Wyrd bið ful aræd – Das Schicksal ist unausweichlich

© Rowohlt

Wenn ich heute so auf meine Besprechungen zu den ersten Bänden von Bernard Cornwells Sachsen-Saga zurückblicke, dann fällt mir auf, dass diese damals (vor zehn Jahren) nicht nur handwerklich arg hölzern daherkamen, sondern ihnen vor allem ein doch eher negativer Tenor gemein war. Und in der Tat hätte nicht viel gefehlt und der Auftakt des Epos um den Sachsen-Krieger Uthred wäre sogleich mein letztes Werk dieses Autors gewesen, konnte ich doch die Begeisterung und das viele Lob, welche „Das letzte Königreich“ (mittlerweile auch als TV-Serie verfilmt) im deutschsprachigen Raum bei seiner Veröffentlichung zuteil wurden, zu dieser Zeit nur bedingt teilen.

Zu dieser Zeit deshalb, weil sich diese äußerst skeptische Zurückhaltung im Verlauf der Reihe und der Jahre inzwischen in das totale Gegenteil verkehrt hat. Mehr noch: Bernard Cornwell ist in meinem Leserleben inzwischen eine Konstante, ein Fixpunkt im Genre des historischen Romans, den ich weder ignorieren kann noch will und der mich in hübscher Regelmäßigkeit auf eine äußerst plastische und emotional intensive Zeitreise schickt. Eine mehr als erstaunliche Wandlung in der Wahrnehmung, welche ich rückblickend in den folgenden, überarbeiteten Rezensionen nochmal Revue passieren und näher analysieren will – auch um etwaige andere Leser vor dem möglichen Fehler zu warnen, nach dem ersten Band schon das Schwert ins Meer zu werfen.

Und genau dieses Schwert ist es auch, welches sinnbildlich für den Stil Cornwells steht, der sich in seinen Büchern gegen jegliche romantische Verklärung des frühen Mittelalters wehrt und es stattdessen noch am ehesten so schildert, wie man es wohl vorgefunden hätte. Ein kurzes, raues und gnadenloses Leben ohne jegliche Sicherheiten und ein einziger Kampf ums Überleben, in dem es dementsprechend die üblichen strahlenden Helden eher schwer gehabt hätten. Im Gegensatz zu den Wanderhuren, Wanderapothekerinnen und Wanderfriseurinnen der so genannten „Konkurrenz“ fühlt er sich der geschichtlichen Akkuratesse verpflichtet, was ein Grund ist, warum er als einer der wenigen Schriftsteller in diesem Genre auch von Historikern hoch geschätzt und immer wieder bei wissenschaftlichen Vorträgen (von denen es einige auf Youtube gibt und die ich nur empfehlen kann, zu schauen) geladen wird. Im Jahr meiner ersten Lektüre waren dies mir noch unbekannte Fakten, so wie ich auch die Sharpe-Romane bis dato nicht kannte. Daher stellte „Das letzte Königreich“ nach Follett, Gordon, Druon und Co. einen dementsprechenden Kulturschock dar, denn schon Uhtreds erster Auftritt bricht so ziemlich mit allen bekannten Grundsätzen.

Northumbria, Nordengland, im Jahre des Herrn 866. Immer wieder leidet die Bevölkerung unter den stets wiederkehrenden Raubzügen der Dänen. „Wikinger“ genannt, weil sie brandschatztend durch das Land ziehen und weder vor Frau und Kind noch vor den Heiligtümern der Kirche halt machen. Um ihren Besitz und ihre Familie zu sichern, haben die Angelsachsen mehrere Burgen an der Küste zur Nordsee errichtet. Unter ihnen auch die nördlich an der Grenze zu Bernicia liegende Festung Bebbanburg (Bamburgh Castle) unter dem Kommando von Aldermann Uhtred. Obwohl der letzte Raubzug der barbarischen Nordmänner schon einige Jahre her ist, lässt er in seiner Wachsamkeit nicht nach und trainiert beide Söhne für den bevorstehenden Kampf, auch wenn er sie hinter den Mauern der als uneinnehmbar geltenden Bebbanburg als sicher wähnt. Doch als die ersten Masten der Wikingerschiffe am Horizont auftauchen, befindet sich sein ältester Sohn gleichen Namens auf Patrouille und bereits kurze Zeit später bewahrheiten sich seine schlimmsten Befürchtungen. Die Dänen präsentieren stolz dessen Kopf und der Aldermann zieht gemeinsam mit ein paar weiteren lokalen Herrschern nach Eoferwic (York), um die Dänen endgültig von der Insel zu werfen.

