Der Spion, der nicht liebte

© Blanvalet

Authentizität. Ein Schlagwort, welches immer wieder in Literaturbesprechungen bemüht wird, um die Glaubwürdigkeit und den Realismusgrad des jeweiligen Buches zu unterstreichen – was aber wiederum oftmals nichts daran ändert, dass es am Ende ein subjektives Empfinden des Lesers bleibt. Ein Gefühl, nicht belegbar durch Tatsachen oder Fakten. Dies auch der Grund warum eine Rezension zu Andy McNabs „Ferngesteuert“ ohne einen näheren Blick auf den Autor, dessen bürgerlicher Name eigentlich Steven Billy Mitchell lautet, nicht erfolgen kann, der in seinem Romandebüt einen Großteil seiner Erfahrungen aus dem beruflichen Leben verarbeitet.

Und wenn von Beruf die Rede ist, bedeutet das in diesem Fall: Soldat und Geheimagent. Bereits mit siebzehn Jahren trat McNab als Infanterist der britischen Armee bei und wurde acht Jahre später Mitglied des 22. Special Air Service Regiments (kurz: SAS), in dem er wiederum von 1984 an weitere neun Jahre lang diente. In dieser Zeit war er an offenen und verdeckten Operationen im Fernen Osten, Nahen Osten, Süd- und Mittelamerika sowie in Nordirland beteiligt, wo er während der so genannten „Troubles“ als verdeckter Agent (Undercover Operator) tätig war. Das Spektrum seiner Aufgaben reichte von der Ausbildung vom Westen unterstützter Guerillaverbände über die Terrorismusbekämpfung, Sabotage, Zielvernichtung und Observation bis hin zum Personenschutz und Strafvollzug. In Nordirland beförderte man McNab schließlich auch zum Ausbilder – eine Funktion, in der er bis zu seinem Austritt aus der Armee im Februar 1993 nicht nur verschiedene fremde Spezialeinheiten trainierte, sondern sogar ein Programm entwickelte, in dem Journalisten oder Privatleute für ihren Job in feindlichen Umgebungen geschult wurden. Zu dem Zeitpunkt, als er den Dienst quittierte war er der höchstdekorierte Soldat der britischen Armee.

Es folgte eine zweite Karriere als Schriftsteller, welche bereits mit seinem Erstling äußerst erfolgreich begann. „Bravo Two Zero“, ein autobiographisches Sachbuch über seine Beteiligung an einem Kommandounternehmen des SAS im Zweiten Golfkrieg 1991, wurde allein in Großbritannien 1,5 Millionen mal verkauft, in 16 Sprachen übersetzt und in 17 Staaten veröffentlicht. Bis heute gilt es als meistverkauftes Kriegsbuch aller Zeiten. Nachdem ein weiteres biographisches Werk folgte, widmete sich McNab schließlich dem Genre des Agententhrillers und entwarf die Figur Nick Stone, einen ehemaligen SAS-Mann, welcher nun als sogenannter „K“ (freischaffender Geheimagent) Operationen im Auftrag des britischen Geheimdienstes und anderer Auftraggeber erledigt. Und so kann man an dieser Stelle bereits mit Fug und Recht behaupten: Der Autor weiß, wovon er spricht. Doch lohnt es sich auch, ihm zuzuhören? Die Kurzbeschreibung der Handlung tönt jedenfalls bereits durchaus spannend:

Gibraltar, 6. März 1988. Nick Stone und andere Mitglieder des SAS haben sich unerkannt unter die vielen Touristen auf diesem britischen Außenposten gemischt, um einen erwarteten Bombenschlag durch die PIRA (Provisorische Irisch Republikanische Armee) zu verhindern. Auch wenn ein Großteil der Pläne ihrer Gegner durch den englischen Geheimdienst offengelegt werden konnte – das genaue Ziel der irischen Widerstandskämpfer kennt niemand. Der Auftrag ist heikel, denn die Teilnahme von Undercover Agenten ist vollkommen inoffiziell. Sollte ihre Beteiligung bekannt werden, würde ihre Existenz kurzum geleugnet. Letztendlich kann der Anschlag jedoch verhindert und die PIRA-Mitglieder – auch dank Stones Hilfe – gestoppt werden.

