Nobody’s hands are clean

© Goldmann

Obwohl der amerikanische Autor Joseph Kanon bereits im Jahr 1998 mit dem Edgar Allan Poe Award für das beste Romandebüt ausgezeichnet wurde („Die Tage von Los Alamos“), einen größeren Namen konnte er sich hierzulande trotz diverser weiterer Veröffentlichungen (übrigens zumeist mit Bezug zu unserer Hauptstadt Berlin) nicht machen, was vielleicht aber auch dem damaligen Zeitgeist geschuldet sein könnte.

Inzwischen sind, vor allem dank solcher Schriftsteller wie Volker Kutscher, historische Kriminalromane mehr und mehr gefragt, scheint die Auswahl an Titeln – mal von mehr, mal von weniger Qualität – welche sich mit der Weimarer Republik, dem Dritten Reich, aber auch dem Beginn des Kalten Kriegs und dem Leben zwischen den Blöcken beschäftigen, jährlich in die Höhe zu schnellen. Ein Trend, von dem viele Newcomer profitieren und der jetzt auch zum Anlass genommen sei, um auch Kanon die wohlverdiente Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen – denn soviel sei vorab gesagt, im Vergleich zu einem Großteil der doch oft im Hinblick auf die geschichtliche Recherche äußerst oberflächlich zusammengeschusterten Werken der Konkurrenz, hat der jahrelange Leiter der Verlage Houghton Mifflin und E. P. Dutton seine Aufgaben äußerst beeindruckend gemacht. Bestes Beispiel dafür ist der vorliegende Roman „The Good German“ (verfilmt von Steven Soderbergh mit u.a. George Clooney und Cate Blanchett in den Hauptrollen), welches den Leser zurück in das vom Krieg versehrte Berlin des Jahres 1945, genauer gesagt die Monate Juli und August führt.

Berlin, Deutschland, wenige Wochen nach der Kapitulation. Die in vier Zonen aufgeteilte Stadt besteht vielerorts nur noch aus Ruinen, in den immer noch täglich Leichen geborgen werden und Trümmerfrauen damit beschäftigt sind, zumindest die Zugänge zu den Häuserresten und die Straßen frei zu räumen. Genau in diese Zeit fällt nun die Potsdamer Konferenz, anlässlich der auch der amerikanische Journalist Jake Geismar nach Berlin zurückreist, um genau darüber zu berichten. Was seine Auftraggeber nicht ahnen – die Konferenz ist für Geismar nur der offizielle Vorwand, denn in erster Linie gilt seine Rückkehr (er lebte schon zuvor einige Jahre in der Stadt) seiner damaligen Geliebten Lena Brandt, die er mitten im Krieg verlassen musste. Ihr Verbleib ist ihm seitdem unbekannt und er hofft sehnlichst auf ein Wiedersehen. Dafür nimmt er vor Ort angekommen auch gewisse Risiken im Kauf, sucht gar die Bereiche Berlins auf, die unter sowjetischer Kontrolle stehen und von deren Besuch ihm die Kollegen eindringlich abraten. Lena bleibt aber verschwunden. Stattdessen sieht sich Geismar aber bald mit einem anderen Rätsel konfrontiert.

Als er sich mittels eines Tricks beim ersten historischen Treffen der Siegermächte im Potsdamer Schloss Cecilienhof einschleusen kann, wird er unwillentlich Zeuge von der Entdeckung einer angespülten Leiche im Uferschlamm des Heiligen Sees. Bei dem Toten handelt es sich zu seiner Überraschung um einen jungen amerikanischen Soldaten. Wie kommt er soweit in die russische Besatzungszone? Wieso sind seine Taschen randvoll mit Besatzungsmark gefüllt? Und wieso ist er überhaupt getötet worden? Jakes Neugier ist geweckt und steigert sich noch zusätzlich, als sowohl Befehlsträger der US-Armee und auch der Sowjets nichts unversucht lassen, diesen Vorfall unter den Teppich zu kehren. Da hier eindeutig eine Story lauert, betreibt Jake Geismar auf eigene Faust weitere Nachforschungen, während er gleichzeitig weiterhin Ausschau nach Lena hält. Schon nach kurzer Zeit wird ihm klar, dass beide seine Ziele eine Verbindung haben – und seine Ermittlungen nicht nur sich, sondern vor allem auch seine große Liebe in Gefahr bringen …

