There is a reaper and we don’t care …

© Ullstein

Nachdem John Connolly zuletzt mit „Der Kollektor“ seine Reihe um Charlie „Bird“ Parker wieder in qualitativ hochwertigere Bahnen gelenkt und die Formkurve – im Vergleich zu den doch eher mäßigen Vorgängern „Die weiße Straße“ und „Der brennende Engel“ – endlich wieder nach oben gedeutet hat, hält der irische Autor mit „Todbringer“ eine Überraschung für die Leser parat.

Obwohl das Buch zeitlich nach den Ereignissen um Merrick und den titelgebenden „Kollektor“ einsetzt, führt es nicht die Geschichte von Parker weiter, sondern konzentriert sich stattdessen auf seine Freunde, das homosexuelle Killer-Paar Louis und Angel, welches ihm sonst im Kampf gegen finstere Serienkiller und andere dämonische Gestalten treffsicheren Feuerschutz gibt. Ergo haben wir es also mit einem literarischen Spin-Off zu tun, das bereits schon bei der Lektüre des Klappentexts beträchtlich nach Fan-Service riecht und sich leider dann auch im weiteren Verlauf eben genau so liest. Keine Frage: Parkers gnadenlose Sidekicks sind in der Vergangenheit oftmals das nachtschwarz-komische Sahnehäubchen der Romane gewesen, haben die ohnehin meist beklemmend-spannenden Plots mit ihren Auftritten gewürzt. Sobald sie auf der Bildfläche erschienen sind, war klar: Jetzt geht es wieder ans Eingemachte. Aber worin lag die Faszination an diesen beiden nun nicht gerade freundlichen Zeitgenossen? Meines Erachtens in ihrer unheimlichen Aura, in ihrer unbekannten Vergangenheit, in eben genau dem, was wir (bisher) nicht wussten. „Todbringer“ gibt darüber nun näher Aufschluss, entmystifiziert die zwei Figuren – und versalzt dadurch unnötigerweise ein Erfolgsrezept der Reihe, das dadurch bei zukünftiger Einnahme nicht mehr so gut schmecken wird.

Kurz zur Handlung: Eigentlich haben sich Louis und Angel in den Ruhestand (von ein paar Morden für die „gute Sache“ mal abgesehen) zurückgezogen, den vor allem letzterer – auch körperlich von den Auseinandersetzungen der Vergangenheit gezeichnet – weitestgehend begrüßt. Gemeinsam führen sie ein vergleichsweise ruhiges und nach außen hin bürgerlich-normales Leben, so weit das für einen schwarzen Hünen und seinen weit kleineren weißen Lebensgefährten im Staat New York derzeitig überhaupt möglich ist. Ihr Freundeskreis beschränkt sich auf Charlie Parker – der seine Lizenz als Privatdetektiv verloren hat und sich nun hoch im Norden in der Gastronomie versucht – und die Automechaniker Willie und Arno, denen Louis einst mit einem Darlehen für ihren Betrieb unter die Arme gegriffen hat. Doch Louis ist es auch, der mit dieser ruhigen Idylle nur wenig anfangen kann. Bereits in jungen Jahren von seinem ungewollten Lehrmeister Gabriel zur Waffe geschmiedet und als Killer trainiert, fehlen ihm die Gelegenheiten seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen bzw. zu trainieren, weswegen ihm ein auf ihn und Angel verübtes Attentat gerade genau recht kommt.

In seiner langjährigen Karriere als Schnitter (engl. „Reaper“) hat Louis einige Leichen zurückgelassen – und nun holt die Vergangenheit ihn ein. Arthur Leehagen, ein reicher Unternehmer, der einen ganzen Landstrich in Maine unter seiner eisernen Knute hält, fordert Rache für seinen Sohn, den Louis einst in Ausübung seiner kriminellen Pflicht aus dem Verkehr gezogen hat. Und dafür ist ihm jedes Mittel Recht. Als auch Willie und Arno ins Visier Leehagens geraten und sich zudem die Gerüchte mehren, dass auch der soziopathische Profikiller Glueck in dessen Diensten steht, greifen Louis und Angel abermals zu ihren Waffen. Gemeinsam mit ein paar alten „Kollegen“ ziehen ins Gefecht. Nichts ahnend, dass sie direkt in eine für sie vorbereitete Falle laufen …