Stattdessen werden sie in der Schlacht in einen Hinterhalt gelockt und viele Angelsachsen, darunter auch Uhtred, fallen im Kampf. Der Name geht nun an dessen jüngsten Sohn über, der, gerade mal zehn Jahre alt, aufgrund seines gezeigten Mutes von dem Wikingerfürsten Ragnar aufgenommen und großgezogen wird. Aus seiner Ich-Perspektive wird fortan über die Ereignisse des großen Krieges der Engländer gegen die dänischen Invasoren im neunten Jahrhundert berichtet, denn diesmal bleibt es nicht bei vereinzelten Raubzügen. Die Dänen sind gekommen, um zu bleiben und beginnen damit die einzelnen Königreiche (Northumbria, Mercia und East-Anglia) der Angelsachsen zu erobern. Uhtred wächst derweil als Däne heran, unantastbar durch die Fürsprache seines Ziehvaters Ragnar, der gegen die verstreuten englischen Heere stets siegreich bleibt. Bis mit Alfred, dem Bruder des Königs von Wessex, dem letzten verbliebenen Königreich, ein würdiger Gegner erscheint und Uhtred sich einmal mehr gezwungen sieht, eine Wahl zu treffen, um eines Tages sein Erbe, die Bebbanburg, zurückzugewinnen …

Wie schon zuvor in seiner Artus-Trilogie, so wählt Bernard Cornwell auch für seine Sachsen-Saga einen rückblickenden Ich-Erzähler. Und dies ist nicht die einzige Parallele zwischen Derfel Cadarn und Uhtred von Bebbanburg. Beide wurden sie früh ihren Familien entrissen, um an der Seite eines größeres Kriegers zum Mann heranzureifen und letztendlich die Feuertaufe in einem Schildwall zu bestehen. Im Gegensatz zu Derfel, dessen tumbe Grobschlächtigkeit beim Leser gewisse Sympathien hervorrufen kann, so ist es zwischen Uhtred und dem Leser aber alles andere als Liebe auf den ersten Blick. Den jungen Angelsachen kann man hier beinahe aufs Vögeln und Töten reduzieren, weil außer dem nicht allzu viel hinsichtlich der Charakterentwicklung passiert. An dieser Stelle wird ein Problem ersichtlich, mit welchem sich Cornwell sonst nicht konfrontiert sieht. Nämlich der größere zeitliche Rahmen, in dem die Handlung spielt. Zwischen der Landung der Wikinger in Northumbria und der finalen Schlacht bei Cynuit (Cannington) vergehen ganze elf Jahre. Eine für den Autor unübliche Zeitspanne, der sich in der Regel eher auf einen temporär begrenzten Konflikt konzentriert und diesen stattdessen en detail ausarbeitet und mit Leben füllt. In „Das letzte Königreich“ sieht er sich allerdings zwangsläufig zu mehreren Sprüngen gezwungen. Und diese zu füllen, damit hat er eindeutig Probleme.

Ob es der deutschen Übersetzung anzulasten ist oder schlicht dem Fakt, dass Bernard Cornwell noch seinen Rhythmus gesucht hat – der vorliegende Roman kommt trotz mehrerer dramatischer Ereignisse und Schicksalsschläge nur schwer in Fahrt. Und auch Uhtred hat als Fixpunkt und Träger der Handlung so seine Probleme, gewinnt man doch stellenweise das Gefühl, das seine ständigen Gesinnungswandel weniger dem eigenen Willen, als vielmehr dem geschichtlichen Kontext zuzuschreiben sind. Ist seine Loyalität zu den marodierenden Dänen aufgrund der äußeren Umstände, in denen er aufwächst, verständlich, so kann man seinen darauffolgenden Wechsel auf die Seite der Angelsachsen nur schwer folgen. Zwar ist dafür ein einschneidendes Ereignis verantwortlich, dennoch wirkt es meines Erachtens nicht so, als wäre er damit gleich aller Bände zu seiner Ziehfamilie entledigt (Rebecca Gablés „Das zweite Königreich“ hat dieses Gefangenensein zwischen den Fronten weit besser und vor allem glaubwürdiger behandelt). Für den weiteren Verlauf der Reihe ist diese Entscheidung aber natürlich essenziell und – womit ich endlich mal das Positive herausstreichen möchte – von ihr wird der Leser in den zukünftigen Bänden dann auch ausgiebig profitieren.