Bereits der Klappentext (und auch das Cover der Filmausgabe) deutet an, dass die Liebesbeziehung zwischen Jake Geismar und Lena Brandt im Mittelpunkt dieser Geschichte steht. Und ja, Joseph Kanon legt tatsächlich ein besonderes Augenmerk auf das Schicksal der beiden, die sich den veränderten Gegebenheiten nur schwer anpassen und insbesondere bei dem Thema persönliche Schuld nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen können. Eine Frage, die direkt nach dem Krieg vor allem auf deutscher Seite eigentlich niemand näher erörtern und stattdessen meist ein jeder lieber die Vergangenheit vergessen will.

Keine einfache Aufgabe in einem Land, das selbst über den organisierten Massenmord in den Konzentrations- und Arbeitslagern wie Dora-Mittelbau pflichtbewusst Buch geführt hat. Unterlagen, die nun in den Händen der Alliierten sind und als Grundlage für die so genannte Entnazifizierung dienen sollen. Wohlgemerkt sollen, denn unter dem Eindruck des immer noch erbitterten Widerstands der Japaner an der Pazifikfront, haben auch vermehrt die Amerikaner mehr Interesse daran, das kostbare Wissen der deutschen Wissenschaftler für sich zu nutzen, als diesen den Prozess zu machen. Einer davon ist ausgerechnet Lena Brandts Mann Emil, der sich in die Riege derjenigen eingereiht hat, die nur „ihre Arbeit gemacht“ und „Befehle befolgt“ haben.

Joseph Kanon hat sich bei „The Good German“ immens viel vorgenommen, das weit über das hinausgeht, was man sonst von einem historischen Kriminalroman gewohnt ist, denn nicht nur ist die Geschichte in seinen verschlungenen Handlungsfäden enorm komplex – der Autor hat das Berlin von 1945 auch so im Detail zum Leben erweckt, das hier die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion immer wieder verschwimmen. Und das allerdings mit erstaunlich viel Fingerspitzengefühl, da es an keiner Stelle so wirkt, als wollte hier jemand auf Teufel komm raus so viel erlesenes Wissen wie möglich platzieren. Stattdessen geht der Plot eine äußerst überzeugende Symbiose mit den tatsächlichen historischen Ereignisse ein, wovon die Atmosphäre immens profitiert. Auch wenn es sich Kanon (gottseidank) verkniffen hat, in den Dialogen noch Berliner Schnauze einzubauen, ist er dem realen Antlitz und Lebensgefühl der zerstörten Hauptstadt des untergegangen Nazi-Regimes doch wohl so nah wie möglich gekommen.

Einem Antlitz (und das hat dann später auch Regisseur Steven Soderbergh erkannt), das sich natürlich als Schauplatz für eine noireske Kriminalgeschichte bestens eignet, da mit der Niederlage des Dritten Reichs nicht notwendigerweise gleichzeitig auch der Beginn einer Normalität eingegangen ist. Berlin ist weiter im Ausnahmezustand, während die Soldaten der Besatzungsmächte zwischen Siegestaumel, Kriegsdepressionen und Rachegelüsten pendeln, ein jeder vor allem auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein scheint. Die bedingungslose Unterstützung der Einwohner, welche man während der späteren Luftbrücke an den Tag legen wird – sie ist noch weit entfernt. Stattdessen blüht der Schwarzmarkt, werden die Witwen der deutschen Soldaten auf den Strich geschickt und schon bereits neue Feindbilder kultiviert. Das Verhältnis zwischen den Amerikanern und den Sowjets ist vielerorts angespannt, es kommt immer wieder zu Zwischenfällen. Und Jake Geismar, einst selbst ein Berliner, hat große Schwierigkeiten, seine Stadt in diesem Menetekel der Zerstörung wiederzuerkennen.

