur
  • Seiten: 312 Seiten
  • ISBN: 978-3865326072

Könige der Nacht

© Pendragon

Man kann auf mehrere Arten etwas entbehren. Das eine vermisst man vielleicht erst, wenn es nicht mehr da ist, sich eine Lücke dort auftut, wo sie nie vorhergesehen war. Und dann gibt es aber auch noch den Fall, wo man erst mit Erhalt von etwas merkt, dass es eigentlich immer schon gefehlt, man es sich immer schon herbeigesehnt hat. Die Reihe um die Berufsverbrecherin Crissa Stone von Wallace Stroby fällt für mich persönlich genau in eben jene letztere Kategorie, weshalb das Engagement des Pendragon Verlags, diesen erstklassigen Autor für den deutschsprachigen Krimi-Markt zu entdecken, gar nicht entscheidend genug gewürdigt werden kann.

Eine Würdigung, die meinerseits äußerst subtil vonstatten gehen muss, da man doch als kritischer Rezensent oftmals Gefahr läuft, in Kategorien zu bewerten, Vergleiche anzustellen und Muster herauszuarbeiten, was einerseits den Viellesern des Genres möglicherweise entgegen kommt, sich für den durchschnittlichen Leser jedoch als Hindernis darstellen kann, da dieser wiederum mit all diesen Bezügen wenig bis gar nichts anfangen kann. So ist Lob, gerade hinsichtlich solcher Literatur wie der hier vorliegenden, manchmal ein Ritt auf der Rasierklinge, will ich doch allen etwaigen Interessenten auf möglichst nachdrückliche Weise vor allem eine Botschaft zu verstehen geben: Kauft und liest dieses Buch!

Damit ist, was die Bewertung angeht, ein Teil der Katze zwar bereits aus dem Sack und doch natürlich lange nicht das warum erklärt, dem ich mich jetzt, möglichst überzeugend widmen möchte, wobei ein kurzer Anriss des Inhalts den Anfang macht:

South Carolina, vier Monate nach Crissa Stones Zusammenprall mit dem Mann (siehe „Kalter Schuss ins Herz“), den alle nur unter dem Namen „Eddie der Heilige“ kannten und der dem Leben, so wie sie es bisher führte, ein Ende gesetzt hatte. Zu viel Polizei, zu viele juristische Ermittlungen, zu viel Aufsehen und aufgewirbelter Staub für diese Frau, die ihren dreckigen Job stets sauber über die Bühne bringen und dabei größtmöglichen Profit abkassieren will. Hier im Süden scheint dies seit einiger Zeit relativ ertragreich möglich – einem Schaufellader und vieler exponiert stehender Geldautomaten sei Dank. Wohlgemerkt scheint, denn ihre beiden Partner halten nicht viel von Teamwork und vor allem voneinander, so dass Crissas Mitteilung, nun wieder eigene Wege gehen zu wollen, dazu führt, dass sich beide schließlich über den Haufen schießen. Zwei relativ verlässliche Helfer tot, über 100.000 Dollar kassiert. Unterm Strich kein schlechter Schnitt, mit dem sich Crissa wieder gen Norden aufmacht, um das Geld weiter in die Bestrebungen zu investieren, ihren langjährigen Lebensgefährten und Mentor Wayne frühzeitig aus dem Gefängnis zu holen. Und damit ihrem Traum, vereint mit der gemeinsamen, derzeit bei ihrer Cousine lebenden Tochter ein neues Leben zu beginnen, ein Stück näher zu kommen. Doch vorher will das Geld gewaschen werden. Ein Vorgang für den es schmutziger Hände bedarf, in die sich Crissa nur äußerst ungern begibt.

