
© Hoffmann & Campe
Den vorläufigen Abschluss des Ambler-Marathons bildet der Klassiker „Die Maske des Dimitrios“ – einer der bekanntesten Titel dieses Schriftstellers, dessen Wiederentdeckung sich der ein oder andere Verlag unbedingt wieder auf die Fahnen schreiben sollte. Bei gegebener Zeit werde ich mich auf CrimeAlley auch den weiteren Romanen Amblers ausführlicher widmen.
Eric Amblers fünften Roman, „Die Maske des Dimitrios“, „halte ich für den elegantesten Kriminalroman des zwanzigsten Jahrhunderts“, konstatiert Hans C. Blumenberg von der Zeitung „Die Zeit“ auf der Rückseite der aktuellsten Diogenes-Taschenbuchausgabe. Angesichts der Massen hochqualitativer Konkurrenten eine mehr als forsche Behauptung, die ich nur zu gern anhand von Argumenten entkräften und widerlegen möchte. Da gibt es bloß ein kleines Problem: Es gelingt mir nicht. Ich kann noch soviel grübeln und nachdenken, es fällt mir schlichtweg kein anderer Autor ein, der derart mühelos, geschliffen und ja, eben elegant, die Mittel dieses Genres ausgeschöpft und immer wieder auf derart beeindruckende Art und Weise neue Bestmarken gesetzt hat. Einen Ambler zu lesen lässt sich mit dem Einstieg in einen Rollys-Royce vergleichen. Sofort und direkt nach Beginn setzt das Wohlgefühl ein, gibt es diese gewisse Vertraulichkeit zwischen dem Leser und der Geschichte, der das actionreiche Tempo heutiger Spannungsromane zwar abgeht, dafür aber durchgehend schnurrt wie ein Kätzchen. Bodenwellen oder Schlaglöcher im Plot sucht man vergebens. Hier sitzt jeder Satz, passt jedes Wort – der klassische Kriminalroman in vollendeter Form.
Wer angesichts dieser Lobeshymnen zu zweifeln beginnt, dem sei doch gleich „Die Maske des Dimitrios“ ans Herz gelegt – ein Buch, das auch 73 Jahre nach der Erstveröffentlichung nichts von seiner Faszination verloren hat und vollkommen zurecht in fast allen ewigen Bestenlisten des Kriminalromans aufgeführt wird.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der erfolgreiche Kriminalschriftsteller Charles Latimer, dem in Istanbul, aufgrund der Bekanntschaft zu einem hiesigen Oberst der Polizei, die zweifelhafte Ehre zuteil wird, einen letzten Blick auf die Leiche von Dimitrios Makropoulos zu werfen, dessen lange Karriere als Verbrecher im schmutzigen Wasser des Bosporus ein jähes Ende gefunden hat. Latimer ist fasziniert von der Hintergrundgeschichte des Ermordeten. Der ehemalige Dozent für Nationalökonomie beginnt Dimitrios‘ Leben näher zu untersuchen. Schon bald muss er jedoch feststellen, dass die Feldforschung weit gefährlicher sein kann, als die Vorlesungen im Hörsaal. Und was als intellektuelles Spiel begonnen hat, wird plötzlich blutiger Ernst …
Smyrna, Sofia, Belgrad, Genf und Paris sind die Handlungsschauplätze dieses Buches, in dem einmal mehr (und Ambler-typisch) ein Jedermann die Hauptrolle innehat, der aus seinem eigenen Milieu gerissen wird und sich mit den düsteren Seiten der kriminellen Schattenwelt konfrontiert sieht. Auf der großen politischen Bühne von Geheimdienstlern, Berufsverbrechern und Kriegsgewinnlern agiert Latimer als Amateur, stolpert mehr oder wenig zufällig immer tiefer in für ihn unbekannte Gefilde – und mit ihm, genauso ahnungslos, der Leser. Es ist dieses Rezept, dessen sich Ambler häufiger bedient, das ihn unter anderem so erfolgreich gemacht hat. Die Tatsache, dass alle Figuren mit viel Fingerspitzengefühl entstanden und uns als Beobachter so nahe sind. Oberbösewichte wie in Flemings Romanen oder soziopathische Killer im Stile heutiger Thriller sucht man hier vergebens. Zwischen Gut und Böse wird keine klar erkennbare Trennlinie gezogen, die Grenzen sind fließend. Ambler überlässt dem Leser das Ruder, dem nach und nach Dimitrios‘ Geschichte enthüllt wird und der sich anhand dieser ein eigenes Bild des Mannes machen kann.
Nicht ohne einen Funken Ironie karikiert Ambler hier die Rolle des klassischen Detektivs, den Latimer in seinen Romanen favorisiert, und zu dem er nun selbst werden muss, um Licht in das Dunkel zu bringen. Dabei schreibt der Autor vollkommen „fettfrei“. Soll heißen: Keine unnötigen Nebenschauplätze, keine überflüssigen Ausschmückungen – nur ein feiner, gerader, immer fester zupackender Plot, der zwar dem Krimikenner keine großen Überraschungen bietet, dafür aber das Erwartete in einer Form präsentiert, die zwangsläufig fesseln muss. Hinzu kommt ein Tiefgang, der sich unter anderem in Amblers präzisen Beobachtungen der Weltpolitik manifestiert, die (mal wieder) prophetisch zukünftige Ereignisse vorweg nehmen und dem ohnehin grandiosen Werk einen zusätzlichen Stellenwert verleihen.
Insgesamt ist „Die Maske des Dimitrios“ einer dieser Klassiker, die man nach der Lektüre mit Vorsicht und Ehrfurcht zurück ins Regal stellt. Ein lupenreiner, literarisch hochwertiger und in erstklassiger Topbesetzung verfilmter Kriminalroman, der keinerlei billiger Effekte bedarf und am Ende auch keine Fragen offen lässt. Außer einer vielleicht: Hat dieser Autor eigentlich je ein Buch geschrieben, das nicht hervorragend war?
Nachtrag: Eric Ambler wird inzwischen vom Atlantik-Verlag neu aufgelegt.
Wertung: 92 von 100 Treffern
- Autor: Eric Ambler
- Titel: Die Maske des Dimitrios
- Originaltitel: The Mask of Dimitrios / A Coffin for Dimitrios
- Übersetzer: Matthias Fienbork
- Verlag: Hoffmann & Campe
- Erschienen: 04/2016
- Einband: Hardcover
- Seiten: 336
- ISBN: 978-3455405620
Pingback: Krieg liegt in der Luft | crimealleyblog
Werde ich erst später lesen. Muss ja erst selbst noch etwas dazu schreiben…;-)
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Bin auf Deinen „Senf“ gespannt. :-)
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