Wer bis hierhin gelesen hat, dem wird aufgefallen sein, dass es vor allem um kämpferische Auseinandersetzungen geht. Cornwell-Kenner wird das wenig überraschen, aber es sei dennoch erwähnt, falls sich jemand zum Beispiel mehr Informationen über das Brot backen, Häuser bauen oder Bier brauen im frühen Mittelalter erhofft hatte. Es gibt sogar einige die gehen so weit und behaupten, es sei allein eine Lektüre für Männer. Auch wenn ich das für etwas vermessen halte, so ist es doch nicht ganz falsch, das sich die maskuline Leserschaft weit eher für die Beschreibungen des Kriegshandwerks erwärmen dürfte. Womit wir zur herausragenden Stärke von Bernard Cornwell kommen – der detaillierten und mitreißenden Darstellung des Schlachtengetümmels. Es mag verwundern, aber in „Das letzte Königreich“ gibt er davon gerade mal einen kleinen Vorgeschmack auf Kommendes, der jedoch dennoch reicht, da bereits hier der Funke des Geschehens auf uns überspringt. Wie mit einer wackeligen Handkamera gefilmt führt er uns inmitten der aufeinanderprallenden Leiber und Schilde, wodurch man bald glaubt das schwere Atmen der Kämpfenden hören und den Schweiß der um jeden Zentimeter ringenden Männer riechen zu können. Wenn es darum geht, die dreckigsten Abgründe des neunten Jahrhunderts zum Leben zu erwecken und an unsere niedersten Instinkte zu appellieren, vollbringt Cornwell wahrhaft Einzigartiges.

Auch einen anderen „Kampf“ weiß er geschickt ins Szene zu setzen: Den Konflikt zwischen dem Christentum der Angelsachen und dem heidnischen Glauben der Dänen, welche beide auf den Beistand ihres Gottes bzw. ihrer Götter hoffen und manchmal davon gar das Schlachtenglück abhängig machen. Jeder Sieg wird als ein Beweis der Macht ihres jeweiligen göttlichen Beistands angesehen, wodurch wiederum Uhtreds Loyalität sehr lange den Dänen gilt, welche in den späten 860er Jahren beinahe jeden angelsächsischen Widerstand zerschlagen. Untereinander sind sie aber dennoch nur durch lose Bande verbunden bzw. lassen sich durch alte Bräuche wie die Blutrache vom gemeinsamen Ziel abbringen. Es ist Alfred, den man später als einzigen englischen König den Beinamen „der Große“ geben wird, welcher diese Schwäche seines Gegners erkennt und seinerseits darauf dringt, alle Königreiche der Angelsachen als ein Engaland (England) zu vereinigen. Ein für die damalige Zeit noch utopisches Ansinnen, wie auch Cornwell in seinem Nachwort herausstreicht, zumal Wessex kurz vor dem Fall stand. Alfred dient dabei gleichzeitig als Gegenpol zum egoistischen und kriegerischen Uhtred. Wo Letzterer seinen Instinkten folgt und versucht Bebbanburg zurückzuerobern, hat Ersterer stets das größere Ganze im Kopf und plant schon mehrere Schritte voraus. Wenngleich in diesem ersten Band noch vergleichsweise wenig Interaktion zwischen den beiden stattfindet – ihre miteinander verbundenen Schicksale werden für die nachfolgenden Bände richtungsweisend sein.

Und genau diese – und das soll schließlich das ausschlaggebende Resümee dieses Romans sein – sollte, nein, darf man sich nicht entgehen lassen, denn mit jedem weiteren Buch wächst die Sachsen-Saga zu einem mitreißenden, archaischen Epos, wie es in diesem Genre kein zweites mehr gibt. Cornwell findet nach diesem noch etwas sperrigen Einstand zu einer traumwandlerischen Souveränität und übertrumpft das bereits hier fulminant-spannende Finale nochmal um ein Vielfaches. Beinahe, ja, beinahe, hätte ich es mit „Das letzte Königreich“ bewenden lassen, letztlich aber doch zum Nachfolger „Der weiße Reiter“ gegriffen. Glück? Vielleicht. Oder es war, wie schon Uhtred sagte:

Wyrd bið ful aræd.

Das Schicksal ist unausweichlich.

Wertung: 80 von 100 Trefferneinschuss2

  • Autor: Bernard Cornwell
  • Titel: Das letzte Königreich
  • Originaltitel: The Last Kingdom
  • Übersetzer: Michael Windgassen
  • Verlag: Rowohlt
  • Erschienen: 01.2007
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 480
  • ISBN: 978-3499242229
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2 Gedanken zu “Wyrd bið ful aræd – Das Schicksal ist unausweichlich

  1. Ich habe von B. C. nur die Sharp Reihe im Regal. Auch hier ist die Realität manchmal kaum zu ertragen.
    Und auch bei den Sharp Bänden gibt es mal welche dazwischen, die zäher sind.

    Ich glaube, dass gibt es einfach mal, wenn man so viel schreibt.
    Liebe Grüße
    Gesund und Tapfer bleiben
    Nina

    Gefällt 1 Person

    • Da hast du vollkommen Recht. Gerade durch den ein oder anderen Sharpe musste ich tatsächlich quälen, zumal ja eigentlich alle Bücher nach demselben Schema ablaufen. Cornwell gelingt es aber, einen damit stets aufs Neue um den Finger zu wickeln.

      Liebe Grüße zurück
      Danke und bleib ebenfalls gesund!
      Stefan

      Like

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