Zur selben Zeit hat an anderer Stelle ebenfalls jemand Probleme mit dem lieben Geld. Benny Roth, ein ehemaliger Gangster und Mitglied der Mafia in den 70er Jahren, wird von der Vergangenheit eingeholt, als ihn ein paar seiner früheren Weggefährten eines Abends in dem Imbiss aufspüren, in welchem er sich seit seinem Ausstieg aus dem damaligen Zeugenschutzprogramm seinen Unterhalt als Koch verdient. Ein paar der alten Mobster hatten zuletzt bereits alters- und krankheitsbedingt das Zeitliche gesegnet, doch Gerüchte sind im Umlauf, dass mehrere Million Dollar aus einem vor fünfunddreißig Jahren begangenen Geldraub auf das Lufthansa-Cargo-Terminal am Flughafen JFK immer noch irgendwo versteckt sind. Und dass Benny als einziger weiß, wo sich dieses Versteck befindet. Der erkennt recht schnell, dass es wenig Sinn macht, den kaltblütigen Mobster Taliferro vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Mit viel Glück kann er diesen und seine Laufburschen überrumpeln und gemeinsam mit seiner viele Jahre jüngeren Lebensgefährtin Marta fliehen.

Über den alten, mittlerweile im Pflegeheim lebenden Mafiaboss Jimmy Falcone kreuzen sich schließlich Crissas und Bennys Wege, die, nach kurzer Überlegung ihrerseits, beschließen, dass eine Zusammenarbeit bei der Suche nach dem Lufthansa-Geld durchaus Sinn macht. Doch sie haben die Rechnung ohne Taliferro gemacht. Der hat sich längst an Bennys Fersen geheftet und stellt recht bald Crissas Credo, keinerlei Leben mehr nehmen zu wollen, schwer auf die Probe …

Dass Wallace Strobys Anti-Heldin Crissa Stone denselben Nachnamen hat wie Robert B. Parkers Schöpfung, der Polizeichef Jesse, ist mit großer Wahrscheinlichkeit nur ein Zufall. Dass beide inzwischen beim Bielefelder Pendragon Verlag veröffentlicht werden, allerdings ganz sicher nicht, sondern einfach nur die Folge des feinen Näschens für noch feinere Kriminal-Literatur, welches Günther Butkus, Eike Birck und ihr Team seit, man darf es wohl sagen, Jahrzehnten immer wieder unter Beweis stellen. Und es ist auch angesichts der vorliegenden Klasse von „Geld ist nicht genug“ einmal mehr unglaublich, dass über vier Jahre lang tatsächlich niemand sonst vorher den Namen Stroby auf dem Zettel hatte. Vielleicht muss Gut Ding aber auch Weile haben, wobei dieses Werk den perfekten Zeitpunkt zur Veröffentlichung sicher nicht bedarf, derart zeitlos die traumwandlerisch sichere Schreibe dieses bis hin zur letzten Zeile so stilsicheren Autors. Auch Crissa Stones zweiter Auftritt könnte in dieser Form genauso in den 60er oder 70ern auf Papier gebracht worden sein, sind doch Mobiltelefone das einzige Zugeständnis an die Entwicklungen der Moderne, derer sich Stroby bedient. Der Rest fußt auf genau dem Prinzip, dass auch Richard Starks „Parker“ oder Garry Dishers „Wyatt“ bis heute so erfolgreich macht.

Womit die Namen genannt wurden, die ich einfach nennen muss, um es greifbar zu machen und die dennoch nicht reichen, Stroby an sich zu klassifizieren. Denn so sehr ich mich hier in manchen Passagen an obige Autoren erinnert fühlte, so anders ist doch auch die Figur Crissa Stone. Eben nicht nur eiskalt, nicht immer Herrin der Lage, nicht mit schon zwei, drei Ausweichplänen in der Hinterhand. Ein Profi im Verbrechen, die sich jedoch der Welt, in die sie für die Begehung eben jenes Verbrechens eintauchen muss, nicht wirklich zugehörig fühlt. Der eben Geld nicht genug ist, sondern nur als Mittel zum Zweck dient, der in diesem Fall heißt, ihre Liebe aus dem Knast und ihre Tochter zurück in ein gemeinsames Leben als Familie zu holen. Stroby gesteht Crissa mehrere Schalen an Persönlichkeit zu, lässt den Leser unter der harten oberen Schicht auch Blicke auf den Kern werfen. Auf eine Seele, die noch nicht nachtfinster ist und welche die Finger noch selbst da vom Abzug nimmt, wo ihre Gegenüber schon längst ein ganzes Magazin entleert haben.