Gerade die ersten knapp zweihundert Seiten von „The Good German“ gehören mit Sicherheit zum Besten, was ich in diesem Sub-Genre bis jetzt genießen durfte – und lesen sich nebenbei bemerkt fast wie eine inoffizielle Fortsetzung des ebenfalls empfehlenswerten Romans „Wer übrig bleibt, hat recht“ (allerdings ein Jahr später erschienen) von Richard Birkefeld und Göran Hachmeister, das, im letzten Kriegsjahr spielend, ebenfalls in Berlin angesiedelt ist und bereits einige Themen aufgreift, die nun in Kanons Roman einen größeren Stellenwert bekommen. Wie er in diesem ersten Drittel minutiös die Spannung aufbaut, geschickt Hinweise, aber auch falsche Fährten platziert, das zeugt sowohl von großem schriftstellerischen Können, aber auch von ebenso großer Kenntnis um die Geschichte Berlins. Wirklich sehr selten begegnet uns Lesern in einem historischen Kriminalroman ein von Beginn an so authentischer Schauplatz, der umso lebendiger wirkt, da die ihn bevölkernden Figuren bei Kanon nicht rein zur Staffage verkommen.

Ganz im Gegenteil – sie sind fast allesamt ein wichtiges Triebmittel für die Handlung und bilden kaleidoskopartig die verschiedenen Interessensgruppen dieser Zeit ab. Von amerikanischen Abgeordneten aus dem Repräsentantenhaus, in dessen Wahlkreis die Industrie fest mit der IG-Farben verbunden ist bis hin zum jüdischstämmigen Militärjurist Bernie Teitel, der alle Hebel in Bewegung setzt, um die Verbrecher des Nazi-Regimes vor Gericht zu bringen – ein jeder hat andere Gründe in Berlin zu sein, um entweder politisches Kapital daraus zu schlagen, sich finanziell zu bereichern oder persönliche Rachegelüste zu befriedigen. Recht und Gerechtigkeit sind jetzt, direkt nach dem Krieg, ebenfalls nur leblose Ruinen und bröckelnde Fassaden – inhaltsleere Begriffe, die je nach Belieben von den Siegern ausgelegt werden können. Kanons größtes Verdienst ist es, dass er in diesem Gemengelage nie direkt Position bezieht und sich der Leser auch die entscheidende Frage des Buches am Ende selbst beantworten muss: Wer ist bzw. war der „Good German“?

Joseph Kanon ist mit „The Good German“ ein immersives, bildgewaltiges Katz-und-Maus-Spiel im Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit gelungen, das die Grenzen der Zeit vor den Augen des Lesers äußerst eindringlich überwindet und gleichzeitig auch das immer wieder hartnäckige Vorurteil widerlegt, US-Autoren könnten alles nur rein aus amerikanischer Sicht betrachten. Einziges Manko ist die doch etwas repetitive Einbindung der Liebesgeschichte, welche immer wieder unnötig das Tempo (und damit auch das Spannungsmoment) verschleppt und mitunter stark den Geduldsfaden strapaziert. Dennoch – eine Empfehlung für alle, die sich der eigenen Geschichte gerne im Gewand einer Kriminalgeschichte nähern.

Wertung: 90 von 100 Treffern

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  • Autor: Joseph Kanon
  • Titel: The Good German / In den Ruinen von Berlin
  • Originaltitel: The Good German
  • Übersetzer: Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
  • Verlag: Goldmann
  • Erschienen: 02.2007
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 608 Seiten
  • ISBN: 978-3442464814

Totgesagte leben länger

© Elsinor

Wer ist John Mair? Wohl die ersten vier Wörter, welche mir während der Vorschausichtung und der Entdeckung dieser deutschen Erstübersetzung von Elsinor durch den Kopf gegangen sind – ein kleines, aber feines Verlagshaus, das ich seit der Veröffentlichung diverser Titel von Gilbert Keith Chesterton und John Buchan glücklicherweise nie ganz aus dem Auge verloren habe.