Neun Jahre später, Stone arbeitet bereits seit längerer Zeit als K für den Geheimdienst, wird er nach Vauxhall Central, besser bekannt als MI6, in London beordert. Er soll zwei Paramilitärs der IRA auf ihrem Flug nach Washington beschatten. Eine verhältnismäßig einfache Aufgabe für jemanden mit Stones Erfahrung, der jedoch zu seiner Überraschung bei seiner Ankunft in der US-amerikanischen Hauptstadt plötzlich den Befehl erhält, die Überwachung abzubrechen. Er beschließt die Zeit zu nutzen, um seinen alten Waffengefährten Kevin Brown und seine Familie zu besuchen. Seit dessen Abschied als britischer Geheimdienstoffizier arbeitet Brown für das DEA. Beide sind seit langer Zeit befreundet, Stone sogar Patenonkel von Aida, Browns jüngster Tochter. Und dieser freut sich sehr darüber, seinen alten Freund wieder zu sehen. Auch weil er vor kurzem eine brisante Entdeckung gemacht hat, die er unbedingt jemanden zeigen will. Als Stone schließlich die Adresse der Browns erreicht, macht er eine grauenhafte Entdeckung. Kevin, seine Frau und Aida wurden brutal ermordet, das Haus komplett auseinandergenommen. Nur die siebenjährige Kelly hat den Anschlag in einem Versteck überlebt – und von jetzt auf gleich befinden sich sie und Stone auf der Flucht vor unbekannten Verfolgern, welche augenscheinlich auf weitreichende Mittel zurückgreifen können. Eigentlich keine neue Situation für Stone, doch seine junge Begleitung schränkt nicht nur die Handlungsmöglichkeiten ein, sondern wird in diesem Kampf ums Überleben auch immer mehr zu einer Ablenkung …

Eine unverkennbar spannende Ausgangssituation, welche McNab hier kreiert hat und die er auch – zumindest auf den ersten hundert Seiten – aufs Beste zu nutzen versteht, denn der Autor belegt ziemlich klar und eindringlich, dass er aus allererster Hand weiß, wovon er schreibt. Nick Stone hat außer seines Berufs äußerst wenig mit seinem literarischen Kollegen James Bond gemein, der bekanntermaßen das Scheinwerferlicht ebenso sucht wie die schönen Frauen und zudem von einem festen moralischen Kompass geleitet wird. Stattdessen kommt Stone wohl dem wahren Profil eines Agenten weit näher, der eben nicht auf jede Situation gelassen und souverän reagieren, und sich so etwas wie Empathie schon mal gar nicht leisten kann. Stones Welt besteht aus der perfekten Planung, aus dem Auskundschaften, dem Beobachten und der Improvisation. Seine Mittel stammen nicht aus der Herstellerschmiede Qs, sondern direkt aus dem Bau- oder Supermarkt. Und so etwas wie blindes Vertrauen gibt es für ihn selbst unter alten Freunden nicht.

McNab schildert in „Ferngesteuert“ eine kalte, erbarmungslose Welt, in der jeder Fehler tödlich bestraft wird und man vom Heldentum nicht weiter entfernt sein könnte. Die Jobs sind schwierig und undankbar, das Töten dreckig und die Ressourcen eines Agenten endlich. Stone kämpft in erster Linie ums Überleben, wird ständig in die Defensive gedrängt und zur Flucht gezwungen, welche ihn und sein ungewolltes Anhängsel Kelly von Motel zu Motel treibt. Wenngleich er immer wieder Wege findet, um mehr über seine Verfolger zu erfahren – es sind lediglich kleine Nadelstiche, die er gegen seine Gegner setzen kann. In dieser Hinsicht ist also das Buch in der Tat authentisch, opfert diesem Grad an Realismus andererseits aber auch ein bisschen die Genre-übliche Suspense.

Beschreiben und Erzählen – dies sind zwei verschiedene Dinge. Und über viele, viele Seiten ergeht sich McNab vor allem auf in Ersterem, en detail. Nicht nur wird genau beschrieben, wie man eine Self-Made-Kameraüberwachung installiert, er erklärt streckenweise auch Dinge, welche selbst der Kuchen backenden Hausfrau heutzutage bekannt sein dürften. So sollte niemandem die Gründe dargelegt werden müssen, warum man nicht direkt vor der Haustür desjenigen parkt, den man beobachten will. Während er also mancherorts durchaus informativ aus dem Nähkästchen plaudert, erweist er sich an anderer Stelle wieder als äußerst belehrend bzw. erweckt er den Anschein, seinen Lesern nicht das geringste bisschen Mitdenken zuzutrauen.