(…) „Du lernst es früh oder erst spät“, sagte er. „Die Karten sind gezinkt. Niemand gibt Dir irgendetwas. Du musst es Dir nehmen.“ (…)

Benny Roths an sie gerichtete Worte sind überflüssig, hat sie Crissa doch seit langer Zeit verinnerlicht. Doch für sie besitzt diese Aussage auch eine Ausstiegsklausel, ein Hintertürchen, von ihrem Herzen offen gehalten, das besagt: Nicht um jeden Preis. Nicht um jedes Leben. Und genau das ist es, was die Faszination dieser Reihe ausmacht. Crissa bewegt sich in einer Grauzone, immer dicht am Schwarz. Ein Ritt auf der Rasierklinge, der uns Leser nie genau wissen lässt, für welche Handlungsweise sie sich entscheidet, wie weit sie zu gehen bereit ist. Oder ob ihre Auseinandersetzung mit „Eddie dem Heiligen“ letztlich doch eine Barriere hat fallen lassen, die sie verändert hat. Von diesen verschiedenen Facetten der Figur lebt der Roman, aus ihnen bezieht er sein Spannungsmoment. Und Stroby gelingt es auch die Gegenüber mit dieser Tiefe zu versehen, so dass gerade die Auftritte von Danny Taliferro zu den Highlights in diesen an Highlights nicht armen „Hardboiled“-Titels gehören. Seine Präsenz ist ein drohender Schatten über unseren Protagonisten, ein beständiger Gefahrenherd, der die Atmosphäre erst auf eiskalte Temperaturen herabkühlt, um sie schließlich in einem heißen Konflikt zu entladen.

Wie Stroby dieses Katz-und-Maus-Spiel um das Geld in Szene setzt und am Rad der Fortuna für alle Beteiligten dreht – das ist einerseits ein großer Spaß, andererseits von gnadenloser Entschlusskraft und zielgerichteter Härte (der Film „Drive“ kam mir oft in den Sinn), weil er sich zwar der Zutaten des Gangster-Romans und dessen Milieus bedient, dabei jedoch nie Gefahr läuft deren Einsatz für künstliche Effekte zu missbrauchen. Dank Alf Mayers Nachwort – dessen Übersetzung übrigens erneut ohne Fehl und Tadel ist – wird der authentische Ton von „Geld ist nicht genug“ nochmal unterfüttert, hat es doch diesen Lufthansa-Raub tatsächlich gegeben und Stroby die Leerstellen „lediglich“ mit einer Geschichte gefüllt. Eine Geschichte, welche zwar nicht die Wahrheit sein muss, aber durchaus sein könnte.

Schon Chandler sagte einst: „Alles was du hast und brauchst ist Stil.“ – Wallace Stroby hat ihn. Und er durchdringt alle 328 Seiten dieses erstklassigen, perfekt getimten und in den Abgründen der finsteren Nacht lebenden Werks. Was weit mehr ist als das, was ein Großteil heutiger „Bestseller“-Autoren vorweisen kann. Man kann nur hoffen, dass er sich diesen in weiteren Bänden in gleichem Maße bewahrt. Das wären in jedem Fall rosige Aussichten für alle Freunde des klassischen „Hardboiled“.

Wertung: 89 von 100 Treffern

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  • Autor: Wallace Stroby
  • Titel: Geld ist nicht genug
  • Originaltitel: Kings of Midnight
  • Übersetzer: Alf Mayer
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 02.2017
  • Einband: Klappenbroschur
  • Seiten: 352 Seiten
  • ISBN: 978-3865325778

Die Rote und der Heilige

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© Pendragon

Wallace Stroby betritt mit „Kalter Schuss ins Herz“ zum ersten Mal deutschen Buchmarktboden – und hinterlässt gleich tiefe Spuren mit viel Profil. Meine Entschuldigung für die doch etwas lang geratene Besprechung, aber einmal ins Schwärmen geraten, flogen die Pfoten nur so über die Tasten. Außerdem: Pendragons neueste Entdeckung hat etwas tiefergehende Aufmerksamkeit verdient. Und zwar darum:

Es ist gerade mal ein bisschen mehr als einen Monat her, seit ich – gemeinsam mit Jochen König – Günther Butkus und Eike Birck am Stand von Pendragon auf der Frankfurter Buchmesse einen Besuch abgestattet und mit ihnen zwanglos über das aktuelle Programm und die zukünftige Planung geplaudert habe. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand neben „Kolbe“ und den Neuauflagen älterer „Spenser“-Krimis vor allem der kommende James Lee Burke-Titel „Mississippi Jam“ (orig. „Dixie City Jam“), mit dem der Bielefelder Verlag einen weiteren bisher unübersetzten Titel aus der Robicheaux-Reihe veröffentlicht und meine langjährige Hoffnung nährt, irgendwann hierzulande doch in den Genuss aller Bände zu kommen. Gänzlich unbeachtet – zu meiner nachträglichen Schande – blieb größtenteils Wallace Strobys „Kalter Schuss ins Herz“. Und obwohl Kollege König schon zum damaligen Zeitpunkt durchaus voll des Lobes war, ging ich ein paar Wochen später die Lektüre mit eher moderaten Erwartungen an, da Stroby mir bis dato schlichtweg kein Begriff und der vom Titel ausgehende Lockreiz doch etwas verhalten war.

Tja, was bleibt mir im Nachhinein übrig als zu sagen: Himmel, welch fatale Fehleinschätzung. Eine Fehleinschätzung, für die es nicht mal eine gute Entschuldigung gibt, hat doch Pendragon bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass sie einen untrüglich guten Riecher für genau die hochkarätigen Juwelen haben, die andere Verlage übersehen oder lippenschürzend links liegen lassen. Und „Kalter Schuss ins Herz“, der Auftakt einer bisher vier Bände umfassenden Serie mit der professionellen Diebin Crissa Stone, macht doch kurz vor Ladenschluss den Kampf um Platz eins in meiner hauseigenen Jahres-Bestenliste nochmal so richtig spannend. Warum – dazu später. Nun erst einmal kurz zum Inhalt:

Die Zeiten sind schlecht für die Wahl-New-Yorkerin Crissa Stone seit ihr Mentor und Lebensgefährte Wayne im weit entfernten Texas seine Haftstrafe absitzen und sie allein auf Raubzüge gehen muss. Ihr letzter Coup, ein Überfall auf eine Wechselstube, ging zwar vom Ablauf her reibungslos über die Bühne, der letztliche Ertrag war aber enttäuschend, zumal Crissa, von Freunden liebevoll „Rote“ genannt, schnellstmöglich 250.000 Dollar braucht, um eine frühzeitige Entlassung Waynes in die Wege leiten zu können. Hinzu kommt ihre persönliche Situation. Die gemeinsame Tochter Maddie hat sie schweren Herzens in die Obhut ihrer Cousine gegeben. Auch als Vorsichtsmaßnahme aufgrund der Gefahren ihres „Geschäfts“ beobachtet sie sie nur aus der Ferne. Doch zumindest für den Lebensunterhalt will sie aufkommen, weshalb Crissa nun selbst Jobs in Erwägung zieht, die sie früher nicht angenommen hätte. Gemeinsam mit den beiden Profis Stimmer und Chance macht sie sich auf den Weg nach Fort Lauderdale, dem „Venedig Amerikas“, wo ein High Rollers Kartenspiel die Beute von einer Million Dollar und mehr verspricht.

Zur gleichen Zeit verlässt Eddie „der Heilige“ Santiago den Knast. Schon früher Ausputzer für die Mobster, verschwendet er keinen zweiten Gedanken an Resozialisierung und macht sich sogleich daran, seine alte berufliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. An seiner Seite der ehemalige Junkie Terry, der mehr gezwungen als gewollt die Rolle des Sidekicks übernimmt und dem Eddie nur so lange vertraut, wie dieser ihm bereitwillig folgt.