Nun also ein Agentenroman aus den frühen 40er Jahren, der selbst in seiner englischen Heimat gänzlich in Vergessenheit geraten ist, fast so als hätte Mair mit dem originalen Titel („Never come back“) einen Blick in die eigene literarische Zukunft seines einzigen Romans geworfen. Aber Geschichte wiederholt sich nicht nur stets und ständig, sie wird manchmal auch zielgerichtet zutage gefördert – so geschehen im Falle dieses Werks durch Julian Symons, der ihn erst Ende der 50er Jahre (für viele überraschend) in seine Liste der „100 Best Crime & Mystery Books“ in der Sunday Times und drei Jahrzehnte später nochmal in die „Oxford University Twentieth Century Classics“-Reihe aufnahm. Es folgten ein BBC-Hörspiel, eine dreiteilige TV-Adaption und eine äußerst frei interpretierte, eher mäßig gelungene Verfilmung. Und es war auch zu jener Zeit, wo Martin Compart, damals für eine Sendung des öffentlich-rechtlichen in London auf Recherche unterwegs, über genau dieses Buch durch Symons‘ Empfehlung stolperte.

Interessanterweise hat sich „Es gibt keine Wiederkehr“ seit dieser Zeit in Comparts Schublade befunden, der eine Herausgabe des Buches schon im Rahmen seiner (leider viel zu kurzlebigen) DuMont-Noir-Reihe geplant hatte, jedoch letztlich nicht mehr umsetzen konnte. Aber Hartnäckigkeit zahlt sich, in diesem Fall auch für den Leser, bekanntlich aus. Wenngleich aus erwartbarer Richtung des Kritikermilieus nur mit belustigtem Wohlwollen goutiert – der Name Compart fällt natürlich in diesem Zusammenhang nie, ja, wird gefühlt verzweifelt gemieden – halte ich hingegen Mairs Debütwerk (er starb bereits ein Jahr nach der Veröffentlichung während seiner Pilotenausbildung bei einem Flugzeugabsturz), soviel sei vorab gesagt, für tatsächlich zwingend empfehlenswert, da es nicht nur den klassischen Agentenroman der damaligen Zeit – verkörpert durch Namen wie Eric Ambler, Geoffrey Household oder eben John Buchan – um eine weit düstere Facette hinsichtlich seiner Hauptfigur erweitert, sondern den Leser, wohlgemerkt auf dem Höhepunkt der Luftschlacht von England und dem damit verbundenen Bombenkrieg, mit patriotischen Parolen oder dem naheliegenden Feindbild Nazi-Deutschland gänzlich verschont. Obwohl Mair stattdessen eine geheimnisvolle, mehrere Nationen umfassende Organisation aus dem Hut zaubert, ist die Einschätzung mancher, es handle sich hierbei um eine überzeichnete Parodie, kaum nachvollziehbar, was ich im weiteren Verlauf gerne erörtern möchte. Doch erst einmal kurz zur Handlung:

Zweiter Weltkrieg, London. Während die deutsche Luftwaffe jede Nacht Angriffe auf die Metropole fliegt und regelmäßiger Bombenalarm die Bevölkerung in Schutzkeller und U-Bahn-Stationen zwingt, hat der eitle Boulevard-Journalist Desmond Thane ganz andere Sorgen. Dem notorischen und – zumindest in seinen eigenen Augen – erfolgreichen Frauenheld hat es eine geheimnisvolle junge Frau namens Anna Raven angetan. Sie erweist sich nicht nur im Gespräch als hoch intelligent, sondern auch als überraschend stark und selbstbewusst. Für Thane eine Trophäe, die es unbedingt zu erobern, ja, zu besitzen gilt. Doch obwohl er zwar fast auf Anhieb bei ihr (und damit auch in ihrem Bett) landen kann, entwickelt sich diese merkwürdige Beziehung zunehmend zu seinem Missfallen. Entgegen seinen üblichen Erfahrungen macht Anna keinerlei Anstalten, sich ihm irgendwie zu unterwerfen. Ganz im Gegenteil: Sie dominiert jeglichen Aspekt ihrer Affäre, bestimmt wann sie sich treffen, gibt die Richtung vor – kurzum verfährt genauso mit ihm, wie er immer zuvor mit all seinen früheren Liebeleien. Ihre Dominanz beginnt ihn zu verunsichern, zu reizen, stachelt seinen Zorn auf sie mehr und mehr an.