Die Passagen in Washington – sie beginnen sich irgendwann arg in die Länge zu ziehen und man droht all der von Stone und Kelly verdrückten Burger und Pommes überdrüssig zu werden. Der Spannungsbogen, er verflacht hier zusehends, zumal sich auch zwischenmenschlich bei den beiden äußerst wenig tut. Kelly akzeptiert tagelang widerstandslos, dass sie ein eigentlich fast Fremder von Ort und zu Ort schleppt und dabei immer wieder für den nächsten Tag verspricht, sie könne ihre Eltern bald wiedersehen. Möglich, dass ein Mädchen unter Schock tatsächlich so willig zu manipulieren ist. Aus eigener Erfahrung würde ich aber mal behaupten, dass man eine Siebenjährige so leicht nicht mehr hinters Licht zu führen vermag. Als ob McNab das irgendwann selbst bemerkt hat, lässt er dann auch schließlich die Katze aus dem Sack. Ihre Reaktion: schicksalsergebener Gleichmut. Praktisch für Stone, der nun endlich zur Höchstform auflaufen kann, ohne großartig Rücksicht auf seine Begleiterin nehmen zu müssen. Merkwürdig jedoch für den Leser, dem sich hier ein großes Logikloch auftut.

Nichtsdestotrotz: Mit der Reise nach Florida und dem anschließendem Finale bekommt „Ferngesteuert“ tatsächlich nochmal die Kurve. Auch weil sich die wahren Hintergründe der Ermordung von Kellys Eltern nun offenbaren und tatsächlich für die ein oder andere Überraschung sorgen. Der Showdown ist schließlich filmreif und dann auch fast so etwas wie McNabs Zugeständnis an die fiktiven Elemente des Genres Agententhrillers, denn selbst ihm wird wohl klar gewesen sein, dass auch er das in seinen besten Tagen nicht auf diese Weise hätte regeln können.

Überhaupt haftet der Person Andy McNab meines Erachtens – was die „besten Tage“ angeht – ein ziemlich pappiger Beigeschmack an. Wer sich etwas näher mit dem Autor beschäftigt – was ich bei der Recherche zu dieser Rezension getan habe – der wird auf einen Menschen treffen, der nicht nur die Geschehnisse des „Bloody Sundays“ verherrlicht bzw. eine Strafverfolgung der beteiligten britischen Soldaten gänzlich ablehnt, sondern der überhaupt auch im Hinblick auf den Nordirlandkonflikt, die so genannten „Troubles“, tief nationalistisch gefärbtes Gedankengut kultiviert. Seine Aussagen, lediglich einen Job ausgeübt zu haben und dafür keinerlei Reue zu empfinden – sie beißen sich mit öffentlichen Auftritten, bei denen er (aus angeblicher Angst vor Racheakten) eine Kapuze über dem Kopf trägt. Und auch seine Verleugnung, es habe so etwas wie einen Tötungsauftrag für IRA-Mitglieder sowie überhaupt irgendwelche loyalistischen Paramilitärs in Nordirland gegeben – man kann sie angesichts heutiger Erkenntnisse (demnächst mehr in meiner Rezension zu John Steeles „Ravenhill“) schlichtweg nicht mehr ernst nehmen.

Was bleibt am Ende unter dem Strich? „Ferngesteuert“ ist tatsächlich ein handwerklich guter, wenn auch streckenweise etwas zäher Erstling, der einen glaubhaften Einblick in das Handwerk eines britischen Geheimagenten gibt und eine durchaus interessante sowie komplexe Handlung zu erzählen weiß – ohne die Tätigkeit an sich irgendwie heroisch zu verklären. Wer jedoch etwas näher hinschaut, erkennt auch die vollkommen kritiklose Reflexion eines langjährigen Soldaten, der insbesondere den Nordirlandkonflikt gedanklich immer noch nur aus einer Perspektive betrachtet. Die Beliebtheit in England mag dies befeuert haben – ich persönlich habe mit der britischen Arroganz beim Thema „Troubles“ so seit jeher meine Probleme gehabt. Brücken – sie hat McNab mit diesem Buch garantiert nicht gebaut.

Wertung: 84 von 100 Treffern

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  • Autor: Andy McNab
  • Titel: Ferngesteuert
  • Originaltitel: Remote Control
  • Übersetzer: Wulf Bergner
  • Verlag: Blanvalet
  • Erschienen: 02/2001
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 445 Seiten
  • ISBN: 978-3442353903

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