Soweit zur Rahmenhandlung, welche John Connolly in „Todbringer“ immer wieder mit Rückblicken in Louis‘ Vergangenheit unterbricht, um nicht nur die Ursprünge von seiner Beziehung zu Gabriel, sondern auch sein Verhältnis zum Killer Glueck näher zu beleuchten. Woher er kommt, wie er aufgewachsen ist, warum er zum Killer wurde und warum er so gut darin ist. All diese Fragen beantwortet der vorliegende Roman, lüftet quasi also den mysteriösen Vorhang, der über dem schwarzen Vollstrecker mit dem eiskalten Blick bisher lag – und tut sich damit leider überhaupt keinen Gefallen. Nicht nur dass seine Herkunftsgeschichte so ziemlich jegliches Südstaaten-Klischee bedient – sie riecht viel zu sehr nach Parker (dazu weiter unten mehr), um eigenständig funktionieren zu können. Und eben dieser Parker war, trotz seiner Taten und den Dämonen, mit denen er wortwörtlich kämpft, das menschliche Element der Serie. Das flackernde, aber helle Licht in all der Finsternis, welche nicht nur von seinen Widersachern, sondern halt auch von Louis und Angel verkörpert wurde. Letztere zwei nun „menschlich“ darstellen zu wollen, ist allein schon aufgrund ihres „Berufs“ eine Herkules-Aufgabe und zudem auch noch vollkommen überflüssig. Sie sind die Rückendeckung von Parker, seine treuen Gefährten. Die Kavallerie, die anrückt, wenn die Kacke mal wieder am Dampfen ist. Das letzte, was ich wissen wollte, ist, wie sie nachts nebeneinander im Bett einschlafen oder ihre Wohnung eingerichtet haben.

Fast scheint es, als hätte Connolly zwischenzeitlich selbst gemerkt, dass er sich mit der Ausarbeitung dieser zwei Figuren keinen großen Gefallen getan bzw. eigentlich schon alles über sie gesagt hat, was für das Funktionieren der jeweiligen Geschichten notwendig war. Zumindest würde das erklären, warum insbesondere die Zeichnung von Louis derart oberflächlich und halbherzig daherkommt, seine Erfahrungen und Eigenheiten sich plötzlich so mit denen eines Charlie „Bird“ Parker decken. Begegnungen mit Toten nach deren Tod (Heimsuchung durch den „brennenden Mann“). Fälle von Wiederauferstehung. Körperlich beeinträchtigte, hässliche Gegenspieler, die das pure Böse verkörpern. Die Gemeinsamkeiten sind auffällig, alle bekannt und irgendwie auch Beleg dafür, dass nicht jede Nebenfigur Potenzial für die Hauptrolle hat. Auch nicht wenn man ihren Lebenslauf dramatisch inszeniert bzw. mit künstlicher Tragik würzt, um die „menschliche“ Seite hervorzuheben, welche zudem zuvor gerade durch ihre Abwesenheit den Figuren, insbesondere Louis, Tiefe verliehen hat. Seine Momente der Schwäche, seine verwundbaren Stellen, seine partielle Zuneigung zu dem ein oder anderen Menschen – sei nehmen Louis die Einzigartigkeit, das Besondere – und sie ihm geben stattdessen nichts.

Aus Sicht eines Quereinsteigers mögen diese Fehler weniger auffällig sein – dafür wird dieser die Lektüre aber wohl noch kritischer betrachten, zumal er unweigerlich zum Fazit kommen muss, dass es sich hier um einen der typischen, austauschbaren US-Killer-Thriller handelt. Denn Fakt ist tatsächlich: Das Alleinstellungsmerkmal hat Connolly, trotz abermals gefälliger und bildreicher Schreibe, mit „Todbringer“ verloren.. (Da hilft auch der sympathische Autoschrauber Willie nicht). Übrig bleibt eine gefällige, aber auch schwergängige und – aufgrund der vielen Rückblicke – ungewohnt langatmige Story, welche nie die Schärfe und Atmosphäre der Vorgänger erreicht. Viele Dialoge, innere Monologe und vor allem viel zu viele Profis mit Schießeisen auf zu kleinem Raum verhindern, dass die wenig homogene Geschichte Fahrt aufnehmen kann und erweisen Connollys Stärke – Gefühle und Stimmungen zu transportieren – einen Bärendienst.

Bei allem Wohlwollen gegenüber John Connolly: „Todbringer“ ist ein gescheitertes, unnötiges Experiment, ein „useless filler“, den ich als Freund und Kenner der Reihe nur deswegen gnädig bewerte, weil zumindest zwischendurch immer wieder die eigentliche Klasse des Autors durchschimmert. Der Rest ist, wie man so schön sagt, besser Schweigen.

Wertung: 70 von 100 Treffern

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  • Autor: John Connolly
  • Titel: Todbringer
  • Originaltitel: The Reapers
  • Übersetzer: Georg Schmidt
  • Verlag: Ullstein
  • Erschienen: 05.2011
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 480 Seiten
  • ISBN: 978-3548282473

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