Eines Abends bricht sich diese Wut schließlich Bahn. Desmond verabredet sich per Telegramm mit Anna, es kommt zum Streit und in einer undurchsichtigen Mischung aus Effekt und kaltblütiger Absicht tötet er seine Geliebte mit ihrer eigenen Waffe. Der kurzfristige Stolz auf diese Tat weicht bald einer um sich greifenden Panik, als ihm klar wird, dass er nichts über diese Frau weiß. Wer ist sie eigentlich? Wo und für wen arbeitet sie? Wer weiß von ihrem Verhältnis und könnte ihn identifizieren? Und noch viel wichtiger – wo ist sein Telegramm, das ihn als Beweismittel direkt belasten könnte? Ohne eine klare Antwort auf all diese Fragen, muss er ihr Apartment verlassen, noch nicht wissend, dass er den Weg mit einer Internationalen Geheimorganisation gekreuzt hat, in der Oppositionelle und politische Eiferer aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiten, um in den Wirren des Krieges ihre jeweiligen nationalen Regierungen zu stürzen. Und deren auserwählter Ausputzer, der eiskalte Killer Mr. Foster, hat bereits Witterung aufgenommen und sich an Desmonds Fersen geheftet …

Wer sich ein bisschen mehr mit den Ursprüngen des Agentenromans, und vor allem mit den frühen Werken des bereits oben erwähnten Eric Amblers beschäftigt hat, wird in dieser Ausgangssituation natürlich einige bekannte Elemente wiederfinden, derer sich Autor John Mair wohl auch ganz bewusst bedient hat. Wie z.B. in „Ungewöhnliche Gefahr“, so beginnt der Leser gleichfalls hier seine Reise an der Seite eines Journalisten, der mehr oder weniger per unglücklichem Zufall zwischen die bisher im Verborgenen gelegenen Fronten gerät und bald um das eigene Leben fürchten muss. Nichts Neues also, das Symons besondere Würdigung dieses Titels rechtfertigen würde, möchte man auf den ersten Blick meinen, sollte aber dann unbedingt einen zweiten riskieren und insbesondere ein klein wenig Geduld mitbringen, denn gerade auf den ersten dreißig bis vierzig Seiten tut sich dieser Roman auffällig schwer.

Wenn auch stilistisch sehr geschliffen (was auch dank der hervorragenden Übersetzung durch Jakob Vandenberg zum Tragen kommt), so formuliert doch Mair zu Beginn äußerst umständlich, ja, neigt fast zur Schwafelei und verliert sich in der Skizzierung seines philosophisch veranlagten Hauptprotagonisten, welche aber durch die darauffolgenden Ereignisse und dessen Handeln letztlich eigentlich obsolet wird. Gründe sind eventuell in der langen Schaffensphase für dieses Buch zu finden. Mair begann mit der Arbeit an dem Buch bereits 1939, veröffentlicht wurde es erst zwei Jahre später. Hinweise finden sich darauf auch im Text selbst. So lässt er zu Beginn noch in einem Dialog erklären, wie gering die tödliche Wirkung von Bombenangriffen eigentlich sind (er bezieht sich dabei auf die bis dato bekannten Ereignisse in Shanghai und im Spanischen Bürgerkrieg), nur um später deren verheerende Wucht als Kulisse kurz vor dem Showdown zu nutzen. Hier wird der zeitliche Versatz bei der Niederschrift durchaus deutlich.

Das ist allerdings auch der einzige größere Kritikpunkt, den man bei der Beurteilung von „Es gibt keine Wiederkehr“ aufführen kann, denn spätestens mit dem Tod Annas nimmt die Handlung immens an Fahrt auf, gewinnt sowohl der Schreiber Mair als auch seine Figur Desmond Thane zunehmend an Sicherheit. Gejagt von einer gesichtslosen Organisation mit scheinbar grenzenlosen Ressourcen erweist sich Thanes spitze Zunge und Eloquenz recht bald als schärfste Waffe gegen seine Peiniger, denen er immer wieder ein Schnippchen schlägt, falsche Fährten auslegt oder in letzter Sekunde entkommt. Das mag mancher in dieser Häufung als Überzeichnung deuten, trübt aber in keinster Weise das Leseerlebnis oder holt uns aus dem Geschehen heraus. Ganz im Gegenteil: Es sind gerade dieses intellektuelle Katz-und-Maus-Spiel und Thanes mitunter überbordende Männlichkeit, die in diesen Passagen Erinnerungen an einen gewissen Spion mit der Lizenz zum Töten wecken und auch ähnlich zu faszinieren wissen. Mit dem Unterschied, dass – wie Martin Compart in seinem äußerst informativen (und viel zu ausführlichen, du lässt einem nicht viel für die Analyse übrig Martin) Nachwort treffend herausarbeitet – der vorliegende Anti-Held keinen Gedanken an seine Majestät oder England verschwendet, sondern ganz und gar auf den eigenen Vorteil bedacht ist.