Crissas Aktion ist derweil in vollem Gang und läuft reibungslos nach Plan, bis Stimmer augenscheinlich die Nerven verliert und einen der Pokerspieler noch am Tisch sitzend erschießt. Aus dem coolen Abgang wird nun eine hektische Flucht, denn der Getötete ist niemand geringeres als der Schwiegersohn des alten Gangsterbosses Tino Conte – Eddies Arbeitgeber. Obwohl Conte sich bei der Beauftragung des Heiligen mit der Liquidierung Stimmers zufrieden gibt, macht der erst gar keine Anstalten sich zurückzuhalten. Dieser Job verspricht Geld – und Geld ist alles was Eddie interessiert. Crissa und Chance tauchen unter, doch beiden ist klar, dass über diese Sache kein Gras wachsen, ihr Verfolger die Sache nicht auf sich beruhen lassen wird. Und dieser hat auch noch einen Trumpf im Ärmel – er weiß genau, für wen Crissa ihr Leben riskieren würde. Eine Hetzjagd beginnt…

Bei der Besprechung eines Buches kann man Dutzende Fehler machen – der größte ist es aber wohl, vorab Rezensionen anderer zu lesen. Nicht unbedingt, weil man sich dadurch in seiner Bewertung beeinflussen lässt, sondern weil es Wort- und Schwerpunktwahl zusätzlich erschwert. In „Kalter Schuss ins Herz“ kam dies in meinem Fall besonders zum Tragen, ist es doch schier unmöglich, diesen Krimi einer näheren Betrachtung zu unterziehen, ohne genau diejenigen Vergleiche aufzulisten, welche auch anderen Rezensenten sogleich ins Auge gefallen sind. Und auch die kurze obige Inhaltsbeschreibung sollte bei Kennern des Genres sogleich die Glocken klingen lassen, welchem Vorbild Stroby hinsichtlich der Thematik folgt und nacheifert. Gemeint ist Donald E. Westlake, der als Richard Stark mit seiner Serie um den Berufsganoven Parker Literaturgeschichte (und u.a. dank der Verfilmung des Erstlings unter dem Titel „Point Blank“ mit Lee Marvin in der Hauptrolle auch Filmgeschichte) geschrieben und den klassischen „Noir“ eine ganz neue Perspektive verliehen hat. Wie Stroby unlängst in einem Interview mit Sonja Hartl bekannt und Übersetzer Alf Mayer im informativen Nachwort herausgearbeitet hat, spielte auch Garry Disher eine nicht unwesentliche Rolle in seiner Selbstfindung als Autor – vor allem in der Phase, als Stark eine langjährige Pause bei Parker einlegte.

Nun kommt natürlich die Frage, die viele stellen werden: Ist „Kalter Schuss ins Herz“ einfach nur eine weitere Variante mit weiblicher Hauptfigur, welche die Stilelemente ihrer Vorgänger eins zu eins kopiert?

Die Antwort darauf kann und muss nach der Lektüre von Strobys Werk nur „Nein“ lauten, da der US-amerikanische Autor nicht nur in der Figurenzeichnung neue und andere Wege geht, sondern einen eigenen schnörkellosen Ton kultiviert. Zwar in der Tradition der Vorgänger, aber nur durch sie inspiriert und mit soviel Individualität, dass man reinen Gewissens behaupten kann: Hab ich so in dieser Art noch nicht gelesen. Auch wenn Strobys Crissa und Starks Parker dasselbe Berufsfeld teilen, unterscheiden sie sich doch stark in deren Ausübung und in der Auffassung eines moralischen Kodexes. Am Ende muss zwar bei beiden der Schnitt stimmen – der Weg dorthin ist aber im Falle von Crissa Stone nicht grundsätzlich mit Leichen gepflastert. Noch weniger als Schusswaffen mag sie deren Einsatz. Die Ausübung von Gewalt, außer im Notfall, sieht sie als die Schwäche eines Amateurs. Und obwohl sie wie Parker auf sich allein gestellt und gegenüber jedem misstrauisch ist, lässt sie gewisse Loyalitäten zu, wohingegen ersterer sich immer selbst am Nächsten ist und sich erst in späteren Bänden wenige sentimentale oder gar mitfühlende Momente erlaubt. Stattdessen bleibt er eckig, kantig, unnahbar und roh. Ein Eindruck, den auch Crissa auf den ersten Blick erweckt und der es ihr erlaubt, in dem dreckigen Tümpel, welcher ihr Milieu ist, auf Augenhöhe mit den meist doch männlichen Partnern ihr Ding durchzuziehen.

Ein zweiter Blick offenbart jedoch auch eine verletzliche Seite. Crissa leidet unter der Trennung von ihrer Tochter ebenso wie unter Waynes Gefangenschaft. Verbarrikadiert und zurückgezogen in ihrem Schlupfloch gönnt Stroby uns Lesern einen Blick in ihr Gefühlsleben, ohne dabei – und das ist meiner Ansicht nach eine herausragende Eigenschaft dieses Krimis – die Professionalität der Figur zu untergraben. Im Gegenteil: Durch diesen Blick „hinter die Kulissen“ wirkt Crissa umso stärker nach, gewinnt der Ablauf der Handlung, die Stroby mit einigen wohl dosierten Wendungen gespickt und mit einem steil nach oben führenden Spannungsbogen ausgestattet hat, zusätzlich an Dramatik.

Für dessen steilen Anstieg zeichnet insbesondere dann Eddie, „der Heilige“ verantwortlich. Ein eiskalter Killer und Soziopath wie er nur in wenigen Büchern steht und vielleicht einer der besten Antagonisten, der mir in den letzten Jahren zwischen den Seiten unter die Augen gekommen ist. Sobald er die Bühne betritt, sinkt die Temperatur rapide, hallt da ein dünnes, ängstliches „Oh-oh“ genauso zwischen unseren Ohren nach wie böse Vorahnungen, was das jeweilige Gegenüber Eddies angeht. Stroby hat hier einen Charakter geschaffen, dessen Ausstrahlung allein schon die Lektüre des Buches rechtfertigt. In einer Welt, wo die meisten Schriftsteller ihre Bösewichte künstlich aufblähen und zu abartigen Tieren verkommen lassen, ist Eddie dieses glaubhafte, erschreckend ehrliche und äußerst unangenehme Moment, welches uns daran erinnert, dass dort draußen tatsächlich solche Menschen existieren. Jegliche Szene mit ihm hier – garantierte Gänsehaut und nachvollziehbare Gefahr für Crissa Stone, deren Überleben man deshalb – trotz der Kenntnis dreier weiterer Krimis mit ihr – kurzerhand in Zweifel zieht.

Abgerundet wird das von einer stilistischen Sicherheit (auch dank Alf Mayers punktgenauer Übersetzung!), die denen der großen Meister vergangener Tage in Nichts nachsteht und einige denkwürdige Passagen hervorbringt, welche atmosphärisch lange nachwirken werden. Ob der Showdown in einem allein stehenden, verschneiten Haus oder der kurze Besuch Eddies bei der schwangeren Lebensgefährtin Terrys – „Kalter Schuss ins Herz“ besticht mit einer plastischen Schärfe, welche den „Ist-doch-nur-ein-Buch-Gedanken“ mit spitzer Feder sogleich zerreißt und es aufs Beste versteht, die Fähigkeiten dieses Mediums maximal zu nutzen. Knackige Dialoge, karge Kulissen, lakonischer Witz und dabei doch nie konstruiert wirkend – genau so will ich meinen Krimi haben, genau so muss „Hardboiled“ aussehen.

Bei meiner nächsten Unterhaltung mit Günther Butkus kann es daher nur ein Thema und eine Frage geben: „Günther, wann bringst du den nächsten Stroby?

Wertung: 93 von 100 Trefferneinschuss2Autor: Wallace Stroby

  • Titel: Kalter Schuss ins Herz
  • Originaltitel: Cold shot to the heart
  • Übersetzer: Alf Mayer
  • Verlag: Pendragon
  • Erschienen: 8/2015
  • Einband: Broschiertes Taschenbuch
  • Seiten: 352
  • ISBN: 978-3-86532-487-0