Es ist Mairs größtes Verdienst, dass es ihm dennoch gelingt, gewisse Sympathien für Thane zu wecken, der für mich bis zum Schluss komplett unberechenbar geblieben ist. So geschehen in der Szene, in der er für kurze Zeit auf seiner Flucht Unterschlupf bei zwei Frauen sucht. Diese Passage wird vollkommenen von dem unter Adrenalin stehenden Hauptprotagonisten dominiert, dem man in dieser Situation einfach alles zutraut, um nicht entdeckt zu werden – also auch zwei weitere Morde (Der folgerichtige Gedanke an Highsmiths Tom Ripley dürfte an dieser Stelle nicht nur Martin Compart kommen). Wie Mair auf diesem schmalen Grad zum vollkommen gewissenlosen Soziopathen balanciert, das hinterlässt auf der Behaarung der Unter- und Oberarme genauso nachhaltig Eindruck, wie die unheimlich stimmungsvollen Beschreibungen von Thanes Gefangenschaft und dem anschließenden Entkommen. Eine klare, mondhelle Nacht. Ein verlassenes Haus. Ein vom Flakfeuer immer wieder beleuchteter Himmel. Dank Mairs feiner Feder ist gerade dieser Teil des Buches bestes Kopfkino, von dem man sich als Leser nur zu gern mitreißen lässt. Wohlgemerkt, wenn man sich dazu in der Lage sieht und die Lektüre nicht durchgängig mit dem scharfen Auge des Literaturchirurgen seziert.

Denn natürlich fällt Mair sprachlich gegenüber einem Eric Ambler ab. Und natürlich ist das Grundgerüst der Handlung an sich bei genauer Betrachtung nur wenig logisch und glaubwürdig – aber wen bitte schert das, wenn es dermaßen hervorragend unterhält? So sehe ich dann schlussendlich auch in „Es gibt keine Wiederkehr“ kein Genre persifliert, sondern den gelungenen Versuch, einen undurchschaubaren Zyniker, manchmal auch mit einem gewissen humoristischen Element, seine Gegner auf dem eigenen Schlachtfeld schlagen zu lassen. Desmond Thane wächst in diesem Roman an seiner ungewollt eingenommenen Rolle und kann – obwohl einem bis kurz vor dem Finale nicht klar ist, wie genau das möglich sein soll – letztlich dann sogar den Spieß noch umdrehen.

Keine holde Maid in Nöten, kein hehres Ziel – nur ein gewitztes, eingebildetes und opportunistisches Arschloch, das auf knapp 270 amüsanten, aber auch atmosphärisch wirkungsvollen und mitreißenden Seiten zur Höchstform aufläuft. Und mehr braucht es tatsächlich auch nicht, um diese Wiederentdeckung zu einer zwingenden Empfehlung meinerseits zu machen, denn wenngleich ich Mairs Roman ebenfalls nicht als Klassiker des Genres bezeichnen würde – am Ende hat der Autor dann irgendwie doch Unrecht behalten: Es GIBT eine Wiederkehr. Auch Dank dem Elsinor-Verlag und Martin Compart, denen ich für dieses Buch möglichst viele Leser wünsche.

Wertung: 85 von 100 Treffern

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  • Autor: John Mair
  • Titel: Es gibt keine Wiederkehr
  • Originaltitel: Never Come Back
  • Übersetzer: Jakob Vandenberg
  • Verlag: Elsinor
  • Erschienen: 06.2021
  • Einband: Broschiertes Taschenbuch
  • Seiten: 268 Seiten
  • ISBN: 978-3942788564